Entscheidungsstichwort (Thema)
Besetzungsrüge; Zuständigkeit zur Berichtigung eines offensichtlich unrichtigen Rubrums; Keine Aussetzung eines unzulässigen Rechtsmittelverfahrens
Leitsatz (NV)
- Nach § 103 FGO kann das Urteil nur von den Richtern und ehrenamtlichen Richtern gefällt werden, die an der dem Urteil zugrunde liegenden letzten mündlichen Verhandlung teilgenommen haben. Für die schlüssige Erhebung einer, die zulassungsfreie Revision eröffnenden Besetzungsrüge genügt nicht allein der bloße Hinweis, das Urteil hätten andere Richter gefällt als an der vorangegangenen Verhandlung teilgenommen haben. Um die Besetzungsrüge ordnungsgemäß erheben zu können, muss sich der Revisionskläger ggf. über die Besetzung selber Aufklärung verschaffen.
- Offenbare Unrichtigkeiten des Rubrums in der Urschrift des angefochtenen Urteils sind nach § 107 Abs. 1 FGO durch Beschluss des zuständigen Senats beim FG, der das Urteil gefällt hat, zu berichtigen; sofern bereits Revision eingelegt worden ist, ist der BFH zuständig. Hingegen reicht eine Korrektur durch eine bloße Kanzleiberichtigung nicht aus.
- Wird während eines unzulässigen Rechtsmittelverfahrens ein mit Einspruch angefochtener geänderter Steuerbescheid erlassen, so ist das Rechtsmittelverfahren nicht auszusetzen; denn in dem außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren kann es zu keiner das Rechtsmittelverfahren berührenden, abweichenden Sachprüfung kommen.
Normenkette
FGO §§ 74, 103, 107 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, § 116 Abs. 1 Nr. 1, § 120 Abs. 2 S. 2
Tatbestand
I. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) lehnte den Antrag der Kläger und Revisionskläger (Kläger) vom 5. Januar 1996, die bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerfestsetzungen für 1992 und 1993 vom 2. Januar 1995 und für 1994 vom 14. August 1995 zu ihren Gunsten nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) zu ändern, mit Bescheid vom 3. April 1996 ab.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. Oktober 1999, an welcher als Vorsitzender der Vorsitzende Richter am FG A, die Richterin am FG B und der Richter am FG C sowie die ehrenamtlichen Richter Y und Z teilgenommen haben (vgl. Sitzungsniederschrift vom 11. Oktober 1999), als unbegründet ab. Nach der Sitzungsniederschrift vom 11. Oktober 1999 wurde das Urteil nach geheimer Beratung und nach erneutem Aufruf der Sache sowie nach Wiederherstellung der Öffentlichkeit in Anwesenheit dieser Richter verkündet. Die Revision ließ das FG nicht zu.
Gegen die Nichtzulassung der Revision haben die Kläger Beschwerde eingelegt, die der erkennende Senat mit Beschluss vom gleichen Tage als unzulässig verworfen hat.
Die Urschrift des angefochtenen Urteils und die den Beteiligten zugestellten Ausfertigungen des Urteils weisen im Rubrum anstelle der Richterin am FG B allerdings den Richter am FG D aus. Die Urschrift des Urteils ist am Schluss handschriftlich von den drei Berufsrichtern unterzeichnet. Die mittlere Unterschrift lässt die Buchstaben "…" erkennen. Die Ausfertigungen tragen ebenfalls maschinenschriftlich am Schluss den Namen der Richterin am FG B.
Mit Schreiben vom 6. Dezember 1999 teilte die Kanzlei des FG dem Prozessvertreter mit, im Rubrum des zugestellten Urteils vom 11. Oktober 1999 müsse es auf Seite 2 u.a. heißen "der Richterin am FG B". Wegen eines Kanzleiversehens sei irrtümlich als mitwirkender Richter der Richter am FG D aufgeführt worden.
Mit der Revision rügen die Kläger den Mangel der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts. Nach § 103 der Finanzgerichtsordnung (FGO) könne das Urteil nur von den Richtern und ehrenamtlichen Richtern gefällt werden, die an der zugrunde liegenden letzten Verhandlung teilgenommen hätten (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 11. September 1997 XI R 76/96, BFH/NV 1998, 468). Hier sei das Urteil unter Mitwirkung des Richters am FG D gefällt worden, obwohl dieser nicht an der mündlichen Verhandlung am 11. Oktober 1999 teilgenommen habe.
Die Kläger beantragen, das Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlungsentscheidung zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
Die Revision sei bereits mangels eines bestimmten Antrags i.S. von § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO unzulässig. Im Übrigen gehe die Rüge der fehlerhaften Besetzung des Gerichts ins Leere; denn es liege eine offenbare Unrichtigkeit i.S. von § 107 FGO vor.
Das FA hat vorsorglich den Einkommensteuerbescheid für 1994 mit geänderter Adressierung in je einer Ausfertigung unter dem 20. Dezember 1999 dem Prozessbevollmächtigten erneut bekannt gegeben. Gegen diesen Bescheid hat der Prozessbevollmächtigte mit Telefax vom 23. Dezember 1999 beim FA Einspruch eingelegt. Von diesem Sachverhalt hat der Prozessbevollmächtigte den erkennenden Senat mit Schriftsatz vom 10. Juli 2000, eingegangen am 12. Juli 2000, in Kenntnis gesetzt.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unzulässig. Sie war deshalb nach § 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluss zu verwerfen. Sie bezeichnet den behaupteten Verfahrensmangel nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen (§ 120 Abs. 2 Satz 2 letzter Halbsatz FGO).
