Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollstreckungsgegenklage im abgabenrechtlichen Vollstreckungsverfahren
Leitsatz (NV)
1. Im steuerlichen Vollstreckungsverfahren ist eine Vollstreckungsgegenklage i. S. v. § 769 ZPO nicht zulässig.
2. Die abgabenrechtlichen Vollstreckungsvorschriften in §§ 249 ff. AO 1977 schließen die Anwendung der Vorschriften des Vollstreckungsrechts der ZPO auf das steuerliche Beitreibungsverfahren aus, soweit sie eine eigene Regelung getroffen haben.
Normenkette
AO 1977 § 249ff; ZPO § 769
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) beantragte am 10. Juli 1987 beim Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) nach einer Ankündigung der Vollstreckung, diese gemäß § 258 der Abgabenordnung (AO 1977) einzustellen. Der Vorsteher des FA antwortete dem Antragsteller mit Schreiben vom 4. September 1987, in dem er auf die Steuerrückstände des Antragstellers einging und erneut die Vollstreckung ankündigte.
Daraufhin erhob der Antragsteller am 6. Oktober 1987 vor dem Finanzgericht (FG) Klage mit dem Antrag, festzustellen, daß die Vollstreckung wegen Einkommensteuer-Vorauszahlung III/1983 und IV/1983 sowie Umsatzsteuer 1978 und 1980 unzulässig sei. Gleichzeitig beantragte der Antragsteller, die Vollziehung auszusetzen. Auf eine schriftliche Anfrage des Berichterstatters beim FG, welche Verwaltungsakte von der Vollziehung ausgesetzt werden sollten, antwortete der Antragsteller nicht.
Daraufhin lehnte das FG den Antrag mit der Begründung ab, es komme nur ein Antrag auf Aufschub der Vollstreckung gemäß § 258 AO 1977 im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 114 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in Betracht. Gehe man zugunsten des Antragstellers davon aus, daß eine Umdeutung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung in einen solchen auf einstweilige Anordnung zulässig sei, so könne der Antrag keinen Erfolg haben, weil der Antragsteller keinen nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO erforderlichen Anordnungsgrund dargelegt habe.
Mit seiner Beschwerde - der das FG nicht abgeholfen hat - trägt der Antragsteller vor: Er habe die Anfrage des FG nicht beantwortet, weil er davon ausgegangen sei, das FG werde die Verwaltungsvorgänge beiziehen. Wie sein Antrag aufgefaßt werde, sei ihm letztlich gleichgültig, soweit er nur zu dem angestrebten Erfolg führe. Ein Anordnungsgrund liege entgegen der Ansicht des FG vor. Das FA habe die Vollstreckung angekündigt. Die streitigen Beträge seien aber bereits von ihm bezahlt worden. Eine Vollstreckung wegen dieser Beträge würde ihm die Verwirklichung seiner Rechte wesentlich erschweren. Sollte dem Antrag nicht stattgegeben werden, müsse er die Vollstreckung dulden. Das sei wegen seines Berufes besonders schädigend. Auch müsse er anschließend wegen der Rückzahlung jahrelang prozessieren. Der Beschluß des FG sei auch formell fehlerhaft. Nach § 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 921 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) könne das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Daß dies geschehen solle, habe ihm das FG aber nicht mitgeteilt. Ihm sei somit kein rechtliches Gehör gewährt worden. Darüber hinaus sei die einstweilige Anordnung nicht nach § 114 FGO, sondern nach § 150 FGO i. V. m. §§ 767, 769 ZPO zu erlassen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Es erscheint fraglich, ob die vom FG vorgenommene Umdeutung des ausdrücklichen Antrags auf Aussetzung der Vollziehung zulässig war. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (vgl. Beschlüsse vom 26. März 1985 III B 52/84, BFH/NV 1986, 32, 33, und vom 24. September 1970 II B 28/70, BFHE 100, 83, BStBl II 1970, 813) kann ein Begehren, das von einem sachkundigen Prozeßbevollmächtigten ausdrücklich als Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bezeichnet worden ist, nicht in einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung umgedeutet werden. Das muß auch dann gelten, wenn ein sachverständiger Steuerpflichtiger (Steuerberater, Rechtsanwalt) in eigener Sache einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stellt. Letztlich braucht der Senat die Frage aber nicht zu entscheiden, weil das Begehren des Antragstellers sowohl als Antrag auf Aussetzung der Vollziehung als auch als Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg haben kann.
