Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung (Pensionierung); nochmalige Entscheidungszuständigkeit
Leitsatz (NV)
1. Ein pensionierter Richter kann nicht (mehr) wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.
2. Ist streitig, ob durch ein Urteil über den gesamten Streitgegenstand entschieden worden ist, und beantragt der Kläger nach Ergehen des Urteils, über einen Teil des Streitgegenstandes (erneut) zu entscheiden, so liegt ein Befangenheitsgrund nicht allein darin, daß Richter, die an dem Urteil mitgewirkt haben, auch zur Entscheidung über diesen Antrag zuständig sind.
Normenkette
FGO § 51; ZPO § 42ff
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hatte gegen die Umsatzsteuerbescheide 1975 bis 1980 Klage erhoben und Steuerkürzungen in Höhe von insgesamt ... DM begehrt. In der mündlichen Verhandlung beschränkte sie ihren Klageantrag auf ... DM. In seinem wegen Umsatzsteuer 1975-1980 ergangenen Urteil vom 7. November 1991 änderte das Finanzgericht (FG) auf den Antrag, unter Änderung der Umsatzsteuerbescheide 1975 bis 1980 die Umsatzsteuer dieser Jahre um insgesamt ... DM herabzusetzen, (lediglich) die Umsatzsteuerbescheide 1976 bis 1979. Einen Ausspruch zu den Umsatzsteuerbescheiden 1975 und 1980 oder zu einer diesbezüglichen Klageabweisung enthält der Urteilstenor nicht.
Nach Rechtskraft des Urteils teilte die Klägerin dem FG mit, daß nach ihrer Auffassung über die Klage wegen Umsatzsteuer 1980 ausweislich des Urteilstenors noch nicht entschieden worden sei. Daraufhin lud der Senatsvorsitzende die Beteiligten zur (erneuten) mündlichen Verhandlung auf den 17. September 1992, hob den Termin durch Aktenverfügung vom 16. September 1992 aber wieder auf. Am 17. September 1992 erörterte der Senat mit den Beteiligten die Angelegenheit formlos. An der Erörterung nahmen der Vorsitzende Richter am FG X, die Richterin am FG Y und der Richter am FG Z teil, d.h. diejenigen Richter, die an dem Urteil vom 7. November 1991 mitgewirkt hatten. Nachdem der Senatsvorsitzende mitgeteilt hatte, die drei Berufsrichter seien der Auffassung, daß in dem bezeichneten Urteil auch über die Umsatzsteuer 1980 entschieden worden sei, lehnte die Klägerin die Berufsrichter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung führte sie u.a. aus, alle drei Richter hätten im Rahmen der Erörterung nach vorheriger geheimer Beratung erklärt, das Urteil vom 7. November 1991 umfasse eine Entscheidung über die Klage wegen Umsatzsteuer 1980; es liege jedoch auf der Hand, daß die Richter über die Qualität des Urteils allein deswegen nicht unbefangen entscheiden könnten, weil dieses Urteil von ihnen selbst verfaßt worden sei.
Das FG wies das Ablehnungsgesuch durch Beschluß vom 8. März 1993, an dem die abgelehnten Richter nicht mitwirkten, mit der Begründung zurück, die von der Klägerin vorgetragenen Gründe könnten Besorgnis der Befangenheit nicht rechtfertigen.
Mit der dagegen gerichteten Beschwerde beantragt die Klägerin, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Vorsitzenden Richter am FG X, die Richterin am FG Y und den Richter am FG Z für befangen zu erklären.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Das den Vorsitzenden Richter am FG X betreffende Ablehnungsgesuch ist unzulässig (geworden). Der Richter wurde zum 30. April 1993 pensioniert, wie sich aus dem angefochtenen Beschluß ergibt, dem die Klägerin insoweit nicht entgegengetreten ist. Der Richter kann mithin jetzt nicht mehr wegen Besorgnis der Befangenheit gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen werden. Denn die Richterablehnung nach den bezeichneten Vorschriften dient dem Ziel, den abgelehnten Richter an weiterer Tätigkeit zu hindern. Sie kommt deshalb nicht mehr in Betracht, wenn der Richter seine Tätigkeit im konkreten Verfahren beendet hat (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. August 1989 VII B 70/89, BFHE 157, 494, BStBl II 1989, 899 m.w.N.). Nichts anderes gilt, wenn der abgelehnte Richter mit der Streitsache infolge seiner Pensionierung nicht mehr befaßt werden kann (vgl. auch Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 51 Rz. 21; Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., § 42 Rz. 7).
2. Soweit die Klägerin zur Begründung ihres Ablehnungsgesuchs ausführt, die von ihr abgelehnten Richter seien befangen, weil sie sich mit der - von ihr förmlich beantragten - Anberaumung und Durchführung einer mündlichen Verhandlung für das Streitjahr 1980 zu ihrem eigenen Fehler im Urteil vom 7. November 1991 bekennen müßten, macht sie keine individuellen, in der Person der Richter liegenden, Gründe geltend. Sie wendet sich vielmehr (allgemein) gegen die Zuständigkeit der abgelehnten Richter zur Entscheidung. Ob ein derartig begründetes Befangenheitsgesuch unstatthaft ist, weil es dem Erfordernis der Individualablehnung nicht genügt (vgl. dazu Gräber/Koch, a.a.O., § 51 Rz. 19 m.w.N.), kann der Senat offenlassen. Denn die Vorschriften über die Berichtigung des Urteils (§ 107 FGO) und des Tatbestands (§ 108 FGO) sowie über die nachträgliche Ergänzung des Urteils (§ 109 FGO) belegen, daß der Gesetzgeber in ähnlichen Fällen von der Zuständigkeit derjenigen Richter ausgeht, die an dem Urteil mitgewirkt haben (vgl. ausdrücklich § 108 Abs. 2 Satz 3 FGO). Dementsprechend kann allein aus einer Zuständigkeit der abgelehnten Richter zur Entscheidung über den Antrag der Klägerin, zur Umsatzsteuer 1980 zu entscheiden, ein Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit der Richter i.S. des § 42 Abs. 2 ZPO nicht hergeleitet werden.
3. Die weitere Begründung der Klägerin, die Anberaumung und Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung am 17. September 1992 zeige, daß die Richter ganz offensichtlich starken Meinungsschwankungen ausgesetzt seien, ist - bezogen auf die beisitzenden Richter am FG - nicht schlüssig. Denn der Termin zur mündlichen Verhandlung ist nicht von ihnen, sondern vom Vorsitzenden bestimmt und aufgehoben worden (vgl. § 155 FGO i.V.m. §§ 216, 227 ZPO). Im übrigen könnte eine darin liegende Meinungsänderung - sofern sie von den abgelehnten Beisitzern mitgetragen worden sein sollte - bei vernünftiger Würdigung keinen Anlaß bieten, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung der Richter zu zweifeln. Die Möglichkeit, daß Richter ihre Meinung ändern, ist der - zumal nicht als Einzelrichter ausgeübten - richterlichen Tätigkeit immanent.
Selbst wenn den Richtern hierbei materielle Fehler oder Verfahrensfehler unterlaufen wären, könnte dies grundsätzlich eine Besorgnis der Befangenheit nicht begründen (vgl. Senatsbeschluß vom 21. November 1991 V B 157/91, BFH/NV 1992, 479 m.w.N.) Anhaltspunkte für eine unsachliche Einstellung der abgelehnten Richter oder für Willkür sind weder geltend gemacht noch ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 419518 |
BFH/NV 1994, 388 |