Entscheidungsstichwort (Thema)
Anordnungsgrund für einstweilige Anordnung
Leitsatz (NV)
1. Durch eine einstweilige Anordnung darf grundsätzlich nicht das Ergebnis eines finanzgerichtlichen Hauptverfahrens vorweggenommen werden.
2. Zum Anordnungsgrund, wenn durch einstweilige Anordnung eine Pfändungsverfügung aufgehoben werden soll.
Normenkette
FGO § 114 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, 5; AO 1977 § 313 Abs. 1
Tatbestand
Das Finanzamt - FA - pfändete wegen Steuerrückständen des Antragsstellers in Höhe von . . . DM dessen Honoraransprüche gegen die . . ., die den gepfändeten Anspruch anerkannte. Nachdem sich die G auf eine - frühere - Abtretung der Honoraransprüche berufen hatte, hinterlegte die Drittschuldnerin den Betrag der dem Antragsteller zustehenden Honorare abzüglich eines pfändungsfreien Betrages. Zwischen dem L und der G wurde ein Zivilrechtsstreit wegen der Berechtigung an dem hinterlegten Betrag geführt. Dieser Rechtsstreit wurde in zwei Instanzen zugunsten der G entschieden.
Der Antragsteller will aufgrund dieses Sachverhalts die Aufhebung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung des FA durch einstweilige Anordnung erreichen. Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag ab, weil ein Anordnungsgrund für die begehrte Regelungsanordnung nicht vorliege. Eine Existenzbedrohung oder einen vergleichbar schwerwiegenden Grund habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Dagegen spreche, daß der Drittschuldner den pfändungsfreien Betrag - . . . DM - monatlich an den Antragsteller auszahle. Soweit sich der Antragsteller auf die Sicherstellung seiner Altersversorgung berufe, sei zu berücksichtigen, daß der Antragsteller die Altersgrenze noch nicht erreicht und er Anspruch auf eine Altersrente der Versorgungseinrichtung sowie künftige Versorgungsansprüche gegenüber der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte habe. Zwar habe der Antragsteller diese Ansprüche abgetreten, doch seien sie, soweit nicht der Pfändung unterworfen, unabtretbar. Damit sei sichergestellt, daß der Antragsteller Altersversorgung in Höhe der pfändungsfreien Beträge erhalte. Im übrigen sei eine endgültige, die Hauptsache vorwegnehmende Regelung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ausgeschlossen. Die Aufhebung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung würde vollendete Tatsachen schaffen und könne schon deshalb im Wege der einstweiligen Anordnung grundsätzlich nicht erreicht werden.
Die Beschwerde des Antragstellers macht geltend, daß der Bundesgerichtshof die Annahme der Revision des L gegen das zugunsten der G ergangene Berufungsurteil mit der Begründung abgelehnt habe, daß die Pfändung ins Leere gegangen sei, weil die gepfändete Forderung bereits vorher wirksam abgetreten gewesen sei. Der Erlaß der einstweiligen Anordnung könne daher das Ergebnis dieses Zivilrechtsstreits nicht vorwegnehmen. Wegen der einschneidenden mißbräuchlichen Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Zustandes bedürfe es nicht der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Das FA habe inzwischen den hinterlegten Betrag zur Auszahlung an die G freigegeben und damit anerkannt, daß ihm an den Ansprüchen keinerlei Rechte zuständen. Es erscheine lebensfremd, wenn das FG einen Betrag von ca. . . . DM für ausreichend halte, die monatlichen Kosten der Praxisführung und einer angemessenen Lebensführung zu decken. Auch die in Höhe der pfändungsfreien Beträge zur Verfügung stehenden Renten - Zurruhesetzung mit Vollendung des 63. Lebensjahres - reichten nicht, um eine auch nur bescheidene Lebensführung zu ermöglichen. Das FG habe überdies Feststellungen getroffen, die von keiner Partei vorgetragen worden seien. Ihm - Antragsteller - sei nicht Gelegenheit gegeben worden, sich zu den entscheidungserheblichen Gesichtspunkten zu äußern. Dasselbe gelte hinsichtlich der Antragserwiderung des FA.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Vergebens beruft der Antragsteller sich darauf, daß ihm das FG das rechtliche Gehör versagt habe. Selbst wenn dies zutreffen sollte, so wäre die Gehörsversagung dadurch geheilt, daß der Antragsteller im Beschwerdeverfahren Gelegenheit hatte, sich zu allen von ihm für maßgebend gehaltenen Gesichtspunkten zu äußern (vgl. Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluß vom 29. September 1976 I B 113/75, BFHE 120, 134, BStBl II 1977, 83). Diese Möglichkeit hat der Antragsteller auch wahrgenommen. Seine Einwendungen greifen jedoch nicht durch.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die begehrte Regelung schon in Hinblick auf den Ausschluß der einstweiligen Anordnung im Falle einer möglichen Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zu versagen ist (vgl. § 114 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Jedenfalls liegen die Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung nicht vor.
