Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrevision: Übergabe der Ladung an Stationsreferendar
Leitsatz (NV)
1. Zu den in § 183 Abs. 2 ZPO genannten Gehilfen gehören auch Stationsreferendare. Voraussetzung für die Annahme eines Gehilfenverhältnisses ist nur die dauernde Tätigkeit im Geschäftsbetrieb des Zustellungsadressaten; eine entsprechend vertragslose Dienstleistung reicht aus.
2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei einer unverschuldeten Versäumung des Termins zur mündlichen Verhandlung kommt im finanzgerichtlichen Verfahren nicht in Betracht.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nrn. 1, 3; ZPO § 183 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Mit Schriftsatz vom 10. Juli 1992 erhob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) Klage gegen die vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) erlassenen Feststellungsbescheide den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1985 und 1. Januar 1986 betreffend. Der Klageschrift beigefügt war die Einspruchsentscheidung des FA. Mit Verfügung vom 14. Juli 1992 forderte das Finanzgericht (FG) die Klägerin u. a. auf, einen bestimmten Antrag zu stellen und anzugeben, welchen Inhalt die begehrte Entscheidung haben solle. Nachdem keine Antwort einging, lud das FG den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin zur mündlichen Verhandlung am 9. Dezember 1992. Lt. Postzustellungsurkunde vom 4. November 1992 hat der Postzusteller den Empfänger selbst in seinem Geschäftslokal nicht angetroffen und die Sendung daher dem Bediensteten A unter der Zustellanschrift des Prozeßbevollmächtigten übergeben.
Die mündliche Verhandlung ist am 9. Dezember 1992 durchgeführt worden. Nach dem Inhalt des Protokolls ist zu der Verhandlung niemand erschienen; nach Beratung ist ein klageabweisendes Urteil verkündet worden.
Das FG führte in dem Urteil aus, durch das Nichterscheinen der Beteiligten zur mündlichen Verhandlung sei der Senat nicht daran gehindert, über die Klage zu verhandeln und zu entscheiden. Die Anwesenheit der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung sei von der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht vorgeschrieben. Darauf seien die Beteiligten vom Gericht in der Ladungsverfügung ausdrücklich hingewiesen worden.
Die Klage sei mangels Bezeichnung des Streitgegenstandes unzulässig. Die bloße Angabe des angefochtenen Verwaltungsakts genüge den Erfordernissen des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht. Vielmehr müsse der Kläger ein Begehren so deutlich zum Ausdruck bringen, daß das Ziel seiner Klage ausreichend erkennbar werde. Voraussetzung dafür sei, daß der Kläger dem Gericht substantiiert den konkreten Sachverhalt unterbreite, in dessen steuerlicher Würdigung durch das FA er eine Rechtsverletzung sehe. Diesen Erfordernissen genüge die vorliegende Klage nicht, da sie lediglich eine Bezeichnung des angefochtenen Verwal tungakts enthalte. Ein offenbar am 11. Dezember 1992 beim FA und am 16. Dezember 1992 beim FG eingegangener Schriftsatz der Klägerin vom 8. Dezember 1992 habe nicht mehr berücksichtigt werden können, weil er dem Gericht erst nach Verkündung des Urteils zugegangen sei.
Das FG ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu. Gegen die Nichtzulassung der Revision hat die Klägerin Beschwerde erhoben, die der Senat zurückgewiesen hat.
Die Klägerin hat ferner die vorliegende, auf § 116 FGO gestützte Revision erhoben. Hiermit macht sie geltend, das FG sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO), da das Urteil von einem unzuständigen Senat gefällt worden sei. Der entscheidende VI. Senat des FG sei für den Streitfall nicht der gesetzliche Richter, da lt. Geschäftsverteilungsplan der V. Senat zuständig sei. Sie, die Klägerin, habe am 10. Juli 1992 mittels Fax hintereinander drei Klagen beim FG gegen Steuerbescheide des FA angebracht. Die gegen den Umsatzsteuerbescheid 1987 und den Gewerbesteuerbescheid 1987 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 19. Juni 1992 gerichtete Klage sei dem V. Senat des FG zugewiesen worden, während die beiden anderen Klagen betreffend die Feststellung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebes auf den 1. Januar 1985 und auf den 1. Januar 1986 ebenso wie die Klagen gegen die Gewerbesteuerbescheide 1985 und 1986 dem VI. Senat des FG zugewiesen worden seien.
