Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksame Klageerhebung bei unlesbarer Unterschrift auf der durch Telefax übermittelten Klageschrift
Leitsatz (NV)
1. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist anerkannt, daß bei Einlegung von (fristgebundenen) Rechtsmitteln wie auch bei bestimmenden Schriftsätzen ein bei dem Gericht eingehender Telebrief oder ein unmittelbar dem Gericht über tragenes Telefax als wirksame schriftliche Erklärung anzusehen ist, sofern die Kopiervorlage erkennbar ordnungsgemäß unterschrieben ist.
2. Nach der Rechtsprechung des BGH (Beschluß vom 12. Dezember 1990 XII ZB, Versicherungsrecht 1991, 894), der sich der Senat anschließt, ist ein durch Telefax ein gegangener Antrag (wie auch die Einlegung eines Rechtsmittels) nicht schon deshalb unwirksam, weil eine Seite des Telefax z. B. geschwärzt war. Soweit es entscheidungserheblich ist, muß geprüft werden, ob die teilweise Schwärzung eines Telefax auf einen technischen Fehler im Empfangsbereich zurückzuführen ist. Bei entsprechender Feststellung müßte der Antrag/das Rechtsmittel als rechtzeitig gestellt behandelt und beschieden werden.
Normenkette
FGO §§ 64, 142 Abs. 1; ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Der Kläger, Beschwerdeführer und Antragsteller (Kläger) erhob am 7. Juni 1995 mit Telefax um 15.36 Uhr Klage wegen Umsatzsteuer 1980 bis 1988. Zugleich stellte er Antrag auf Prozeßkostenhilfe (PKH) und Beiordnung eines Steuerrechtsanwalts oder Steuerberaters nach seiner Wahl. Die Faxvorlage war zwar handschriftlich unterschrieben, die Unterschrift war jedoch auf dem Fax -- nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) -- offenbar aufgrund der Benutzung einer Farbe, die nicht oder unleserlich übertragen wird, nicht lesbar. Unter dieser nicht lesbaren Unterschrift ist der Name des Klägers maschinenschriftlich angegeben. Der Kläger wurde mit Einschreiben vom 3. August 1995 durch das FG darauf hingewiesen, daß die Unterschrift ein unabdingbares Erfordernis für die Klage sei und daß die Nachreichung einer unterschriebenen Klageschrift innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist von 14 Tagen erforderlich sei. Mit Schreiben vom 5. August 1995, bei Gericht am 30. August 1995 eingegangen, übersandte der Kläger eine unterschriebene Klageschrift mit der "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse" nebst Anlagen. Auf Nachfrage des Gerichts vom 14. September 1995, wann das Schreiben vom 3. August 1995 bei ihm eingegangen sei, erklärte der Kläger unter Beifügung der Kopie eines am 3. August 1995 freigestempelten Kuverts des FG, auf dem links oben das handschriftlich angebrachte Datum des 14. August 1995 eingekreist ist, daß er dieses Schreiben frühestens am 14. August 1995 erhalten habe. Eine Auskunft bei der Deutschen Post AG ergab, daß das Schreiben vom 3. August am 4. August 1995 am Ausgabeschalter hinterlegt worden und innerhalb der 7-tägigen Lagerfrist abgeholt worden sei.
Dem Antrag auf Gewährung von PKH entsprach das FG nicht (Beschluß vom 31. Januar 1996, zugestellt am 8. Februar 1996). Es verneinte hinreichende Erfolgsaussicht i. S. von § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO). Die Klage sei im Streitfall unzulässig. Es fehle an der eigenhändigen Unterschrift der Klage (Zwischenurteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 10. März 1982 I R 91/81, BFHE 136, 38, BStBl II 1982, 573). Im Streitfall enthalte die Klageschrift zwar Namen und Anschrift des Klägers. Die Unterschrift sei jedoch nicht leserlich, weil nur geringe Reste auf dem Fax erkennbar seien.
Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist gemäß § 56 FGO lägen nicht vor, weil der Antrag auf Wiedereinsetzung nicht binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt worden sei. Nach dem Hinweisschreiben des Gerichts vom 3. August 1995 sei erst am 30. August 1995 das auf den 5. August 1995 vom Kläger datierte Schreiben mit Wiedereinsetzungsantrag und unterschriebener Klageschrift eingegangen. Der Kläger habe mit Schreiben vom 5. Oktober 1995 erklärt, er habe das Schreiben des Gerichts vom 3. August am 14. August 1995 erhalten. Die 2-Wochen-Frist sei damit spätestens mit Ablauf des 28. August 1995 abgelaufen.
Mit Gerichtsbescheid vom 12. Februar 1996 -- dem Kläger durch Niederlegung am 16. Februar 1996 zugestellt -- wies das FG die Klage (als unzulässig) ab. Ob dagegen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt wurde, ist nicht ersichtlich.
Der Kläger legte gegen die Ablehnung der PKH am 19. Februar 1996 (persönlich) Beschwerde beim BFH ein. Zusätzlich beantragte er am 22. Februar 1996 für dieses Beschwerdeverfahren PKH. Er legte dazu die "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse" mit Unterschrift vom 22. Februar 1996 vor und verwies hierzu auf einen (beigefügten) Bescheid der Stadt X vom ... September 1995, demzufolge ihm nach den Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes und des Wohngeldgesetzes laufende Hilfe zum Lebensunterhalt und pauschaliertes Wohngeld "vom 1. 10. 1995 bis auf weiteres" bewilligt wurde. Danach hatte er Anspruch auf Zahlungen von monatlich 1 100 DM, wovon 595 DM direkt an eine Wohnungsgesellschaft überwiesen wurden.
