Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör/Schätzung
Leitsatz (NV)
1. Der Anspruch auf Schutz vor Überraschungsentscheidungen ist nicht schon dann verletzt, wenn das FG rechtliche Gesichtspunkte, die im bisherigen Verfahren nicht im Vordergrund standen, in der Entscheidung als maßgebend herausstellt.
2. Einwände gegen die Richtigkeit von Steuerschätzungen aufgrund von Verstößen gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze sowie materielle Rechtsfehler sind im NZB-Verfahren grundsätzlich unbeachtlich.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 2, § 105 Abs. 5, § 115 Abs. 2, § 116 Abs. 3; AO § 162
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 28.11.2007; Aktenzeichen 2 K 2569/06) |
Gründe
Die Beschwerde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat keinen Erfolg. Keiner der nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend gemachten Verfahrensfehler liegt vor.
1. Ein Verfahrensmangel liegt nicht darin, dass die Nichtzulassung der Revision in der Urteilsformel nicht ausgesprochen wurde. Nach § 115 Abs. 1 FGO findet die Revision nur statt, wenn das Finanzgericht (FG) oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) diese zugelassen hat. Enthält die Entscheidung des FG keinen Ausspruch über die Zulassung der Revision, so ist sie versagt (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Beschluss vom 21. März 1995 VIII R 7/95, BFH/NV 1995, 995, m.w.N.).
2. Auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO) liegt nicht vor.
a) Die Kläger rügen, das FG habe gegen das Verbot einer Überraschungsentscheidung verstoßen. Es habe seine Entscheidung zur Schätzung darauf gestützt, dass die Buchführung der Kläger der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden könne, da diese formell und materiell derart mangelhaft gewesen sei, dass sie zur Gänze zu verwerfen gewesen sei. In den Gesprächen im Rahmen der Außenprüfung und auch in der Verhandlung vor dem FG sei aber nur die Beibringung der entsprechenden Nachweise für die Darlehn aus Griechenland thematisiert worden, und nicht die Höhe der Zuschätzung. Deshalb sei es im Rahmen des rechtlichen Gehörs geboten gewesen, den Klägern Gelegenheit zu geben, hierzu im Einzelnen noch vorzutragen.
b) Das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG-- i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO) gewährleistet den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, sich zu Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern, die der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden sollen (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 11. Oktober 1978 2 BvR 214/76, BVerfGE 49, 325). Die Verfahrensbeteiligten werden durch Art. 103 Abs. 1 GG auch davor geschützt, dass das Gericht ihnen den Vortrag zur Rechtslage dadurch abschneidet, dass es ohne vorherigen Hinweis auf einen nicht vorhersehbaren rechtlichen Gesichtspunkt abstellt (vgl. Beschluss des BVerfG vom 19. Mai 1992 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133, 144; BFH-Urteil vom 23. September 1999 VI R 106/98, BFH/NV 2000, 448, m.w.N.). Andererseits verlangt der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht, dass das Gericht die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend erörtert (vgl. BFH-Urteile vom 25. Februar 1976 I R 77/74, BFHE 118, 361, BStBl II 1976, 431; vom 31. Juli 1991 VIII R 23/89, BFHE 165, 398, BStBl II 1992, 375). Der Anspruch auf Schutz vor Überraschungsentscheidungen ist daher nicht schon dann verletzt, wenn das FG rechtliche Gesichtspunkte, die im bisherigen Verfahren nicht im Vordergrund standen, in der Entscheidung als maßgebend herausstellt (Beschluss des BVerfG vom 14. April 1978 2 BvR 238/78, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Grundgesetz, Art. 103 Abs. 1, Rechtsspruch 160; BFH-Urteil vom 14. März 1989 I R 105/88, BFHE 157, 72, BStBl II 1989, 741). Ein Verstoß kommt allerdings dann in Betracht, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 10a, m.w.N.).
c) Das Vorbringen der Kläger rechtfertigt nicht die Annahme eines Verfahrensfehlers. Das FG hat den Klägern in ausreichendem Maß rechtliches Gehör gewährt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde ausdrücklich der Umstand angesprochen, dass der Kläger für die im Streit stehenden Jahre keine Kassenbelege oder Tagesendbons vorlegen konnte. Damit musste es für den sachkundig vertretenen Kläger naheliegen, dass das FG seine Buchführung nicht als ordnungsgemäß ansehen und zu einer Schätzung gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) kommen würde. Einwendungen gegen die Höhe der Schätzung mussten sich daher aufdrängen; sie sind jedoch seitens der Kläger unterblieben.
3. Die von den Klägern gegen die Höhe der Schätzung des FG erhobenen Einwände vermögen die Zulassung der Revision ebenfalls nicht zu begründen. Sie haben einen erheblichen Rechtsanwendungsfehler des FG bei der Schätzung des Gewinns, der gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zur Zulassung der Revision führen könnte (Senatsbeschlüsse vom 24. Oktober 2007 X B 126/07, nicht veröffentlicht --n.v.--; vom 16. Januar 2007 X B 38/06, BFH/NV 2007, 757), nicht hinreichend dargelegt.
a) Die Rüge der falschen Rechtsanwendung und tatsächlichen Würdigung des Streitfalles durch das FG im Rahmen einer Schätzung ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren grundsätzlich unbeachtlich (Senatsbeschluss vom 17. Februar 2004 X B 142/03, n.v.). Dies gilt insbesondere für Einwände gegen die Richtigkeit von Steuerschätzungen (Verstöße gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze sowie materielle Rechtsfehler, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 31. Juli 2007 X B 36/07, n.v.).
b) Ein zur Zulassung der Revision berechtigender erheblicher Rechtsfehler aufgrund objektiver Willkür kann allenfalls in Fällen bejaht werden, in denen das Schätzungsergebnis des FG wirtschaftlich unmöglich und damit schlechthin unvertretbar ist (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 69, m.w.N.). Ein Verstoß gegen Denkgesetze führt bei Schätzungen erst zur Zulassung der Revision wegen willkürlich falscher Rechtsanwendung, wenn sich das Ergebnis der Schätzung als offensichtlich realitätsfremd darstellt (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 69, m.w.N.). Das Vorliegen dieser besonderen Umstände ist in der Beschwerdeschrift darzulegen (Senatsbeschluss vom 9. August 2007 X B 218/06, BFH/NV 2007, 2273).
c) Anhaltspunkte dafür, dass die für den Kläger nach Hinzuschätzung vom FG ermittelten Gewinne seines Bistros in den Streitjahren willkürlich hoch und realitätsfremd sind, wurden weder vorgetragen noch sind sie erkennbar.
Fundstellen