Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Wiedereinsetzung bei Irrtum über die Dauer der Revisionsbegründungsfrist
Leitsatz (NV)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Revisionsbegründungsfrist ist nicht zu gewähren, wenn der Prozessbevollmächtigte in der irrigen Annahme, auch die Frist zur Begründung einer vom BFH zugelassenen Revision betrage zwei Monate, die Begründungsschrift nach Ablauf der einmonatigen Frist eingereicht hat.
Normenkette
FGO §§ 56, 120 Abs. 2 S. 1
Tatbestand
Auf Nichtzulassungsbeschwerden der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hat der beschließende Senat mit Beschluss vom 27. Februar 2002 IV B 45-48/01 die Revision gegen die Urteile des Finanzgerichts (FG) betreffend Gewerbesteuermessbeträge 1985 bis 1988 zugelassen. Der Beschluss beinhaltet einen rechtlichen Hinweis, in dem es u.a. heißt: Zwar bedürfe es keiner Einlegung der Revision durch die Beschwerdeführerin; innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses sei jedoch beim Bundesfinanzhof (BFH) eine Begründung der Revision einzureichen. Der Beschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 23. Mai 2002 zugestellt.
Am 2. Juli 2002 gingen beim BFH die Revisionsbegründungen in den vier Verfahren ein, die jeweils mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist verbunden waren.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin führte zur Begründung der Wiedereinsetzungsanträge aus, er habe sich über den Lauf der Revisionsbegründungsfrist aus nicht vorwerfbaren Gründen geirrt.
a) Bei Eingang des Beschlusses über die Revisionszulassung habe er zunächst sofort eine Frist für die Revisionseinlegung bis zum 23. Juni 2002 in der elektronischen Fristüberwachung seiner Kanzlei notiert, weil er im Hinblick auf die vor In-Kraft-Treten des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) eingelegten Nichtzulassungsbeschwerden die vor 2001 geltende Rechtslage für weiter anwendbar gehalten habe. Aus den Begleitbriefen des BFH habe er aber dann ersehen können, dass die Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt würden. Die daraus folgende Frage nach der Revisionsbegründungsfrist habe er nach dem Studium des rechtlichen Hinweises in den ersten Beschluss und einem Blick in § 120 Abs. 2 Satz 1 1. Alternative der Finanzgerichtsordnung (FGO) dahin beantwortet, dass eine Frist von zwei Monaten gelte. Dies habe zum Eintrag einer Revisionsbegründungsfrist bis zum 23. Juli 2002 geführt. An diese Frist sei durch das EDV-Programm bis zur Erledigung laufend erinnert worden.
Am 27. Juni 2002 habe er mit der Erarbeitung der Revisionsbegründung begonnen. Bei Durcharbeitung der Begründung des Beschlusses über die Revisionszulassung habe er den Hinweis auf die Frist zur Revisionsbegründung innerhalb eines Monats festgestellt und die Erkenntnis gewonnen, dass der Fristeintrag fehlerhaft gewesen sei.
b) An der fehlerhaften Eintragung treffe ihn, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin, kein Verschulden. Zugleich mit dem Beschluss über die Zulassung in den Sachen betreffend Gewerbesteuermessbetrag habe er den ablehnenden Beschluss betreffend Gewinnfeststellung und den teilweise ablehnenden Beschluss über Aussetzung der Vollziehung (AdV) erhalten. Die Begründung der Ablehnungen habe ihn schockiert, weil sie im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des BFH stehe (z.B. Beschluss vom 11. Oktober 1996 VIII B 56/95, BFH/NV 1997, 457), auf die er vertraut habe. Nur mit der dadurch entstandenen erheblichen nervlichen Anspannung könne die fehlerhafte Berechnung der Revisionsbegründungsfrist erklärt werden. Die Bearbeitung der Revisionsbegründung habe sofort zur Aufdeckung des Fehlers und zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags innerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 FGO geführt. Der Hinweis des Senatsvorsitzenden auf den Fristablauf sei erst später bei ihm eingegangen.
c) In der Sache hat die Klägerin eine umfassende Begründung des Revisionsbegehrens in den Schriftsätzen vom 1. Juli 2002 geliefert, auf die Bezug genommen wird.
Die Klägerin beantragt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren und unter Aufhebung der angefochtenen Urteile und Gewerbesteuermessbescheide die Gewerbesteuermessbeträge 1985 bis 1988 auf 0 DM festzusetzen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) beantragt, die Revisionen als unzulässig zu verwerfen.
Das FA trägt vor, die Frist zur Revisionsbegründung sei nicht ohne Verschulden versäumt worden. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe die Fristversäumung fahrlässig verursacht; sein Verschulden müsse sich die Klägerin zurechnen lassen.
Nach der Rechtsprechung des BFH könne bei der Fristversäumnis durch einen Steuerberater oder Rechtsanwalt ein Verschulden i.S. des § 56 Abs. 1 FGO nur dann verneint werden, wenn die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt angewendet worden sei (BFH-Beschluss vom 9. August 2001 III R 14/01, BFH/NV 2002, 48). Diesen Sorgfaltsanforderungen sei schuldhaft nicht genügt worden. Rechtlicher Hinweis in dem Beschluss des BFH und § 120 FGO seien so flüchtig gelesen worden, dass die Unterscheidung zwischen den Fristen für Beschwerdeführer und andere Beteiligte nicht erkannt worden sei. Die neue Rechtslage sei dem Prozessbevollmächtigten nach eigenem Bekunden unbekannt gewesen. Dass der Prozessbevollmächtigte durch die negative Entscheidung in den anderen Streitsachen einen die Denkfähigkeit beeinträchtigenden Schock erlitten habe, sei schwer vorstellbar. Zur Lektüre und Überprüfung der Entscheidung sei der Prozessbevollmächtigte nach seinem Vorbringen zumindest noch in der Lage gewesen. Zumindest hätte eine im Schockzustand vorgenommene Fristberechnung später noch einmal überprüft werden müssen.