Die Vorinstanz hat richtig entschieden, daß die beantragte einstweilige Anordnung wegen Fehlens eines Anordnungsgrundes (§ 114 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 FGO, § 920 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -) nicht erlassen werden kann. Der Anordnungsgrund ist nicht, wie der Antragsteller offenbar meint, im Hinblick auf das Ergebnis des zwischen dem L und der G geführten Zivilrechtsstreits und die Freigabe des hinterlegten Betrages durch das FA entbehrlich. Offengeblieben zwischen den Parteien ist die Frage, ob die Pfändungs- und Einziehungsverfügung aufzuheben ist. Diese Frage wird - möglicherweise - in einem Finanzstreitverfahren zu entscheiden sein. Die vom Antragsteller angeführten Gründe können allenfalls bei der Beurteilung des Anordnungsanspruchs (und eines entsprechenden Klagegrundes) von Bedeutung sein. Den für den vorläufigen Rechtsschutz durch einstweilige Anordnung gesetzlich geforderten Anordnungsgrund vermögen sie selbst dann nicht zu ersetzen, wenn mit ihnen der Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden sein sollte. Denn der Anordnungsgrund wird nicht bestimmt oder mitbestimmt durch das Maß der Erfolgsaussichten des Anordnungsanspruchs (BFH, Beschluß vom 14. April 1987 GrS 2/85, BFHE 149, 493, 498, BStBl II 1987, 637). Einen Anspruch auf Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahme kann der Antragsteller, wenn ein Anordnungsgrund fehlt, nur im Klageverfahren verfolgen. Vorläufiger Rechtsschutz durch einstweilige Anordnung kann, soweit nicht alle Voraussetzungen dafür erfüllt sind, nicht als Ersatz für ein im finanzgerichtlichen Klageverfahren zu erstreitendes Urteil begehrt werden.
Durch die vom Antragstelller begehrte einstweilige Anordnung würde das Ergebnis des Hauptverfahrens vorweggenommen oder ihm endgültig vorgegriffen. Hauptverfahren ist nicht, wie der Antragssteller annimmt, der rechtskräftig entschiedene Zivilrechtsstreit zwischen dem L und der G, sondern ein finanzgerichtliches Klageverfahren zwischen dem Antragsteller und dem FA. Die Vorwegnahme des Ergebnisses dieses Verfahrens durch einstweilige Anordnung kommt grundsätzlich nur in dem Ausnahmefall in Betracht, daß ein Anordnungsgrund von besonderer Intensität gegeben ist (Senat, Beschluß vom 21. Februar 1984 VII B 78/83, BFHE 140, 163, 166, BStBl II 1984, 449; vgl. auch Gräber/Koch, FGO, 2. Aufl. 1987, § 114 Anm. 69). Im Streitfalle fehlt es indessen schon an einem ,,einfachen" Anordnungsgrund der in § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO vorausgesetzten Art (dazu näher BFH, Beschluß vom 12. April 1984 VIII B 115/82, BFHE 140, 430, 432, BStBl II 1984, 492). ,,Wesentliche Nachteile" oder gleichschwer wiegende Gründe sind nicht glaubhaft gemacht worden. Die Pfändung der Ansprüche des Antragstellers gegen die Drittschuldnerin erstreckt sich auch auf die später fällig werdenden Beträge, § 313 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 - (zu dessen Anwendung bei Honoraransprüchen Wolf in