Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Beweiskraft des Protokolls, Akteninhalt, Sachaufklärung, rechtliches Gehör, Feststellung nach § 15a EStG, Restitutionsbegehren nach § 580 Nr. 7b ZPO, Rechtsanwendungsfehler
Leitsatz (NV)
1. a.) Wird die erfolgte Zustimmung zu einer tatsächlichen Verständigung in einem Erörterungstermin bestritten, kann dem die Beweiskraft des entsprechenden Protokolls entgegenstehen, wenn zudem Anträge auf Protokollberichtigung erfolglos waren und der Nachweis der Fälschung nicht geführt wurde. b.) § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verpflichtet das FG, den gesamten Prozessstoff vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen, ohne dass alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern sind. Eine nach Ansicht eines Beteiligten dem Akteninhalt nicht entsprechende oder fehlerhafte Würdigung führt ‐ da allenfalls ein materiell-rechtlicher Fehler ‐ nicht zu einem Verfahrensverstoß.
2. Zur Darlegung der Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch Übergehen eines Beweisantrags oder von Amts wegen erforderlicher Sachaufklärung bedarf es u.a. auch Ausführungen dazu, inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunktes des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können bzw. sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen.
3. Für eine Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist ‐ bezogen auf einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte ‐ substantiiert darzulegen, wozu man sich nicht hat äußern können und was bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wäre; darüber hinaus ist anzugeben, dass bei Berücksichtigung des Sachvortrags eine andere Entscheidung des FG möglich gewesen wäre.
4. Die Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und die Feststellung der verrechenbaren Werbungskosten-Überschüsse (§ 15a Abs. 4 EStG) stellen jeweils selbständige VA‘e mit unterschiedlichen Regelungsgegenständen dar, die selbständig angefochten und selbständig bestandskräftig werden können; dies gilt auch, wenn die Bescheide gemäß § 15a Abs. 4 Satz 5 EStG miteinander verbunden werden. Im FG-Verfahren liegen zwei unterschiedliche Klagebegehren vor, die auch unterschiedlich beschieden werden können.
5. Ein Restitutionsbegehren ist im NZB-Verfahren regelmäßig unzulässig. Denn die Restitutionsklage i.S. von § 580 Nr. 7b ZPO setzt ein rechtskräftig beendetes Verfahren voraus, das Wiederaufnahmegesuch nach § 584 Abs. 1 ZPO ist an das FG als das grundsätzlich zuständiges Gericht zu richten und schließlich geht es bei einem Restitutionsbegehren inhaltlich um Verletzungen des materiellen Rechts.
6. Letztlich setzen die Kläger ihre eigene Tatsachenwürdigung und Rechtsansicht anstelle der des FG; damit kann jedoch die Zulassung der Revision nicht erreicht werden, wenn für einen darüber hinausgehenden offensichtlichen Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht keine Anhaltspunkte ersichtlich sind.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; EStG § 15a Abs. 4; FGO §§ 62a, 76 Abs. 1-2, §§ 94, 96 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3, § 119 Nr. 3, § 134; ZPO §§ 164-165, 584 Abs. 1, § 580 Nr. 7b
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Zum Teil entspricht ihre Begründung nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO); jedenfalls liegen die geltend gemachten Verfahrensmängel nicht vor.
1. a) Soweit die Klägerin und Beschwerdeführerin zu 1 (Klägerin zu 1) ihre Zustimmung zur tatsächlichen Verständigung im dritten Erörterungstermin bestreitet, steht dem zum einen die Beweiskraft des Protokolls (s. § 94 FGO i.V.m. § 165 der Zivilprozessordnung --ZPO--; vgl. etwa Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7. Dezember 2000 IX B 53/00, BFH/NV 2001, 631) vom 3. Juni 2003 (S. 6) entgegen. Zudem hat die Klägerin zu 1 ihre diesbezüglichen Bedenken in der mündlichen Verhandlung vom 23. März 2004, in dem der Inhalt des dritten Erörterungstermins (3. Juni 2003) und des vierten Erörterungstermins (28. Oktober 2003) (auch) hinsichtlich der tatsächlichen Verständigung nochmals angesprochen wurde, ausdrücklich aufgegeben, die Anträge auf Protokollberichtigung wurden abgelehnt (s. Protokoll S. 3 bis 5). Auch wurde danach weder ein erneuter Antrag auf Protokollberichtigung (vgl. § 94 FGO i.V.m. § 164 ZPO) gestellt noch der Nachweis der Fälschung (vgl. § 94 FGO i.V.m. § 165 Satz 2 ZPO) geführt. Insoweit kann daher von einer Verletzung der Fürsorge- und Hinweispflicht durch das Finanzgericht (FG) und einer Verletzung des rechtlichen Gehörs angesichts dreier umfangreicher Erörterungstermine und einer durchgeführten mündlichen Verhandlung keine Rede sein.
