Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung der Lohnsteuerkarte im Wege der einstweiligen Anordnung
Leitsatz (NV)
1. Es bleibt dahingestellt, ob das Rechtsschutzinteresse auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Änderung der Lohnsteuerkarte entfallen ist, wenn sich die begehrte Eintragung wegen Zeitablaufs im Lohnsteuerabzugsverfahren nicht mehr auswirken kann.
2. Zur Darlegung eines Anordnungsgrundes, wenn die Änderung der Lohnsteuerkarte durch einstweilige Anordnung geltend gemacht wird.
Normenkette
FGO § 114; EStG 1988 § 39 Abs. 3
Tatbestand
Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) sind seit 1979 verheiratet und haben zwei 1979 bzw. 1980 geborene gemeinsame Kinder. Außerdem brachte die Ehefrau eine 1978 geborene Tochter Z mit in die Ehe. Die Gemeinde B hat zum Streitjahr 1988 Lohnsteuerkarten mit folgenden Merkmalen ausgestellt: für den Ehemann III (Lohnsteuerklasse), 3,0 (Zahl der Kinderfreibeträge), 3 (Zahl der Kinder) und für die Ehefrau V, 0, 0. Mit Schreiben vom 15. Oktober 1987 beantragten die Antragsteller bei der Gemeinde, für den Ehemann die Merkmale II, 2,0, 2 und für die Ehefrau II, 1,0, 1 einzutragen und begründeten dies damit, sie hätten bereits seit längerer Zeit getrennt gelebt. Die gemeinsamen Kinder sollten dem Ehemann und die Tochter Z der Ehefrau zugeordnet werden.
Antrag und Einspruch blieben erfolglos. Die hiergegen erhobene Klage ist beim Finanzgericht (FG) unter dem Az. . . . anhängig.
Mit dem Klageschriftsatz vom 22. April 1988 beantragten die Antragsteller gleichzeitig, den Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Lohnsteuerkarten 1988 zu ändern und beim Ehemann die Merkmale II, 2,0, 2 sowie bei der Ehefrau II, 1,0, 1 einzutragen.
Sie trugen zusätzlich vor, die Ehefrau sei am 28. Februar 1988 mit der Tochter Z aus dem Haus in B ausgezogen und bewohne seither eine Wohnung in A, was der Ehemann eidesstattlich versicherte. Der Lohnsteuerabzug nach der Steuerklasse V führe bei der Ehefrau dazu, daß sie trotz Berufstätigkeit Sozialhilfe in Anspruch nehmen müsse.
Das FA trat dem Antrag mit der Begründung entgegen, für die hier streitigen Eintragungen seien gemäß § 39 Abs. 3 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Verhältnisse am 1. Januar 1988 maßgebend gewesen. Zumindest bis zum 28. Februar 1988 hätte kein dauerndes Getrenntleben der Ehegatten bestanden. Sie hätten zu dieser Frage widersprüchliche Angaben gemacht. Die Einlassung der Ehegatten, sie hätten seit dem 31. Dezember 1982 getrennt gelebt, sei nicht glaubhaft. Hiergegen spräche, daß sie mit den drei Kindern 1986 in das vom Ehemann erworbene Einfamilienhaus umgezogen seien und sich die Ehefrau an der Finanzierung dieses Hauses dadurch finanziell beteiligt habe, daß sie einen Bausparvertrag mit einer Bausparsumme von . . . DM zur Verfügung gestellt habe und für ein 1986 aufgenommenes Darlehen über . . . DM die gesamtschuldnerische Haftung übernommen habe. Erst 1988 sei sie aus der persönlichen Haftung für die Kreditverträge freigestellt worden. Es widerspräche jeder Lebenserfahrung, daß in dem Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 80 qm zwei völlig getrennte Haushalte geführt worden sein sollten, nämlich einer der Ehefrau mit ihrer Tochter Z und ein weiterer des Ehemannes mit den gemeinsamen Kindern der Ehegatten. Tatsächlich ziele die begehrte Änderung der Lohnsteuerkarten nur darauf ab, bei der Berechnung der Sozial- und Arbeitslosenhilfe sowie dem Wohngeld größere Vorteile zu erreichen.
