Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersetzung des halben Steuersatzes durch Fünftelregelung verfassungsgemäß, Billigkeitsmaßnahme bei Gefährdung der Altersversorgung
Leitsatz (NV)
- Gegen die Abschaffung des sog. halben Steuersatzes zugunsten der sog. Fünftelregelung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, soweit die Regelung mit Wirkung für die Zukunft getroffen wurde.
- Soweit im Einzelfall die ermäßigte Besteuerung des Veräußerungs- oder Aufgabegewinns konkreter Bestandteil eines Konzepts der Altersversorgung des aus Altersgründen veräußernden oder aufgebenden Unternehmers war und der Wegfall des Besteuerungsverfahrens zu einer gravierenden Gefährdung der Altersversorgung geführt hat, kann dem Vertrauensschutzprinzip durch eine einzelfallbezogene Billigkeitsmaßnahme Rechnung getragen werden.
Normenkette
EStG 1999 § 34 Abs. 1
Tatbestand
Der 1933 geborene Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) veräußerte im Streitjahr 2000 einen Teil von 40 v.H. seiner Rechtsanwaltspraxis und erzielte daraus einen Gewinn von 284 928,40 DM. Antragsgemäß gewährte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt ―FA―) den Freibetrag gemäß § 16 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) von 60 000 DM und besteuerte den verbleibenden Gewinn mit dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG in seiner für das Streitjahr geltenden Fassung (sog. Fünftelregelung). Mit Einkommensteuerbescheid vom 25. April 2002 wurde die Steuer auf … DM festgesetzt, wovon 114 850 DM auf den Veräußerungsgewinn entfielen. Dagegen erhob der Antragsteller Einspruch mit der Begründung, die Abschaffung des halben Steuersatzes für Veräußerungsgewinne der Jahre 1999 und 2000 sei verfassungswidrig. Ihm stehe der halbe Steuersatz zu. Für den streitigen Einkommensteuerbetrag von 57 300 DM sowie den entsprechenden Solidaritätszuschlag beantragte er die Aussetzung der Vollziehung.
Nachdem das FA die begehrte Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hatte, gab das Finanzgericht (FG) dem Antrag in Bezug auf den Einkommensteuerbetrag von 57 300 DM statt. Es führte aus, bei summarischer Betrachtung beständen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids. Die entscheidungserhebliche Frage, ob der Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen gehalten war, auch die Jahre 1999 und 2000 in die ab 2001 in modifizierter Form wieder eingeführte Tarifvergünstigung für Veräußerungsgewinne einzubeziehen, sei von den FG mit jeweils beachtlichen Argumenten kontrovers beurteilt worden. Beim Bundesfinanzhof (BFH) seien zwei Beschwerdeverfahren anhängig (X B 28/02 und XI B 68/02). Deshalb sei im Streitfall dem Aussetzungsantrag zu entsprechen.
Das FA hat dagegen die vom FG zugelassene Beschwerde erhoben, der das FG nicht abgeholfen hat. Es trägt vor, an der Verfassungsmäßigkeit der für die Jahre 1999 und 2000 geltenden Regelung des § 34 EStG beständen keine ernstlichen Zweifel. Der Ersatz des halben Steuersatzes durch die sog. Fünftel-Methode führe im Gegensatz zur Neufassung des § 23 EStG nicht zu einer Ausweitung der Besteuerung dem Grunde nach, sondern durch Einschränkung der Steuerermäßigung lediglich zu einer Änderung des Steuertarifs. Die Besteuerung der stillen Reserven bei Betriebsaufgabe oder -veräußerung sei zu keinem Zeitpunkt streitig gewesen.
Zwar habe das FG Düsseldorf mit Beschluss vom 6. Februar 2002 2 V 4833/01 A (E) ―Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 457― erhebliche Zweifel im Hinblick auf eine Verletzung des Gleichheitssatzes durch die Wiedereinführung des halben Steuersatzes ab 2001 mit § 34 Abs. 3 EStG n.F. ohne Schaffung einer Übergangsregelung für die Jahre 1999 und 2000 geäußert. Nach Auffassung der Finanzverwaltung, die gegen jenen Beschluss Beschwerde erhoben habe (Az. des BFH: X B 28/02), liege ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz jedoch nicht vor. Es liege im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, eine zunächst abgeschaffte Vergünstigung zu einem späteren Zeitpunkt wieder einzuführen, ohne für die Zwischenzeit eine "nahtlos" anschließende Regelung vorzusehen. Entscheidend sei, dass es sachliche Gründe für diese Behandlung gebe. Diese hätten sich sowohl aus dem geänderten Regelungsinhalt als auch aus dem geänderten Regelungszweck der Vorschrift ergeben. Hierzu werde auf den Beschluss des FG Baden-Württemberg vom 25. Februar 2002 6 V 71/01 (EFG 2002, 684) verwiesen.
