Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Revisionsbegründung
Leitsatz (NV)
1. Zur ordnungsmäßigen Revisionsbegründung bedarf es einer zumindest kurzen Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils, aus der zu erkennen ist, daß der Revisionskläger die Begründung dieses Urteils und sein eigenes Vorbringen überprüft hat (ständige Rechtsprechung).
2. Diesen Anforderungen genügt eine Revisionsbegründung nicht, mit der ausschließlich ein neuer rechtlicher Gesichtspunkt in das Verfahren eingeführt wird, der betragsmäßig in dem vor dem FG gestellten Antrag nicht enthalten war und der deswegen nicht zu dem bisherigen von dem Kläger zur Entscheidung gestellten "Streitprogramm" gehörte.
Normenkette
FGO § 120 Abs. 2 S. 2, § 123 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) machten mit ihrer Klage gegen den Bescheid über Lohnsteuer-Jahresausgleich für das Streitjahr 1988 vor dem Finanzgericht (FG) geltend, dieser Bescheid sei "nicht gehörig bekanntgegeben" worden; in zweiter Linie wandten sie sich gegen eine "verfassungswidrig realitätsfremde" Höhe des Grundfreibetrags für Eheleute. Das FG hat die Klage abgewiesen. Der gemäß § 155 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) zusammengefaßte Steuerbescheid sei zutreffend adressiert und auch ordnungsgemäß bekanntgegeben worden. Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die gesetzliche Höhe des Grundfreibetrages griffen nicht durch.
Die vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassene Revision haben die Kläger damit begründet, von den nachgewiesenen Versicherungsaufwendungen in Höhe von 7 882 DM sei unter Anwendung der verfassungswidrig niedrigen Höchstbetragsregelung des § 10 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nur der Betrag von 7 362 DM berücksichtigt worden. Das FG habe versäumt, diese Frage von Amts wegen zu prüfen. Das FG habe aus ihrem Vortrag erkennen können, daß es ihnen "um eine verfassungsmäßige Besteuerung gehe".
Die Kläger beantragen,
das angefochtene Urteil aufzuheben und das Verfahren an das FG zurückzuverweisen.
hilfsweise, bei der Ermittlung des Einkommens Vorsorgeaufwendungen in Höhe von 7 882 DM zu berücksichtigen.
Sie beantragen weiterhin, das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die unter den Aktenzeichen 1 BvR 1220/88 und 1 BvR 66/90 anhängigen Verfassungsbeschwerden auszusetzen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig und zu ver werfen.
Nach § 120 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einzulegen und innerhalb eines weiteren Monats, gegebenenfalls innerhalb der durch den Vorsitzenden des zuständigen Senats des BFH verlängerten Revisionsbegründungsfrist, zu begründen. Gemäß § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO muß die Revisionsbegründung oder die Revision einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Die erhobene Rüge muß eindeutig erkennen lassen, welche Norm der Revisionskläger für verletzt hält (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 120 Rdnr. 31, m. w. N.). Darüber hinaus muß der Revisionskläger neben der Rüge eines konkreten Rechtsverstoßes die Gründe tatsächlicher oder rechtlicher Art angeben, die nach seiner Auffassung das erstinstanzliche Urteil als unrichtig erscheinen lassen. Dies folgt aus dem Sinn und Zweck des § 120 Abs. 2 FGO, das Revisionsgericht zu entlasten und den Revisionskläger zu zwingen, Inhalt, Umfang und Zweck des Revisionsangriffs von vornherein klarzustellen (vgl. BFH-Urteil vom 8. Mai 1985 I R 108/81, BFHE 144, 40, BStBl II 1985, 523). Zur ordnungsgemäßen Revisionsbegründung bedarf es einer zumindest kurzen Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils, aus der zu erkennen ist, daß der Revisionskläger die Begründung dieses Urteils und sein eigenes Vorbringen überprüft hat (ständige Rechtsprechung; vgl. die Nachweise bei Gräber/Ruban, a. a. O., § 120 Rdnr. 32). Der Revisionskläger muß im einzelnen dartun, welche Ausführungen der Vorinstanz aus welchen Gründen unrichtig sein sollen (BFH-Beschlüsse vom 16. Oktober 1984 IX R 177/83, BFHE 143, 196, BStBl II 1985, 470; vom 19. Februar 1992 X R 164/90, BFH/NV 1992, 536).
Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Revisionsbegründung nicht. Die Kläger befassen sich nicht mit den beiden Streitpunkten, die sie mit der Klage zur Überprüfung durch das FG gestellt hatten und zu denen sich das FG in dem angefochtenen Urteil geäußert hat. Vielmehr führen sie mit dem Hinweis auf eine behauptete Verfassungswidrigkeit der Höchstbetragsregelung des § 10 Abs. 3 EStG einen neuen rechtlichen Gesichtspunkt in das Verfahren ein, der auch betragsmäßig in dem vor dem FG gestellten Antrag nicht enthalten war und der deswegen nicht zu dem bisherigen von den Klägern zur Entscheidung gestellten "Streitprogramm" gehörte. Diese Änderung des rechtlichen Begehrens ist im Revisionsverfahren nach § 123 Satz 1 FGO nicht zulässig. Denn der BFH hat insbesondere im Revisionsverfahren die Funktion eines Rechtsmittelgerichts, das die Vorentscheidung auf Rechtsverletzungen zu überprüfen hat; er handelte funktionswidrig, würde er über Angelegenheiten entscheiden, die noch nicht Gegenstand einer Vorentscheidung gewesen sind (vgl. zum Beschwerdeverfahren BFH-Beschlüsse vom 23. August 1988 VII B 76/88, BFHE 154, 29, BStBl II 1988, 952; vom 16. März 1995 VIII B 158/94, BFH/NV 1995, 680, m. w. N. der Rechtsprechung).
Die von den Klägern beabsichtigte Auswechslung des Klagebegehrens wird auch nicht dadurch zulässig, daß sie diese in das Gewand der "Rüge" kleiden, das FG sei verpflichtet gewesen, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides "ohne Rücksicht auf die nach Auffassung der Verfahrensbeteiligten bestehenden oder fehlenden Besteuerungsgrundlagen zu prüfen".
Eine Aussetzung der unzulässigen Revision nach § 74 FGO kommt nicht in Betracht.
Fundstellen