Entscheidungsstichwort (Thema)
Anscheinsbeweis
Leitsatz (NV)
Ob ein steuerlicher Sachverhalt nach den Grundsätzen für den Anscheinsbeweis aufklärbar ist, ergeben die Besonderheiten des Einzelfalls. Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung ergeben sich deswegen regelmäßig nicht.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 1, § 115 Abs. 2
Tatbestand
I. Nach einer Außenprüfung erhöhte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) in den angefochtenen Umsatzsteueränderungsbescheiden für 1984 bis 1987 die gegen den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) festgesetzte Umsatzsteuer, weil er Umsatzsteuerkürzungsansprüche nach §1 a des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) nicht mehr berücksichtigte. Das FA vertrat aufgrund ausgewerteten Kontrollmaterials die Auffassung, der Kläger, der ein Unternehmen in Berlin (West) betrieben hatte, habe die Voraussetzungen für die Kürzungsansprüche nicht erfüllt. So habe er in Berlin (West) hergestellte Gegenstände nicht -- wie vorausgesetzt -- in eine westdeutsche Betriebsstätte zwecks gewerblicher Verwendung verbracht. Der Kläger habe zwar bei der Zweigniederlassung der Spedition A in B eine Lagerfläche gemietet. Er habe sie aber nicht als Betriebsstätte genutzt, weil der Vermieter sie nicht habe freizuhalten brauchen. Außerdem sei keine gewerbliche Verwendung erkennbar, weil die an die Niederlassung der Spedition verbrachten Sendungen diese bereits am Tage ihres Eingangs wieder verlassen hätten.
Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen nach erfolgloser Durchführung des Einspruchsverfahrens gerichtete Klage ab. Zur Begründung der Klageabweisung führte es u. a. aus, der Kläger habe das Gericht nicht davon überzeugen können, daß die Voraussetzungen für die Kürzungsansprüche erfüllt worden seien. So habe er in Berlin (West) selbst hergestellte Gegenstände nicht in eine westdeutsche Betriebsstätte zwecks gewerblicher Verwendung verbracht.
Das FG stellte für diese Auffassung nicht auf die vertraglichen Beziehungen des Klägers zur Spedition A, sondern auf das Ergebnis der Beweisaufnahme ab. Diese habe zur Überzeugung des Gerichts ergeben, daß der Kläger im Streitjahr in B keine Betriebsstätte unterhalten habe. Die von ihm aufgebotenen, mit der Bearbeitung der Transporte betrauten Sachbearbeiter hätten als Zeugen keine Erinnerung an eine Fläche für eine Betriebsstätte gehabt und seien auch nur am Beginn und Ende der Streitjahre kurzfristig für die Aufträge des Klägers zuständig gewesen. Die nicht unmittelbar mit der Bearbeitung der Transporte betrauten Führungskräfte der Spedition hätten sich bei ihren Aussagen mehr von den vertraglichen Vereinbarungen mit dem Kläger als von den tatsächlichen Verhältnissen leiten lassen. Die Sachbearbeiter, die die Aufträge des Klägers während des größten Teils des Streitzeitraums abgewickelt hätten, seien als Zeugen nicht "greifbar" gewesen.
Das FG führte weiter aus, selbst wenn es zugunsten des Klägers von dem Vorhandensein einer Betriebsstätte ausgehe, seien die begehrten Umsatzsteuervergünstigungen zu versagen, weil jedenfalls eine betriebliche Verwendung der vom Kläger in Berlin (West) hergestellten Ware nicht erkennbar gewesen sei.
Insofern war für das FG maßgebend, daß der Kläger keine Arbeitnehmer in B beschäftigt habe, was wegen des geringen Entgelts ausgeschlossen sei, und daß die Spedition keine über den üblichen Rahmen eines solchen Betriebes hinausgehenden Tätigkeiten entfaltet habe. Die dem widersprechende Darstellung werde durch die Führung eines Betriebsstättenbuches nicht bewiesen. Das Betriebsstättenbuch habe nur dem Nachweis des Verbringens von Ware nach B zwecks Inanspruchnahme einer Steuervergünstigung gedient. Die Spedition habe den Versand von Ware nach ... nicht als Beauftragter des Klägers innerhalb einer etwaigen westdeutschen Betriebsstätte, sondern als Speditionsunternehmer durchgeführt.
Mit der Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision.
Die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) sei geboten, um zu entscheiden, ob der Grundsatz, daß den Steuerpflichtigen die volle objektive Beweislast für steuermindernde Tatsachen treffe, "auch außerhalb von speziellen steuerrechtlichen Vorschriften durch die Grundsätze des Prima-facie-Beweises abgewandelt werden" könne. Es sei im Interesse der Rechtssicherheit zu klären, ob der Steuerpflichtige sich in solchen Fällen auf die grundsätzliche Beweiskraft der den Sachverhalt bestätigenden Dokumente verlassen dürfe, weil die Grundsätze des Prima-facie- Beweises anwendbar seien, oder ob er sich zusätzlich durch zeitgerechte schriftliche Erklärungen der in Betracht kommenden Zeugen absichern müsse.
Die Revision sei außerdem wegen Verfahrensfehlern zuzulassen, auf denen das Urteil beruhen könne (§115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), weil das FG der angefochtenen Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt habe. Das FG habe die vertraglichen Beziehungen zwischen ihm, dem Kläger, und der Spedition A ausdrücklich außer Betracht gelassen und das Betriebsstättenbuch und die Lieferanweisungen nicht erwähnt.
