Entscheidungsstichwort (Thema)
Schaumweinbesteuerung aromatisierter weinhaltiger Cocktails
Leitsatz (NV)
- Den im Deutschen Gebrauchszolltarif (DGebrZT) angegebenen Verbrauchsteuer-Zusatzcodes kommt, wie dem DGebrZT überhaupt, keine Rechtsnormenqualität zu. Maßgeblich für die Besteuerung verbrauchsteuerpflichtiger Waren ist allein der sich aus dem Gesetz ergebende Steuertatbestand mit dem dazugehörigen Steuersatz.
- Die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten der Finanzverwaltung einen Vertrauenstatbestand begründen kann (hier: unterlassener Zwischenbescheid über den Stand eines Verwaltungsverfahrens trotz Drängens des Steuerpflichtigen auf Information), hat keine grundsätzliche Bedeutung, weil die zutreffende Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben von einer Würdigung der Umstände des Einzelfalles abhängt und daher regelmäßig einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 3; SchaumwZwStG § 2 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt ―HZA―) hatte von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) für insgesamt 147 142 1/1-Flaschen "weinhaltige Cocktails", die nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes zur Besteuerung von Schaumwein und Zwischenerzeugnissen (SchaumwZwStG) i.d.F. von Art. 4 des Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I, 2150, 2176) in der Zeit vom 1. Januar bis zum 14. Oktober 1993 zum ermäßigten Steuersatz (0,40 DM/0,75 l) aus dem Herstellungsbetrieb entfernt worden waren, Schaumweinsteuer in Höhe der Differenz zum Steuersatz von 2,00 DM/0,75 l, d.h. insgesamt 235 427,20 DM, nachgefordert. Nachdem die Klägerin hiergegen Einspruch eingelegt und außerdem den Erlaß der Schaumweinsteuer aus Billigkeitsgründen beantragt hatte, erließ das HZA mit Zustimmung des Bundesministers der Finanzen 167 000 DM Schaumweinsteuer für Cocktails, die vom 1. Januar bis zum 30. Juni 1993 aus dem Herstellungsbetrieb entfernt worden waren. Den weitergehenden Einspruch der Klägerin hinsichtlich der nunmehr auf 68 427,20 DM ermäßigten Steuerforderung wies das HZA als unbegründet zurück. Die von der Klägerin gegen die Billigkeitsentscheidung eingelegte Beschwerde wurde vom HZA in der Folge ebenfalls zurückgewiesen (Einspruchsentscheidung vom 3. April 1996). Gegen beide Einspruchsentscheidungen erhob die Klägerin Klage beim Finanzgericht (FG).
Das FG wies die zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundene Klage ab. Es hielt den Steuerbescheid für rechtmäßig, weil der streitgegenständliche aromatisierte weinhaltige Cocktail dem Schaumweinsteuersatz des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SchaumwZwStG (2,00 DM/0,75 l) unterliege; der ermäßigte Steuersatz des § 2 Abs. 1 Nr. 2 SchaumwZwStG (0,40 DM/0,75 l) gelte lediglich für Schaumwein der Unterposition 2206 00 91 der Kombinierten Nomenklatur mit einem vorhandenen Alkoholgehalt von nicht mehr als 8,5 % vol., sofern er aus Obst- und Fruchtmosten oder Obst- oder Fruchtweinen hergestellt worden sei. Traubenwein (Grundwein), aus dem der streitgegenständliche Cocktail hergestellt sei, sei kein Obst- oder Fruchtwein im Sinne dieser Vorschrift. Der (nicht angepaßte) Verbrauchsteuer-Zusatzcode im Deutschen Gebrauchszolltarif (DGebrZT) stelle kein materielles Recht dar; der Steuersatz ergebe sich ausschließlich aus dem Gesetz.
