Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde: Grundsätzliche Bedeutung, Fortbildung des Rechts bei rechtswidriger Vorentscheidung, Verfahrensfehler (keine Beiladung des Mieters im Verfahren des Vermieters, Akteninhalt)
Leitsatz (NV)
- Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde ein Widerspruch im Urteil der Vorinstanz als Verstoß gegen die Denkgesetze gerügt, so wird damit ein materieller Fehler geltend gemacht, der keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung rechtfertigt, wenn nicht zugleich ein klärbarer Rechtssatz dargelegt wird.
- Von der Divergenz abgesehen erweitert die Neufassung des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO die Möglichkeit der Revisionszulassung im Fall einer rechtswidrigen Entscheidung nur in den Fällen, in denen über den Einzelfall hinaus ein allgemeines Interesse an einer korrigierenden Entscheidung des Revisionsgerichts besteht, weil z. B. die Auslegung revisiblen Rechts durch die Vorinstanz fehlerhaft ist und der unterlaufene Fehler von erheblichem Gewicht und geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu schädigen.
- Geht es im Verfahren nur um die Einkommensteuer des Vermieters, so muss das FG den Mieter auch dann nicht notwendig zu dem Verfahren nach § 60 Abs. 3 FGO beiladen, wenn es den Mietvertrag steuerrechtlich nicht anerkennt.
- Im Allgemeinen ist davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinander gesetzt hat (Anschluss an BFH-Urteil vom 15. Dezember 1992 VIII R 52/91, BFH/NV 1993, 684).
Normenkette
AO 1977 §§ 41-42; FGO § 60 Abs. 3, § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 2
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Insbesondere entspricht ihre Begründung nicht den vom Gesetz gestellten Anforderungen.
Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. In der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Daran fehlt es.
1. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat die grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht dargelegt.
Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO muss der Beschwerdeführer konkret auf die Rechtsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Diese Anforderungen gelten in gleicher Weise für die Neufassung der Vorschriften über die Revisionszulassung (BFH-Beschlüsse vom 14. August 2001 XI B 57/01, BFH/NV 2002, 51; vom 17. Oktober 2001 III B 65/01, BFH/NV 2002, 217). Die vom BFH zu § 115 Abs. 2 Nr. 1, § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F. entwickelten Rechtsgrundsätze gelten daher fort (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 17. Januar 2001 IV B 155/00, BFH/NV 2001, 802, m.w.N.), soweit sie nicht systematisch der Neufassung des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzuordnen sind (BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 51, 52).
Im Streitfall hat die Klägerin keine klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen. Sie trägt vor, das Finanzgericht (FG) habe gemäß § 10e Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Streitjahres eine positive und eindeutige Erklärung über ihre Selbstnutzung gefordert, obschon es bei der Prüfung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung davon überzeugt gewesen sei, dass die Klägerin das gesamte Haus gemeinsam mit dem Zeugen bewohnt habe. Dieser (angebliche) Widerspruch als Verstoß gegen Denkgesetze bewirkte aber nur einen materiellen Fehler der Vorinstanz, der keine Zulassung der Revision rechtfertigt, wenn ―wie hier― nicht zugleich ein klärbarer Rechtssatz von grundsätzlicher Bedeutung dargelegt wird (vgl. BFH-Beschluss vom 7. August 1996 V B 10/96, BFH/NV 1997, 198, m.w.N.).
2. Die Klägerin hat auch nicht schlüssig vorgetragen, dass die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH im Streitfall erfordert.
a) Dieses gesetzliche Tatbestandsmerkmal erfasst zunächst die sog. Divergenzrevision nach altem Recht (BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 51, m.w.N.). Eine Divergenz, d.h. eine Abweichung im Rechtsgrundsätzlichen, hat die Klägerin indes nicht dargelegt. Die von ihr unter 2. ihrer Beschwerdebegründung zitierten Entscheidungen des BFH und des Bundesverfassungsgerichts betreffen andere Sachverhalte. Überdies stellt die Klägerin keine abstrakten Rechtssätze der Vorentscheidung heraus, die von abstrakten Rechtssätzen abweichen, wie sie den von der Klägerin herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidungen zugrunde liegen. Die Klägerin wendet sich im Kern ihrer Begründung gegen die Tatsachenwürdigung des FG, das auf Grund verschiedener Umstände zu dem Ergebnis gelangt ist, die Klägerin habe mit dem Zeugen in nichtehelicher Lebensgemeinschaft das ganze Haus selbst bewohnt (vgl. dazu das BFH-Urteil vom 30. Januar 1996 IX R 100/93, BFHE 180, 74, BStBl II 1996, 359).
