Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen Nichtverlegung eines Termins zur mündlichen Verhandlung aufgrund längerer Erkrankung des Prozessbevollmächtigten; Prozessverschleppung
Leitsatz (NV)
- Das Recht eines Verfahrensbeteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs kann durch die Ablehnung eines Vertagungsantrages verletzt werden, sofern erhebliche Gründe für die Verlegung des Termins vorgetragen und glaubhaft gemacht worden sind.
- Liegen erhebliche Gründe für eine Verlegung des Termins vor, so verdichtet sich das dem Gericht eingeräumte Ermessen zu einer Rechtspflicht. Welche Gründe erheblich sind, richtet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles.
- Eine Erkrankung des Prozessbevollmächtigten verpflichtet das Gericht regelmäßig nur dann zu einer Vertagung der mündlichen Verhandlung, wenn er überraschend krank wird. Bei einer länger dauernden Erkrankung muss sich der Prozessbevollmächtigte indes rechtzeitig um einen Vertreter bemühen.
- Das Gericht kann die Verlegung eines Termins dann ablehnen, wenn die Absicht einer Prozessverschleppung offensichtlich ist oder wenn die prozessualen Mitwirkungspflichten in anderer Weise erheblich verletzt worden sind.
Normenkette
FGO § 91 Abs. 2, § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3; ZPO § 227 Abs. 1
Verfahrensgang
Gründe
Von einer Darstellung des Tatbestandes sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ab.
Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 FGO).
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), die in der Rechtsform einer GmbH eine Steuerberatungskanzlei in den neuen Bundesländern betrieb, hat den von ihr behaupteten Verfahrensmangel nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargelegt (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
1. Die Klägerin hatte vertreten durch ihren Geschäftsführer, der zugleich ihr Prozessbevollmächtigter war, beantragt, den auf den 20. Januar 2003 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) wegen Erkrankung aufzuheben und einen neuen Termin nicht vor April 2003 anzusetzen. Sie rügt, ihr sei das rechtliche Gehör versagt worden, weil das FG diesem Antrag insoweit nicht entsprochen habe, als es den Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 3. März 2003 verlegt, einen erneuten Vertagungsantrag abgelehnt und aufgrund mündlicher Verhandlung ohne Teilnahme ihres Prozessbevollmächtigten und Geschäftsführers entschieden habe.
Das Recht eines Verfahrensbeteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs kann zwar durch die Ablehnung eines Vertagungsantrags verletzt sein (vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 21. Dezember 2001 IX B 75/01, BFH/NV 2002, 662, m.w.N.). Die schlüssige Rüge eines solchen Verfahrensverstoßes setzt indes die detaillierte Darlegung voraus, dass der Verfahrensbeteiligte erhebliche Gründe für die Verlegung des Termins vorgetragen und glaubhaft gemacht (BFH-Beschluss vom 23. Oktober 2002 III B 167/01, BFH/NV 2003, 80, m.w.N.) und das FG den Vertagungsantrag ermessensfehlerhaft abgelehnt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 30. Juli 2002 X B 40/02, BFH/NV 2003, 56). Der Vortrag der Klägerin lässt jedoch keine Gründe erkennen, die das FG zu einer Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung verpflichtet hätten.
2. Nach § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 FGO kann das Gericht aus erheblichen Gründen auf Antrag oder von Amts wegen einen Termin aufheben oder verlegen. Liegen erhebliche Gründe vor, so verdichtet sich die in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessensfreiheit zu einer Rechtspflicht. Welche Gründe i.S. von § 227 Abs. 1 ZPO als erheblich anzusehen sind, richtet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles. Sowohl der Prozessstoff als auch die persönlichen Verhältnisse der betroffenen Beteiligten und ggf. des Prozessbevollmächtigten sind bei der Beurteilung zu berücksichtigen, ebenso wie die weiteren Umstände, dass im finanzgerichtlichen Verfahren nur eine Tatsacheninstanz besteht und die Beteiligten ein Recht darauf haben, ihre Sache in mündlicher Verhandlung vorzutragen (BFH-Urteil vom 7. Februar 1995 VIII R 48/92, BFH/NV 1996, 43, m.w.N.; BFH-Beschlüsse vom 9. Januar 1992 VII B 81/91, BFH/NV 1993, 29, und in BFH/NV 2002, 662).