1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache unter sinngemäßer Anwendung des Abs. 2 Sätze 2 bis 4 dieser Vorschrift die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen. Ein angefochtener Verwaltungsakt liegt jedoch im Streitfall nicht vor.
Daß sich der Antragsteller gegen die Rechtmäßigkeit der den Steuerforderungen zugrundeliegenden Steuerbescheide wendet, ist nicht ersichtlich. Die Ankündigung der Vollstreckung im Schreiben des Vorstehers des FA vom 4. September 1987, aufgrund derer der Antragsteller seine Klage und seinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim FG anhängig machte, ist kein Verwaltungsakt, sondern lediglich eine aus Gründen der Zweckmäßigkeit nach außen gerichtete Bekanntmachung einer verwaltungsinternen Maßnahme (Abschn. 22 Abs. 5 der Vollstreckungsanweisung vom 13. März 1980, BStBl I 1980, 112 i. d. F. vom 19. März 1987, BStBl I 1987, 370; Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., Stand Januar 1985, § 249 AO 1977 Rdnr. 6).
2. Soweit der Antragsteller sein Begehren auf § 769 ZPO stützt, kann er ebenfalls keinen Erfolg haben. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht auf Antrag anordnen, daß bis zum Erlaß des Urteils auf die nach § 767 ZPO erhobene Vollstreckungsgegenklage die Zwangsvollstreckung eingestellt wird. Im steuerlichen Vollstreckungsverfahren ist jedoch eine Vollstreckungsgegenklage i. S. von § 767 ZPO nicht zulässig (Beschluß des Senats vom 21. April 1971 VII B 106/69, BFHE 102, 446, BStBl II 1971, 702).
Die Vollstreckung von abgabenrechtlichen Verwaltungsakten richtet sich nach §§ 249 ff. AO 1977. Diese Vorschriften schließen die Anwendung der Vorschriften des Vollstreckungsrechts der ZPO auf das steuerliche Beitreibungsverfahren aus, soweit sie eine eigene Regelung getroffen haben. Im Steuerrecht wird die Vollziehung der Abgabenerhebung nicht durch die Einlegung eines Rechtsbehelfs gehemmt (§ 361 AO 1977; § 69 FGO). Nach § 251 Abs. 1 AO 1977 können Verwaltungsakte immer vollstreckt werden, soweit nicht ihre Vollziehung ausgesetzt oder die Vollziehung durch Einlegung eines Rechtsbehelfs gehemmt ist. Die Vollstreckung ist nur unter den Voraussetzungen des § 257 Abs. 1 AO 1977 einzustellen oder zu beschränken. Das jedoch bedeutet, daß § 767 ZPO im steuerrechtlichen Vollstreckungsverfahren nach der AO 1977 nicht anwendbar sein kann.
