Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerbliche Betätigung eines Saucen-Designers
Leitsatz (NV)
Die Entwicklung von Rezepten für Saucen, Salate und Quark- oder Fruchtspeisen ist weder künstlerische Tätigkeit noch eine dem Handelschemiker ähnliche Berufstätigkeit i. S. d. §18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2; GewStG § 2 Abs. 1
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist Koch und war lange Jahre im Bereich der Lebensmittelforschung tätig. Er ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Firma A-GmbH. Durch Gesellschafterbeschluß wurde ihm gestattet, im eigenen Namen Rezepturen zu entwickeln und diese auf eigene Rechnung zu verwerten.
In den Streitjahren 1991 und 1992 erzielte der Antragsteller Einkünfte aus der Verwertung von Rezepten für Saucen, Salate, Quark- und Fruchtspeisen. Die Rezepte entwickelte er in einer Versuchsküche, mit dem Ziel, den späteren Verbrauchern neue Geschmackserlebnisse zu eröffnen. Erfolgversprechende neue Rezepte wurden von der Molkerei und der Kartoffelverwertungsgesellschaft in B angewandt. Die Gewürzmischungen wurden in einer Gewürzmühle unter Leitung des Antragstellers aufbereitet. Nach dem Umsatz der verkauften Produkte erhielt der Antragsteller Provisionen. Den Gewinn aus dieser Entwicklungstätigkeit ermittelte der Antragsteller durch Einnahmenüberschußrechnung nach §4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Seine Einnahmen erklärte er für 1991 einschließlich vereinnahmter Umsatzsteuer mit ... DM und für 1992 mit ... DM; nach Abzug gezahlter Umsatzsteuer und einer Betriebsausgabenpauschale von jeweils 600 DM ergaben sich Gewinne in Höhe von ... DM für 1991 und ... DM für 1992.
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) sah die Tätigkeit als gewerblich an und setzte für die Kalenderjahre 1991 und 1992 einheitliche Gewerbesteuermeßbeträge fest. Die dagegen erhobenen Einsprüche blieben ohne Erfolg. Das Klageverfahren ist beim Finanzgericht (FG) anhängig.
Einen nach Klageerhebung gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Gewerbesteuermeßbescheide wies das FG mit der Begründung ab, der Antragsteller sei weder künstlerisch oder wissenschaftlich tätig geworden, noch habe er einen dem Handelschemiker ähnlichen Beruf ausgeübt. Die Beschwerde ließ das FG zu, weil die Frage von grundsätzlicher Bedeutung sei, ob künstlerische Tätigkeit auch bejaht werden könne, wenn das Kunstwerk nur mit den Geschmacksnerven wahrzunehmen sei und ob dazu auch eine gewisse Gestaltungshöhe gefordert werden müsse.
Mit seiner Beschwerde trägt der Antragsteller vor, der angefochtene Beschluß enthalte keine Ausführungen darüber, ob eine Tätigkeit, die in Teilbereichen elementare Merkmale mehrerer "ähnlicher Berufe" i. S. des §18 Abs. 1 Satz 2 EStG aufweise, insgesamt als "ähnlicher Beruf" zu qualifizieren sei. Er nehme auch keine Stellung zu der Frage, ob eine künstlerische Tätigkeit nur mit dem Seh- oder Hörnerv wahrgenommen werden könne. Schließlich habe das FG zu Unrecht die Vergleichbarkeit der streitigen Tätigkeit mit derjenigen eines Handelschemikers abgelehnt. Wegen der notwendigen Nahrungsaufnahme eigne sich der menschliche Geschmackssinn in besonderem Maße als künstlerisches Medium.
Der Antragsteller beantragt, unter Aufhebung des Beschlusses des FG, die Vollziehung der Gewerbesteuermeßbescheide 1991 und 1992 auszusetzen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Nach §69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das FG die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes u. a. dann ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen. Derartige Zweifel sind anzunehmen, wenn bei überschlägiger Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (s. etwa Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 13. Juli 1994 I B 53/94, BFHE 175, 101, BStBl II 1995, 65) oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen (BFH-Beschluß vom 12. November 1992 XI B 69/92, BFHE 170, 106, BStBl II 1993, 263, m. w. N., ständige Rechtsprechung). Solche Umstände sind im Streitfall nicht gegeben.
Der Gewerbesteuer unterliegen gemäß §2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes nur Gewerbebetriebe, nicht jedoch die freiberufliche Tätigkeit i. S. von §18 EStG. Nach summarischer Prüfung beurteilt der Senat die Arbeit des Antragstellers weder als künstlerische oder wissenschaftliche Tätigkeit i. S. des §18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG noch als Ausübung eines Berufs, der einem der in dieser Vorschrift im einzelnen aufgezählten Berufe ähnlich ist.
a) Die Entwicklung von Rezepten für Saucen, Salate und Quark- oder Fruchtspeisen ist keine künstlerische Tätigkeit i. S. des §18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG. Das Wesen künstlerischer Betätigung liegt in der freien schöpferischen Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewußten und unbewußten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck, und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- vom 24. Februar 1971 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173, 188 "Mephisto"; s. auch BFH-Urteile vom 12. April 1984 IV R 97/81, BFHE 141, 42, 43, BStBl II 1984, 491, und vom 2. August 1989 I R 72/87, BFH/NV 1990, 146).