b) Soweit die Klägerin zu 1 und der Kläger und Beschwerdeführer zu 2 (Kläger zu 2) mit Blick auf die genaue Höhe der Investitionskosten einwenden, die "Investitionskostentabelle M/B-Straße (für die Nichtstreit-)Jahre 1989-1996" habe ihnen nicht rechtzeitig (sondern erst im Mai 2005) zur Einsicht vorgelegen, kann dies weder den Protokollen über die Erörterungstermine (zu deren Beweiskraft s. oben) noch dem übrigen Akteninhalt entnommen werden. Im Übrigen ist aber hinsichtlich der Entscheidungserheblichkeit dieses Vorbringens nicht dargetan, dass es deshalb auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunktes des FG (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10. April 2006 X B 162/05, BFH/NV 2006, 1332; vom 18. Mai 2005 IX B 168/04, BFH/NV 2005, 1829) zu einer anderen Entscheidung hätte führen können.
c) Zwar verpflichtet § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO das FG, den gesamten Prozessstoff vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 7. April 2005 IX B 194/03, BFH/NV 2005, 1354), ohne dass allerdings alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern sind. Im Streitfall hat sich das FG mit der Problematik der sog. Investitionskostentabelle und der tatsächlichen Verständigung auch in den Gründen auseinandergesetzt und damit in seine Überlegungen einbezogen. Dass das FG den ihm vorliegenden Akteninhalt nicht entsprechend den klägerischen Vorstellungen gewürdigt hat oder die Würdigung fehlerhaft erscheint, führt indes nicht zu einem Verfahrensverstoß; es könnte sich allenfalls um materiell-rechtliche Fehler handeln.
d) Soweit schließlich die Kläger zu 1 und 2 hinsichtlich der Abweisung der Klage als unzulässig wegen fehlender Konkretisierung des Klagebegehrens eine Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht geltend machen, greift diese Rüge nicht durch. Denn unabhängig davon, dass vor dem FG kein Vertretungszwang besteht (vgl. § 62 Abs. 1 Satz 1 FGO; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 62 Rz. 3), sind die Beteiligten ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 3. Juni 2003 (S. 2) auf diesen Aspekt hingewiesen worden.
2. Soweit darüber hinaus die Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) durch Übergehen eines Beweisantrags oder von Amts wegen erforderlicher Sachaufklärung gerügt wird, fehlt es an den erforderlichen genauen Angaben (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. Oktober 1998 X B 115/97, BFH/NV 1999, 630; vom 10. September 2002 X B 42/02, BFH/NV 2003, 70) sowie Ausführungen dazu, inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunktes des FG (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2006, 1332; in BFH/NV 2005, 1829) zu einer anderen Entscheidung hätte führen können bzw. sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 28. Juli 2004 IX B 136/03, BFH/NV 2005, 43, m.w.N.). In diesem Zusammenhang geht das FG auf der Basis der tatsächlichen Verständigung davon aus, dass die "Aufklärungsmöglichkeiten der Beteiligten und der Kreditinstitute ausgeschöpft worden seien", ohne dass die Kläger zu 1 und 2 dem Einzelheiten entgegenhalten.
3. Ebenso haben die Kläger zu 1 und 2 eine Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO) nicht schlüssig gerügt. Dazu ist bezogen auf einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte substantiiert darzulegen, wozu sie sich nicht haben äußern können und was sie bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätten; darüber hinaus muss angegeben werden, dass bei Berücksichtigung des Sachvortrags eine andere Entscheidung des FG möglich gewesen wäre (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 29. März 2006 I B 53/05, BFH/NV 2006, 1484; vom 16. Dezember 2002 IX B 104/02, BFH/NV 2003, 499). Diesen Erfordernissen entspricht das Beschwerdevorbringen nicht. Mangels konkreter Angaben ist auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das FG nicht ersichtlich.
