Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlaß von Einkommensteuer aus persönlichen Billigkeitsgründen
Leitsatz (NV)
Ob die Erhebung von Einkommensteuer persönlich unbillig und die Steuer deshalb zu erlassen ist, kann nicht ohne Berücksichtigung der Grundsätze des Familienunterhaltsrechts beurteilt werden.
Normenkette
AO 1977 § 227 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die im Jahre 1908 geborene Antragstellerin, Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) veräußerte im Jahre 1977 ihren zuletzt an ihren Sohn verpachteten Gärtnereibetrieb. Den Veräußerungserlös in Höhe von 403 384 DM verwendete sie mit Ausnahme eines Teilbetrages von rd. 22 000 DM zur Tilgung von Verbindlichkeiten ihres Sohnes. Aus dem Veräußerungsvorgang ergab sich für die Klägerin letztlich nach dem unanfechtbar gewordenen Einkommensteueränderungsbescheid 1977 vom 30. Oktober 1980 eine Einkommensteuerschuld in Höhe von 36 318 DM.
Die Klägerin bewohnt eine ihr gehörende Eigentumswohnung mit zwei Zimmern, deren Verkehrswert der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) mit ca. 130 000 DM bis 150 000 DM angibt. Diese ist mit einer Zwangssicherungshypothek über 25 830 DM zugunsten des Freistaates Bayern wegen Einkommensteuer 1977 belegt. Neben ihrer Wohnung verfügte die Klägerin im Jahre 1982 über ein Sparguthaben in Höhe von 1 000 DM und bezog außerdem eine monatliche Rente von 563,40 DM.
Mit Schreiben vom 18. Januar 1982 beantragte die Klägerin, die Einkommensteuer 1977 in der damals festgesetzten Höhe aus wirtschaftlichen Gründen zu erlassen. Das FA lehnte den Antrag ab.
Auch die Beschwerde blieb erfolglos.
Mit ihrer Klage machte die Klägerin geltend, nach Abzug der im Zusammenhang mit der Eigentumswohnung anfallenden Kosten verblieben ihr von ihrer Rente lediglich 138 DM, so daß ihre Kinder sie unterstützen müßten. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29. April 1981 IV R 23/78 (BFHE 133, 489, BStBl II 1981, 726) müsse einem alten, nicht mehr erwerbsfähigen Steuerpflichtigen nach der Tilgung seiner Steuerschulden so viel von seinem Vermögen belassen werden, daß ihm damit eine angemessene Lebensführung ermöglicht werde. Ihre Vermögenswerte lägen unter dem für den angemessenen Unterhalt benötigten Betrag.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Grundsätze des Urteils in BFHE 133, 489, BStBl II 1981, 726 seien im Streitfall nicht anwendbar. Solange das FA von einer Beitreibung der Steuerschuld absehe - was von ihm verbindlich versichert werde -, werde die wirtschaftliche Situation der Klägerin durch das Bestehen der Einkommensteuerschuld alleine nicht verändert. Lediglich ihre Kinder hätten von einem Erlaß im Erbfall den Nutzen. In einem solchen Fall den Erlaß wegen persönlicher Billigkeit abzulehnen, könne nicht als ermessensfehlerhaft erachtet werden. Dies gelte um so mehr, als die Kinder nach § 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) verpflichtet seien, zum Unterhalt der Eltern beizutragen. Die Grundsätze des Familienrechts dürften nicht unberücksichtigt bleiben (BFH-Beschluß vom 31. März 1982 I B 97/81, BFHE 135, 410, BStBl II 1982, 530). Die Revision ließ das FG nicht zu.
Gegen die Nichtzulassung der Revision erhob die Klägerin Beschwerde mit der Begründung, das Urteil des FG weiche vom Urteil des BFH in BFHE 133, 489, BStBl II 1981, 726 ab. Außerdem liege ein Verfahrensfehler i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vor. Ergänzend hat die Klägerin noch auf das Urteil des BFH vom 27. Mai 1987 X R 41/81 (BFH / NV 1987, 691) hingewiesen, von dem ebenfalls abgewichen sein soll. Die Beschwerde hat der Senat mit Beschluß vom heutigen Tage als unbegründet zurückgewiesen.
Die Klägerin beantragt für das Beschwerdeverfahren Prozeßkostenhilfe (PKH) sowie die Beiordnung ihres Prozeßbevollmächtigten im Wege der PKH.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Gewährung von PKH hat keinen Erfolg.