Auch unter Billigkeitsgesichtspunkten sei die Nachforderung des HZA nicht zu beanstanden. Das HZA habe keinen Vertrauenstatbestand geschaffen oder eine verbindliche Zusage gegeben, auf die sich die Klägerin berufen könne. Die von der Klägerin angeforderten Auskünfte seien ausdrücklich als unverbindliche Auskünfte bezeichnet; außerdem betreffe die steuerrechtliche Beurteilung des Cocktails in dem vorliegenden Gutachten aus dem Jahre 1989 und in den Schreiben des HZA vom 29. Juli 1992 und vom 25. November 1992 lediglich die Rechtslage nach altem Schaumweinsteuerrecht. Für die ab 1. Januar 1993 geltende Rechtslage habe das HZA noch keine Auskünfte erteilen wollen und können, weil das ab 1. Januar 1993 anzuwendende SchaumwZwStG erst am 21. Dezember 1992 verabschiedet worden sei. Auch im übrigen liege kein gegen Treu und Glauben verstoßendes Verhalten des HZA vor, welches eine Nachforderung des Differenzbetrags verbiete. Das HZA sei nicht verpflichtet gewesen, früher als am 13. Oktober 1993 eine rechtsverbindliche gutachterliche Stellungnahme abzugeben. Der Zeitraum von Anfang März (Vorlage der Warenprobe) bis zur Beantwortung Mitte Oktober sei nicht unverhältnismäßig lang, denn einer gründlichen Begutachtung und rechtlichen Bewertung müsse auch ein entsprechender Zeitraum zugestanden werden. Zudem müsse die Klägerin als erfahrene Produzentin gerade in dieser Phase das steuerliche Risiko selbstverantwortlich einkalkulieren, zumal der Wortlaut des Gesetzes eindeutig sei. Das HZA sei auch nicht zu einer "Zwischenbescheidung" verpflichtet gewesen, als ihm das Gutachten der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt (ZPLA) bekanntgeworden sei und es sich diesem im Ergebnis nicht angeschlossen, sondern die Sache der vorgesetzten Dienststelle vorgelegt habe. Über verwaltungsinterne Vorgänge zur Klärung der steuerlichen Behandlung des Produkts habe das HZA die Klägerin nicht unterrichten müssen. Insgesamt komme weder ein Billigkeitserlaß bei der Steuerfestsetzung gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) noch ein Billigkeitserlaß gemäß § 227 AO 1977 in Betracht.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt, die sie auf grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) stützt. Das HZA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Soweit die Klägerin eine Rechtsfrage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung dahingehend formulieren möchte, ob dem sich aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit ergebenden Bestimmtheitserfordernis, wonach eine den Abgabenpflichtigen belastende Regelung klar und deutlich sein muß, damit er seine Rechte und Pflichten unzweideutig erkennen und somit seine Vorkehrungen treffen kann, schon dann genügt sei, wenn der Steuersatz eindeutig (im Gesetz) normiert sei (so das FG), oder ob die Einhaltung dieses Grundsatzes gebiete, daß der Gesetzgeber auch "nachgeschaltete" Rechtsakte, "Verordnungen und Listungen", die Zuordnungen konkreter Produkte zu den Steuersätzen träfen, rechtzeitig anpassen müsse (so die Klägerin), kann dahinstehen, ob die dazu gemachten Ausführungen den Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO gerecht werden. Die Beschwerde ist jedenfalls insoweit unbegründet, denn der aufgeworfenen Rechtsfrage kommt grundsätzliche Bedeutung nicht zu.
Die Frage ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht klärungsfähig. Die Klägerin irrt, wenn sie meint, der im DGebrZT angegebene Verbrauchsteuer-Zusatzcode sei Bestandteil des Steuertatbestands. Der DGebrZT hat keine Rechtsnormenqualität. Er ist ein bloßes Handbuch für die Zollabfertigung, welches zur Arbeitserleichterung für alle an Zollvorgängen Beteiligten eine Zusammenstellung von Vorschriften enthält; das Werk hat reinen Hinweischarakter und kann weder dazu führen, den Vorrang des Gemeinschaftsrechts (vgl. das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 12. Juli 1989 Rs. 161/88 ―Binder―, EuGHE 1989, 2415, Abs. 19) noch den des Vorrangs und der Maßgeblichkeit des nationalen Rechts in Frage zu stellen. Denn der DGebrZT enthält keine Rechtsnormen, sondern lediglich Verwaltungsvorschriften; Hinweiszeichen wie "VSt" haben zudem nur exemplarischen Charakter und können keine Vollständigkeit beanspruchen (Bundesfinanzhof ―BFH―, Urteil vom 4. August 1992 VII R 74/90, BFHE 169, 269, 277). Das gilt auch für die Angabe von bestimmten Verbrauchsteuer-Zusatzcodes; eine Garantie der Vollständigkeit und Richtigkeit, zumal nach einer grundlegenden Rechtsänderung, kann daraus nicht abgeleitet werden. Maßgeblich ist allein der sich aus dem Gesetz ergebende Steuertatbestand mit dem dazugehörigen Steuersatz. Die Frage eines Widerspruchs zu "nachgeschalteten" Rechtsvorschriften, der vom Gesetzgeber zu beseitigen gewesen wäre, stellt sich somit nicht.
2. Die Klägerin wendet sich ferner gegen die Auffassung des FG, wonach die Behörde nicht verpflichtet sei, den auf Information drängenden Steuerpflichtigen über Zwischenschritte in einem Verwaltungsverfahren zu informieren, denen eine Änderung der behördeninternen Rechtsauffassung zugrunde liege. Diese Auffassung stehe im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH), wonach der Beamte nicht sehenden Auges zulassen dürfe, daß der Bürger einen Schaden erleide, den der Beamte durch einen kurzen Hinweis oder eine entsprechende Aufklärung zu vermeiden in der Lage sei. Bereits aufgrund dieser Abweichung sei die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung geboten.