a) Eine Erkrankung des Prozessbevollmächtigten verpflichtet das FG in der Regel nur dann zu einer Vertagung der mündlichen Verhandlung, wenn er überraschend krank wird (BFH-Beschlüsse vom 15. Juni 2001 IV B 25/00, BFH/NV 2001, 1579, m.w.N., und in BFH/NV 2003, 80). Bei einer länger dauernden Erkrankung muss sich der Prozessbevollmächtigte um einen Vertreter bemühen und ihn so rechtzeitig mit den Besonderheiten des Streitfalles vertraut machen, dass er den Prozessbeteiligten ordnungsgemäß vertreten kann (BFH-Beschluss vom 28. Juni 2002 IV B 75/01, BFH/NV 2003, 45). In jedem Fall aber kann die Verlegung des Termins abgelehnt werden, wenn die Absicht einer Prozessverschleppung offensichtlich ist oder wenn die prozessualen Mitwirkungspflichten in anderer Weise erheblich verletzt worden sind (BFH-Urteil in BFH/NV 1996, 43; BFH-Beschlüsse vom 4. Mai 1994 XI R 104/92, BFH/NV 1995, 46, m.w.N.; vom 26. November 1997 IV B 81/97, BFH/NV 1998, 1104, m.w.N., und in BFH/NV 2003, 45).
aa) Es ist schon nicht ausreichend vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass der Prozessbevollmächtigte und Geschäftsführer der Klägerin die mündliche Verhandlung vom 3. März 2003 wegen Krankheit nicht wahrnehmen konnte.
Die Annahme des FG, bei dem (weiteren) privatärztlichen Attest vom 17. Februar 2003, das von einem Arzt in X ausgestellt ist, handle es sich um ein ohne erneute Untersuchung erstelltes bloßes Wiederholungsattest, wird nicht nur durch den gleichförmigen, nicht näher spezifizierten Inhalt gerechtfertigt, sondern auch durch den zusätzlichen Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte selbst vorgetragen hat, er halte sich gar nicht in X auf, sondern in Y. Dementsprechend ist auch der unter dem Briefkopf des Prozessbevollmächtigten verfasste erste Vertagungsantrag vom 20. Januar 2003 zwar maschinenschriftlich mit dessen Namen unterzeichnet, jedoch für ihn offensichtlich von "A.Z." handschriftlich unterschrieben und abgesandt worden.
Zweifel an einer Verhandlungsunfähigkeit ergeben sich auch daraus, dass sowohl das erste privatärztliche Attest vom 14. Januar 2003 als auch das weitere vom 17. Februar 2003 völlig allgemein gehalten sind und keine Angaben zu Beginn und voraussichtlicher Dauer der bescheinigten Verhandlungsunfähigkeit enthalten (zu den Anforderungen an ein privatärztliches Attest vgl. BFH-Beschluss vom 10. Oktober 2001 IX B 157/00, BFH/NV 2002, 365, und Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts ―BVerwG― vom 22. Mai 2001 8 B 69/01, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 2001, 2735, m.w.N.).
bb) Selbst wenn der Prozessbevollmächtigte und Geschäftsführer der Klägerin aber tatsächlich so schwer erkrankt war, dass er an der mündlichen Verhandlung am 3. März 2003 nicht teilnehmen konnte, so handelte es sich nach eigenem Vortrag jedenfalls nicht um eine plötzliche und unvorhersehbare Erkrankung. Denn bereits in seinem Antrag, die ursprünglich auf den 20. Januar 2003 anberaumte mündliche Verhandlung wegen Erkrankung zu vertagen, hatte er gebeten, den neuen Termin nicht vor April 2003 anzusetzen. Auch hatte er in seinem weiteren ―am 25. Februar 2003 eingegangenen― Vertagungsantrag vom 22. Februar 2003 ausgeführt, wie bereits mitgeteilt, sei er derzeit gesundheitlich ausgefallen.
