Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristbeginn für die Wiedereinsetzungsfrist
Leitsatz (NV)
Weist das Gericht den Prozeßbevollmächtigten darauf hin, daß die Revisionsbegründungsfrist versäumt worden ist, dann müssen die den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründenden Tatsachen binnen der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 3 FGO angegeben werden.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1-2, § 120 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatte gegen die Aufforderung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) vom 6. April 1984, die Buchführung gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i. V. m. § 200 Abs. 1 bis 3 AO 1977 vorzulegen, Beschwerde erhoben. Das Beschwerdeverfahren blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet zurück (veröffentlicht in EFG 1987, 9). Das Urteil wurde dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 26. Juni 1986 zugestellt.
Die vom FG zugelassene Revision hat der Kläger mit Schriftsatz vom 10. Juli 1986 eingelegt. Die Revisionsbegründungsfrist ist antragsgemäß bis zum 30. September 1986 verlängert worden.
Die Revisionsbegründungsschrift vom 29. September 1986 - vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers freigestempelt am 29. September 1986 - ging am Donnerstag, dem 2. Oktober 1986, beim BFH ein. Auf den dem Prozeßbevollmächtigten durch Postzustellungsurkunde am Dienstag, dem 7. Oktober 1986, zugestellten Hinweis des Gerichts, die Revisionsbegründung sei verspätet eingegangen, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 22. Oktober 1986, beim Gericht eingegangen am Donnerstag, dem 23. Oktober 1986, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist beantragt. Darin wird ausgeführt, der Prozeßbevollmächtigte habe die Revisionsbegründung persönlich am 29. September 1986 ,,gegen 11.30 Uhr in den für die Praxis zuständigen Briefkasten gesteckt" und darauf vertrauen können, daß das Schreiben dem BFH am 30. September 1986 zugestellt werde, anderenfalls hätte er die Revisionsbegründung beim FG in Hamburg abgegeben. Den Hinweis des Gerichts, der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei gleichfalls verspätet gestellt, hat der Kläger unbeantwortet gelassen.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig, weil sie nicht fristgemäß begründet worden ist.
1. Eine zum BFH eingelegte Revision bedarf einer Begründung. Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) muß die Begründung binnen eines Monats nach dem Ablauf der Frist zur Revisionseinlegung abgegeben werden; doch kann die Begründungsfrist auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag durch den Vorsitzenden des zuständigen Senats des BFH verlängert werden (§ 120 Abs. 1 Satz 2 FGO). Wird die Begründung erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist abgegeben, ist die Revision unzulässig (§ 124 FGO) und durch Beschluß zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO). Die Fristversäumung ist lediglich dann unschädlich, wenn dem Revisionsführer gemäß § 56 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Die Wiedereinsetzung setzt voraus, daß der Prozeßbeteiligte ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist verhindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Sie verlangt weiter (§ 56 Abs. 2 FGO), daß der Beteiligte binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses einen Wiedereinsetzungsantrag stellt, die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft macht und innerhalb der Antragsfrist die versäumte Rechtshandlung nachholt; ist dies geschehen, kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (vgl. zum vorstehenden Beschluß des Großen Senats des BFH vom 1. Dezember 1986 GrS 1/85, BFHE 148, 414, BStBl II 1987, 264).
2. Während des Laufs der bis zum 30. September 1986 verlängerten Revisionsbegründungsfrist hat der Kläger keine Revisionsbegründung abgegeben. Insbesondere enthält die Revisionsschrift selbst keine Revisionsbegründung.
3. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist nicht zu gewähren. Die Wiedereinsetzung ist nach § 56 Abs. 1 FGO nur möglich, wenn, wie ausgeführt, jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist - hierzu gehört die Revisionsbegründungsfrist - einzuhalten. Das Verschulden eines Bevollmächtigten steht dem Verschulden des Vertretenen gleich (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).
Eine Fristversäumnis ist als entschuldigt anzusehen, wenn sie durch die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte. Dabei dürfen unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Garantien eines wirksamen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 GG) keine überhöhten Anforderungen daran gestellt werden, was der Betroffene zu veranlassen und vorzubringen hat, um nach einer Fristversäumung die Wiedereinsetzung zu erhalten (BFH-Beschluß vom 14. August 1986 VIII R 241/84, BFH/NV 1987, 170, mit weiteren Nachweisen).
4. Gründe, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen könnten, sind nicht gegeben. Zwar ist die versäumte Rechtshandlung, die Begründung der Revision (vgl. BFH-Beschluß GrS 1/85), binnen der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO nachgeholt worden, wie dies in § 56 Abs. 2 Satz 3 FGO gefordert wird. Aber innerhalb dieser Frist sind die den Antrag auf Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen nicht angegeben worden (vgl. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1985 I R 352/83, BFH/NV 1986, 644, 646, und BFH-Beschluß vom 1. Dezember 1985 GrS 1/85, mit weiteren Nachweisen).
Der Schriftsatz mit der Angabe der Wiedereinsetzungsgründe ist erst am 23. Oktober 1986 beim BFH eingegangen; die Zweiwochenfrist war aber bereits am Dienstag, dem 21. Oktober 1986, abgelaufen (§ 54 Abs. 2 FGO i. V. m. § 222 ZPO und § 187 Abs. 1 i. V. m. § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches), weil der Prozeßbevollmächtigte bereits durch den Hinweis des Gerichts vom 3. Oktober 1986 am Dienstag, dem 7. Oktober 1986, Kenntnis von der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist erhalten hatte.
Die Revision ist daher durch Beschluß zu verwerfen (§ 124 FGO i. V. m. § 126 Abs. 1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 415102 |
BFH/NV 1988, 712 |