Entscheidungsgründe
Der Senat verbindet die Verfahren IV R 13/02, IV R 14/02, IV R 15/02 und IV R 16/02 zur gemeinsamen Entscheidung (§ 73 Abs. 1 FGO). Die Revisionen sind unzulässig und waren deshalb durch Beschluss zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).
1. Für das Revisionsverfahren gelten die Regelungen der FGO in der Fassung, die sie durch das 2.FGOÄndG erhalten haben. Dieses Gesetz ist am 1. Januar 2001 in Kraft getreten (Art. 6 2.FGOÄndG) und gilt auch für alle zu diesem Zeitpunkt schwebenden Verfahren (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, vor § 115 Rz. 32). Soweit in Art. 4 2.FGOÄndG davon abweichende Übergangsregelungen geschaffen wurden, liegen deren Voraussetzungen nicht vor.
2. Die Revisionsbegründungsfrist ist versäumt worden. Die Laufzeit der Frist hängt nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO davon ab, ob die Revision vom FG oder erst aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde vom BFH zugelassen worden ist. Für einen Beschwerdeführer, dessen Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg hatte, beträgt die Revisionsbegründungsfrist einen Monat seit Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO). In allen anderen Fällen gilt eine Frist von zwei Monaten.
Für die Klägerin lief danach eine Begründungsfrist von einem Monat seit Zustellung des BFH-Beschlusses über die Zulassung der Revision am 23. Mai 2002. Die Frist lief am 24. Juni 2002 ab; die am 2. Juli 2002 eingegangenen Begründungen wahrten die Begründungsfrist nicht.
3. Der Klägerin kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.
a) Nach § 56 Abs. 1 FGO ist ―unter den weiteren Voraussetzungen des Abs. 2― auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Verschulden eines Prozessbevollmächtigten muss sich der Verfahrensbeteiligte zurechnen lassen (§ 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung ―ZPO― i.V.m. § 155 FGO). Einen rechtskundigen Verfahrensbevollmächtigten trifft ein Verschulden an einer Fristversäumnis nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur dann nicht, wenn die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt angewendet worden ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 16. August 1993 VII B 163/93, BFH/NV 1994, 384, 385).
b) Diesen Anforderungen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, ein Angehöriger der steuerberatenden Berufe, nicht genügt. Wer als derartiger Berufsangehöriger ein Rechtsmittel einlegt, muss nicht nur die Voraussetzungen und die Anforderungen für dieses Rechtsmittel kennen oder sich zumindest davon Kenntnis verschaffen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 23. November 1992 III B 76/92, BFH/NV 1994, 105, und vom 7. Januar 1998 VII B 222/97, BFH/NV 1998, 616), sondern muss auch Rechtsmittelbelehrungen oder rechtliche Hinweise in oder im Zusammenhang mit der angefochtenen Entscheidung beachten (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 48). Im Streitfall war dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin nach seiner eigenen Darstellung nicht bekannt, dass für das Revisionsverfahren die Regelungen der §§ 115 ff. FGO i.d.F. des 2.FGOÄndG anzuwenden sind. Es kann dahinstehen, ob die Anwendungsregelung des Art. 6 2.FGOÄndG dem Prozessbevollmächtigten hätte bekannt sein müssen. Zumindest war von ihm zu erwarten, dass er sich die Kenntnisse im Zusammenhang mit der weiteren Bearbeitung des Rechtsmittels nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revisionen verschafft. Gegen seine Sorgfaltspflichten hat der Prozessbevollmächtigte auch dadurch verstoßen, dass er den rechtlichen Hinweis am Ende des Beschlusses nicht gründlich und vollständig zur Kenntnis genommen hat. Anderenfalls wäre ihm nicht verborgen geblieben, dass die zweimonatige Frist nur für andere Verfahrensbeteiligte Geltung haben konnte, während die Klägerin eine Frist von einem Monat einhalten musste.
c) Die Sorgfaltspflichtverletzungen kann der Prozessbevollmächtigte nicht mit den Folgen eines Schocks entschuldigen. Schon nach seinem eigenen Vorbringen geriet er bei der Lektüre des ablehnenden Beschlusses zur Gewinnfeststellung bzw. des teilweise ablehnenden Beschlusses zur AdV nicht in einen Zustand völliger geistiger Abwesenheit, der ihm die richtige Berechnung der Revisionsbegründungsfrist nicht gestattet hätte. Vielmehr nahm er nicht nur eine rechtliche Würdigung der zu seinen Ungunsten ausgefallenen Beschlüsse vor, sondern berechnete und vermerkte zunächst eine Revisionsfrist. Den Vermerk überarbeitete er am gleichen Tag und trug eine Revisionsbegründungsfrist ein. Es kann deshalb unerörtert bleiben, inwieweit nach einem "Blackout" die Pflicht zur Überprüfung der in geistiger Abwesenheit ergriffenen Maßnahmen besteht.
4. Bei dieser Sachlage war auf die Begründung der Revisionen in der Sache nicht mehr einzugehen.
Fundstellen