Entscheidungsstichwort (Thema)
PKH, neues Vorbringen, Haftung, Austausch der Haftungsgrundlage
Leitsatz (NV)
1. Im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von PKH durch das FG ist der BFH nicht darauf beschränkt, die Entscheidung der Vorinstanz auf ihre Richtigkeit hin zu kontrollieren; vielmehr hat er das Begehren des Antragstellers -- im Rahmen des Beschwerdeantrags -- erneut in jeder Hinsicht zu prüfen.
2. Der Rückforderungsanspruch wegen rechtsgrundloser Erstattung richtet sich bei Abtretung des Anspruchs gegen den Zessionar, an den das FA geleistet hat.
3. Der Haftungsanspruch gegen den Komplementär einer KG nach §§128, 161 HGB kann im Klageverfahren nicht gegen einen Haftungsanspruch nach §71 AO 1977 ausgetauscht werden, weil es sich jeweils um unterschiedliche Lebenssachverhalte handelt.
Normenkette
AO 1977 § 37 Abs. 2, §§ 71, 191 Abs. 1; FGO § 142; HGB §§ 128, 161; ZPO §§ 114, 117 Abs. 2
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist alleiniger Komplementär einer KG, über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet wurde. Der Beklagte (das Finanzamt -- FA --) hat den Antragsteller als Haftenden für Umsatzsteuerschulden der KG gemäß §191 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) i. V. m. §§128, 161 des Handelsgesetzbuches (HGB) in Anspruch genommen. Der Einspruch blieb erfolglos. Der Antragsteller hat dagegen Klage erhoben und Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe (PKH) gestellt.
Das Finanzgericht (FG) hat den Antrag mit der angefochtenen Entscheidung abgelehnt, weil für die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bestehe. Der Antragsteller hafte als Komplementär für die Steuerschulden der KG. Das FA habe sein Auswahlermessen zutreffend ausgeübt. Es sei unerheblich, daß das FA vor Freigabe des Vorsteuer-Erstattungsanspruchs der KG keine Umsatzsteuer-Sonderprüfung bei ihr durchgeführt habe. Für ein bei der Ermessensausübung etwa zu berücksichtigendes Mitverschulden des FA seien keine Anhaltspunkte gegeben.
Mit seiner Beschwerde macht der Antragsteller geltend, das FG gehe in der angefochtenen Entscheidung zu Unrecht von einer Umsatzsteuerschuld der KG aus. Die KG habe ihren Vorsteuer-Erstattungsanspruch an die Firma ... -GmbH (GmbH) abgetreten. Das FA habe von dieser rechtsverbindlichen Abtretung Kenntnis erhalten und daraufhin durch Anweisung der Finanzkasse den Vorsteuer-Erstattungsanspruch der KG mit der Steuerschuld der GmbH verrechnet. Selbst wenn die Rückforderung der Vorsteuer zu Recht erfolgt wäre, richte sich der Rückforderungsanspruch nicht gegen den originären Schuldner, die KG, sondern die GmbH. Diese sei nach "Auszahlung des Betrages" Leistungsempfänger i. S. von §37 Abs. 2 AO 1977 geworden.
Das FA hat in seiner Stellungnahme erklärt, die Ausführungen des Antragstellers bezüglich der Abtretung der Steuererstattungsbeträge an die GmbH seien zutreffend. Dennoch hafte der Kläger gemäß §71 AO 1977 für den Rückforderungsanspruch, weil er sich der Beihilfe zur Steuerhinterziehung schuldig gemacht habe. Die Umsatzsteuererstattung resultiere aus Vorsteuerbeträgen, die im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Grundstücks durch die KG geltend gemacht worden seien. Dieses Grundstück sei aber nie in das Eigentum der KG übergegangen. Trotzdem habe die KG Vorsteuerbeträge geltend gemacht. Die Voranmeldung sei vom Antragsteller als Komplementär der KG unterschrieben worden, obwohl ihm bekannt gewesen sei, daß das Grundstück der KG nicht gehörte.
Der Antragsteller bestreitet, daß die Voranmeldung von ihm unterschrieben worden sei. Dies sei aber auch unerheblich, weil der Erstattungsanspruch im Zeitpunkt der Antragstellung bestanden habe.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet.
Im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von PKH durch das FG ist der Senat nicht darauf beschränkt, die Entscheidung der Vorinstanz auf ihre Richtigkeit hin zu kontrollieren; vielmehr hat er das Begehren des Antragstellers -- im Rahmen des Beschwerdeantrags -- erneut in jeder Hinsicht zu prüfen (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 18. Januar 1988 V B 106/87, BFH/NV 1990, 76; vom 12. Februar 1969 VII B 60/66, BFHE 95, 84, BStBl II 1969, 318 für Aussetzung der Vollziehung). Die Prüfung führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Aufgrund der im PKH-Verfahren nur gebotenen summarischen Prüfung bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung die in §142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. §114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) für die Bewilligung von PKH geforderte hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der gegen den Antragsteller geltend gemachte, auf §191 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. §§128, 161 HGB gestützte Haftungsanspruch erscheint aufgrund dieser Prüfung als unbegründet, weil die Steuerschuld der KG, für die der Antragsteller als Haftender in Anspruch genommen wurde, nicht besteht.
Wie sich aus der erst im Beschwerdeverfahren abgegebenen Stellungnahme des FA ergibt, ist die Darstellung des Antragstellers in bezug auf die erfolgte Abtretung des Vorsteuer-Erstattungsanspruchs der KG an die GmbH zutreffend. Durch die vom FA vorgenommene Verrechnung des an die GmbH abgetretenen Anspruchs mit deren Steuerschulden ist die GmbH Leistungsempfängerin der Vorsteuer-Erstattung i. S. von §37 Abs. 2 AO 1977 geworden. Damit käme nur noch gegen sie ein Anspruch des FA auf Rückzahlung der Vorsteuer-Erstattung in Betracht, wenn sich die Vorsteuer-Erstattung als ungerechtfertigt erweisen sollte (vgl. BFH-Urteil vom 2. Februar 1995 VII R 42/94, BFH/NV 1995, 853, 855, m. w. N.). Dafür haftet der Antragsteller jedoch als Komplementär der KG nicht, weil es sich insoweit nicht um Steuerschulden der KG handelt.
Wenn das FA nunmehr geltend macht, daß der Antragsteller auch als Steuerhinterzieher nach §71 AO 1977 für die Rückzahlung der zu Unrecht ausgezahlten Vorsteuer-Erstattung hafte, könnte es sich darauf im Klageverfahren nicht berufen. Denn es handelt sich insoweit um einen anderen Lebenssachverhalt und damit um einen anderen Haftungsanspruch gegen den Antragsteller, der nicht Gegenstand des angefochtenen Verwaltungsakts und damit auch nicht des Klageverfahrens ist, für das die Bewilligung von PKH beantragt worden ist.
Da das FG aufgrund der ihm nach dem damaligen Verfahrensstand bekannten Umstände zu einem anderen Ergebnis gelangt ist, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Der Senat hält es für zweckmäßig, nicht selbst über die Bewilligung von PKH zu entscheiden, weil die ihm vorliegende, im erstinstanzlichen Verfahren abgegebene Erklärung des Antragstellers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§117 Abs. 2 ZPO) vom ... 1995 datiert und deshalb nicht auszuschließen ist, daß sich diese zwischenzeitlich geändert haben. Deshalb wird die Sache an das FG zurückverwiesen (§§132, 155 FGO i. V. m. §575 ZPO).
Fundstellen