Diese Behandlung sei unzutreffend; die am gleichen Tage eingegangenen Klagen hätten nicht auf zwei verschiedene Senate verteilt werden dürfen. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des FG sei für Klagen wegen Umsatzsteuer ab 1. Januar 1992 der V. Senat zuständig. Für Gewerbesteuer sowie Einheitsbewertung des Betriebsvermögens sei dagegen grundsätzlich der VI. Senat zuständig. Zur Konzentration des Streitstoffes auf einen Senat sei sodann eine Annexzuständigkeit bestimmt; danach entfalle die Zuständigkeit des nach der Buchstabenverteilung zuständigen Senats für Klagen wegen Umsatz-, Gewerbe-, Vermögensteuer oder Einheitsbewertung des Betriebsvermögens, sofern ein Antrag lediglich wegen einer dieser Steuermaterien oder für einen anderen Zeitraum anhängig werde oder die Entscheidung ausschließlich von einer speziellen Frage aus einer dieser Steuermaterien abhänge. Bei am selben Tag eingehenden Klagen blieben unterschiedliche Zeiträume oder Zeitpunkte unberührt. Betreffe die Klage mehr als eine dieser Materien, so richte sich die Zuständigkeit nach dem höheren Streitwertanteil.
Danach hätten sämtliche Klagen dem V. Senat zugewiesen werden müssen. Denn nach der das Streitjahr 1987 betreffenden Klage sei die Umsatzsteuer um 19 204,41 DM herabzusetzen, während die entsprechende Gewerbesteuerminderung nur 10 559 DM betrage. Der Streitwert der beiden anderen, dem VI. Senat zugewiesenen Klagen liege ebenfalls jeweils erheblich unter dem Umsatzsteuerstreitwert; denn hinsichtlich der Gewerbesteuer 1985 und 1986 sei streitig, ob aus formellen Gründen unverändert drei oder lediglich ein Freibetrag nach § 11 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) zu berücksichtigen sei. Der Streitwert betrage danach für beide Streitjahre jeweils 7 135 DM (9,91 % von 72 000 DM). Der Streitwert hinsichtlich der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens liege erheblich unter den Gewerbesteuerbeträgen. Mithin überwiege der Streitwertanteil der Umsatzsteuer erheblich, so daß die Zuständigkeit des V. Senats für alle Klagen hätte bejaht werden müssen.
Die Revision werde auch auf Verletzung des § 116 Nr. 3 FGO gestützt. Denn die Ladung zur mündlichen Verhandlung sei unwirksam gewesen. Herr A, dem die Ladung vom Zusteller übergeben worden sei, sei Stationsreferendar bei der in den gleichen Kanzleiräumen befindlichen B-Steuerberatungsgesellschaft mbH, gewesen. Er sei zur Entgegennahme von Schriftsätzen und Zustellungen nicht berechtigt gewesen. Herr A behaupte, er habe die Ladung in das Fristenkontrollbuch zwecks späterer Eintragung gelegt; sie sei dort aber nicht aufgefunden worden, obwohl das Fristenkontrollbuch regelmäßig vom Prozeßbevollmächtigten kontrolliert werde. Erst nach Versendung der Klagebegründung habe der Prozeßbevollmächtigte durch das Protokoll von der mündlichen Verhandlung erfahren. Die Ladung sei aufgefunden worden, nachdem der Stationsreferendar die Akte, die ihm zur kurzfristigen Bearbeitung in der Bibliothek und zur Vorbereitung eines Schriftsatzes auf dessen häuslichem Computer anvertraut gewesen sei, zurückgegeben habe.
Die Zustellung sei unwirksam, weil der Stationsreferendar der Steuerberatungsgesellschaft nicht als Gehilfe des in der Einzelkanzlei tätigen Prozeßbevollmächtigten angesehen werden könne. Selbst wenn er der Einzelkanzlei zugewiesen worden wäre, hätte er nicht die Stellung eines Gehilfen gehabt. Denn ein Stationsreferendar werde nicht auf Dauer zur Unterstützung des Anwalts tätig.
Der Geschäftsverteilungsplan des FG für 1992 lag dem Senat vor.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
Eine zulassungsfreie Verfahrensrevision ist nur statthaft, wenn innerhalb der Revisionsfrist ein Mangel i. S. des § 116 FGO schlüssig gerügt wird (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 116 Anm. 3, m. w. N.). Die Klägerin hat jedoch weder einen Mangel nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO noch einen nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO schlüssig gerügt.
