Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Bedeutung bei auslaufendem Recht; Berechnung der Bagatellgrenze bei mehreren Anteilsveräußerungen in einem Veranlagungszeitraum bei veränderten Nennkapitalien
Leitsatz (NV)
1. Rechtsfragen, die ausgelaufenes oder auslaufendes Recht betreffen, kommt nur ausnahmsweise noch eine grundsätzliche Bedeutung zu. Hierfür muß die Beschwerde insbesondere darlegen, daß die Befassung des BFH mit altem Recht im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung von Verwaltung und Gerichten in einer nicht völlig unerheblichen Anzahl von Fällen geboten ist.
2. Der Rechtsfrage, wie zu verfahren ist, wenn mehrere Anteilsveräußerungen in einem Veranlagungszeitraum bei verändertem Nennkapital (infolge von Kapitalerhöhungen oder -herabsetzungen) zwischen den einzelnen Veräußerungen durch einen wesentlich Beteiligten stattgefunden haben, kommt trotz Streichung der Bagatellgrenze ab 1996 eine grundsätzliche Bedeutung zu.
Normenkette
EStG (1984) § 17 Abs. 1 S. 1 Hs. 2; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 3
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
1. Die Beschwerde trägt hinreichend die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache vor.
a) Die nach § 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) notwendige Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muß erwarten lassen, daß eine Entscheidung im angestrebten Revisionsverfahren geeignet ist, im Hinblick auf weitere Streitfälle Rechtsklarheit zu schaffen, zur Wahrung der Rechtseinheit beizutragen oder die Rechtsfortbildung zu fördern. Es muß also über den vorgelegten konkreten Fall hinaus ein Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt sein (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 2. Mai 1995 VIII B 135/94, BFH/NV 1996, 138; vom 9. Mai 1988 IV B 35/87, BFHE 153, 378, 380).
Bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 1995 waren Gewinne aus der Veräußerung wesentlicher, im Privatvermögen gehaltener Beteiligungen nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) a. F. nur steuerpflichtig, wenn die innerhalb eines Veranlagungszeitraums veräußerten Anteile 1 v. H. des Kapitals der Gesellschaft überstiegen. Diese Regelung ist mit Wirkung vom Veranlagungszeitraum 1996 entfallen. Seit dem 1. Januar 1996 erfaßt § 17 EStG auch geringfügige Anteilsveräußerungen von 1 v. H. oder darunter (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG i. d. F. des Jahressteuergesetzes vom 11. Oktober 1995, BGBl I, 1250).
Nach ständiger Rechtsprechung kommt Rechtsfragen, die ausgelaufenes oder auslaufendes Recht betreffen, regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung mehr i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu (vgl. BFH/NV 1996, 138, m. w. N.; BFH-Beschlüsse vom 12. Oktober 1994 II B 73/94, BFH/NV 1995, 420; vom 19. Oktober 1993 VII B 154/93, BFH/NV 1994, 835).
Die Beschwerde muß deshalb darlegen, daß die Befassung des BFH mit altem Recht im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung von Verwaltung und Gericht in einer nicht völlig unerheblichen Anzahl von Fällen geboten ist.
b) Derartige Gründe haben die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) dargetan. Zwar sind gleichartige Fälle beim BFH nicht anhängig. Zum einen weisen die Kläger jedoch auf die Gesetzesbegründung für die Aufhebung der Bagatellgrenze hin. Danach wurde die Regelung gestrichen, weil die damit erhoffte Vereinfachung im Veranlagungsverfahren in den Fällen der Veränderung der Beteiligung nicht eingetreten sei (vgl. BTDrucks 13/1686, S. 38). Zu Recht folgern die Kläger daraus, daß eine solche Streichung entbehrlich gewesen wäre, wenn es sich nur um wenige Einzelfälle gehandelt gehabt hätte. Zum anderen wiesen sie auf die Zunahme der Fälle im Zuge der Schaffung der Möglichkeit zu Verschmelzungen und Auf- und Abspaltungen durch das neue Umwandlungs-Steuergesetz (UmwStG) ab dem 1. Januar 1995 hin (vgl. Schulze-zur Wiesche, Der Betrieb -- DB -- 1996, 2441, 2442), und zahlreiche Maßnahmen zu einer steuerlich noch vorteilhaften Umstrukturierung von Unternehmen bis Ende 1995.
Daraus erwachsende Streitfälle gelangen indessen in aller Regel erst mit zeitlicher Verzögerung im Anschluß an Außenprüfungen in ein Rechtsbehelfsverfahren.
2. Der Rechtsfrage, wie zu verfahren ist, wenn mehrere Anteilsveräußerungen in einem Veranlagungszeitraum bei veränderten Nennkapitalien (infolge von Kapitalerhöhungen oder Kapitalherabsetzungen) zwischen den einzelnen Veräußerungen stattgefunden haben, kommt grundsätzliche Bedeutung zu.
Die Frage ist höchstrichterlich bislang nicht geklärt. Im, von den Klägern im einzelnen dargestellten Schrifttum werden hierzu unterschiedliche Lösungswege vertreten. Im wesentlichen werden drei Berechnungsmethoden abgehandelt (vgl. dazu Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 21. Aufl., § 17 EStG Anm. 66):
1. das sog. Durchschnittsverfahren;
2. die Zusammenrechnung der Vomhundertsätze der veräußerten Anteile und ihr Verhältnis zum jeweiligen Kapital (vgl. dazu Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., Anm. 66; Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, Körperschaftsteuergesetz, § 17 EStG Rz. 77; Hörger in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 17 EStG Rz. 43; Lademann/Söffing/Brockhoff, Kom. zum Einkommensteuergesetz, § 17 Rz. 36; Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 17 Rz. 72; Ebling in Blümich, Einkommensteuergesetz, 14. Aufl., Rz. 158; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 14. Aufl., § 17 Rz. 120; Morsbach in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 17 Rz. 86; Kupfer in Kölner Steuerdialog 1994, 9801, 9807);
3. Zusammenrechnung der Anteile und Bezug auf das Kapital im Zeitpunkt der letzten Anteilsveräußerung (dazu Niemann, Die Bagatellgrenze des § 17 EStG bei Nenn kapitaländerungen innerhalb eines Ver anlagungszeitraums, InstFSt Nr. 312/92, 35).Ü
berwiegend wird der jeweilige Lösungsansatz sachlich nicht begründet. Vielfach äußern die Autoren an dem von ihnen vorgeschlagenen Lösungsweg selbst Zweifel (vgl. z. B. Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O.; Ebling in Blümich, a.a.O.).
Damit liegen die Voraussetzungen für eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage vor. Die Revision war deshalb zuzulassen.
Einer weiteren Begründung bedarf die Entscheidung nach Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs nicht.
Fundstellen