PKH erhält gemäß § 142 FGO i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Für die von der Klägerin eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde besteht jedenfalls keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die von der Klägerin geltend gemachte Divergenz besteht nicht.
Nach den - von der Rechtsprechung des BFH mehrfach bestätigten - Grundsätzen des Urteils in BFHE 133, 489, BStBl II 1981, 726 (vgl. zuletzt Urteil in BFH /NV 1987, 691, und Urteil des erkennenden Senats vom 26. Februar 1987 IV R 198/84, BFHE 149, 126, BStBl II 1987, 612) spielt für die Frage, ob die Existenz eines Steuerpflichtigen gefährdet ist, dessen Vermögenslage eine entscheidende Rolle. Grundsätzlich ist der Steuerpflichtige gehalten, zur Zahlung seiner Steuerschulden alle verfügbaren Mittel einzusetzen und auch seine Vermögenssubstanz anzugreifen. Davon ausgenommen sind allerdings die Fälle, in denen die Verwertung der Vermögenssubstanz den Ruin des Steuerpflichtigen bedeuten würde. Dies gilt insbesondere für alte, nicht mehr erwerbsfähige Steuerpflichtige. Ihnen muß wenigstens so viel von ihrem Vermögen belassen werden, daß sie damit für den Rest ihres Lebens eine bescheidene Lebensführung bestreiten können. In diesem Zusammenhang kann es als brauchbare Erwägung angesehen werden, einem alten und nicht mehr erwerbsfähigen Steuerpflichtigen von seinem Vermögen so viel zu belassen, daß er in der Lage ist, eine Versicherung über sofort fällige Leibrentenbezüge gegen eine Einmalprämie abzuschließen, und zwar in einer Höhe, die ihm die Möglichkeit einer bescheidenen Lebensführung gestattet.
Es kann dahinstehen, ob die Auffassung des FG zutrifft, die wirtschaftliche Situation der Klägerin werde durch das Bestehen der Einkommensteuerschuld alleine nicht verändert, solange das FA von der Beitreibung absehe. Das FG hat seine Entscheidung nämlich auch auf eine andere tragende Begründung gestützt (vgl. Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde im Steuerprozeß, Rdnr. 169), die mit dem Urteil in BFHE 133, 489, BStBl II 1981, 726 in Einklang steht.
Nach dem Beschluß des BFH in BFHE 135, 410, BStBl II 1982, 530 kann die Frage der Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts nicht ohne Berücksichtigung der Grundsätze des Familienunterhaltsrechts beurteilt werden. Im genannten Urteilsfall standen die Unterhaltsansprüche des Steuerpflichtigen gegenüber seinem Ehegatten dem Erlaß entgegen. Für Unterhaltsansprüche zwischen Eltern und ihren Kindern kann nichts anderes gelten.
Das FG ist von diesen Grundsätzen ausgegangen. Wenn es ausgeführt hat, die Kinder seien verpflichtet, zum Unterhalt der Eltern beizutragen, hat es damit - im Hinblick auf den Sachvortrag in der Klageschrift - ersichtlich die Verhältnisse im Streitfall gemeint. Ob im Streitfall tatsächlich Unterhaltsansprüche bestehen - was die Beschwerde bestreitet - ist demgegenüber für das Vorhandensein einer Divergenz ohne Bedeutung (BFH-Beschluß vom 20. Februar 1980 II B 26/79, BFHE 129, 313, BStBl II 1980, 211).
Auf das - von der Klägerin als Verfahrensverstoß gerügte - Fehlen von Feststellungen darüber, welches Vermögen notwendig wäre, um für die Klägerin die für die bescheidene Lebensführung benötigte Lebensversicherung gegen Einmalprämie abzuschließen, kommt es angesichts der schon mit den bestehenden Unterhaltsansprüchen hinreichend begründeten Entscheidung des FG nicht an.
Der Sache nach handelt es sich im übrigen um die Rüge eines materiell-rechtlichen Fehlers. Würde nämlich - wie dies die Beschwerde geltend macht - die vom FG ausgesprochene Rechtsfolge nicht von seinen tatsächlichen Feststellungen gedeckt, läge darin die fehlerhafte Anwendung sachlichen Rechts (vgl. BFH-Urteil vom 28. Januar 1987 I R 85/80, BFHE 150, 120, BStBl II 1987, 616, m. w. N.).
Fundstellen
BFH/NV 1989, 411 |
NJW 1989, 2912 |