Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Streitwert eines Verfahrens über die Aussetzung der Vollziehung einer Prüfungsanordnung
Leitsatz (NV)
1. Der Streitwert eines Verfahrens über die Rechtmäßigkeit der Anordnung einer Außenprüfung beträgt regelmäßig 50 v. H. der zu erwartenden Mehrsteuern, die im Einzelfall geschätzt werden müssen.
2. Die bei der Schätzung der zu erwartenden Mehrsteuern anzustellende in die Zukunft gerichtete Prognose im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung bleibt auch dann maßgebend, wenn sich später aufgrund der durchgeführten Außenprüfung herausstellt, daß ein anderer Streitwertansatz den tatsächlichen Verhältnissen besser gerecht geworden wäre.
3. Kommt es mangels geeigneter Schätzungsgrundlagen zum Ansatz eines fiktiven Streitwerts nach § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG, so kann dieser im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung der Prüfungsanordnung nicht weiter auf 10 v. H. dieses Wertes herabgesetzt werden.
Normenkette
GKG § 5 Abs. 1 S. 1, §§ 11, 13 Abs. 1
Tatbestand
Der Kostenschuldner und Erinnerungsführer (Kostenschuldner) klagte gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung der Anordnung einer Außenprüfung. Die Prüfungsanordnung in der Fassung der Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) erstreckte sich auf mehrere Steuerarten für den Zeitraum 1976 bis 1981 sowie die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens. Als Prüfungsbeginn war der 14. Dezember 1983 angeordnet. Streitig zwischen den Beteiligten war die Erstreckung der Prüfungsanordnung auf die Jahre 1976 bis 1978 und der Prüfungsbeginn.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die hiergegen am 21. April 1988 eingelegte Revision nahm der Kostenschuldner zurück. Vorher hatte der erkennende Senat in dem neben dem Aussetzungsverfahren betriebenen Hauptverfahren einen die Revision des Kostenschuldners zurückweisenden Vorbescheid erlassen, der später durch Antrag auf mündliche Verhandlung gegenstandslos geworden, im Ergebnis aber durch Urteil bestätigt worden ist. Außerdem war dem Kostenschuldner im Aussetzungsverfahren gemäß Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) mitgeteilt worden, daß der Senat einstimmig die Revision für unbegründet halte.
Mit Kostenrechnung vom 9. Januar 1989 setzte die Kostenstelle des Bundesfinanzhofs (BFH) für das durch Rücknahme beendete Revisionsverfahren betreffend die Aussetzung der Vollziehung der Prüfungsanordnung die Kosten mit 756 DM an. Sie ging dabei von einem voraussichtlichen Mehrergebnis der den gesamten Zeitraum von 1976 bis 1981 umfassenden Außenprüfung in Höhe von 429 492 DM aus und leitete daraus einen Streitwert für das Hauptverfahren in Höhe von 219 746 DM (50 v. H. von 429 492 DM) ab. Für das Revisionsverfahren betreffend die Aussetzung der Vollziehung legte sie demgemäß einen Streitwert von 21 974 DM (10 v. H. von 219 746 DM) zugrunde.
Hiergegen richtet sich die Erinnerung des Kostenschuldners. Der Kostenschuldner macht geltend, daß nach § 13 Abs. 1 Satz 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) im Hauptverfahren wegen fehlender Schätzungsgrundlagen der mutmaßlich aufgrund der Außenprüfung zu erwartenden Mehrsteuern von einem Streitwert von 4 000 DM auszugehen sei. Für das Aussetzungsverfahren sei demgemäß nach Ermessen des Gerichts ein Streitwert in Höhe von 10 v. H. bis 50 v. H. zugrunde zu legen.
Entscheidungsgründe
Die Erinnerung ist weitgehend begründet.
Sie führt zum Ansatz der Gerichtskosten für das Revisionsverfahren . . . (betr. Aussetzung der Vollziehung der Prüfungsanordnung) auf der Grundlage eines Streitwerts in Höhe von 6 000 DM.
1. Mit der Erinnerung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 GKG können auch Einwendungen gegen den vom Kostengläubiger zugrunde gelegten Streitwert geltend gemacht werden (siehe z. B. Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., vor § 135 Rdnr. 36; vgl. auch die Beschlüsse des Senats vom 9. April 1987 III E 1/87, BFH/NV 1987, 665, und vom 5. April 1988 III E 3/87, BFH/NV 1988, 725).
2. Nach § 13 Abs. 1 GKG ist in Verfahren vor Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der für die Gebührenberechnung maßgebende Streitwert grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Er ist in Streitfällen über die Rechtmäßigkeit der Anordnung einer Außenprüfung regelmäßig mit 50 v. H. der mutmaßlich zu erwartenden Mehrsteuern, die im Einzelfall geschätzt werden müssen, anzusetzen (vgl. u. a. BFH-Beschlüsse vom 17. September 1974 VII B 122/73, BFHE 113, 411, BStBl II 1975, 197; vom 4. Oktober 1984 VIII R 111/84, BFHE 142, 542, BStBl II 1985, 257; vom 23. Juli 1986 I R 94/83, BFH/NV 1987, 49). Fehlen geeignete Schätzungsgrundlagen und bietet der bisherige Sach- und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte, um die Bedeutung der Sache nach dem gestellten Antrag zu beurteilen, so ist der Streitwert nach § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG auf 6 000 DM zu bestimmen.