Den so umschriebenen Anforderungen genügt die Entwicklung von Rezepten nicht. Zwar mag der Antragsteller seinen beruflichen Erfolg in besonderem Maße seiner Phantasie, Inspiration, Intuition und Kreativität verdanken. Die Suche nach neuen Rezepten stellt aber ebensowenig eine künstlerische Äußerung dar wie beim Erfinder im technisch-wirtschaftlichen Bereich; vielmehr sind diese Kreationen Ergebnis und Anwendung naturwissenschaftlich erklärbarer Vorgänge. Es fehlt an dem Ineinandergreifen von bewußten und unbewußten, rational nicht aufklärbaren Vorgängen. Auch wenn man das kennzeichnende Merkmal einer künstlerischen Äußerung darin sieht, daß es wegen der Mannigfaltigkeit ihres Aussagegehalts möglich ist, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiterreichende Bedeutungen zu entnehmen, so daß sich eine praktisch unerschöpfliche, vielstufige Informationsvermittlung ergibt (Beschluß des BVerfG vom 17. Juli 1984 1 BvR 816/82, BVerfGE 67, 213 "Straßentheater"), ist das Rezept kein Kunstwerk. Die einzigartigen Ergebnisse seiner Arbeit mögen das Wohlgefallen eines breiten Publikums finden, ein Aussagegehalt im Sinne des Kunstverständnisses des BVerfG in BVerfGE 67, 213 kann solchen Produkten aber ebensowenig zukommen, wie sie ihrer Eigenart nach Gegenstand fortgesetzter Interpretation sein könnten.
Die Kreation von Rezepten ist auch dann nicht als künstlerische Tätigkeit zu werten, wenn man davon ausgeht, daß dem Tatbestandsmerkmal "künstlerisch" in §18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG ein formaler Kunstbegriff zugrunde liegt. Nach heutigem Verständnis gliedert sich Kunst in die Teilbereiche Literatur, Musik, die bildenden und die darstellenden Künste. Dieses Kunstverständnis, von dem etwa auch §2 des Gesetzes über die Sozialversicherung der selbständigen Künstler und Publizisten (Künstlersozialversicherungsgesetz vom 27. Juli 1981 [BGBl I, 705]) ausgeht, setzt voraus, daß das Kunstwerk den Gesichts- und Gehörsinn anspricht. Arbeiten, deren Bedeutung sich vorwiegend über den Geruchs- und Geschmackssinn erschließt, werden von diesem formalen Kunstbegriff nicht erfaßt.
b) Der Antragsteller ist auch nicht wissenschaftlich tätig gewesen. Nach der Rechtsprechung des BFH ist Voraussetzung für die Annahme einer wissenschaftlichen Tätigkeit, daß eine hochstehende, besonders qualifizierte Arbeit ausgeübt wird, die dazu geeignet ist, schwierige Streit- oder Grenzfälle nach streng objektiven und sachlichen Gesichtspunkten zu lösen. Der Begriff der Wissenschaft ist dabei in besonderem Maße mit den Disziplinen verbunden, die an den Hochschulen gelehrt werden (zuletzt Senatsurteil vom 26. November 1992 IV R 64/91, BFH/NV 1993, 360; s. schon BFH-Urteil vom 24. Februar 1965 I 349/61 U, BFHE 82, 46, BStBl III 1965, 263). Zwar hat der Antragsteller selbst nicht behauptet, wissenschaftlich tätig gewesen zu sein; er meint jedoch, seine wissenschaftliche Qualifikation begründe die Ähnlichkeit seiner Tätigkeit mit dem Katalogberuf des Handelschemikers in §18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Das ist nicht der Fall. Ein Beruf ist einem der Katalogberufe i. S. des §18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ähnlich, wenn er in wesentlichen Punkten mit ihm verglichen werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 25. April 1978 VIII R 149/74, BFHE 125, 369, BStBl II 1978, 565). Dazu gehört die Vergleichbarkeit der Ausbildung und der beruflichen Tätigkeit (Senatsurteil vom 12. Oktober 1989 IV R 118-119/87, BFHE 158, 413, BStBl II 1990, 64, m. w. N.). So mag die Tätigkeit des Antragstellers zwar in der "lebensmittelchemischen Analyse" der einzelnen Bestandteile seiner erfolgreichen Saucen bestehen; seine Ausbildung als Koch ist indessen nicht mit der Ausbildung eines Handelschemikers vergleichbar.
Fundstellen
Haufe-Index 67292 |
BFH/NV 1998, 956 |