Entscheidungsstichwort (Thema)
Verantwortung des Prozeßbevollmächtigten für die Berechnung und Einhaltung der Revisionsfrist
Leitsatz (NV)
Zwar kann der prozeßbevollmächtigte Rechtsanwalt die routinemäßige Berechnung und Kontrolle der in seinem Büro gängigen Fristen einer zuverlässigen und sorgfältig ausgewählten und überwachten Bürokraft überlassen. Er bleibt dagegen verpflichtet, den Fristablauf eigenverantwortlich nachzuprüfen, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung der fristgebundenen Prozeßhandlung vorgelegt wird. Das gilt selbst dann, wenn ihm die Akte bei der Bearbeitung der Sache nicht vorgelegen hat.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hat durch ihre Prozeßbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 21. Mai 1991 gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) vom . . . Revision einlegen lassen. Das Urteil war den Prozeßbevollmächtigten mit Postzustellungsurkunde am Freitag, dem 19. April 1991, zugestellt worden. Der Revisionsschriftsatz ist am 22. Mai 1991 beim FG - ,,durch Boten abgegeben" - eingegangen.
Die Prozeßbevollmächtigten haben ihren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter Glaubhaftmachung damit begründet, daß durch ein Versehen der sonst sehr zuverlässigen und gewissenhaften Mitarbeiterin Frau A auf dem am 19. April 1991 in der Kanzlei eingegangenen Urteil des FG der Eingangszeitpunkt nicht vermerkt worden sei. Frau A habe es auch unterlassen, das Urteil am gleichen Tag an die für die Eintragung der Fristen zuständige Mitarbeiterin, Frau B, weiterzugeben. Vielmehr habe Frau A erst am 22. April 1991 das Urteil an Frau B ohne einen Hinweis auf die bereits am 19. April 1991 erfolgte Zustellung weitergeleitet; von einer Mitarbeiterin der Frau B sei das Urteil mit dem Eingangsstempel vom 22. April 1991 versehen worden. Frau B sei daher davon ausgegangen, daß das Urteil am gleichen Tag, nämlich am 22. April 1991, in der Kanzlei eingegangen sei und habe dementsprechend die Monatsfrist für die Einlegung der Revision auf den 22. Mai 1991 notiert. Die Fristversäumung sei daher unverschuldet.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist statthaft. Sie ist vom FG zugelassen worden. Die Beschränkung der Zulassung durch das FG auf die Abzugsfähigkeit der Kosten der Erbschaftsteuererklärung, also hinsichtlich einer einzelnen Rechtsfrage, ist ohne Auswirkung (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. März 1981 VIII R 195/77, BFHE 133, 189, BStBl II 1981, 470).
Die Revision ist jedoch wegen Versäumung der Revisionsfrist unzulässig (§ 120 Abs. 1 Satz 1, § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Revisionsschrift vom 21. Mai 1991 ist am 22. Mai 1991 und damit verspätet beim FG eingegangen. Die Revisionsfrist von einem Monat hatte mit der Zustellung der Vorentscheidung am 19. April 1991 zu laufen begonnen und endete wegen der Pfingstfeiertage vom 19. und 20. Mai 1991 mit Ablauf des 21. Mai 1991 (§ 54 FGO i. V. m. § 222 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -).
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat keinen Erfolg, weil die Prozeßbevollmächtigten die Revisionsfrist schuldhaft versäumt haben (§ 56 Abs. 1 FGO); dieses Verschulden ist der Klägerin zuzurechnen (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO).
Offenbleiben kann, ob die Eintragung der falschen Revisionsfrist auf einer mangelhaften Büroorganisation bzw. auf mangelnder Überwachung der mit der Fristennotierung beauftragten Mitarbeiterin beruht oder auf ein - den Prozeßbevollmächtigten nicht zuzurechnendes - Versehen des geschulten und zuverlässigen Büropersonals zurückzuführen ist. Das Verschulden der Prozeßbevollmächtigten liegt darin, daß der mit der Bearbeitung der Sache befaßte Prozeßbevollmächtigte die Frist nicht selbst nachgeprüft hat, als er die Revisionsschrift entwarf und unterzeichnete.