3. Faßt man den Antrag des Antragstellers mit dem FG als Antrag nach § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO auf, so kann dieses Begehren nur auf den Aufschub der Vollstreckung nach § 258 AO 1977 gerichtet sein. Ein solcher Antrag ist zulässig, denn drohende Vollstreckungsmaßnahmen, die sich - wie im Streitfall - noch nicht in Form eines aussetzungsfähigen (Vollstreckungs-)Verwaltungsakts konkretisiert haben, können unter den Voraussetzungen des § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO durch eine einstweilige Anordnung abgewendet werden (Koch/Szymczak, Abgabenordnung, 3. Aufl., 1986, § 256 Rdnr. 18; Tipke/Kruse, a. a. O., 12. Aufl., 1987, § 258 AO 1977 Rdnr. 4, jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen). Diese Vorschrift setzt neben dem Anordnungsanspruch einen Anordnungsgrund voraus. Dabei ist zu beachten, daß die in § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO genannten Gründe Maßstäbe für die Beurteilung der Frage setzen, ob ein Anordnungsgrund vorliegt (BFH-Beschlüsse vom 4. Juli 1986 VII B 42/86, BFH/NV 1987, 39, und vom 30. Juli 1986 V B 31/86, BFH/NV 1987, 42). Danach kommt eine einstweilige Anordnung grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen bedroht ist (BFH-Beschlüsse vom 12. April 1984 VIII B 115/82, BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492, und vom 17. Januar 1985 IV B 106/84, BFH/NV 1986, 219). In jedem Fall müssen die den Anordnungsgrund rechtfertigenden Umstände über die Nachteile hinausgehen, die im Regelfall bei einer Vollstreckung zu erwarten sind.
Derartige Gründe sind im Streitfall nicht ersichtlich. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, daß eine Vollstreckung wegen der fraglichen Steuerbeträge von insgesamt 5 970,52 DM der Existenzvernichtung vergleichbare Nachteile für ihn bringt. Eine Schädigung seines Berufs, die der Antragsteller als Folge einer Vollstreckung geltend macht, kann zumindest nicht ohne weiteres als ein solcher Nachteil angesehen werden. Die Belastungen infolge von Prozessen, auf die der Antragsteller sich beruft, gehören grundsätzlich nicht zu den Nachteilen der genannten Art. Im übrigen ist nicht ersichtlich, daß die vom Antragsteller angeführte Rufschädigung durch die Vollstreckung auch tatsächlich eintritt. Darüber hinaus stehen dem Antragsteller gegen die vom FA vorgenommenen einzelnen Vollstreckungshandlungen wiederum ausreichende Rechtsbehelfe (Beschwerde, Aussetzung der Vollziehung) zu, mit denen er einer Zahlung der streitigen Beträge im Vollstreckungswege entgegentreten kann.
4. Die Beschwerde kann auch nicht erfolgreich darauf gestützt werden, daß das FG den Antragsteller vorher nicht dazu gehört hat, daß ohne mündliche Verhandlung entschieden werden sollte. Eine Verletzung des Grundsatzes auf rechtliches Gehör kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Antragsteller noch im Beschwerdeverfahren die Möglichkeit hatte, sich Gehör zu verschaffen.
Im übrigen kann nach § 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 921 Abs. 1 ZPO die Entscheidung über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ohne mündliche Verhandlung ergehen. Das Gericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen darüber, ob eine mündliche Verhandlung stattfinden soll (Hartmann in Baumbach/ Lauterbach/Albers, Zivilprozeßordnung, 46. Aufl., 1988, § 921 Anm. 1; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 3. Aufl., 1986, S. 99, Rdnr. 272). Diese Entscheidung ist eine prozeßleitende Verfügung, die nicht rechtsmittelfähig ist (§ 128 Abs. 2 FGO). Weder in der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung selbst noch in der Tatsache, daß der Antragsteller zu dieser Verfahrensfrage nicht gehört wurde, liegt ein Verfahrensfehler oder ein Verstoß gegen das verfassungsrechtlich in Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) niedergelegte Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 1 FGO). Art. 103 Abs. 1 GG begründet kein Recht auf mündliche Verhandlung; es ist Sache des Gesetzgebers, wie weit er in einem bestimmten Verfahren einen Anspruch auf mündliche Verhandlung geben will (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 1982 2 BvH 1, 2/82, 233/82, BVerfGE 60, 175, 210, 211, m. w. N. der ständigen Rechtsprechung). Will das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden, so hat es den Beteiligten auf andere Weise rechtliches Gehör zu gewähren. Das ist vorliegend in ausreichendem Maße geschehen. Aufgrund dieser Gesetzeslage mußte der Antragsteller mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung rechnen. Einer ausdrücklichen Ankündigung bedurfte es aufgrund der Regelung in § 114 Abs. 3 FGO nicht.
Fundstellen