Entscheidungsstichwort (Thema)
Unberechtigte Ablehnung von Befangenheitsanträgen
Leitsatz (NV)
1. Nach § 124 Abs. 2 FGO unterliegen dem Endurteil vorausgegangene Entscheidungen, die nach der FGO unanfechtbar sind, nicht der Beurteilung der Revision. Deshalb kann die Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich nicht auf die Ablehnung eines Befangenheitsgesuches gestützt werden.
2. Mit einer Nichtzulassungsbeschwerde können jedoch solche Verfahrensmängel geltend gemacht werden, die als Folge der beanstandeten Vorentscheidung fortwirken und damit dem angefochtenen Urteil anhaften, sofern die Vorentscheidung gegen das Willkürverbot verstößt oder ein Verfahrensgrundrecht verletzt wird, wie der Anspruch auf rechtliches Gehör oder den gesetzlichen Richter.
3. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG greift jedoch nur bei willkürlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften ein. Deshalb hat eine Besetzungsrüge nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sich dem Beschwerdevorbringen entnehmen lässt, dass der Beschluss über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuches nicht nur fehlerhaft, sondern greifbar gesetzwidrig und damit willkürlich ist.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 124 Abs. 2, § 128 Abs. 2; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 07.02.2006; Aktenzeichen 2 K 2365/05) |
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Soweit der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache begehrt, entspricht die Beschwerdebegründung nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- (unten 1.). Die von ihm gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs und der Sachaufklärungspflicht liegt nicht vor (unten 2. und 3.).
1. a) "Grundsätzliche Bedeutung" i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, d.h. wenn die Beantwortung der Rechtsfrage aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 21. April 1999 I B 99/98, BFHE 188, 372, BStBl II 2000, 254; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 23, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des BFH). Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und im Streitfall klärungsfähig sein. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn sich die Antwort auf die streitige Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das Finanzgericht (FG) getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 28, m.w.N. aus der Rechtsprechung).
b) Nach diesen Maßstäben ist die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, "ob ein Finanzgericht, das über die Rechtmäßigkeit von Bescheiden entscheidet und diese für rechtmäßig hält, damit auch ausdrücklich sogleich die Nichtigkeit mit entschieden hat", mangels Klärungsbedürftigkeit nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Gemäß § 125 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Mangel leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Ein nichtiger Verwaltungsakt ist damit stets auch rechtswidrig und nicht rechtmäßig. Deshalb hat ein FG, das einen Verwaltungsakt für rechtmäßig hält, damit zumindest inzidenter auch entschieden, dass dieser nicht nichtig ist. Jedenfalls dann, wenn die zur Begründung der Nichtigkeit angeführten Erwägungen den auch dem Anfechtungsverfahren zu Grunde liegenden Entscheidungsgegenstand betreffen, bestebt kein berechtigtes Interesse an weitergehendem bzw. nochmaligem Rechtsschutz. Dementsprechend ist eine Nichtigkeitsfeststellungsklage wegen der Identität des Streitgegenstandes dann unzulässig, wenn der Kläger bereits eine Anfechtungsklage erhoben hat (BFH-Beschluss vom 7. August 2001 I B 16/01, BFHE 196, 12, BStBl II 2002, 13; FG Hamburg, Urteil vom 23. Februar 2005 II 354/04, juris). Dies gilt selbst dann, wenn das FG --anders als im Streitfall-- im Anfechtungsverfahren einen nichtigen Verwaltungsakt zu Unrecht als rechtmäßig beurteilt hat.
2. Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann grundsätzlich nicht auf die Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs gestützt werden, da dem Endurteil vorangegangene Entscheidungen, die --wie der Beschluss über die Ablehnung von Gerichtspersonen (vgl. § 128 Abs. 2 FGO)-- nach der FGO unanfechtbar sind, nicht der Beurteilung der Revision unterliegen (§ 124 Abs. 2 FGO). Mit einer Nichtzulassungsbeschwerde können jedoch solche Verfahrensmängel geltend gemacht werden, die als Folge der Ablehnung des Befangenheitsgesuchs dem angefochtenen Urteil anhaften. Ein Zulassungsgrund liegt daher vor, wenn die Ablehnung gegen das Willkürverbot verstößt oder ein Verfahrensgrundrecht verletzt wird, wie der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) oder auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Das Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter greift jedoch nur bei willkürlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften ein. Deshalb hat eine Besetzungsrüge nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sich dem Beschwerdevorbringen entnehmen lässt, dass der Beschluss über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs nicht nur fehlerhaft, sondern greifbar gesetzwidrig und damit willkürlich ist (BFH-Beschlüsse vom 13. Januar 2003 III B 51/02, BFH/NV 2003, 640; vom 28. Mai 2003 III B 87/02, BFH/NV 2003, 1218; vom 22. Oktober 2003 III B 14/03, BFH/NV 2004, 224). Derartiges Vorbringen enthält die Beschwerde im Streitfall nicht.