Das FG habe den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt und dadurch gegen §76 FGO verstoßen, weil es sich nicht um Zeugen bemüht habe, die konkret mit der Abwicklung der Aufträge des Klägers in B während des größten Teils des Streitzeitraums beschäftigt waren. Mit der an ihn, den Kläger, gerichteten Aufklärungsverfügung, "weitere Zeugen mit Beweisthema zu benennen", habe das FG seine Aufklärungspflicht nicht erfüllt.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Für die Beschwerdeentscheidung, bei der nur die innerhalb der Beschwerdefrist vorgebrachten Gründe für die Zulassung der Revision berücksichtigt werden können, kann dahinstehen, ob die Rügen den Anforderungen (§115 Abs. 3 Satz 3 FGO) genügen.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) hat eine Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, wenn eine für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BFH-Beschlüsse vom 31. August 1994 II B 68/94, BFH/NV 1995, 240; vom 27. Juni 1985 I B 27/85, BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625). Eine grundsätzliche Bedeutung kommt nur Rechtsfragen zu, die sich nicht in der Entscheidung des konkreten Einzelfalls erschöpfen, sondern für eine Vielzahl gleichartiger Fälle richtungweisend sind.
Die von dem Kläger gestellte Frage genügt diesen Anforderungen nicht. Ob sich ein Steuerpflichtiger für den Nachweis von steuermindernden Sachverhalten auf die grundsätzliche Beweiskraft der den Sachverhalt bestätigenden Dokumente verlassen darf, weil die Grundsätze des Prima-facie- Beweises anwendbar sind, oder ob er sich zusätzlich durch zeitgerechte schriftliche Erklärungen der in Betracht kommenden Zeugen absichern muß, ist nicht abstrakt, sondern nur in jedem Einzelfall klärbar. Das ergibt sich schon daraus, daß sowohl der Sachverhalt als auch die ihn bestätigenden Dokumente, aus denen sich ein Prima-facie-Beweis ergeben soll, in jedem Streitfall unterschiedlich sein können. Von der jeweiligen Eigenart des Sachverhalts hängt der Erfahrungssatz ab, der beim Prima-facie- Beweis die volle Überzeugung des Gerichts vom Vorhandensein eines typischen Geschehensablaufs begründen kann (vgl. dazu Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §96 Rz. 17; Völlmeke, Deutsches Steuerrecht 1996, 1070, jeweils m. w. N.).
2. Die Revision ist im Streitfall auch nicht wegen Verfahrensmängeln i. S. von §115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen. Bei der Prüfung, ob und wodurch das FG das Verfahren vorschriftswidrig durchgeführt hat, ist von der sachlich-rechtlichen Auffassung des FG auszugehen (ständige Rechtsprechung des BFH, z. B. Beschluß vom 27. Januar 1997 V B 83/96, BFH/NV 1997, 766, m. w. N.). Somit ist auch für die Frage, ob und welche Tatsachen das FG von Amts wegen aufklären (§76 Abs. 1 Satz 1 FGO) und welche es bei der Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens berücksichtigen (§96 Abs. 1 FGO) muß, um den Streitfall zu entscheiden, die Rechtsauffassung des FG über das materielle Recht maßgebend.
a) Soweit der Kläger Verletzung der Amtsermittlungspflicht durch das FG rügt (§76 Abs. 1 Satz 1 FGO), hätte er innerhalb der Beschwerdefrist darlegen müssen, welche Tatsache aufklärungsbedürftig gewesen ist, welche Beweismittel zu welchen Beweisthemen das FG nicht ausgeschöpft hat, weshalb er nicht selbst eine entsprechende Beweiserhebung beantragt hat oder weshalb sich dem FG die Beweiserhebung ohne einen entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluß vom 28. Juli 1997 VIII B 68/96, BFH/NV 1998, 29, m. w. N.).
Entsprechende Darlegungen enthält die Beschwerdeschrift des Klägers nicht. Er benennt weder Zeugen, die das FG hätte vernehmen müssen, noch gibt er den Inhalt der von ihnen erwarteten Aussagen an und klärt auch nicht darüber auf, weshalb der Zeugenbeweis nicht schon während der vom FG gesetzten Ausschlußfrist angetreten worden ist.
b) Ein Verfahrensmangel durch Verletzung von §96 Abs. 1 Satz 1 FGO infolge unvollständiger Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens scheidet aus, weil das FG entgegen den Darlegungen in der Beschwerdeschrift die Vereinbarungen mit der Spedition A daraufhin gewürdigt hat, ob sie auch verwirklicht worden sind. Es hat ihnen aufgrund der weiteren Beweisaufnahme für die rechtserheblichen Tatsachenbehauptungen ebensowenig Beweiswert zugemessen wie dem als nicht aussagekräftig beurteilten Betriebsstättenbuch. Wie die angeblich nicht ausgewerteten Verkaufsaufträge der Betriebsstätte beschaffen waren, wer sie für den Kläger ausgeführt hat und weshalb dies für die Entscheidung des FG, nach dessen maßgeblicher Rechtsansicht schon eine Betriebsstätte nicht hatte festgestellt werden können, von Bedeutung hätte sein können, wird in der Beschwerdeschrift nicht bezeichnet (vgl. zu den Anforderungen an die Bezeichnung von Verfahrensmängeln z. B. BFH-Beschlüsse vom 26. April 1996 III B 1/96, BFH/NV 1996, 831; vom 21. März 1996 XI B 64/95, BFH/NV 1996, 695).
Fundstellen
Haufe-Index 67543 |
BFH/NV 1998, 1109 |