Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftungsinanspruchnahme eines Steuerfachgehilfen
Leitsatz (NV)
1. Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass eine Haftungsinanspruchnahme nach den §§ 191, 71 AO auch ohne nähere Darlegung der Ermessenserwägungen im Haftungsbescheid oder in der Einspruchsentscheidung als ermessensgerecht nach § 102 FGO anzusehen ist, so dass diese Rechtsfrage in einem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsbedürftig ist.
2. Die Entscheidung, für den Gehilfenvorsatz sei der bedingte Vorsatz ausreichend, der Wissen und Wollen der Verwirklichung der Straftat voraussetze, steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH, so dass sich daraus keine Divergenz ableiten lässt.
3. Die Rüge einer fehlerhaften Tatsachen- und Beweiswürdigung trägt den Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht.
4. Wird ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht damit begründet, dass das FG den Sachverhalt auch ohne entsprechenden Beweisantritt hätte erforschen müssen, sind Ausführungen dazu erforderlich, welche Beweise das FG von Amts wegen hätte erheben müssen, aus welchen Gründen sich ihm die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen und inwiefern diese Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung des Rechtsstreits hätte führen können.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 116 Abs. 3 S. 3, §§ 102, 76 Abs. 1 S. 1, § 96 Abs. 1 S. 1; AO §§ 71, 191 Abs. 1 S. 1, § 370; StGB § 27
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betreute als angestellter Steuerfachgehilfe einer Steuerberatungs-GmbH (N) die steuerlichen Angelegenheiten einer von zwei Brüdern gegründeten Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die ein Speiselokal betrieben. In einem Zeitraum von ca. zwei bis drei Monaten suchte der Kläger das Speiselokal regelmäßig auf, um sich dort die Buchungsunterlagen der GbR zur weiteren Bearbeitung bei seinem Arbeitgeber abzuholen. Im Rahmen einer Betriebsprüfung bei der GbR stellte der Betriebsprüfer fest, dass erhebliche Teile der Warenlieferungen und der Betriebseinnahmen in den Büchern nicht erfasst worden waren. Die Brüder gaben an, die buchmäßige Erfassung habe man dem Kläger als Mitarbeiter der N übertragen.
In ihren Vernehmungen durch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung gaben die Brüder an, sie hätten sich mit dem Kläger darauf geeinigt, dass der Kläger die Einnahmen schätzte und aufschrieb. Die in den ersten zwei Jahren der Geschäftstätigkeit gefertigten Aufzeichnungen über Einnahmen hätten sie dem Kläger nicht zur Verfügung gestellt.
Die Brüder wurden durch Urteil des Amtsgerichts wegen gemeinschaftlich begangener Steuerhinterziehung rechtskräftig verurteilt. Gegen den Kläger erging durch das Gericht ein Strafbefehl wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung.
Mit Bescheid vom … nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den Kläger für Umsatzsteuerrückstände in den Jahren 1991 bis 1994 und Hinterziehungszinsen zur Umsatzsteuer von 1990 bis 1994 nach § 71 der Abgabenordnung (AO) in Haftung.
Der Einspruch führte zur Herabsetzung des Haftungsbetrags, da die Brüder bereits Zahlungen auf die Steuerschulden geleistet hatten. Im Übrigen blieb der Einspruch ohne Erfolg. Die dagegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab.
Das FG urteilte, das FA habe den Kläger zu Recht nach § 191 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 71 AO durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen.
Die Voraussetzungen der Haftungsinanspruchnahme hätten vorgelegen, da der Kläger an der von den beiden Brüdern begangenen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) teilgenommen habe. Die Erklärung von Umsätzen gegenüber dem FA, die nicht auf ordnungsgemäßen Einnahmeaufzeichnungen beruhten und damit nicht zutreffend sein konnten, erfüllten in der Person des Klägers, der für die Betreuung des Mandats der Brüder hauptsächlich zuständig gewesen sei, objektiv den Tatbestand der Beihilfe nach § 27 des Strafgesetzbuchs (StGB). Der Kläger habe dadurch, dass er entweder die Aufzeichnungen über die Umsätze unter Hochrechnung des Wareneinkaufs selbst fertigte oder von den Brüdern geschätzte Umsätze trotz des ihm bekannten Umstands, dass ordnungsgemäße Einnahmeaufzeichnungen nicht vorlagen, in die Umsatzsteuer-Voranmeldungen und Umsatzsteuer-Erklärungen übernommen habe, die Hinterziehung von Umsatzsteuer durch die Brüder objektiv gefördert. Der Kläger habe auch subjektiv den Tatbestand der Beihilfe gemäß § 27 StGB erfüllt, denn er habe vorsätzlich den Brüdern zu deren vorsätzlich begangener Steuerhinterziehung Hilfe geleistet. Zumindest habe der Kläger billigend in Kauf genommen, dass die Umsatzsteuer, soweit die Umsätze mit dem belegten Wareneinsatz getätigt waren, nicht in der zutreffenden Höhe festgesetzt worden seien.