Das FA beantragt sinngemäß,
den Beschluss des FG aufzuheben und den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abzulehnen.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er trägt vor, das FG habe zutreffend die begehrte Aussetzung gewährt. Das FG Düsseldorf habe es in seiner vom FG zitierten Entscheidung in EFG 2002, 457 zu Recht für ernstlich zweifelhaft gehalten, ob der Gesetzgeber mit der Änderung der Veräußerungsgewinnbesteuerung in den Jahren 1999 und 2000 nicht gegen die verfassungsrechtlichen Prinzipien der Folgerichtigkeit und Übergangsgerechtigkeit verstoßen habe.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung. Nach Auffassung des Senats bestehen keine ernstlichen Zweifel i.S. des § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids.
1. Bei summarischer Prüfung bestehen bereits erhebliche Bedenken, ob der Antragsteller überhaupt einen nach § 34 EStG tarifbegünstigten Gewinn erzielt hat.
a) Gewinne aus der Veräußerung eines gewerblichen Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils i.S. des § 16 Abs. 1 EStG in der für das Streitjahr 2000 geltenden Fassung sind außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG und unterliegen damit einem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG. Dies gilt in gleicher Weise für Gewinne aus der Veräußerung oder Aufgabe des der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens, denn § 18 Abs. 3 EStG ist im gleichen Sinn auszulegen wie § 16 Abs. 1 EStG (BFH-Beschluss vom 18. Oktober 1999 GrS 2/98, BFHE 189, 465, BStBl II 2000, 123, unter C.V.1.a).
b) Aus den Feststellungen des FG ergibt sich, dass der Antragsteller keinen Betrieb veräußert hat. Denn veräußert wurde nur ein "Praxisanteil" von 40 v.H. Außerordentliche Einkünfte sind danach nur erzielt worden, wenn der "Praxisanteil" ein Teilbetrieb oder ein Mitunternehmeranteil war. Teilbetrieb ist ein mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter, organisch geschlossener Teil des Gesamtbetriebs, der für sich allein lebensfähig ist (BFH-Beschluss in BFHE 189, 465, BStBl II 2000, 123, unter C.V.2.a). Dass der Antragsteller einen solchen abtrennbaren Teilbetrieb (Teilpraxis) unterhalten hätte, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Angesichts der Anforderungen, die an eine Teilpraxis gestellt werden (dazu näher z.B. Schmidt/Wacker, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl. 2002, § 18 Rz. 250, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung), erscheint es wenig wahrscheinlich, dass die Voraussetzungen für eine Teilbetriebsveräußerung vorliegen.
Der Senat geht im vorliegenden summarischen Verfahren weiter davon aus, dass der Antragsteller keinen Mitunternehmeranteil im Sinne eines Anteils an einer Anwaltssozietät veräußert hat. Denn dann hätte der Gewinn nicht im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung ermittelt werden dürfen, sondern wäre Bestandteil der gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung für die Sozietät gewesen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Anwaltskanzlei des Antragstellers bis zur Veräußerung als Einzelpraxis betrieben worden ist. Ein Mitunternehmeranteil konnte demnach nicht existieren. Soweit der Antragsteller den "Praxisanteil" in der Weise veräußert haben sollte, dass er einen Sozius entgeltlich in seine bisherige Einzelpraxis aufgenommen hat (wofür nach Aktenlage Vieles spricht), wäre dieser Vorgang nicht als steuerbegünstigte Veräußerung eines Mitunternehmeranteils zu beurteilen (BFH-Beschluss in BFHE 189, 465, BStBl II 2000, 123).