Zwar kann der prozeßbevollmächtigte Rechtsanwalt die routinemäßige Berechnung und Kontrolle der in seinem Büro gängigen Fristen einer zuverlässigen und sorgfältig ausgewählten und überwachten Bürokraft überlassen. Er bleibt dagegen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), der sich der erkennende Senat anschließt, verpflichtet, den Fristablauf eigenverantwortlich nachzuprüfen, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung der fristgebundenen Prozeßhandlung vorgelegt wird; das gilt selbst dann, wenn ihm die Akte bei der Bearbeitung der Sache nicht vorgelegen hat (BGH-Beschlüsse vom 13. November 1975 III ZB 18/75, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1976, 627; vom 25. Juni 1980 V ZB 9/80, Versicherungsrecht - VersR - 1980, 1027; vom 14. Oktober 1987 VIII ZB 16/87, VersR 1988, 414; vom 13. Juli 1989 VII ZB 6/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1990, 392; vom 25. April 1991 VII ZB 1/91, HFR 1992, 144; vom 11. Dezember 1991 VIII ZB 38/91, Betriebs-Berater 1992, 393; ebenso Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 5. September 1975 VI C 113.74, BVerwGE 1976, 29).
Unzutreffend ist daher die im Schriftsatz vom 10. März 1992 von den Prozeßbevollmächtigten vertretene Auffassung, es sei ausreichend gewesen, daß der Bearbeiter der Sache aufgrund des (falschen) Eingangsstempels, auf den er sich habe verlassen dürfen, den Fristablauf geprüft habe. Erforderlich wäre vielmehr gewesen, daß er die Frist anhand des auf dem Zustellungskuvert angebrachten Zustellungsvermerks des Postbediensteten (§ 53 FGO, § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG -, § 195 Abs. 2 Satz 2 ZPO) selbst nachberechnet hätte (vgl. auch BGH-Beschluß vom 12. Juli 1979 VII ZB 5/79, VersR 1979, 1108, sowie Zöller / Stephan, Zivilprozeßordnung, 17. Aufl. 1991, § 233 Rdnr. 23 Anm. C II 3). Falls das Zustellungskuvert nicht vorhanden gewesen oder der Zustellungsvermerk, entgegen der Beurkundung in der Postzustellungsurkunde, nicht angebracht worden sein sollte - wovon nach der Antwort der Prozeßbevollmächtigten auf die Aufklärungsanordnung des Berichterstatters vom 4. Februar 1992 im Schriftsatz vom 10. März 1992 nicht auszugehen ist -, hätte er sich in anderer Weise, z. B. durch Rückfrage beim FG, über das Zustellungsdatum erkundigen müssen. Diesen Anforderungen an die Sorgfaltspflicht ist der mit der Bearbeitung des Revisionsschriftsatzes befaßte Prozeßbevollmächtigte, wie sich aus den Ausführungen im Schriftsatz vom 10. März 1992 ergibt, nicht nachgekommen. Er hat nicht vorgetragen, daß er daran unverschuldet verhindert gewesen sei.
Diese Verletzung der den Prozeßbevollmächtigten obliegenden Sorgfaltspflicht ist auch ursächlich für die Versäumung der Revisionsfrist. Hätte sich der mit der Abfassung der Revisionsschrift betraute Prozeßbevollmächtigte mit der gebotenen Sorgfalt über Beginn und Ende der Revisionsfrist vergewissert, so hätte er festgestellt, daß die Revisionsschrift vom 21. Mai 1991 am selben Tag zur Wahrung der Revisionsfrist beim FG eingehen mußte. Er hätte dafür sorgen müssen, daß die Revisionsschrift noch an diesem Tage ggf. in den Nachtbriefkasten des am selben Ort befindlichen FG eingeworfen wird.
Fundstellen