Mit der erneuten Ladung vom 20. Januar 2003 auf den 3. März 2003 war der Prozessbevollmächtigte darauf hingewiesen worden, dass eine erneute Terminsverlegung nicht in Betracht komme und er deshalb bei Verhinderung einen Terminsvertreter bestellen müsse. Der Prozessbevollmächtigte hatte daher ausreichend Zeit, sich um einen Vertreter zu bemühen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 23. Juni 1999 IV B 150/98, BFH/NV 1999, 1614; vom 17. Mai 2000 IV B 86/99, BFH/NV 2000, 1353, m.w.N., und in BFH/NV 2002, 662, m.w.N.). Gründe, welche die persönliche Anwesenheit des Prozessbevollmächtigten und Geschäftsführers der Klägerin in der mündlichen Verhandlung als notwendig hätten erscheinen lassen, sind weder vorgetragen noch aus den Akten erkennbar. Weder war das persönliche Erscheinen der Klägerin angeordnet worden noch erschien aufgrund des Streitstoffs (Investitionszulage für ein Autotelefon) die persönliche Anhörung des Prozessbevollmächtigten und Geschäftsführers erforderlich (vgl. BFH-Beschlüsse vom 20. Juni 1974 IV B 55-56/73, BFHE 113, 4, BStBl II 1974, 637, und in BFH/NV 1998, 1104, m.w.N.). Dementsprechend hatte das FG in der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, nach § 91 Abs. 2 FGO könne bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden. Das FG hatte damit deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es keine derartigen besonderen Umstände für ein persönliches Erscheinen der Klägerin sah. Die Klägerin hat ihrerseits auch keine Gesichtspunkte gegenüber dem FG geltend gemacht, die ihre persönliche Anhörung als unbedingt notwendig hätten erscheinen lassen.
Wenn die Mittel für die Bestellung eines Vertreters ―wie der Prozessbevollmächtigte behauptet― nicht vorhanden waren, hätte er einen Antrag auf Prozesskostenhilfe und auf Beiordnung eines Prozessvertreters gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 2, § 121 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 142 FGO stellen müssen. Zumindest aber hätte er substantiiert vortragen müssen, warum im Streitfall konkret keine Möglichkeit hierzu bestanden habe (vgl. dazu auch BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 662, m.w.N.). Aus dem bloßen Hinweis des Prozessbevollmächtigten im Vertagungsantrag vom 22. Februar 2003, die Tätigkeit der Klägerin ruhe "derzeit", brauchte und konnte das FG im Übrigen keineswegs auf eine Vermögens- und Mittellosigkeit der Klägerin schließen, die eine Vertreterbestellung etwa unmöglich gemacht hätte.
cc) Im Übrigen war die Ablehnung des Vertagungsantrags trotz der behaupteten Erkrankung auch deshalb nicht ermessensfehlerhaft, weil das FG aus dem Verhalten des Prozessbevollmächtigten und Geschäftsführers der Klägerin seit Klageerhebung schließen durfte, die Vertagung sei jeweils nur beantragt worden, um den Prozess zu verzögern.
Bereits das Versprechen in der Klageschrift vom 14. Oktober 1999, Vollmacht, Begründung und Anträge nachzureichen, hielt der Prozessbevollmächtigte nicht ein. Erst am 10. März 2000, dem letzten Tag der von der Berichterstatterin beim FG gesetzten Ausschlussfrist beantragte er per Telefax, das um 23.54 Uhr einging, unter Hinweis auf eine vom 26. Juli bis 3. Oktober 1999 dauernde Krankheitsphase und eines daraus sich ergebenden Arbeitsrückstaus Fristverlängerung.
Der schriftliche Antrag auf Vertagung der mündlichen Verhandlung vom 20. Januar 2003 "wegen krankheitsbedingten Ausfalles" ging ebenfalls per Fax erst kurz vor Beginn der Verhandlung ein. Die vorgelegte ―bereits auf 14. Januar 2003 datierte― privatärztliche Bescheinigung lässt weder erkennen, ab wann der Prozessbevollmächtigte erkrankt war noch wie lange voraussichtlich die Verhandlungsunfähigkeit dauern würde. Auch der Prozessbevollmächtigte machte zu Art und Dauer seiner Krankheit keine konkreten Angaben. Der gesamte Verfahrensablauf zeigt, dass der Prozessbevollmächtigte und Geschäftsführer an einer zügigen Durchführung des Verfahrens nicht nachhaltig interessiert war und seinen prozessualen Mitwirkungspflichten nicht in angemessener Weise nachkam.
b) Auch die Mandatsniederlegung, die der Prozessbevollmächtigte in einem ―dem FG kurz vor Beginn der mündlichen Verhandlung vom 3. März 2003 per Fax übermittelten― Schreiben wegen seiner Erkrankung erklärt hatte, verpflichtete das FG nicht zu einer Vertagung. Ein erheblicher Grund für eine Vertagung ist in der Regel nur gegeben, wenn der Vertretene den Mandatswechsel nicht verschuldet hat (BFH-Beschlüsse vom 17. März 1992 XI B 38/91, BFH/NV 1992, 679, und vom 14. Juni 1995 VIII B 126-127/94, BFH/NV 1996, 144). Da der Prozessbevollmächtigte zugleich der Geschäftsführer der Klägerin ist, ist die Mandatsniederlegung der Klägerin zuzurechnen.
Fundstellen