2. Selbst wenn aber im Streitfall die Voraussetzungen für eine Teilbetriebsveräußerung oder die Veräußerung eines Mitunternehmeranteils erfüllt sein sollten, könnte der Antragsteller nicht die Gewährung eines niedrigeren Steuersatzes als nach § 34 Abs. 1 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung verlangen.
a) Nach § 34 Abs. 1 EStG in dieser Fassung beträgt die für die außerordentlichen Einkünfte anzusetzende Einkommensteuer das Fünffache des Unterschiedsbetrags zwischen der Einkommensteuer für das um die außerordentlichen Einkünfte verminderte zu versteuernde Einkommen und der Einkommensteuer für das verbleibende zu versteuernde Einkommen zuzüglich eines Fünftels dieser Einkünfte (§ 34 Abs. 1 Satz 2 EStG, sog. Fünftelregelung). Dieser Steuersatz ist dem Antragsteller für den von ihm erzielten Veräußerungsgewinn gewährt worden.
b) § 34 Abs. 1 EStG erhielt diese seit 1999 geltende Fassung durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 ―StEntlG 1999/2000/2002― (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304). Zuvor wurden außerordentliche Einkünfte nach § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG a.F. bis zu einem bestimmten Höchstbetrag mit einem ermäßigten Steuersatz besteuert, der die Hälfte des durchschnittlichen Steuersatzes betrug, welcher sich ergeben hätte, wenn die tarifliche Einkommensteuer nach dem gesamten zu versteuernden Einkommen zuzüglich der dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte zu bemessen gewesen wäre (sog. halber Steuersatz). Die sog. Fünftelregelung wurde eingeführt, weil die bisherige Regelung Steuerpflichtige, die regelmäßig dem Spitzensteuersatz unterlagen, übermäßig begünstige; auch wurde die bisherige Regelung aufgrund unterschiedlicher Entlastung außerordentlicher Einkünfte und der Einkünfte aus mehrjähriger Tätigkeit für zu kompliziert gehalten (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Juli 2002 XI B 68/02, BFH/NV 2002, 1568, unter Hinweis auf die Begründung zum Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen, BTDrucks 14/23, 183).
Gegen die Abschaffung des sog. halben Steuersatzes zugunsten der sog. Fünftelregelung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, soweit die Regelung mit Wirkung für die Zukunft getroffen wurde. Es steht im Ermessen des Gesetzgebers, welchem ermäßigten Steuertarif er außerordentliche Einkünfte unterwerfen will. Den Systemwechsel vom halben Steuersatz zum Fünftelverfahren konnte der Gesetzgeber jederzeit vornehmen. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) folgende Vertrauensschutz steht einem Systemwechsel für die Zukunft grundsätzlich nicht entgegen. Bei unbefristeten und über Jahrzehnte wirkenden Steuervergünstigungen kann der Steuerpflichtige sich nicht darauf berufen, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht zu seinen Lasten verändert werden dürften (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 5. Februar 2002 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, 17, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 2002, 3009).
Soweit im Einzelfall die seit Jahrzehnten geltende ermäßigte Besteuerung des Veräußerungs- oder Aufgabegewinns konkreter Bestandteil eines Konzepts der Altersversorgung des aus Altersgründen veräußernden oder aufgebenden Unternehmers war und der Wegfall dieses Besteuerungsverfahrens zu einer gravierenden Gefährdung der Altersversorgung geführt haben sollte, könnte dem Vertrauensschutzprinzip ggf. durch eine einzelfallbezogene Billigkeitsmaßnahme Rechnung getragen werden. Der Antragsteller hat derartige Umstände nicht vorgetragen.
c) Aus der erneuten Einführung eines ―ergänzend anwendbaren― modifizierten halben Steuersatzes mit Wirkung vom Veranlagungszeitraum 2001 an ergibt sich keine Verpflichtung des Gesetzgebers, für die Jahre 1999 und 2000 rückwirkend eine Übergangsregelung zu schaffen. Der Senat schließt sich insoweit der Auffassung des XI. Senats in BFH/NV 2002, 1568 sowie des X. Senats in dessen Beschluss vom 9. Dezember 2002 X B 28/02 (BFH/NV 2003, 471) an und sieht von einer weiter gehenden Begründung ab. Soweit die Voraussetzungen einer Teilbetriebsveräußerung vorliegen sollten, könnte der Antragsteller also nicht beanspruchen, den Veräußerungsgewinn nur mit dem jetzt in § 34 Abs. 3 EStG geregelten Steuersatz zu versteuern.
Fundstellen
Haufe-Index 929056 |
BFH/NV 2003, 777 |