Die vom Kläger begangene Pflichtverletzung sei auch kausal für den Ausfall der Umsatzsteuer, die dem Haftungsbescheid in Form der Einspruchsentscheidung zugrunde gelegt worden sei. Der Kläger könne sich nicht auf den haftungsbegrenzenden Grundsatz der anteiligen Tilgung der Umsatzsteuer berufen. Obwohl dieser Grundsatz auch im Rahmen der Haftung nach § 71 AO wegen Steuerhinterziehung Anwendung finde, lägen die Voraussetzungen im Streitfall nicht vor. Würden dem FA durch die schuldhafte Pflichtverletzung Vollstreckungsmöglichkeiten genommen, so komme der Grundsatz der anteiligen Haftung nicht zur Anwendung. Ein haftungsbegründender ursächlicher Zusammenhang zwischen der Verletzung der Steuererklärungspflichten und dem eingetretenen Steuerausfall könne auch dadurch begründet werden, dass durch eine unrichtige Steuererklärung eine aussichtsreiche Vollstreckungsmöglichkeit des FA vereitelt worden sei.
Die Haftungsinanspruchnahme des Klägers sei auch frei von Ermessensfehlern. Im Falle der Beihilfe zur Steuerhinterziehung sei die Vorprägung der Ermessensentscheidung nicht nur für die Inanspruchnahme dem Grunde nach, sondern auch für die Inanspruchnahme der Höhe nach gegeben. Deshalb sei es nicht zu beanstanden, dass der Kläger, obwohl ihm der Steuervorteil nicht zu Gute gekommen sei, trotzdem in voller Höhe als Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden sei.
Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das FG wendet sich der Kläger mit seiner auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) sowie der Rüge eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) gestützten Beschwerde.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe z.T. nicht schlüssig dargelegt sind, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO fordert, jedenfalls aber nicht vorliegen.
1. Soweit die Beschwerde sinngemäß formuliert, es sei fraglich, ob bei der Verwirklichung des § 71 AO die von der Finanzbehörde zu treffende Ermessensentscheidung in jedem Fall dem Grunde und der Höhe nach vorgeprägt sei oder ob in Fällen fehlender Nähebeziehung zwischen Gehilfe und Haupttäter nicht zumindest bei der Höhe der Inanspruchnahme die Relation des durch die Beihilfe entstandenen Steuerschadens zu dem Grad des Verschuldens des Gehilfen sowie auch ein fehlender wirtschaftlicher Vorteil des Gehilfen zu würdigen seien, ergibt sich daraus keine klärungsbedürftige Rechtsfrage i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
Der Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO setzt voraus, dass die Rechtsfrage im angestrebten Revisionsverfahren geklärt werden kann und auch klärungsbedürftig ist (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12. Dezember 2001 III B 103/01, BFH/NV 2002, 652). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtslage gesetzlich klar geregelt ist oder auf den Sachverhalt durch die Rechtsprechung geklärte Rechtsgrundsätze anzuwenden und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute höchstrichterliche Prüfung und Entscheidung der Frage geboten erscheinen lassen (Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2002 VII B 306/01, BFH/NV 2003, 208). So liegt der Fall hier.
Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass bei einer vorsätzlichen Beihilfe zur Steuerhinterziehung eine Haftungsinanspruchnahme nach den §§ 191, 71 AO auch ohne nähere Darlegung der Ermessenserwägungen im Haftungsbescheid oder in der Einspruchsentscheidung als ermessensgerecht nach § 102 FGO anzusehen ist (Senatsurteil vom 26. Februar 1991 VII R 3/90, BFH/NV 1991, 504; BFH-Urteil vom 8. September 2004 XI R 1/03, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2005, 293); die Vorprägung der Ermessensentscheidung im Falle einer vorsätzlichen Steuerverkürzung oder einer Beihilfe ist nicht nur für die Inanspruchnahme dem Grunde nach, sondern auch für die Inanspruchnahme der Höhe nach gegeben. Im Rahmen der Betätigung des Auswahl- und Entschließungsermessens besteht danach --insbesondere im Hinblick auf den Schadensersatzcharakter der Haftungsnormen-- kein Grund, Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die sich aus der Größenordnung der Haftungsschuld im Vergleich zu den finanziellen Möglichkeiten des Haftungsschuldners ergeben (Senatsbeschluss vom 29. August 2001 VII B 54/01, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2002, 55, mit weiteren umfassenden Nachweisen). Der Kläger hat keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen, und solche sind für den Senat auch nicht erkennbar, die eine erneute höchstrichterliche Prüfung und Entscheidung der Frage geboten erscheinen lassen.