Zu Unrecht macht der Kläger geltend, sein Recht auf Gehör sei verletzt worden, weil ihm das FG vor der Beratung und Beschlussfassung über den Ablehnungsantrag nicht die Möglichkeit eingeräumt habe, sich schriftlich oder mündlich mit der dienstlichen Äußerung der abgelehnten Richterin auseinanderzusetzen. Zwar dürfen bei einer Entscheidung über die Ablehnung eines Richters Tatsachen und Beweisergebnisse, die das Gericht der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters entnommen hat, nur dann verwertet werden, wenn der Ablehnende zu der dienstlichen Äußerung Stellung nehmen konnte (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 25. Juni 1968 2 BvR 599, 677/67, BVerfGE 24, 56). Im Streitfall hätte sich der Kläger zu der dienstlichen Stellungnahme äußern können, denn sie wurde --ebenso wie die schriftliche Stellungnahme des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) ausweislich der Niederschrift dem Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 7. Februar 2006 übergeben und sodann verlesen. Dass der Senatsvorsitzende des FG dem Prozessbevollmächtigten des Klägers danach nur die Frage gestellt hat, ob der Kläger sein Ablehnungsgesuch aufrecht erhalte, ihn aber nicht ausdrücklich zu einer sachlichen Auseinandersetzung mit der dienstlichen Äußerung der abgelehnten Richterin aufgefordert hat, ändert hieran nichts. Denn der Kläger musste auch ohne ausdrücklichen Hinweis des Gerichts damit rechnen, dass das Gericht ihm keine Schriftsatzfrist einräumen wird. Er hätte deshalb Einwände gegen die dienstliche Äußerung der abgelehnten Richterin in der mündlichen Verhandlung vortragen müssen. Schließlich hat sich der Kläger auch mit der Beschwerde in der Sache nicht mit der dienstlichen Äußerung auseinandergesetzt. Es ist danach nicht erkennbar, was er seinerzeit im Fall einer Aufforderung zur Stellungnahme hätte vortragen wollen.
3. Das FG hat auch die ihm obliegende Ermittlungspflicht nicht verletzt.
Zwar hat das FG gemäß § 76 Abs. 1 FGO den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und dabei die erforderlichen Beweise (§ 81 Abs. 1 Satz 2 FGO) zu erheben. Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf aber unberücksichtigt bleiben, wenn das angebotene Beweismittel für die zu treffende Entscheidung untauglich ist, wenn es auf die Beweistatsache --nach Auffassung des FG-- nicht ankommt oder wenn die Beweistatsache als wahr unterstellt wird (Senatsurteil vom 15. Mai 1996 X R 252-253/93, BFH/NV 1996, 906).
Im Streitfall waren die unter Beweis gestellten Tatsachen nicht entscheidungserheblich, die Beweisanträge des Klägers damit unerheblich. Das Urteil im Verfahren 2 K 2591/03 sollte zum Nachweis der Tatsache verlesen werden, dass die Nichtigkeit der Schätzungsbescheide nicht Gegenstand dieses Klageverfahrens und der Urteilsberatungen sowie der Entscheidungsgründe war. Gleiches sollte durch die Vernehmung der in diesem Verfahren mitwirkenden Richter als Zeugen nachgewiesen werden. Da im Verfahren 2 K 2591/03 das FG die Rechtmäßigkeit der Schätzungsbescheide bestätigt hat, hat es zugleich auch erkannt, dass die Bescheide nicht nichtig sind (vgl. oben 1.). Diese Rechtsfrage hätte auch nach einer Befragung der im Verfahren 2 K 2591/03 mitwirkenden Richter und der Verlesung dieser Entscheidung nicht anders beantwortet werden können. Ebenso wenig waren die unter Beweis gestellten Tatsachen hinsichtlich der Zurechnung der in Luxemburg angelegten Gelder und der Höhe der Zuschätzungen durch die Steuerfahndung entscheidungserheblich. Das FG hat --zu Recht-- die Klage mit der Begründung abgewiesen, einer Nichtigkeitsfeststellung der Einkommensteuerbescheide stehe die Rechtskraft des Urteils im Verfahren 2 K 2591/03 entgegen, ein Feststellungsinteresse hinsichtlich der Umsatzsteuerfestsetzungen sei nicht gegeben, da das FA insoweit den Erklärungen des Klägers gefolgt sei und keine Zuschätzungen vorgenommen habe und die Klage wegen Gewerbesteuermessbescheiden 1988 bis 1996 unzulässig sei, weil das FA keine Gewerbesteuermessbescheide für diese Jahre erlassen habe. Selbst wenn die vom Kläger unter Beweis gestellten Tatsachen von den benannten Zeugen bzw. dem Sachverständigen bestätigt worden wären, wäre dies --angesichts der Rechtsauffassung des FG, das von der Unzulässigkeit der Klage ausgegangen ist-- nicht entscheidungserheblich gewesen.
4. Die zusätzliche Begründung vom 8. November 2006, beim BFH eingegangen am 9. November 2006, ist als nachgereichter Schriftsatz verspätet. Die Zulässigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde, insbesondere hinsichtlich der Anforderungen an ihre Begründung, ist nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nur nach den innerhalb der gesetzlichen Begründungsfrist (§ 116 Abs. 3 Sätze 1 und 4 FGO) vorgebrachten Ausführungen zu beurteilen; spätere Darlegungen sind --abgesehen von bloßen Erläuterungen und Ergänzungen-- nicht zu berücksichtigen.
5. Die ausführliche Beschwerdebegründung des Klägers erschöpft sich im Kern --nach Art einer Revisionsbegründung-- in Ausführungen darüber, dass und warum das FG den Streitfall unrichtig entschieden habe. Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen jedoch für sich gesehen grundsätzlich nicht die Zulassung der Revision (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 24 und § 116 Rz 34, jeweils m.w.N.).
Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn das angefochtene Urteil derart schwerwiegende Fehler bei der Auslegung revisiblen Rechts aufweist, dass die Entscheidung des FG objektiv willkürlich erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 30. August 2001 IV B 79, 80/01, BFHE 196, 30, BStBl II 2001, 837; ferner Lange, Deutsche Steuer-Zeitung 2002, 782, 784). Solche gravierenden Rechtsfehler hat der Kläger nicht vortragen können.
Fundstellen