Das FG wies den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ab.
Der Ehemann habe keinen Anordnungsgrund dargelegt. Der von der Ehefrau geltend gemachte Grund, sie müsse beim Lohnsteuerabzug nach Lohnsteuerklasse V Sozialhilfe in Anspruch nehmen, rechtfertige eine einstweilige Anordnung nicht. Wenn sie zunächst höhere Abzüge habe, statt dessen aber Sozialhilfe beziehe, entstünden ihr keine irreparablen finanziellen Nachteile (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Juni 1975 VI B 22/75, BFHE 116, 106, BStBl II 1975, 717). Im übrigen habe sie im Einvernehmen mit ihrem Ehemann zur Vermeidung weiterer Nachteile Steuerklasse III beantragen können. Eine derartige Eintragung sei auch nach Auffassung des FA ohne weiteres gemäß § 38b Nr. 3a EStG möglich gewesen.
Ein Anordnungsanspruch sei ebenfalls nicht glaubhaft gemacht worden. Vielmehr spreche die Aktenlage mehr für als gegen das Vorliegen einer ehelichen Wirtschaftsgemeinschaft, was ausreiche, ein dauerndes Getrenntleben zu verneinen. Die ab 28. Februar 1988 möglicherweise veränderten Verhältnisse seien wegen § 39 Abs. 3 Satz 2 EStG nicht maßgebend. Gemäß § 39 Abs. 3 Satz 3 EStG könne darüber hinaus nur eine ungünstigere Steuerklasse eingetragen werden, während die Ehefrau eine günstigere erreichen wolle. Für den Ehemann käme die zuletzt erwähnte Vorschrift zwar in Betracht; für ihre Anwendung sei aber ein Rechtsschutzbedürfnis nicht zu erkennen.
Mit der Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Begehren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung weiter.
Sie tragen ergänzend vor, sie seien darauf verwiesen worden, beim Ehemann Steuerklasse V und bei der Ehefrau Steuerklasse III zu beantragen. Dadurch würden schwere Nachteile nicht vermieden. Wie sich aus dem beigefügten Schriftsatz des Landkreises C ergebe, würde eine Änderung der Steuerkarte des Ehemannes von III/3 auf V/0 zu einer Kürzung der Arbeitslosenhilfe um ca. . . . DM monatlich führen und Leistungen des Sozialamtes würden trotz reduzierter Arbeitslosenhilfe nicht mehr erfolgen. Dies hätte zur Folge, daß die Kosten des Hauses nicht mehr getragen werden könnten und das Haus veräußert werden müßte. Der Fehlbedarf sei nur durch entsprechende Unterhaltsleistungen der Ehefrau für die gemeinsamen Kinder aufzufangen. Bei Beibehaltung der Steuerklasse V sei die Ehefrau zu solchen Zahlungen nicht verpflichtet. Dagegen könnte sie bei Steuerklasse II/1 wegen der dann höheren Einkünfte zum Unterhalt beitragen, während die Änderung der Eintragung beim Ehemann auf II/2 nur eine äußerst geringe Änderung der Arbeitslosenhilfe zur Folge hätte. Nur bei dieser Lösung sei eine Veräußerung des Hausgrundstücks zu vermeiden.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
1. Es kann dahinstehen, ob ein berechtigtes Interesse auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung weggefallen ist, weil sich die begehrte Eintragung wegen Zeitablaufs im Lohnsteuerabzugsverfahren nicht mehr auswirken konnte (vgl. BFH-Beschluß vom 21. Dezember 1982 VIII B 36/82, BFHE 137, 232, BStBl II 1983, 232). Bejahendenfalls wäre die Beschwerde schon deshalb als unbegründet zurückzuweisen gewesen, weil die Antragsteller die gebotenen prozessualen Konsequenzen, nämlich die Erklärung der Erledigung der Hauptsache, nicht gezogen haben (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 30. März 1989 VII B 26/89, BFH/NV 1989, 794).