Nach diesen Grundsätzen hat die Kostenstelle des BFH bei dem streitigen Kostenansatz zu Unrecht einen Streitwert von 21 974 DM zugrunde gelegt.
a) Die Kostenstelle durfte nicht davon ausgehen, daß aufgrund der streitig gewesenen Außenprüfung Mehrergebnisse von 429 492 DM zu erwarten gewesen seien und demgemäß der Streitwert des Hauptverfahrens über die Rechtmäßigkeit der Außenprüfung 219 746 DM (50 v. H. von 429 492 DM) betrage. Bei dem Betrag von 429 492 DM handelt es sich um (zum Teil auf Schätzungen beruhende) Steuermehrbeträge, die nach Durchführung der Außenprüfung festgesetzt worden sind. Diese Beträge werden vom Kostenschuldner bestritten. Das Finanzamt (FA) hat die Vollziehung der streitigen Bescheide weitgehend ausgesetzt. Der Senat vermag daher nicht zu beurteilen, ob das Mehrergebnis der gerichtlichen Nachprüfung standhält.
b) Ferner ist zu beachten, daß in Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit einer Prüfungsanordnung der Streitwert aufgrund einer in die Zukunft gerichteten Prognose festzusetzen ist. Diese Prognose muß auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung bezogen werden. Sie bleibt für die Streitwertfestsetzung auch dann maßgebend, wenn sich später aufgrund der durchgeführten Außenprüfung herausstellen sollte, daß ein anderer Streitwertansatz den tatsächlichen Verhältnissen besser gerecht geworden wäre (BFH-Beschlüsse vom 12. Juni 1985 VIII R 292/84, BFH/NV 1986, 294, und in BFH/NV 1987, 49).
Entscheidend für den Streitwert des Hauptverfahrens über die streitig gewesene Prüfungsanordnung ist also nicht, welche Steuermehrergebnisse aufgrund der durchgeführten Prüfungsmaßnahmen ermittelt oder geschätzt worden sind, sondern welche Mehrbeträge im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung der OFD abgesehen oder geschätzt werden konnten. Das waren im Streitfall noch nicht die 429 492 DM, die erst später das Ergebnis der streitig gewesenen Prüfung waren.
c) In der Beschwerdentscheidung der OFD im Hauptverfahren war die streitig gewesene Erweiterung des Prüfungszeitraums auf die Jahre 1976 bis 1978 damit begründet worden, daß vom Kostenschuldner schon bei einem Vergleich mit der Vorprüfung mit großer Wahrscheinlichkeit allein der Privatanteil an den Flugzeugkosten mit mehreren 1000 DM zu niedrig erklärt worden sei. Außerdem seien zusätzliche Steuernachforderungen wegen nicht anzuerkennender Kosten für Bewirtung von Geschäftsfreunden und ungerechtfertigter Vorsteueransätze aus Geschäften mit selbständigen Werbern zu erwarten gewesen.
Aus diesen Prognosen kann der Senat schon deswegen keine geeigneten Schätzungsgrundlagen ableiten, weil es nur um Steuernachforderungen für die Jahre 1976 bis 1978 ging. Streitig war aber nicht nur die Erweiterung des Prüfungszeitraums auf die Jahre 1976 bis 1978, sondern auch der Prüfungsbeginn für sämtliche Prüfungsjahre, also auch für die Jahre 1979 bis 1981. Zudem waren auch die nach der Beschwerdeentscheidung der OFD zu erwartenden Steuermehrbeträge für die Jahre 1976 bis 1978 wiederum streitig und insbesondere hinsichtlich der Vorsteuerproblematik zu wenig bezifferbar, um dem Senat eine Schätzung der in dem Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung der OFD zu erwartenden Mehrsteuern zu ermöglichen.
d) Mangels geeigneter Schätzungsgrundlagen oder sonstiger ausreichender Anhaltspunkte ist somit gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG für das Hauptverfahren von einem Streitwert von 6000 DM auszugehen. Die Auffassung des Kostenschuldners, daß nur ein Streitwert von 4000 DM zugrunde zu legen sei, beruht auf einer alten Fassung des § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG, die nur bis zum 31. Dezember 1986 galt (siehe Gesetz zur Änderung von Kostengesetzen vom 9. Dezember 1986, BGBl I, 2326). Für Rechtsmittel, die wie im Streitfall nach diesem Termin eingelegt worden sind, gilt nach § 73 Abs. 1 GKG die neue Fassung des § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
3. Entgegen der Auffassung des Kostenschuldners ist der sich für das Hauptverfahren ergebende Streitwert für den im vorliegenden Verfahren streitigen Kostenansatz (betreffend Aussetzung der Vollziehung) nicht nochmals auf 10 bis 50 v. H. zu ermäßigen. Eine solche Kürzung - wie in den Fällen, in denen die Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich eines bestimmten Steuerbetrages begehrt wird (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 14. April 1967 IV B 23/66, BFHE 88, 195, BStBl III 1967, 321) - ist hier nicht zulässig. § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG gebietet den Ansatz eines fiktiven Wertes ohne Berücksichtigung der tatsächlichen, allerdings unbekannten Verhältnisse. Dieser Wert kann dann nicht gleichzeitig Grundlage sein für die Ableitung des Streitwerts eines anderen Verfahrens, von dem ebensowenig bekannt ist, welche finanzielle Bedeutung ihm zukommt (Beschluß des erkennenden Senats vom 3. Oktober 1986 III R 138/85, BFH/NV 1987, 114).
4. Auf der Grundlage eines Streitwertes von 6 000 DM ist somit gemäß § 11 GKG i. V. m. Anlage Nr. 1310 des Kostenverzeichnisses ein Gebührenbetrag von 300 DM anzusetzen.
Fundstellen