b) Die Behauptung der Klägerin, die Vorentscheidung sei aus den in der Beschwerdebegründungsschrift genannten Gründen rechtswidrig, genügt auch nach neuem Recht für eine Revisionszulassung nicht. Obschon durch die Neufassung des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO die Möglichkeit der Revisionszulassung im Fall einer rechtswidrigen Entscheidung des FG erweitert wird, sind nur solche Fälle betroffen, in denen über den Einzelfall hinaus ein allgemeines Interesse an einer korrigierenden Entscheidung des Revisionsgerichts besteht, weil z.B. die Auslegung revisiblen Rechts durch die Vorinstanz fehlerhaft ist und der unterlaufene Fehler von erheblichem Gewicht und geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu schädigen (vgl. BTDrucks 14/4061, S. 9; BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 51; vgl. auch Lange, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 2001, 1098, m.w.N.). Die von der Klägerin dargelegten Verstöße gegen § 42 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) wie auch die Verletzung von Denkgesetzen erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Sie betreffen nur den entschiedenen Einzelfall. Überdies hat das FG seine Erwägungen zu § 42 AO 1977 nur hilfsweise angestellt. Vorrangig scheitert der Mietvertrag, um den es hier geht, nach der Rechtsauffassung der Vorinstanz an der Vorschrift des § 41 Abs. 2 AO 1977.
3. Die Klägerin hat auch keine Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO bezeichnet.
a) Das FG musste den Zeugen nicht nach § 60 Abs. 3 FGO beiladen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH hat eine Beiladung nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO ―über den Wortlaut der Vorschrift hinaus― auch dann zu erfolgen, wenn die Entscheidung notwendigerweise und unmittelbar Rechte Dritter gestaltet, bestätigt, verändert oder zum Erlöschen bringt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 4. Juli 2001 VI B 301/98, BFHE 195, 50, BStBl II 2001, 729; vom 27. Februar 1969 IV R 263/66, BFHE 95, 148, BStBl II 1969, 343). Ein derartiger Fall liegt aber auch nach den Ausführungen in der Beschwerdeschrift nicht vor; denn es geht in diesem Verfahren nur um die Einkommensteuer der Klägerin. Das Nichtanerkennen des Mietvertrags mit dem Zeugen wirkt nicht notwendig und unmittelbar auf dessen steuerrechtliche Verhältnisse ein.
b) Soweit die Klägerin sich auf die Verletzung von § 76 Abs. 1 FGO beruft (Verletzung der Sachaufklärungspflicht), fehlt es bereits an dem Vortrag, welche Tatfrage überhaupt noch aufklärungsbedürftig ist (vgl. zu den Anforderungen BFH-Beschluss vom 6. Juni 2001 XI B 134/99, BFH/NV 2001, 1440). Vielmehr erschöpfen sich ihre Darlegungen darin, die auch vom FG in Erwägung gezogenen Tatsachen anders zu würdigen.
c) Nicht durchzudringen vermag die Klägerin auch mit der damit im Zusammenhang vorgebrachten Rüge, das FG habe seiner Entscheidung nicht den Akteninhalt zugrunde gelegt. Zwar verpflichtet § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO das FG dazu, den gesamten Prozessstoff vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. September 1999 I B 83/98, BFH/NV 2000, 673, und vom 13. März 1996 II R 28/94, BFH/NV 1996, 628, 629, m.w.N.). Deshalb kann ein Verfahrensmangel vorliegen, wenn das FG bei seiner Überzeugungsbildung eine nach Aktenlage feststehende Tatsache unbeachtet lässt oder bei seiner Entscheidung vom Nichtvorliegen einer solchen Tatsache ausgeht. Jedoch fordert das Gesetz nicht, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern. Vielmehr ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinander gesetzt hat (BFH-Urteil vom 15. Dezember 1992 VIII R 52/91, BFH/NV 1993, 684, 685, m.w.N.). In ihrer Beschwerdeschrift würdigt die Klägerin den Akteninhalt lediglich anders als das FG und stellt Aspekte in den Vordergrund, auf die es für die Entscheidung der Vorinstanz nicht ankam.
d) Unschlüssig ist schließlich auch die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs. Wenn die Klägerin dazu vorträgt, sie sei davon überrascht worden, dass der Mietvertrag nicht anerkannt worden sei, so sind ihre Darlegungen widersprüchlich: Sie selbst trägt vor, dass der Berichterstatter in gerichtlichen Schreiben bereits 1999 auf die Möglichkeit hingewiesen habe, dass der Mietvertrag den steuerrechtlichen Anforderungen nicht genügen könnte. Die Klägerin musste also damit rechnen, dass ―obwohl auch die Frage des baulichen Zustandes der Einliegerwohnung nach wie vor Prozessstoff war― der Mietvertrag als solcher steuerrechtlich nicht anerkannt würde.
Fundstellen