Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (NV)
1. Die Revisionsbegründungsfrist ist nur dann gewahrt, wenn die Revisionsbegründung bis zum Tag des Fristablaufs beim Gericht eingeht. Es reicht nicht aus, daß sie bei Fristablauf zur Post gegeben war.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann nicht gewährt werden, wenn der Bevollmächtigte des Revisionsklägers vor Fristablauf feststellt, daß ein Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist versehentlich nicht abgesandt worden war, und dennoch nicht für die Einhaltung der Frist - z. B. durch einen telegrafisch zu stellenden Fristverlängerungsantrag - Sorge trägt.
3. Der Revisionskläger muß sich das Verschulden seines Bevollmächtigten wie eigenes zurechnen lassen.
Normenkette
FGO §§ 54, 90 Abs. 3 Sätze 1-2, § 120 Abs. 1 Sätze 1-2, § 56 Abs. 1, § 155; ZPO §§ 222, 85 Abs. 2; BGB § 187 Abs. 1, §§ 130, 188 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Durch als Urteil wirkenden Vorbescheid vom 2. August 1984 hat das Finanzgericht (FG) die Klage des Klägers und Revisionsklägers (Klägers) wegen Kirchensteuer 1979 abgewiesen. Das FG hat die Revision zugelassen. Der Vorbescheid wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am 7. August 1984 zugestellt. Der Bevollmächtigte legte für den Kläger am 5. Oktober 1984 Revision ein. Die Revisionsschrift enthält lediglich die Ankündigung, daß eine Revisionsbegründung nachgereicht werde. Die Revisionsbegründung ging am 22. November 1984 beim Bundesfinanzhof (BFH) ein.
Bereits vorher hatte der Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 8. November 1984, eingegangen beim BFH am 13. November 1984, die Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist um einen Monat beantragt. Nachdem der Bevollmächtigte durch die Geschäftsstelle des Senats auf den bereits eingetretenen Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hingewiesen worden war, beantragte er mit Schriftsatz vom 17. November 1984 (Eingang beim BFH am 20. November 1984) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist. Zur Begründung führt er aus, er habe in dem Manuskript der Revisionsschrift die Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist um einen weiteren Monat beantragt. Durch ein Versehen der seit vielen Jahren beim Bevollmächtigten des Klägers tätigen und zuverlässigen Angestellten, Frau K., sei der Fristverlängerungsantrag in die Reinschrift nicht übernommen worden. Der Bevollmächtigte habe dies bei der Unterschriftsleistung übersehen. Das Versehen sei erst nach dem 7. November 1984 aufgedeckt worden. Deshalb sei am 8. November 1984 erneut die Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist beantragt worden. Für Zwecke der Glaubhaftmachung legt der Bevollmächtigte eine Fotokopie des Manuskripts der Revisionsschrift vor.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Entscheidung des FG des Saarlandes vom 2. August 1984 I 261/82 den Kirchensteuerbescheid 1979 vom 30. Mai 1980 insoweit aufzuheben, als darin eine den Betrag von 486,72 DM übersteigende Kirchensteuer festgesetzt wird.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig, weil sie nicht in der gesetzlichen Frist begründet wurde (§ 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann.
1. Das mit der Revision angefochtene Urteil wurde dem Bevollmächtigten des Klägers als Vorbescheid am 7. August 1984 mit Postzustellungsurkunde zugestellt. Damit begann die Frist des § 90 Abs. 3 Satz 2 FGO mit Ablauf des 7. August 1984 (§ 54 FGO, § 222 der Zivilprozeßordnung - ZPO -, § 187 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Einen Monat später - also mit Ablauf des 7. September 1984 - wirkte der Vorbescheid als Urteil (§ 90 Abs. 3 Satz 3 FGO). Entsprechend begann die Revisionsfrist (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO) mit Ablauf des 7. September 1984 und endete - rechnerisch gesehen - am 7. Oktober 1984. Da dieser Tag auf einen Sonntag fiel, verlängerte sich die Frist für die Einlegung der Revision bis Montag, dem 8. Oktober 1984 (§ 54 Abs. 2 FGO, § 222 Abs. 2 ZPO). Mit Ablauf des 8. Oktober 1984 begann die einmonatige Revisionsbegründungsfrist (vgl. Urteil des BFH vom 12. Juli 1972 I R 206/70, BFHE 106, 483, BStBl II 1972, 957). Sie endete mit Ablauf des 8. November 1984 (§ 54 FGO, § 222 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB).
Der Kläger hat die Revisionsfrist durch Einlegung der Revision am 5. Oktober 1984 gewahrt. Bis zum 8. November einschließlich ging jedoch keine Revisionsbegründung ein. Zwar kann die Revisionsbegründungsfrist gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 FGO auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag durch den Vorsitzenden des zuständigen Senats des BFH verlängert werden. Unstreitig ist jedoch ein solcher Antrag vom Kläger - wenn auch versehentlich - bis zum 8. November 1984 einschließlich nicht gestellt worden. Zwar liegt ein Fristverlängerungsantrag mit Datum vom 8. November 1984 vor. Dieser ging jedoch erst am 13. November 1984 und damit nach Fristablauf beim BFH ein. Auf den Zeitpunkt des Eingangs beim BFH kommt es deshalb an, weil ein Antrag erst gestellt ist, wenn er bei der zuständigen Stelle eingeht (§ 130 BGB analog). Damit lief die Revisionsbegründungsfrist am 8. November 1984 fruchtlos ab.
2. Dem Kläger kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, weil er i. S. von § 56 Abs. 1 FGO nicht ohne eigenes Verschulden gehindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten bzw. fristgerecht einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen. Aus der Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ergibt sich, daß der Bevollmächtigte des Klägers spätestens am 8. November 1984 die seiner Angestellten und ihm selbst unterlaufenen Versehen bemerkt haben muß. An diesem Tage wurde zumindest die Reinschrift eines (erneuten) Fristverlängerungsantrags angefertigt. Am 8. November 1984 war aber die Revisionsbegründungsfrist noch nicht abgelaufen. Der Bevollmächtigte des Klägers hätte an diesem Tag den Fristablauf genau berechnen und für die Einhaltung der Frist z. B. durch einen telegrafisch gestellten Fristverlängerungsantrag Sorge tragen können und müssen. Wenn er dies nicht tat, so trifft ihn ein Verschulden, das sich der Kläger gemäß § 155 FGO i. V. m. Abs. 2 ZPO wie eigenes zurechnen lassen muß. Damit ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist schon wegen des Verhaltens des Bevollmächtigten des Klägers am 8. November 1984 ausgeschlossen. Bei dieser Sachlage kann dahingestellt bleiben, ob den Bevollmächtigten des Klägers nicht auch deshalb ein Verschulden trifft, weil er die Revisionsschrift unterschrieb, ohne sie auf ihre Vollständigkeit hin überprüft zu haben.
Fundstellen
Haufe-Index 413785 |
BFH/NV 1986, 29 |