Entscheidungsgründe
Dem Kläger wird die (sinngemäß auf Beiordnung eines Rechtsanwalts zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens vor dem BFH) beantragte PKH gewährt.
Der Antrag ist zulässig. Nach der Rechtsprechung des BFH kann PKH für das PKH-Verfahren im finanzgerichtlichen Verfahren abweichend von dem Verfahren in der Zivilgerichtsbarkeit gewährt werden (BFH-Beschluß vom 18. Juli 1985 V S 3/85, BFHE 143, 528, BStBl II 1985, 499). Der Vertretungszwang vor dem BFH gemäß Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) gilt auch für Beschwerden gegen Beschlüsse des FG zur Ablehnung des PKH-Gesuchs. Vom Vertretungszwang nicht erfaßt ist lediglich der Antrag auf Bewilligung von PKH für ein Verfahren vor dem BFH.
Der Antrag ist auch begründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung (Durchführung des Beschwerdeverfahrens gegen die Ablehnung des Antrags auf PKH durch das FG) hat hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 142 Abs. 1 FGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Die hinreichende Erfolgsaussicht ist nicht deshalb zu verneinen, weil lediglich der Kläger selbst Beschwerde beim BFH eingelegt hat und damit nicht die Voraussetzungen des Vertretungszwangs gemäß Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG erfüllt hat. Damit ist zwar die eingelegte Beschwerde als solche unzulässig. Der Kläger könnte jedoch -- nach Bewilligung der PKH für das vorliegende Verfahren -- durch einen dazu befugten Prozeßbevollmächtigten Beschwerde gegen den Beschluß des FG einlegen und wegen der Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen. Eine solche Beschwerde wäre sogar zulässig, wenn sie erst nach Beendigung der Instanz bei Urteilswirkung des Gerichtsbescheides vom 12. Februar 1996 eingelegt werden könnte (BFH-Beschluß vom 23. Oktober 1985 VIII S 11/85, BFH/NV 1987, 462, mit Nachweisen).
Die Erfolgsaussichten der vom Kläger eingelegten Beschwerde gegen die Versagung der PKH ergeben sich aus folgenden Umständen: Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist anerkannt, daß bei Einlegung von (fristgebundenen) Rechtsmitteln wie auch bei bestimmenden Schriftsätzen ein bei dem Gericht eingehender Telebrief oder ein unmittelbar dem Gericht übertragenes Telefax als wirksame schriftliche Erklärung anzusehen ist, sofern die Kopiervorlage erkennbar ordnungsgemäß unterschrieben ist (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 23. Juni 1994 I ZR 106/92, BGHZ 126, 266, mit Nachweisen; BFH-Urteil vom 28. November 1995 VII R 63/95, BFHE 179, 5, BStBl II 1996, 105). Nach der Rechtsprechung des BGH (Beschluß vom 12. Dezember 1990 XII ZB 64/90, Versicherungsrecht 1991, 894), der sich der Senat anschließt, ist ein durch Telefax eingegangener Antrag (wie auch die Einlegung eines Rechtsmittels) nicht schon deshalb unwirksam, weil eine Seite des Telefax z. B. geschwärzt war; das könne auch durch einen technischen Fehler in dem Empfangsgerät verursacht worden sein. Wie der BGH ausführt, dürfen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) Risiken und Unsicherheiten, deren Ursache allein in der Sphäre des Gerichts liegen, bei der Entgegennahme fristgebundener Schriftsätze unter dem Gesichtspunkt rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung nicht auf den rechtsuchenden Bürger abgewälzt werden (BVerfG-Beschluß vom 14. Mai 1985 1 BvR 370/84, BVerfGE 69, 381, 386 f., m. w. N.). Der BGH hat bereits entschieden, daß eine unlesbar oder verstümmelt zu den Akten gelangte fernschriftliche Einspruchsbegründung, deren Inhalt sich erst nachträglich feststellen läßt, mit ihrem vollständigen Inhalt als eingegangen anzusehen ist, wenn die Ursache für den Mangel der Lesbarkeit und Vollständigkeit in der Sphäre des Empfängers liegt (BGH-Beschluß vom 23. Juni 1988 X ZB 3/87, BGHZ 105, 40, 44). Soweit es entscheidungserheblich ist, muß geprüft werden, ob die teilweise Schwärzung eines Telefax auf einen technischen Fehler im Empfangsbereich zurückzuführen ist. Bei entsprechender Feststellung müßte der Antrag als rechtzeitig gestellt behandelt und beschieden werden.
Im Streitfall hat das FG in seinem die PKH ablehnenden Beschluß zwar die Unleserlichkeit der Unterschrift auf dem Fax festgestellt, aber andererseits auch die vom Kläger nachträglich eingereichte und persönlich unterschriebene Klageschrift (Faxvorlage) in Bezug genommen. Diese Feststellungen legen die Folgerung nahe, daß die fehlerhafte Übertragung -- die Unlesbarkeit der Unterschrift -- durch einen technischen Fehler im Empfangsgerät verursacht worden sein dürfte. Darauf weist auch der Kläger in der Beschwerdeschrift hin. Ausführungen dazu finden sich im angefochtenen Beschluß nicht. Insbesondere fehlen Feststellungen, die zur gegenteiligen Beurteilung (Fehler im Absendegerät) führen müßten.
Fundstellen