Koch, AO 1977, 3. Aufl., § 313 Anm. 3). Soweit die Beträge aufgrund der Abtretung an die G an diese abgeführt werden, wirkt die Pfändung sich nicht zum Nachteil des Antragstellers aus. Soweit die Honorare nach Befriedigung der Abtretungsempfängerin von dem FA beansprucht werden, ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht, daß dadurch die Existenz des Antragstellers unmittelbar bedroht würde. Eine gegenwärtige Beeinträchtigung ist nicht ersichtlich. Selbst wenn sie gegeben wäre, hätte sie keine existenzbedrohende Wirkung. Es kann dahinstehen, ob eine Existenzbedrohung vorläge, wenn der Antragsteller lediglich die pfändungsfreien Beträge erhielte, von denen das FG ausgegangen ist. Jedenfalls hat der Antragsteller nicht dargetan, daß er ausschließlich auf diese Bezüge angewiesen ist. Dem Vorbringen der Gegenseite, daß er auch erhebliche Einnahmen aus . . . erziele, darüber hinaus auch weitere Einkünfte, ist er nicht entgegengetreten. Zu Unrecht beruft der Antragsteller sich auf das Urteil des BFH vom 26. Februar 1987 IV R 298/84 (BFHE 149, 126, 131, BStBl II 1987, 612). Dort ist entschieden, daß bei einem Steuerpflichtigen, der trotz Überschreitens der für den Eintritt in den Ruhestand normalerweise geltenden Altersgrenze mangels ausreichender Altersversorgung noch zu einer Erwerbstätigkeit gezwungen ist, ein Steuererlaß aus Billigkeitsgründen geboten sein kann, um dem Steuerpflichtigen nicht die erforderlichen Mittel für zukunftssichernde Maßnahmen zu entziehen. Für die Frage, ob eine unmittelbare Existenzbedrohung als Anordnungsgrund für eine einstweilige Anordnung zur Abwendung oder Aufhebung einer Vollstreckungsmaßnahme anzunehmen ist, kann dieser Entscheidung unmittelbar nichts entnommen werden. Im übrigen ist nicht ersichtlich, daß die Sicherung der Zukunft des Antragstellers durch die Pfändungsverfügung beeinträchtigt werden könnte.
Ob ein - etwa auf § 258 AO 1977 zu stützender - Anordnungsanspruch vorliegt, kann zweifelhaft erscheinen. Für die Pfändung einer Forderung kommt es nach der Rechtsprechung des Senats (Beschluß vom 11. August 1987 VII S 13/87, BFH/NV 1988, 344 mit weiteren Nachweisen) grundsätzlich nicht darauf an, ob die Forderung dem Vollstreckungsschuldner zusteht und ob dieser sie etwa abgetreten hat; diese Frage stellt sich vielmehr erst im Verfahren wegen der Geltendmachung der Forderung (Einziehung; § 314 Abs. 1 und 2 AO 1977). Die Frage, ob im Hinblick auf die nach Befriedigung der Abtretungsempfängerin fällig werdenden Beträge (§ 313 Abs. 1 AO 1977) Unbilligkeit der Vollstreckung vorliegen kann, dürfte zur Zeit noch nicht zu prüfen sein; wenn aber doch, dann nicht ohne weiteres schon jetzt mit einem für den Antragsteller günstigen Ergebnis. Der Senat kann die Frage des Anordnungsanspruchs aber letztlich offenlassen, auch soweit dieser auf eine etwaige Unpfändbarkeit der Honorarbezüge (§ 319 AO 1977, § 851 ZPO) gestützt sein sollte, da es - wie ausgeführt - jedenfalls an dem erforderlichen Anordnungsgrund fehlt.
Fundstellen