1. Die Darlegungen der Klägerin ergeben keinen Mangel der in § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO bezeichneten Art. Denn aus dem Geschäftsverteilungsplan des FG für 1992, auf den die Klägerin ausdrücklich verweist, ergibt sich, daß für die durch das angefochtene Urteil entschiedenen Klage der Klägerin der VI. Senat des FG zuständig war.
Der VI. Senat des FG ist für Gewerbesteuer sowie die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens sachlich zuständig. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß die Klägerin am 10. Juli 1992 insgesamt drei Klagen mit unterschiedlichen, u. a. auch in den Zuständigkeitsbereich des V. Senats des FG fallenden Rechtsmaterien angebracht hat. Dies gilt auch, soweit sich nach dem Geschäftsverteilungsplan des FG die Senatszuständigkeit in diesen Fällen nach dem höchsten Streitwertanteil bestimmen sollte. Insoweit wird auf den Beschluß des III. Senats vom 3. Dezember 1993 III R 26/93, BFH/NV 1994, 390 Bezug genommen.
2. § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO geht davon aus, daß der Beteiligte in gesetzwidriger Weise im Verfahren nicht vertreten war, weil das Gericht bei der Vorbereitung und Durchführung der mündlichen Verhandlung den Vorschriften des Gesetzes nicht genügt und dadurch den Beteiligten die Teilnahme unmöglich gemacht hat (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 27. Januar 1988 IV R 14/86, BFHE 152, 196, BStBl II 1988, 447). Ein Fall fehlender Vertretung liegt insbesondere vor, wenn der Kläger nicht ordnungsgemäß geladen worden ist (BFH-Urteil vom 10. August 1988 III R 220/84, BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948, und BFH-Beschluß vom 11. April 1978 VIII R 215/77, BFHE 125, 28, BStBl II 1978, 401).
Im Streitfall ergibt sich aus den Ausführungen der Klägerin kein derartiger Verfahrensmangel. Denn diese lassen nicht den Schluß zu, der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin sei nicht ordnungsgemäß geladen worden.
Lt. Postzustellungsurkunde ist die Ladung, nachdem der Prozeßbevollmächtigte selbst im Geschäftslokal nicht angetroffen wurde, Herrn A am 4. November 1992 übergeben worden. Dies war nach § 183 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zulässig. Zu dem in Abs. 2 dieser Vorschrift genannten Gehilfen gehören nach allgemeiner Auffassung auch Stationsreferendare (Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 52. Aufl., § 183 Rdnr. 8, m. w. N.; Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 18. Aufl., § 183 Rdnr. 6).
Unerheblich sei demgegenüber der Einwand der Klägerin, Herr A sei nicht ihrem Prozeßbevollmächtigten selbst als Referendar zur Ausbildung zugewiesen worden, sondern der von ihm mitbetriebenen Steuerberatungsgesellschaft mbH, die in den gleichen Räumen eine Kanzlei betrieben habe. Denn Voraussetzung für die Annahme eines Gehilfenverhältnisses i. S. des § 183 ZPO ist nur die dauernde Tätigkeit im Geschäftsbetrieb des Zustellungsadressaten; eine entsprechende vertragslose Dienstlei stung reicht dafür aus (Zöller, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., § 183 Rdnr. 4). Daß Herr A aber auch im Rahmen der Einzelpraxis des Prozeßbevollmächtigten für diesen, und zwar mit dessen Einverständnis, tätig gewesen ist, ergibt sich aus dem eigenen Vortrag der Klägerin. Denn danach ist dem Referendar gerade die Akte des vorliegenden Streitfalls zur Vorbereitung eines Schriftsatzes anvertraut und zur Mitnahme in sein häusliches Arbeitszimmer überlassen worden.
An dem Ergebnis, daß der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ordnungsgemäß geladen und der Klägerin deshalb nicht die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung in gesetzwidriger Weise unmöglich gemacht worden ist, ändert sich auch dann nichts, wenn der Prozeßbevollmächtigte ohne sein Verschulden von der Ladung keine Kenntnis erhalten haben sollte. Denn eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei einer unverschuldeten Versäumung des Termins zur mündlichen Verhandlung kommt im finanz- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht in Betracht. Entscheidend ist insoweit, daß in der FGO wie auch in der Verwaltungsgerichtsordnung eine dem § 235 der Strafprozeßordnung vergleichbare Vorschrift fehlt (Urteil in BFHE 154, 17, 23, BStBl II 1988, 948).
Fundstellen