Entscheidungsstichwort (Thema)
Motivirrtum bei Erklärung der Klagerücknahme unerheblich
Leitsatz (NV)
Die Klage ist regelmäßig auch dann zurückgenommen, wenn der Kläger die Rücknahme nicht erklärt hätte, wenn er gewusst hätte, dass eine andere Klage abgewiesen wird.
Normenkette
FGO §§ 72, 115 Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Steuerberater und war in den Streitjahren (1995 und 1996) an zwei Steuerberatungsgesellschaften als Mitunternehmer beteiligt.
Zwischen dem Kläger und dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) bestand Streit über die Berücksichtigung von Sonderbetriebsausgaben. Dieser Streit führte nicht nur zu Verfahren vor dem Finanzgericht (FG) wegen der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung für die Streitjahre, sondern auch zu Verfahren wegen der jeweiligen Einkommensteuerbescheide, die als Folgebescheide auf den Gewinnfeststellungsbescheiden basierten. In den mündlichen Verhandlungen vom 1. Dezember 2000 erklärte der Kläger im Beisein seines Prozessbevollmächtigten auf Anregung des Senatsvorsitzenden, er nehme die Klagen in den jeweiligen Einkommensteuersachen zurück.
Daraufhin stellte das FG die Verfahren gemäß § 72 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ein. Die Klagen wegen Gewinnfeststellung 1995 und 1996 wies das FG durch Urteile vom selben Tag ab. Die Revision ließen weder das FG, noch ―auf die Beschwerden des Klägers hin― der Bundesfinanzhof (BFH) zu (Senatsbeschluss vom 30. August 2001 IV B 79, 80/01, BFHE 196, 30, BStBl II 2001, 837).
Mit Schriftsätzen vom 25. Januar 2001 stellte der Kläger beim FG einen Antrag auf "Wiedereinsetzung in den vorhergehenden Stand wegen neuer Tatsachen von erheblichem Gewicht und Irreführung " und nahm seine Klagerücknahmeerklärungen zurück. Zur Begründung führte er an, ihm sei vorgespielt worden, er könne Vertrauen zu dem Gericht haben, um dann durch die Fehlurteile (sc. in den Gewinnfeststellungssachen) bitter enttäuscht zu werden.
Das FG entschied daraufhin, dass die Klagen wirksam zurückgenommen worden seien.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit den vorliegenden Beschwerden.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Beschwerden sind unzulässig.
Der Kläger hat keinen der in § 115 Abs. 2 FGO aufgeführten Gründe für die Zulassung der Revision in zulässiger Weise dargetan. Insbesondere ist ein Verfahrensfehler des FG nicht zu erkennen.
Das FG hat den Kläger nicht durch irreführende Äußerungen zur Abgabe der Klagerücknahmeerklärungen bewegt. Eine Irreführung ist nicht darin zu sehen, dass der Vorsitzende dem Kläger gegenüber erklärt hat, die Rücknahme der Klagen wegen Einkommensteuer 1995 und 1996 werde für ihn nicht nachteilig sein. Diese Äußerung musste ―entgegen der offenbar vom Kläger vertretenen Auffassung― nicht dahin gehend verstanden werden, dass die Klagen in den Gewinnfeststellungssachen Erfolg haben würden. Vielmehr ist der Hinweis des Vorsitzenden vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Kläger mit seinen Klagen wegen Einkommensteuer die steuerliche Berücksichtigung derselben Sonderbetriebsausgaben begehrte, die er auch mit seinen Klagen wegen Gewinnfeststellung geltend gemacht hatte. Nach der Rechtsprechung des BFH können Sonderbetriebsausgaben jedoch nur im Rahmen des für die Gesellschaft durchzuführenden Gewinnfeststellungsverfahrens geltend gemacht werden (BFH-Urteil vom 11. September 1991 XI R 35/90, BFHE 165, 336, BStBl II 1992, 4). Bei der Einkommensbesteuerung sind sie nur insoweit zu berücksichtigen, als dem gegenüber der Gesellschaft erlassenen Gewinnfeststellungsbescheid als Grundlagenbescheid Bindungswirkung für die Einkommensteuerveranlagung zukommt (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung ―AO 1977―).
Darauf, ob der Kläger die Klagerücknahmen auch dann erklärt hätte, wenn er gewusst hätte, dass seine Klagen wegen Gewinnfeststellung 1995 und 1996 keinen Erfolg haben würden, kommt es aus mehreren Gründen nicht an. Zum einen ist die Klagerücknahme als Prozesshandlung grundsätzlich bedingungsfeindlich und unwiderruflich und kann auch nicht ―etwa in entsprechender Anwendung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) über die Anfechtung von Willenserklärungen― angefochten werden (BFH-Beschluss vom 19. Januar 1972 II B 26/69, BFHE 104, 291, BStBl II 1972, 352; Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Januar 1981 6 C 70/80, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1983, 77; Urteile des Bundessozialgerichts vom 21. Juli 1972 6 RKa 31/68, Neue Juristische Wochenschrift 1972, 2280 und vom 20. Dezember 1995 6 RKa 18/95, juris). Zum anderen war der Kläger bei Abgabe der Klagerücknahmeerklärungen über deren Inhalt nicht im Irrtum; er wollte vielmehr genau diese Erklärungen abgeben. Es könnte demnach allenfalls ein Motivirrtum vorliegen, der auch im bürgerlichen Recht ―abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Fall des Eigenschaftsirrtums (§ 119 Abs. 2 BGB)― unbeachtlich ist.
Es kann dahinstehen, ob etwas anderes gelten könnte, wenn die Wirksamkeit der Klagerücknahme nach außen erkennbar vom Ausgang eines anderen Verfahrens abhängen soll (Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 27. Juli 1998 20 W 22/97, juris). Eine derartige Verknüpfung war im Streitfall jedenfalls nicht für alle Beteiligten erkennbar. Abgesehen davon würde es auch keinen Verfahrensfehler darstellen, wenn das FG die Erklärungen des Klägers insoweit falsch gewürdigt hätte (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, § 115 Rz. 81 ff., m.w.N.).
Fundstellen