Entscheidungsstichwort (Thema)
Beiordnung eines Notanwalts - Wiedereinsetzung
Leitsatz (NV)
- Zur Begründetheit eines Antrags nach § 155 FGO, §78b ZPO auf Beiordnung eines Notanwalts gehört insbesondere, dass der Antragsteller glaubhaft macht, zumindest eine gewisse Zahl von zur Vertretung vor dem jeweiligen Gericht befugten Personen vergeblich um die Übernahme eines Mandats ersucht zu haben.
- Ist für die Einlegung eines Rechtsmittels eine Vertretung durch eine postulationsfähige Person zwingend geboten, ist der Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts rechtzeitig innerhalb der Rechtsmittelfrist zu stellen. Wird diese Frist versäumt, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht.
Normenkette
FGO §§ 56, 155; ZPO § 78b; BFHEntlG Art. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Klage des Klägers und Antragstellers (Antragsteller) vom 22. Dezember 1994 gegen die Einspruchsentscheidung vom 18. November 1994 betreffend die Einkommensteuer 1988 bis 1992 sowie Einkommensteuer-Vorauszahlungen 1993 und 1994 ―am gleichen Tage beim Finanzgericht (FG) eingegangen― hat das FG mit Prozessurteil vom 28. Juli 1995 abgewiesen.
Am 23. Dezember 1994 hat der Antragsteller eine weitere gegen die vorgenannte Einspruchsentscheidung gerichtete Klage beim FG eingereicht. Nachdem der Antragsteller dem FG mitgeteilt hatte, dass er absichtlich zwei Klagen wegen desselben Streitgegenstandes erhoben habe, wurde der Rechtsstreit erneut aufgenommen und mit Beschluss vom 23. August 1999 auf den Einzelrichter, den Richter am FG X, übertragen. Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller mit der Begründung, die Übertragung sei zu diesem Zeitpunkt untunlich gewesen, weil weder eine Klageerwiderung noch die Akten des Finanzamts dem Gericht vorgelegen hätten, Gegenvorstellung erhoben. In der mündlichen Verhandlung vom 13. September 1999 ist der ―nicht erschienene― Antragsteller von seiner Mutter vertreten worden. Nach Schließung der mündlichen Verhandlung und bei Verkündung der Entscheidung stand die Prozessvertreterin auf, legte einen verschlossenen Briefumschlag auf den Richtertisch, in dem sich u.a. ein Gesuch vom gleichen Tag auf Ablehnung des Richters X befand, und verließ den Sitzungssaal. In dem Urteil vom 13. September 1999, mit dem die Klage als unzulässig abgewiesen wurde, hat das FG zu der Gegenvorstellung und dem Ablehnungsgesuch Stellung genommen und beides für unzulässig gehalten.
Mit Schriftsätzen vom 12. November 1999 hat der Antragsteller eine Berichtigung des Tatbestands des vorgenannten Urteils beantragt und hierfür X wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Ferner hat er Erinnerung gegen den Verkündungsvermerk auf dem Urteil eingelegt sowie mit Schriftsatz vom 15. November 1999 einen Protokollberichtigungsantrag angekündigt und darum gebeten, die Entscheidung über den Antrag auf Tatbestandsberichtigung und den beabsichtigten Antrag auf Protokollberichtigung förmlich auszusetzen.
Gegen das am 29. Oktober 1999 zugestellte Urteil hat der Antragsteller weiterhin mit Schriftsatz vom 29. November 1999 persönlich fristgerecht Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, zu deren Begründung er sich gegen die materielle Richtigkeit des Urteils wendet, aber auch diverse Verfahrensmängel geltend macht. Er führt darin u.a. aus, dass der bereits gegen X als Einzelrichter erhobene Ablehnungsantrag auch für dieses Verfahren vollumfänglich mit den in den Schriftsätzen vom 13., 22. und 29. September 1999 dargelegten Begründungen bestehen bleibe.
Nach Einholung einer dienstlichen Äußerung des X, in der sich dieser nicht für befangen hält, und nach neuerlicher Anhörung des Antragstellers hierzu wies der Senat des FG ohne Mitwirkung des X das Befangenheitsgesuch des Antragstellers mit Beschluss vom 10. März 2000 ―dem Antragsteller zugestellt am 14. März 2000― als unbegründet zurück.
