Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde; Überraschungsentscheidung wegen unterlassener Übersendung eines Schriftsatzes; Aufklärungsverfügung
Leitsatz (NV)
Kommt ein Beteiligter einer Aufklärungsanordnung des Gerichts nicht nach, kann er sich nicht auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs berufen, falls ihm eine Stellungnahme des Prozeßgegners zum Gegenstand der gerichtlichen Anfrage nicht vor Erlaß des Urteils bekanntgegeben wird.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 77 Abs. 1 S. 4, § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) veranlagte den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) im Wege der Schätzung zur Einkommensteuer 1988. Der Steuerbescheid wurde durch Niederlegung beim Postamt zugestellt. Nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist legte der Kläger unter Bezugnahme auf die mittlerweile ein gereichte Steuererklärung Einspruch ein. Wegen der Fristversäumung beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig. Auf die Klage hob das Finanzgericht (FG) mit -- rechtskräftigem -- Urteil die Einspruchsentscheidung des FA auf, damit der Kläger sein Vorbringen hinsichtlich der Wiedereinsetzung glaubhaft machen und das FA erneut über den Wiedereinsetzungsantrag entscheiden könne. Nach weiterem Vorbringen des Klägers verwarf das FA den Einspruch wiederum als unzulässig. Der Kläger erhob erneut Klage, mit der er beantragte, die Einkommensteuer 1988 unter Änderung des ursprünglichen Steuerbescheids und Aufhebung der zweiten Einspruchsentscheidung nach Maßgabe der eingereichten Steuererklärung festzusetzen.
Das FG gab der Klage im wesentlichen statt. Es führte aus, im Hinblick auf die Versäumung der Einspruchsfrist sei dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. In der Sache selbst sei der angefochtene Schätzungsbescheid nach übereinstimmender Ansicht der Beteiligten durch einen neuen Bescheid auf der Grundlage der Steuererklärung zu ersetzen. Dies gelte jedoch nicht für die geltend gemachten Reisespesen, da diese trotz Aufforderung durch das Gericht nicht erläutert worden seien und mangels Offenlegung der Berechnungsgrundlagen vom Gericht nicht auf ihren Werbungskostencharakter nach Grund und Höhe überprüft werden könnten. Die Unerweislichkeit der geltend gemachten Spesen gehe zu Lasten des Klägers.
Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmangels. Zur Begründung trägt er vor:
Das FG habe ihn mit Verfügung vom 22. März 1993 aufgefordert, die Ermittlung der Reisekosten zu erläutern sowie eine Arbeitgeberbestätigung vorzulegen. Hierzu habe das FG sich auf ein Schreiben des FA bezogen, in dem gebeten werde mitzuteilen, "nach welchen Beträgen und Pauschalen die vom Arbeitgeber bescheinigten Reisekosten ermittelt wurden. Gegebenenfalls wird um Vorlage einer Bestätigung gebeten." Aufgrund dessen habe er, der Kläger, seine Reisekostenabrechnungen bei Gericht eingereicht, auf denen der Arbeitgeber jeweils vermerkt habe: "Diese Abrechnung gilt gleichzeitig als Bescheinigung." Damit sei er, der Kläger, der Auffassung gewesen, der Verfügung des FG entsprochen zu haben. Durch das Urteil vom 11. Mai 1993 sei er völlig überrascht und zum ersten Mal mit der Auffassung des FG konfrontiert worden, daß die vorgelegten Arbeitgeberbescheinigungen nicht ausreichen sollten. Die Ausführungen des FG würden verständlich bei Berücksichtigung eines weiteren Schriftsatzes des FA vom 10. Mai 1993, in dem die Bescheinigungen als zum Nachweis unzureichend angesehen würden. Diesen Schriftsatz habe jedoch das FG dem Kläger nicht zur Kenntnis gebracht, sondern ihn erst zusammen mit dem Urteil zugestellt. Wenn der Kläger den Schriftsatz und damit die Auffassung des FA hinsichtlich der Bescheinigungen gekannt hätte, dann hätte er selbstverständlich die Einzelbelege vorlegen können. Er habe aber auch deshalb annehmen können, daß die Bescheinigungen ausreichten, weil das FA in der Zwischenzeit bei den Veranlagungen 1989 und 1990 jeweils diese Bescheinigungen anstandslos anerkannt habe. Nach alledem liege ein Verfahrensfehler darin, daß das FG ihm, dem Kläger, nicht mitgeteilt habe, daß das FA die vorgelegten Arbeitgeberbescheinigungen als nicht ausreichend gerügt habe. Auf diesem Verfahrensfehler beruhe ersichtlich die Entscheidung des FG, wonach die geltend gemachten Reisekosten nicht als Werbungskosten anerkannt würden.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Mit dem Einwand, das FG habe ihm einen wesentlichen Schriftsatz des FA nicht zur Kenntnis gebracht und deswegen eine Überraschungsentscheidung getroffen, rügt der Kläger eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes). Das schlüssige Vorbringen dieser Rüge -- im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ebenso wie im Revisionsverfahren -- erfordert, daß substantiiert dargelegt wird, wozu sich der Beteiligte nicht hat äußern können und was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 3. Februar 1982 VII R 101/79, BFHE 135, 167, BStBl II 1982, 355; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Anm. 65).
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Vortrag des Klägers diesen Anforderungen entspricht. Denn die Rüge, der Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt worden, ist jedenfalls unbegründet. Der Berichterstatter des FG hatte den Prozeßbevollmächtigten des Klägers aufgefordert, innerhalb einer Ausschlußfrist u. a. die Ermittlung der geltend gemachten Reisekosten zu erläutern. Diesem Ansuchen war nicht entsprochen worden; denn der Kläger hatte lediglich mitgeteilt, es seien die "gesetzlichen Pauschalen" angewendet worden. Wenn aber ein Beteiligter einer ausdrücklichen Aufklärungsanordnung des Gerichts nicht nachkommt, kann er sich nicht darauf berufen, sein Recht auf Gehör sei verletzt, falls ihm eine Stellungnahme des Prozeßgegners zum Gegenstand der gerichtlichen Anfrage nicht vor Erlaß des Urteils bekanntgegeben wird.
Fundstellen