Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit im PKH-Verfahren
Leitsatz (NV)
1. Der im Rahmen des PKH-Verfahrens dem Rechtsuchenden abverlangte Einsatz eigenen Vermögens erfaßt Ansprüche gegenüber Dritten nur insoweit, als deren Verwertung zumutbar und in angemessener Zeit möglich ist.
2. Diese Voraussetzungen erfüllen evtl. Ansprüche eines Erwachsenen gegenüber seinen Eltern auf Prozeßkostenvorschuß bei der Prozeßkostenhilfe im finanzgerichtlichen Verfahren nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen.
3. Daß dem Rechtsuchenden im PKH-Verfahren besondere Mitwirkungspflichten auferlegt sind, ändert im finanzgerichtlichen Verfahren nichts daran, daß im übrigen auch insoweit in erster Linie das Gericht zur Sachaufklärung verpflichtet ist.
Normenkette
FGO §§ 132, 142, 155; ZPO §§ 115, 117, 538 ff.; BSHG § 88 Abs. 1; BGB § 1360a Abs. 4, § 1610
Verfahrensgang
Tatbestand
Nachdem der 1952 geborene, zur Zeit arbeitslose Antragsteller, Beschwerdeführer und Kläger (Kläger) für 1989 (ebenso wie auch schon für die Vorjahre) trotz Aufforderung keine Steuererklärungen abgegeben hatte, wurde er für diesen Veranlagungszeitraum vom Antragsgegner, Beschwerdegegner und Beklagten, dem für ihn zuständigen Wohnsitzfinanzamt (FA I) im Wege der Schätzung zur Einkommensteuer herangezogen.
Dabei wurden 60 000 DM als Gewinn aus einer damals vom Kläger betriebenen Gaststätte zugrunde gelegt, die sich aus dem zuvor ebenfalls im Wege der Schätzung ergangenen Feststellungsbescheid des hierfür zuständigen Betriebsfinanzamts (FA II) ergaben.
Der Feststellungsbescheid war am 7. Juli 1992 mit einfachem Brief zur Post gegeben worden, am gleichen Tag wie der Bescheid über die Festsetzung eines Verspätungs zuschlags durch das FA II. Diese Steuer verwaltungsakte hatte der Kläger nicht angefochten, den Verspätungszuschlag fristgerecht bezahlt.
Gegen den am 17. Dezember 1992 vom FA I abgesandten Einkommensteuerbescheid für 1989 legte der Kläger mit Schreiben vom 18. Februar 1993, das am 22. Februar 1993 beim FA I einging, Einspruch ein. Zur Verspätung trug er vor, der Bescheid sei in einen falschen Briefkasten geworfen worden und ihm erst am 21. Januar 1993 zugegangen. Sachlich begehrte er unter Berufung auf die nachgereichte Steuererklärung insbesondere Ansatz eines Gewinns von 28 239 DM und entsprechend niedrigere Steuerfestsetzung.
Das FA I gewährte in seiner Einspruchsentscheidung vom 9. Februar 1994 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, verwarf den Rechtsbehelf aber gleichwohl unter Berufung auf § 351 Abs. 2 der Abgabenordnung 1977 (AO 1977) als unzulässig.
Mit der hiergegen erhobenen Klage erstrebt der Kläger weiterhin Herabsetzung der Einkommensteuerschuld für das Streitjahr und trägt in formeller Hinsicht vor, ein Feststellungsbescheid für 1989 sei ihm nicht zugegangen.
Außerdem stellte der Kläger für diesen Rechtsstreit beim Finanzgericht (FG) den Antrag, ihm unter Beiordnung seines Prozeßbevollmächtigten Prozeßkostenhilfe (PKH) zu gewähren.
Diesen Antrag hat das FG mit der Begründung abgelehnt, der Kläger habe "die Undurchsetzbarkeit eines vorrangigen Anspruchs gegen seine Eltern und/oder seinen Bruder nicht dargetan, geschweige denn glaubhaft gemacht". In Fällen der hier streitigen Art werde eine Prozeßkostenvorschußpflicht auch gegenüber Verwandten in gerader Linie "überwiegend bejaht". Zum Vermögen rechne auch der Anspruch, der dem Kläger nach § 528 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gegenüber seinem Bruder, dem Prozeßbevollmächtigten, zustehe, weil er diesem gemäß notarieller Urkunde vom 6. Oktober 1984 ein Miteigentumsviertel an dem Grundstück X zum damaligen Gegenstandswert von 12 881 DM geschenkt habe und nun außerstande sei, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten.
Mit der gegen diesen Beschluß eingelegten Beschwerde erstrebt der Kläger weiterhin Gewährung von PKH und Beiordnung des Prozeßbevollmächtigten. Zur Begründung macht er vor allem geltend, der vom FG unterstellte Herausgabeanspruch sei -- in absehbarer Zeit jedenfalls -- nicht durchsetzbar, das angebliche Vermögen für ihn, den Kläger, nicht verfügbar und im übrigen die Verweisung auf einen solchen Vermögenswert unter den gegebenen Umständen auch unzumutbar.
Das FA I hält das Rechtsmittel für unbe gründet.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§§ 132, 155 der Finanzgerichtsordnung -- FGO -- i. V. m. §§ 358 bis 540 der Zivilprozeßordnung -- ZPO -- in entsprechender Anwendung; s. Gräber/Ruban, Kommentar zur FGO, 3. Aufl., 1993, § 132 Rz. 10, m. w. N.). Zu Unrecht hat das FG die für die beantragte Gewährung von PKH erforderliche Bedürftigkeit des Klägers verneint. Diese Entscheidung beruht zum Teil auf einem fehlerhaften Verständnis der einschlägigen Gesetzesvorschriften, zum Teil auf unzureichender Sachaufklärung.