Mit Schriftsatz vom 28. März 2000 ―beim Bundesfinanzhof (BFH) am gleichen Tage eingegangen― stellte der Antragsteller einen Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts für ein beabsichtigtes Beschwerdeverfahren sowie auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Gleichzeitig bat er um Akteneinsicht und Fristverlängerung für eine abschließende Begründung bis nach der gewährten Akteneinsicht. Eine Begründung enthält der Schriftsatz nicht.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts i.S. des § 78b der Zivilprozeßordnung (ZPO) für die beabsichtigte Beschwerde ist statthaft.
Gemäß § 78b ZPO hat das Prozessgericht einer Partei auf ihren Antrag für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen, soweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist und sie einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. Diese Vorschrift ist seit Einführung des Vertretungszwangs vor dem BFH durch das Gesetz zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sinngemäß anzuwenden (Beschluss vom 18. November 1977 III S 6/77, BFHE 123, 433, BStBl II 1978, 57).
Da sich der Antragsteller gemäß Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG vor dem BFH bei der Einlegung der Beschwerde durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer vertreten lassen muss, kommen nur solche Personen für die beantragte Beiordnung in Betracht.
Der Antrag kann jedoch keinen Erfolg haben. Der Antragsteller hat nicht hinreichend dargelegt, dass ein zur Vertretung bereiter Prozessbevollmächtigter nicht zu finden ist. Der Antragsteller hätte deutlich machen müssen, dass eine gewisse Zahl von benannten, zur Vertretung vor dem BFH befugten Personen vergeblich um die Übernahme des Mandats ersucht worden sei (BFH-Beschluss vom 27. Januar 1988 VIII S 12/87, BFH/NV 1988, 383). Dies wäre beispielsweise der Fall gewesen, wenn glaubhaft vorgetragen worden wäre, der Antragsteller hätte sich bei der Steuerberaterkammer seines Wohnsitzes und einigen namentlich benannten Vertretungsberechtigten ohne Erfolg um Übernahme des Mandats bemüht (Beschluss in BFHE 123, 433, BStBl II 1978, 57). Der Antragsteller hat jedoch nicht einmal behauptet, sich um einen Rechtsanwalt oder Steuerberater etc. bemüht zu haben.
Da die Frist für die Einlegung der Beschwerde (§ 129 Abs. 1 FGO) gegen den Beschluss des FG vom 10. März 2000 inzwischen verstrichen ist, hängt der Erfolg einer ggf. einzulegenden Beschwerde durch einen hierzu befugten Prozessbevollmächtigten u.a. von der Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab (§ 56 FGO). Die Voraussetzungen dafür sind im Streitfall jedoch nicht gegeben. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) kommt nur in Betracht, wenn der Antragsteller ohne Verschulden verhindert war, die Beschwerde durch eine zur Vertretung vor dem BFH befugte Person einlegen zu lassen. Dies setzt voraus, dass er alles ihm Zumutbare getan hat, um das mögliche Hindernis fehlender Bereitschaft eines postulationsfähigen Prozessvertreters, ihn zu vertreten, innerhalb der Beschwerdefrist zu beseitigen. Dafür, dass er sich in dieser Weise bemüht hat, bestehen nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers keinerlei Anhaltspunkte.
Angesichts dieser Sachlage kann es dahinstehen, ob der Antrag des Antragstellers auch deshalb abzulehnen wäre, weil seine Rechtsverfolgung, d.h. die von einer vor dem BFH vertretungsbefugten Person nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist noch einzulegende Beschwerde gegen den Ablehnungsbeschluss, mutwillig oder in der Sache aussichtslos erscheint.
Der vom Antragsteller weiter gestellte Antrag auf Akteneinsicht ist abzulehnen, da das beabsichtigte Rechtsmittel unzulässig und der erkennende Senat damit gehindert ist, eine Entscheidung in der Sache zu treffen. Die Akten sind danach unter keinem Gesichtspunkt geeignet, dem Rechtsschutz des Antragstellers in einem Beschwerdeverfahren gegen den Ablehnungsbeschluss zu dienen (BFH-Beschlüsse vom 16. Juli 1991 III S 2, 3/91, BFH/NV 1992, 191; vom 1. Oktober 1990 X B 119/90, BFH/NV 1991, 331, und vom 13. Oktober 1989 V B 18/89, BFH/NV 1990, 517).
Die von dem Antragsteller zur "abschließende Begründung" beantragte Fristverlängerung war abzulehnen, da die Sache in jedem Falle entscheidungsreif ist.
Gerichtsgebühren sind nicht entstanden, da es sich bei dem Verfahren zur Beiordnung eines Rechtsanwalts um ein unselbständiges Zwischenverfahren handelt (BFH-Beschluss vom 29. Oktober 1991 VIII S 15/90, BFH/NV 1992, 623).
Fundstellen