Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiederaufnahme von Verfahren wegen Besetzungsfehler
Leitsatz (NV)
Die senatsinterne Regelung über die Mitwirkung der Richter in Urteilssachen begründet nicht die Wiederaufnahme abgeschlossener Verfahren wegen nicht vorschriftsmäßiger Besetzung des Gerichts.
Normenkette
FGO §§ 134, 142 Abs. 1; ZPO §§ 114, 578, 579 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Der Senat hat auf die Revision des beklagten Finanzamts (FA) durch Urteil das im ersten Rechtszug zugunsten der Antragstellerin ergangene Urteil des Finanzgerichts (FG) aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Einen Antrag der Antragstellerin auf Berichtigung des Tatbestands des Urteils hat er durch Beschluß abgelehnt. Das FG hat im zweiten Rechtszug die Klagen der Antragstellerin abgewiesen. Ein beim Bundesfinanzhof (BFH) gestellter Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (PKH) für eine gegen das FG-Urteil beabsichtigte Verfahrensrevision und eine Nichtzulassungsbeschwerde blieb erfolglos.
Im vorliegenden Verfahren beantragt die Antragstellerin die Bewilligung von PKH und die Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich des Senatsurteils und der vom Senat abgelehnten Tatbestandsberichtigung mit von ihr beabsichtigten Nichtigkeitsklagen. Die Antragstellerin macht unter Hinweis auf den ihr - antragsgemäß - übersandten Geschäftsverteilungsplan 1990 des BFH im wesentlichen geltend, der Senat sei bei den mit der Nichtigkeitsklage anzufechtenden Entscheidungen nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 134 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i.V.m. § 579 Abs. 1 Nr.1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Die zum Ausschluß von Manipulationen gesetzlich vorgeschriebene Bestimmung der bei der Entscheidung mitwirkenden Richter nach dem Zufallsprinzip vor Beginn des Geschäftsjahres (§§ 21e und 21g des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG -) sei verletzt, sie sei dadurch ihrem gesetzlichen Richter (Art.101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes - GG -) entzogen worden. Die Möglichkeit zur Manipulation folge aus der ,,Überbesetzung" des Senats, die es dem Vorsitzenden gestatte, mehrere Sitzgruppen mit jeweils verschiedenen Beisitzern zu bilden. In Urteilssachen erfolge nach der Praxis des BFH das Ausscheiden der überzähligen Richter für jedes Verfahren durch Einzelfallentscheidung des Vorsitzenden, die dieser ad hoc treffe. Das gelte auch dann, wenn das Ausscheiden des überzähligen (sechsten) Richters pro Kalenderwoche oder Sitzung im voraus festgelegt sei. Denn der Vorsitzende terminiere nach freier Entscheidung die Woche oder Sitzung, in der die Sache behandelt werde, ebenso wie er auch zuvor nach freiem Belieben den Berichterstatter und den Mitberichterstatter bestimmt habe. Damit verstoße er aber gegen das zwingende Vorhinaus- und Abstraktionsprinzip, das der Gesetzgeber normiert habe. Noch krasser wirke sich die Möglichkeit der Manipulation in Beschlußsachen aus, bei denen der Vorsitzende die Richterbank mit den drei mitwirkenden Richtern völlig frei zusammenstelle.
Entscheidungsgründe
Der Antragstellerin kann für die begehrte Wiederaufnahme des Verfahrens keine PKH gewährt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung - Nichtigkeitsklage - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 ZPO).
1. Ein rechtskräftig beendetes Verfahren kann gemäß § 134 FGO nach den Vorschriften des Vierten Buches der ZPO wieder aufgenommen werden. Nach § 578 Abs. 1 ZPO kann die Wiederaufnahme durch Nichtigkeitsklage oder durch Restitutionsklage erfolgen (§ 578 Abs. 1 ZPO). Zwar setzt die Wiederaufnahme nach dem Wortlaut des § 578 Abs. 1 ZPO ein durch rechtskräftiges Endurteil abgeschlossenes Verfahren voraus. Nach allgemeiner Ansicht kann aber auch ein durch Beschluß rechtskräftig beendetes Verfahren wieder aufgenommen werden. In diesem Falle ist anstelle einer Nichtigkeitsklage ein Antrag auf Wiederaufnahme zu stellen (BFH-Beschluß vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91, BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252, 253 mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Schrifttum).