Es mag schon zweifelhaft erscheinen, ob die Klägerin mit ihrem Vorbringen überhaupt eine klärungsbedürftige und auch klärungsfähige Rechtsfrage formuliert hat oder ob sie sich lediglich gegen eine vermeintlich unzutreffende Rechtsauffassung des FG, nämlich, wie die Klägerin vorbringt, "die Verkennung des Grundsatzes von Treu und Glauben und des Vertrauensschutzes", wenden wollte, was im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht mit Erfolg geltend gemacht werden kann. Jedenfalls ist die Darlegung unzureichend. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Handhabung des Rechts betrifft. Es muß sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln (BFH-Beschluß vom 27. Juni 1985 I B 23/85, BFHE 144, 133, BStBl II 1985, 605). Nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der Beschwerdeschrift dargelegt werden. Dazu ist erforderlich, daß der Beschwerdeführer konkret auf die Rechtsfrage, ihre Klärungsbedürftigkeit und ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluß vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479).
Die Beschwerdeschrift genügt diesen Anforderungen nicht. Die Klägerin hat nicht ―wie erforderlich― dargelegt, worin denn die über den vorliegenden Einzelfall hinausreichende allgemeine Bedeutung einer bestimmten Rechtsfrage bestehen soll und inwiefern deren Beantwortung in dem einen oder anderen Sinne auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen Einfluß auf die Entscheidung des FG hätte haben können. Die Ausführungen der Klägerin beschränken sich insoweit auf die Behauptung einer Amtspflichtverletzung des HZA und einer Abweichung des FG-Urteils von den Grundsätzen der Rechtsprechung des BGH. Dieser Versuch der Konstruktion einer Abweichung des FG-Urteils von der zivilgerichtlichen Rechtsprechung mit der Folge, daß sich hieraus die grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergebe, geht schon deshalb fehl, weil nach dem eigenen Vortrag der Klägerin der BGH in der von ihr zitierten Entscheidung darauf hingewiesen habe, daß "aus der besonderen Lage des Einzelfalles" heraus sich die Pflicht für den Beamten ergeben könne, den Gesuchsteller über die für die Erreichung seiner Ziele notwendigen Maßnahmen aufzuklären. Entscheidend für das Bestehen einer Hinweispflicht nach dem Gebot von Treu und Glauben sind daher immer die besonderen Umstände des Einzelfalles. Der Frage, ob ein bestimmtes Verhalten der Finanzverwaltung einen Vertrauenstatbestand begründen kann, kommt indes keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil die Frage der Würdigung der Umstände des Einzelfalls, d.h. die zutreffende Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben, einzelfallbezogen und einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist (BFH-Beschlüsse vom 13. August 1996 V B 2/96, BFH/NV 1997, 328; vom 21. Januar 1997 V B 110/96, BFH/NV 1997, 388; vom 25. Juli 1997 V B 145/96, BFH/NV 1998, 458).
In der Sache teilt der Senat im übrigen die Auffassung des FG, daß der Steuertatbestand nach dem Wortlaut des Gesetzes eindeutig ist und die Klägerin als erfahrener Hersteller von Schaumweinen die Steuerpflichtigkeit ihres Erzeugnisses nach dem Normalsteuersatz durch eigene Anstrengungen hätte erkennen können oder zumindest das steuerliche Risiko selbstverantwortlich hätte einkalkulieren müssen, ferner, daß ein Zeitraum von etwas mehr als sieben Monaten von der Einreichung der Warenprobe bis zur endgültigen Bescheidung der Klägerin nicht unangemessen lang war und daß das HZA bis zur endgültigen internen Abklärung der Frage unter Einschaltung der vorgesetzten Dienststelle, letztlich auch des Bundesministers der Finanzen, der Klägerin einen Zwischenbescheid zu erteilen nicht verpflichtet war. Ganz abgesehen davon hat die Klägerin auch nicht dargelegt, was denn ein solcher Zwischenbescheid vor dem Hintergrund, daß das HZA das der Klägerin günstige Gutachten der ZPLA vom 14. Juni 1993 für unzutreffend hielt und daraufhin seine vorgesetzten Dienststellen einschaltete, die schließlich die Auffassung des HZA bestätigten, hätte zum Gegenstand haben können und welche Maßnahmen die Klägerin daraufhin, wenn sie solche angesichts des "Zwischenergebnisses" überhaupt für geboten hielt, in die Wege geleitet hätte.
Fundstellen
BFH/NV 1999, 1386 |
IStR 1999, 704 |