1. Gemäß Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) findet abweichend von § 115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn sie das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der BFH zugelassen hat oder wenn ein Fall der zulassungsfreien Revision gemäß § 116 FGO gegeben ist. Hierauf wurden die Kläger durch die im angefochtenen Urteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich hingewiesen.
a) Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Die von den Klägern eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat als unzulässig verworfen.
b) Gründe, die eine zulassungsfreie Revision gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO als gerechtfertigt erscheinen ließen, sind nicht schlüssig dargetan worden. Nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist ein wesentlicher Mangel die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts. Gemäß § 103 FGO kann das Urteil nur von den Richtern und ehrenamtlichen Richtern gefällt werden, die an der dem Urteil zugrunde liegenden letzten Verhandlung teilgenommen haben (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1998, 468, und vom 22. Januar 1988 IX R 163/87, BFH/NV 1990, 104).
Nach § 120 Abs. 2 Satz 2 letzter Halbsatz FGO müssen, um einen Besetzungsmangel des erkennenden Gerichts zu bezeichnen, die Tatsachen angegeben werden, die diesen Mangel ergeben sollen. Eine Verfahrensrüge ist indes unzulässig, wenn sie nicht schlüssig ist, d.h. wenn die zur Begründung der Rüge vorgetragenen Tatsachen als solche ―unabhängig von ihrer Beweisbarkeit― nicht ausreichen oder nicht geeignet sind darzutun, dass der behauptete Verfahrensmangel vorliegt (BFH-Urteil vom 10. Mai 1990 V R 17/85, BFH/NV 1991, 201, unter I. 1. der Gründe, m.w.N.).
Der Kläger hat sich zu diesem Zwecke ggf. über die Besetzung selber Aufklärung zu verschaffen. Zur Begründung einer Besetzungsrüge (vgl. dazu auch BFH-Beschluss vom 10. August 1994 II R 29/94, BFHE 175, 16, BStBl II 1994, 862) genügt nicht der bloße Hinweis, an dem Urteil hätten andere Richter als in der vorangegangenen mündlichen Verhandlung teilgenommen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 120 FGO Tz. 62).
2. Die Kläger haben ihre Besetzungsrüge lediglich auf den im Rubrum des angefochtenen Urteils genannten Richter D abgestellt, der nicht an der letzten mündlichen Verhandlung am 11. Oktober 1999 teilgenommen gehabt habe. Mit dieser Behauptung wird indes kein Besetzungsmangel dargetan. Ausweislich der auch von den Klägern in Bezug genommenen Sitzungsniederschrift vom 11. Oktober 1999 hat die Richterin am FG B sowohl an der mündlichen Verhandlung teilgenommen als auch nach der geheimen Beratung an der anschließenden Verkündung dieses Urteils. Die Urschrift und die den Beteiligten zugegangenen Ausfertigungen tragen am Schluss die Unterschrift dieser Richterin. Der Prozessvertreter der Kläger ist überdies mit Schreiben des FG vom 6. Dezember 1999 über dieses Kanzleiversehen ausdrücklich informiert worden.
Unter diesen Umständen hätten die Kläger für eine schlüssige Besetzungsrüge Tatsachen vortragen müssen, aus denen sich ergibt, dass an der Beratung des Urteils nicht die Richterin am FG B, sondern der Richter D teilgenommen hat. Daran fehlt es in der Revisionsbegründung.
3. Offenbare Unrichtigkeiten des Rubrums in der Urschrift sind nach § 107 Abs. 1 FGO durch Beschluss des zuständigen Senats beim FG, der das Urteil gefällt hat (vgl. § 107 Abs. 2 Satz 1 FGO), zu berichtigen (vgl. BFH-Beschluss vom 23. August 1989 IV R 44/88, BFH/NV 1990, 306, 307, m.w.N.). Sofern bereits Revision eingelegt worden ist, muss der BFH eine solche offenbare Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils berichtigen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1990, 104). Das insoweit unzutreffende Rubrum konnte daher nicht durch eine bloße Kanzleiberichtigung korrigiert werden (vgl. auch BFH-Beschluss vom 12. Februar 1996 III B 48/95, BFH/NV 1996, 754), sondern nur durch Beschluss des Gerichts bzw. in der Revisionsinstanz durch das Revisionsgericht selbst.
4. Eine Aussetzung des Revisionsverfahrens entsprechend § 74 FGO (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 24. Oktober 1997 V R 53/96, BFH/NV 1998, 346, und vom 11. Februar 1994 III B 127/93, BFHE 173, 14, BStBl II 1994, 658) im Hinblick auf den von den Klägern gegen den am 20. Dezember 1999 erneut bekannt gegebenen Einkommensteuerbescheid für 1994 eingelegten Einspruch ist nicht geboten.
Die Kläger haben keine Zulassungsgründe i.S. von § 116 Abs. 1 FGO substantiiert dargetan. Im Rahmen der Entscheidung über den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für 1994 kann es zu keiner das Revisionsverfahren berührenden abweichenden Sachprüfung kommen. Nach ständiger Rechtsprechung scheidet unter diesen Umständen eine Aussetzung des Rechtsmittelverfahrens aus (vgl. BFH-Urteil vom 20. September 1989 X R 8/86, BFHE 158, 205, BStBl II 1990, 177; BFH-Beschlüsse vom 21. März 1995 VIII R 7/95, BFH/NV 1995, 995, und vom 29. Juli 1993 X B 210/92, BFH/NV 1994, 382).
Fundstellen