2. Die Beschwerde ist jedenfalls deshalb unbegründet, weil die Antragsteller jedenfalls keine Tatsachen dargelegt und glaubhaft gemacht haben, aus denen sich ein Anordnungsgrund ergibt.
Die Antragsteller begehren eine Regelungsanordnung i. S. des § 114 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Diese Vorschrift räumt dem Gericht keine schrankenlose Befugnis zum Erlaß einer einstweiligen Anordnung ein. Die in § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO ausdrücklich genannten Gründe (,,wesentliche Nachteile" und ,,drohende Gewalt") setzen Maßstäbe auch für die ,,anderen Gründe" im Sinne dieser Bestimmung. ,,Andere Gründe" rechtfertigen eine einstweilige Anordnung nur dann, wenn sie für die begehrte Regelungsanordnung ähnlich gewichtig und bedeutsam sind, wie ,,wesentliche Nachteile" oder ,,drohende Gewalt"; sie müssen so schwerwiegend sein, daß sie eine einstweilige Anordnung unabweisbar machen (vgl. BFH-Beschluß vom 26. Januar 1983 I B 48/80, BFHE 137, 235, BStBl II 1983, 233, 236). Solche Anordnungsgründe sind im allgemeinen nur gegeben, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist.
Umstände, wie die Bezahlung von Steuern, auch wenn sie möglicherweise nach einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren zu erstatten wären, eine zur Bezahlung von Steuern notwendige Kreditaufnahme oder eine Einschränkung des gewohnten Lebensstandards, sind - für sich allein gesehen - keine Anordnungsgründe (BFH-Beschluß vom 12. April 1984 VIII B 115/82, BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492). Der Steuerschuldner kann allenfalls mit dem Geltendmachen von Beeinträchtigungen gehört werden, die über den allgemeinen Nachteil einer Steuerzahlung hinausgehen (BFH-Beschlüsse vom 25. November 1986 VII B 123/86, BFH/NV 1987, 522, und vom 7. November 1989 VII B 123/89, nicht veröffentlicht - NV -).
Dabei ist eine die Hauptsache vorwegnehmende Regelung im Wege der Vorabbefriedigung allenfalls dann in Erwägung zu ziehen, wenn auf andere Weise ein effektiver Rechtsschutz nicht zu gewährleisten wäre und die Nachteile, die bei Ablehnung des Antrags entstünden, nicht wiedergutzumachen wären (BFH-Beschlüsse vom 14. Januar 1987 II B 102/86, BFHE 148, 440, BStBl II 1987, 269, und vom 8. Februar 1988 IV B 102/87, BFHE 152, 407, BStBl II 1988, 514).
Gründe, die bei der Beurteilung des Anordnungsanspruchs von Bedeutung sind, vermögen den Anordnungsgrund selbst dann nicht zu ersetzen, wenn mit ihnen der Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden sein sollte. Denn der Anordnungsgrund wird nicht bestimmt oder mitbestimmt durch das Maß der Erfolgsaussichten des Anordnungsanspruchs (BFH-Beschluß vom 6. Juni 1989 VII B 25/89, BFH/NV 1990, 77).
Die Antragsteller haben weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, daß ihnen bei der Ablehnung der begehrten Änderung die oben genannten schweren Nachteile entstehen könnten. Vor dem FG haben sie lediglich die nicht näher erläuterte Behauptung aufgestellt, die Ehefrau müsse trotz Berufstätigkeit Sozialhilfe in Anspruch nehmen, ohne ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse im einzelnen darzulegen (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 29. September 1987 VII B 14/87, BFH/NV 1988, 379). Derartige Angaben haben sie auch mit der Beschwerde nicht nachgeholt. Insbesondere weicht die nicht näher begründete Behauptung, der Ehemann könnte gezwungen sein, sein Einfamilienhaus zu veräußern, wenn andere - nicht von den Antragstellern beantragte - Gestaltungen gewählt würden, nicht aus, eine unmittelbare Bedrohung der wirtschaftlichen oder persönlichen Existenz der Antragsteller für den Fall der Ablehnung der beantragten Maßnahmen anzunehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 417272 |
BFH/NV 1991, 242 |