a) Nach diesen Grundsätzen ist ein Nichtigkeitsantrag hinsichtlich des Beschlusses, mit dem der Senat den Antrag auf Berichtigung des Tatbestandes im Urteil abgelehnt hat, nicht statthaft. Denn mit dem Beschluß über die Tatbestandsberichtigung ist ein gerichtliches Verfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen worden. Dieser Beschluß hat keine (selbständige) verfahrensbeendende Wirkung, sondern er ergeht innerhalb des Urteilsverfahrens. Der Wiederaufnahmeantrag kann im übrigen, da er anstelle eines Rechtsmittels steht, nicht im weiteren Umfang als ein Rechtsmittel statthaft sein (Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, Zivilprozeßordnung, 49. Aufl., § 578 Anm.1 A). Wie der Senat in dem Beschluß . . . ausgeführt hat, ist aber der Antrag auf Berichtigung des Tatbestandes eines im Revisionsverfahren ergangenen Urteils nicht zulässig. Mangels Statthaftigkeit dieses Antrags ist folglich auch der gegen den Tatbestandsberichtigungsbeschluß gerichtete Wiederaufnahmeantrag nicht gegeben.
b) Es bestehen auch Zweifel über die Statthaftigkeit der beabsichtigten Nichtigkeitsklage gegen das Senatsurteil. Durch dieses Urteil ist das Verfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen worden (§ 578 Abs. 1 ZPO), da der Senat mit ihm auf Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 2 Nr.2 FGO) erkannt hat. Erst mit dem im zweiten Rechtszug ergangenen klageabweisenden Urteil des FG, das inzwischen rechtskräftig geworden ist, ist das Verfahren beendet worden.
Es kann aber dahingestellt bleiben, ob ein das Verfahren abschließendes rechtskräftiges Endurteil des FG auch die Nichtigkeitsklage gegen ein Revisionsurteil, das im Laufe des Verfahrens ergangen ist, statthaft macht. Die Nichtigkeitsklage wäre jedenfalls unzulässig, weil nach der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Beurteilung ein Wiederaufnahmegrund nicht ausreichend dargelegt worden und auch nicht erkennbar ist.
2. a) Zur Zulässigkeit der Wiederaufnahmeklage gehört die schlüssige Behauptung eines nach den §§ 579, 580 ZPO erheblichen Wiederaufnahmegrundes (vgl. BFH in BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252, 253 m.w.N.). Im Streitfall ergeben die von der Antragstellerin vorgetragenen Tatsachen - ihre Richtigkeit unterstellt - nicht den behaupteten Wiederaufnahmegrund der nicht ordnungsgemäßen Besetzung des Gerichts (§ 579 Abs. 1 Nr.1 ZPO).
Rechtserhebliche Einwendungen, die sich gegen den nach § 21e GVG vom Präsidium des BFH vor Beginn des Geschäftsjahres aufgestellten Geschäftsverteilungsplan - hier für das Jahr 1990 - richten, hat die Antragstellerin - mit Ausnahme der Überbesetzung des Senats mit sechs Richtern (vgl. § 10 Abs. 3 FGO) - nicht vorgetragen. Wie der VIII.Senat des BFH in BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252 und der II.Senat mit Urteil vom 11.Dezember 1991 II R 49/89 (BFHE 165, 492, BStBl II 1992, 260) unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) entschieden haben, verstößt die geringfügige Überbesetzung des Senats mit einem über die vorgeschriebene Mindestzahl gemäß § 10 Abs. 3 FGO hinausgehenden Richter nicht gegen Art.101 Abs. 1 Satz 2 GG. Diese begrenzte Überbesetzung gestattet es - im Gegensatz zum Vorbringen der Antragstellerin, die irrigerweise (unter Einbeziehung der Vertreter) von acht Mitgliedern des Senats ausgeht - nicht, in zwei personell voneinander verschiedenen Sitzgruppen Recht zu sprechen, oder daß der Vorsitzende drei Spruchkörper mit je verschiedenen Beisitzern bildet. Das gilt auch für die in der Besetzung mit drei Richtern zu entscheidenden Beschlußsachen, da der Vorsitzende nach den internen Geschäftsverteilungsplänen der Senate, soweit er nicht verhindert ist, an allen Entscheidungen mitwirkt. Der Senat schließt sich der Auffassung des II. und des VIII.Senats des BFH an und nimmt zur Begründung auf die zitierten BFH-Entscheidungen Bezug.
b) Nach dem Beschluß des VIII.Senats des BFH in BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252, 254 ist auch mit der Rüge, der Vorsitzende habe entgegen § 21g Abs. 2 GVG für das Geschäftsjahr nicht im voraus abstrakt-generell bestimmt, nach welchen Grundsätzen die Mitglieder des Senats an Entscheidungen (dort Beschlüssen) mitwirken, ein Nichtigkeitsgrund i.S. von § 579 Abs. 1 Nr.1 ZPO nicht schlüssig dargetan. Das wird damit begründet, daß ein Wiederaufnahmegrund im Sinne dieser Bestimmung nur dann gegeben sei, wenn eine Verletzung des Art.101 Abs. 1 Satz 2 GG vorliege. Nach dieser Verfassungsvorschrift, die sich auf den Geschäftsverteilungsplan des Gerichts beziehe, brauche aber nicht im voraus festgelegt zu werden, welche Richter innerhalb eines überbesetzten Senats an den einzelnen Verfahren mitwirkten; vielmehr könne der Vorsitzende dies nach willkürfreiem Ermessen bestimmen (ebenso II.Senat des BFH in BFHE 165, 492, BStBl II 1992, 260, 261).