Nach § 142 FGO i. V. m. §§ 114 ff. ZPO erhält ein Prozeßbeteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
1. Beizupflichten ist dem FG im Ansatz zwar darin, daß die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Rahmen der §§ 114 ff. ZPO nicht nur nach den wirtschaftlichen Mitteln zu bemessen ist, die der Rechtsuchende selbst besitzt, sondern unter bestimmten Voraussetzungen auch nach solchen, die er sich erst bei Dritten beschaffen muß. Nicht hinreichend beachtet aber hat die Vorinstanz, daß der Einsatz solcher Vermögenswerte gemäß § 142 Abs. 1 FGO i. V. m. § 115 Abs. 2 ZPO in besonderem Maße auf seine Zumutbarkeit und unter Beachtung des § 88 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes auf Verwertbarkeit zu überprüfen ist (s. auch Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 2. April 1996 III B 170/95, BFH/NV 1996, 785) mit der Folge, daß z. B. Forderungen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht tituliert oder nicht realisierbar sind, unberücksichtigt bleiben (s. dazu näher: Gräber, a.a.O., § 142 Rz. 5; Stein/Jonas, Kommentar zur ZPO, 21. Aufl., 1994, § 115 Rdnr. 89 ff.; Zöller, Kommentar zur ZPO, 20. Aufl., 1997, § 115 Rdnr. 58, jeweils m. w. N.).
2. Ein Vermögensgegenstand, den der Kläger in zumutbarer Weise durch Veräußerung oder Beleihung in angemessener Frist zu Geld machen könnte (Stein/Jonas, a.a.O., Rdnr. 89), ist nicht, jedenfalls nicht mit der erforderlichen Sicherheit erkennbar.
a) Zu Unrecht verweist das FG auf einen Anspruch des Klägers gegenüber seinen Eltern auf Prozeßkostenvorschuß: Es ist streitig, ob und inwieweit ein solcher für Ehegatten in § 1360a Abs. 4 BGB ausdrücklich normierter Anspruch auch für (erwachsene) Kinder gegenüber ihren Eltern gegeben ist (s. Palandt, Kommentar zum BGB, 56. Aufl., 1997, § 1610 Rdnr. 33 f.; Stein/Jonas, a.a.O., § 115 Rdnr. 143 ff.; Zöller, a.a.O., § 115 Rdnr. 68, jeweils m. w. N.). Selbst zwischen Ehegatten zählen vermögensrechtliche Streitigkeiten nicht ohne weiteres zu den persönlichen Angelegenheiten i. S. des § 1360a Abs. 4 BGB, sondern nur, wenn es um eine lebenswichtige persönliche Frage geht (Palandt, a.a.O., Rdnr. 34), wenn diese in besonders enger Verbindung zum Ehegatten steht (Stein/Jonas, a.a.O., Rdnr. 145) oder wenn der Rechtsstreit seine Wurzel im familiären Verhältnis hat (Zöller, a.a.O., Rdnr. 68). Als vorrangig zur PKH im finanzgerichtlichen Verfahren ist bislang nur ein (realisierbarer) Anspruch nach § 1360a Abs. 4 BGB angesehen worden (BFH-Beschlüsse vom 10. Februar 1988 IV B 132/85, BFH/NV 1988, 592; vom 24. September 1991 VII B 122/91, BFH/NV 1992, 263; vom 13. Mai 1992 II S 1/92, BFH/NV 1993, 322; Gräber, a.a.O., § 142 Rz. 5, m. w. N.).
Ob und inwieweit dies im Steuerprozeß auch für Verwandte in gerader Linie (§ 1601 BGB) gilt, braucht hier nicht generell entschieden zu werden: Zumutbar i. S. von § 142 Abs. 1 FGO i. V. m. § 115 Abs. 2 ZPO jedenfalls ist der Einsatz eines solchen Vermögenswertes für einen volljährigen Rechtsuchenden gegenüber seinen Eltern außerhalb der Ausbildung nur, wenn der streitige abgabenrechtliche Anspruch das familienrechtliche Verhältnis berührt, das dem Unterhaltsanspruch zugrunde liegt. Daran fehlt es im Streitfall.
b) Inwieweit der vom FG in diesem Zusammenhang außerdem angenommene Anspruch aus § 528 Abs. 1 BGB gegen den Bruder in absehbarer Zeit realisierbar und ob seine Durchsetzung dem Kläger zumutbar ist, hat das FG nicht geprüft. Es trifft zwar zu, daß den Antragsteller im PKH- Verfahren verstärkte Mitwirkungspflichten treffen (§ 117 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 ZPO; BFH-Beschlüsse vom 7. Juni 1996 X S 7/96, und vom 16. Juli 1996 VII S 15/96, BFH/NV 1996, 848 und 849; weitere Nachweise bei Gräber, a.a.O., § 142 Rz. 14). Das ändert aber nichts daran, daß auch in diesem Verfahren der Untersuchungsgrundsatz gilt (Gräber, a.a.O., Rz. 18; BFH-Beschluß vom 28. November 1990 VII B 126/90, BFH/NV 1991, 549, 550). Das FG hätte also -- auch zur Wahrung rechtlichen Gehörs (vgl. Beschluß in BFH/NV 1991, 549, m. w. N.) -- die Realisierbarkeit des Rückforderungsanspruchs prüfen und (unter Mitwirkung des Klägers) aufklären müssen.
Dies wird nun im zweiten Rechtsgang nachzuholen sein (dazu generell: Gräber, a.a.O., § 132 Rz. 10; speziell für das PKH-Verfahren: BFH-Beschluß vom 11. April 1990 I B 75/89, BFH/NV 1991, 109), sofern die Entscheidung weiterhin maßgeblich auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers gestützt werden soll.
Fundstellen