4. Mit dem Einwand, die Einführung des § 15a des Einkommensteuergesetzes (EStG) in das FG-Verfahren und die Verbindung der Einkünfte-Feststellungen mit den Feststellungen betreffend § 15a EStG habe zu einer Änderung der im Klageverfahren angefochtenen Bescheide geführt, daher müsse "über alles einheitlich" entschieden werden, wird schon kein Zulassungsgrund i.S. von § 115 Abs. 2 FGO bezeichnet; das Vorbringen greift auch in der Sache nicht durch. Denn die Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und die Feststellung der verrechenbaren Werbungskostenüberschüsse (§ 15a Abs. 4 EStG) stellen jeweils selbständige Verwaltungsakte mit unterschiedlichen Regelungsgegenständen dar, die selbständig angefochten und selbständig bestandskräftig werden können; dies gilt auch, wenn die Bescheide gemäß § 15a Abs. 4 Satz 5 EStG miteinander verbunden werden. Im finanzgerichtlichen Verfahren liegen zwei unterschiedliche Klagebegehren vor (vgl. BFH-Urteil vom 23. Februar 1999 VIII R 29/98, BFHE 188, 146, BStBl II 1999, 592, unter II. 1., m.w.N.), die unterschiedlich beschieden werden können. Entsprechend ist das FG nach Hinweis im Erörterungstermin vom 28. Oktober 2003 und mit Berichterstatter-Schreiben vom 13. Januar 2005 verfahren.
5. Soweit sich die Kläger auf § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO i.V.m. § 134 FGO berufen, ist dieses Begehren im vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerde-Verfahren unzulässig. Denn zum einen setzt die Restitutionsklage i.S. von § 580 ZPO ein --hier noch nicht gegebenes-- rechtskräftig beendetes Verfahren voraus (vgl. Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 134 Rz. 2; Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 134 FGO Tz. 7); zum zweiten ist das Wiederaufnahmegesuch nach § 584 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 134 FGO an das FG als das grundsätzlich zuständige Gericht zu richten (vgl. BFH-Beschlüsse vom 16. Dezember 1994 VIII K 1/94, BFH/NV 1995, 800; vom 25. November 1999 I K 1/98, BFH/NV 2000, 730); schließlich geht es bei einem Restitutionsbegehren inhaltlich um Verletzungen des materiellen Rechts (vgl. Tipke/ Kruse, a.a.O., § 134 FGO Tz. 4), damit kann jedoch im Nichtzulassungsbeschwerde-Verfahren die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht erreicht werden (vgl. BFH-Beschluss vom 26. März 1998 IX B 131/97, BFH/NV 1998, 994).
6. Soweit sich die Klägerin zu 1 persönlich mit Schreiben vom 10. Januar 2006, vom 18. Januar 2006 und mit dem --erst nach Ablauf der Begründungsfrist beim BFH eingegangenen-- Schreiben vom 15. Mai 2006 (jeweils nebst Anlagen) in diesem Verfahren zu Wort gemeldet hat, steht der Berücksichtigung ihres Vorbringens, das weder eine Bezeichnung noch eine Darlegung eines Zulassungsgrundes i.S. von § 115 Abs. 2 FGO enthält und dass mit dem Schreiben vom 15. Mai 2006 zudem verfristet ist, § 62a FGO entgegen, da die Klägerin zu 1 keine postulationsfähige Person im Sinne der Vorschrift ist.
7. Letztlich setzen die Kläger zu 1 und 2 ihre eigene Tatsachenwürdigung und Rechtsansicht anstelle der des FG; damit kann jedoch die Zulassung der Revision nicht erreicht werden, wenn für einen darüber hinausgehenden offensichtlichen Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht keine Anhaltspunkte ersichtlich sind (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 28. September 2001 V B 77/00, BFH/NV 2002, 359; vom 7. Februar 2005 IX B 239/02, BFH/NV 2005, 1052).
Fundstellen