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob und welche Mängel des nach § 21g Abs. 2 GVG aufzustellenden senatsinternen Geschäftsverteilungsplans (Mitwirkungsplans) doch zu einer vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts i.S. von § 579 Abs. 1 Nr.1 ZPO i.V.m. § 134 FGO führen können. Denn die Antragstellerin hat zwar behauptet, daß eine Verletzung des § 21g Abs. 2 GVG - und damit zugleich des Art.101 Abs. 1 Satz 2 GG - vorliege, weil der bei der Entscheidung in Urteilssachen ausscheidende überzählige Richter jeweils im Einzelfall (ad hoc) durch den Vorsitzenden bestimmt werde. Es fehlt aber an der Schlüssigkeit dieser Behauptung, weil hierfür keine Tatsachen vorgetragen worden sind.
Die Antragstellerin bezieht sich lediglich auf den ihr übersandten Geschäftsverteilungsplan des Gerichts, aus dem sich die Mitglieder des Senats und ihre Vertreter ergeben. Auf den senatsinternen Geschäftsverteilungsplan, der die Mitwirkung der Senatsmitglieder an den Entscheidungen des Senats bestimmt, geht die Antragstellerin nicht ein. Eine schlüssige Darlegung der fehlenden Vorausbestimmung der an den Entscheidungen mitwirkenden Richter nach abstrakt-generellen Merkmalen hätte aber eine Auseinandersetezung mit dem vom Senatsvorsitzenden vor Beginn des Geschäftsjahres aufgestellten Mitwirkungsgrundsätzen geboten.
Darüber hinaus ist davon auszugehen, daß auch nach Beiordnung eines Prozeßbevollmächtigten im PKH-Verfahren durch diesen eine Verletzung des § 21g Abs. 2 GVG im Streitfall nicht schlüssig gerügt werden könnte. Für die Entscheidung über die PKH kommt es auch nicht darauf an, ob die Antragstellerin den Mitwirkungsplan des Senats gekannt hat oder hätte kennen können. Es ist - unter Berücksichtigung der entscheidungserheblichen Tatsachen - allein auf die Erfolgsaussicht des Wiederaufnahmebegehrens i.S. des § 114 ZPO abzustellen, die nach Auffassung des Senats nicht gegeben ist.
Nach dem senatsinternen Plan über die Mitwirkung der Senatsmitglieder an Verfahren im Jahre 1990 trifft es nicht zu, daß der Vorsitzende den in Urteilssachen jeweils ausscheidenden überzähligen Richter ad hoc im jeweiligen Einzelfall willkürlich bestimmen konnte. Vielmehr schied danach ohne weiteres Zutun des Vorsitzenden bei allen Entscheidungen, die mit fünf Richtern zu treffen waren, jeweils ein Senatsmitglied nach einem vor Beginn des Geschäftsjahres nach der Reihenfolge des Dienstalters festgelegten Turnus bei den Sitzungen der jeweiligen Kalenderwoche aus.
Soweit die Antragstellerin die Möglichkeit zur Manipulation durch den Vorsitzenden mit der Begründung behauptet, daß dieser durch die Terminierung den Zeitpunkt der Entscheidung bestimme, trifft dies für die Mitwirkungsregelung des VII.Senats nicht zu. Entsprechend der mündlichen Ergänzung des Mitwirkungsplans (Anweisung des Vorsitzenden an die Senatsgeschäftsstelle) werden alle Sachen, die - nach Erstellung der Entscheidungsvorschläge durch Berichterstatter und Mitberichterstatter - jeweils bis Donnerstagmittag bei der Geschäftsstelle eingehen, auf die Tagesordnung der jeweils nächsten Sitzung (regelmäßig am Dienstag der folgenden Woche) gesetzt, an der nach dem Turnusplan Berichterstatter und Mitberichterstatter mitwirken. Der Vorsitzende hat also keine Möglichkeit, über die Terminierung der Streitsache die Besetzung der Richterbank zu bestimmen. Die Mitwirkungsregelung des Senats stimmt damit überein mit der Praxis des II.Senats des BFH, die nach dessen Entscheidung in BFHE 165, 492, BStBl II 1992, 260, 262 den Anforderungen des § 21g Abs. 2 GVG entspricht. Auch die Bestimmung des Berichterstatters und regelmäßig auch des Mitberichterstatters durch den Vorsitzenden, die die Antragstellerin ebenfalls als manipulationsgeeignet ansieht, erfolgt im VII.Senat nach vorher festgelegten Grundsätzen über die Bestimmung der Zuständigkeit der Senatsmitglieder für bestimmte Sachgebiete (Dezernatsprinzip), die vor Beginn des Geschäftsjahres unter den Senatsmitgliedern abgesprochen werden.
Fundstellen