2. Auch hat der Kläger nicht dargelegt, dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) eine Entscheidung des BFH erfordert. Wird eine Divergenz gerügt, ist das Aktenzeichen oder die Fundstelle der Divergenzentscheidung anzugeben, von der die Entscheidung des FG angeblich abweichen soll. Außerdem sind die tragenden abstrakten Rechtssätze aus dem Urteil des FG und aus der angeblich abweichenden Entscheidung so genau zu bezeichnen, dass eine Abweichung erkennbar wird (BFH-Beschluss vom 27. Mai 2005 III B 5/05, BFH/NV 2005, 1758).
Soweit die Beschwerde eine Divergenz behauptet, weil es das FG für die Verwirklichung des subjektiven Tatbestandes des § 27 StGB habe ausreichen lassen, dass der Gehilfe die Begehung einer Haupttat lediglich für möglich halte, während der Bundesgerichtshof (BGH) ein sicheres Wissen des Gehilfen hinsichtlich der Haupttat fordere, liegt diese nicht vor. Die Annahme, das FG lasse es für die Verwirklichung des subjektiven Tatbestandes ausreichen, dass der Gehilfe die Begehung der Haupttat nur für möglich halte, trifft nicht zu. Das FG hat zum Maßstab des Gehilfenvorsatzes ausdrücklich den bedingten Vorsatz erklärt, der Wissen und Wollen der Verwirklichung der Straftat voraussetzt (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 1998 V R 54/97, BFHE 185, 351, BStBl II 1998, 466). Dass der Gehilfe die Haupttat bloß für möglich hält, reicht nach Ansicht des FG gerade nicht für die Verwirklichung des subjektiven Tatbestandes aus. Im Übrigen hat das FG den vom BGH in seinem Urteil vom 1. August 2000 5 StR 624/99 (BStBl II 2001, 79) aufgestellten Rechtssatz ausdrücklich in seiner Begründung in Bezug genommen und damit eine abweichende Rechtsansicht nicht erkennen lassen.
3. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers des FG gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen. Der Kläger hat zwar gerügt, das FG habe seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis der Verhandlung zugrunde gelegt (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das Vorbringen des Klägers trägt den gerügten Verfahrensverstoß jedoch nicht, da das FG, was die Erstellung der Kassenaufzeichnungen durch den Kläger selbst angeht, insoweit ausdrücklich von einer sog. Wahlfeststellung ausgeht. Mit dem Vorbringen, die Schlussfolgerungen des FG seien mit dem Akteninhalt und dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht vereinbar, rügt die Beschwerde damit im Grunde lediglich eine fehlerhafte Tatsachen- und Beweiswürdigung durch das FG, die grundsätzlich dem materiellen Recht zuzuordnen ist (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 19. Juni 2002 IX B 74/01, BFH/NV 2002, 1331; vom 3. Dezember 2003 VI B 17/01, BFH/NV 2004, 338; vom 18. Mai 2005 VIII B 11/04, BFH/NV 2005, 1810, jeweils m.w.N.).
Die von der Beschwerde gerügte fehlerhafte Tatsachen- und Beweiswürdigung stellt auch keinen offensichtlichen Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung dar, der zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO die Zulassung der Revision erfordern würde (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 14. Februar 2002 VII B 141/01, BFH/NV 2002, 798, und vom 28. Juni 2002 III B 28/02, BFH/NV 2002, 1474, jeweils m.w.N.).
4. Auch ein Verfahrensfehler, auf dem das angefochtene Urteil des FG beruhen könnte (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), weil das FG den Sachverhalt nicht hinreichend erforscht habe, ist nicht schlüssig dargelegt (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO). Zwar rügt der Kläger, das FG habe bei der Feststellung, wer die Kassenbücher bzw. Kassenbelege erstellt habe, die Kassenbücher --soweit sie vorhanden waren-- nicht als Beweismittel herangezogen, sondern die Annahme, sie seien vom Kläger erstellt worden, lediglich auf Zeugenaussagen gestützt. Ein Verstoß gegen die Amtsaufklärungspflicht ergibt sich daraus indessen noch nicht.
Gründet sich der behauptete Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht darauf, dass das FG auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen den Sachverhalt weiter hätte aufklären müssen, so sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH Ausführungen dazu erforderlich, welche Beweise das FG von Amts wegen hätte erheben müssen, aus welchen Gründen sich ihm die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen und inwiefern diese Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung des Rechtsstreits hätte führen können (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 12. Juli 2005 X B 104/04, BFH/NV 2005, 1860; vom 18. Oktober 2005 X B 51/05, BFH/NV 2006, 116; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 120 Rz 70). Das Vorbringen des Klägers wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit weitere Nachforschungen, ob und wo Kassenbelege vorhanden gewesen wären, das FG unter Berücksichtigung seines materiell-rechtlichen Standpunkts zu einer anderen Entscheidung in der Sache hätte veranlassen können. Der Kläger hat auch nicht --was geboten gewesen wäre (BFH-Beschluss vom 6. Februar 2007 X B 89/06, BFH/NV 2007, 958)-- dargelegt, weshalb er einen entsprechenden Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung unterlassen hat.
Fundstellen