Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Anordnung wegen drohenden Zinsverlustes?
Leitsatz (NV)
Wird im Wege einer einstweiligen Anordnung eine Geldleistung begehrt, so ist ein Anordnungsgrund nur gegeben, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Antragstellers bedroht ist. Das ist nicht der Fall, wenn dem Antragsteller durch das Hinauszögern einer Entscheidung über den von ihm geltend gemachten Geldanspruch lediglich ein Zinsverlust droht.
Normenkette
FGO § 114 Abs. 1 Sätze 2, 2 Abs. 3; ZPO § 920 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) war mit dem im Jahre 1971 verstorbenen A verheiratet. Sie wurde für das Jahr 1968 mit ihrem verstorbenen Ehemann zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Gegen den Einkommensteuerbescheid vom 7. Mai 1979 erhob sie am 4. März 1981 Klage. Während des Klageverfahrens hob der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) den Bescheid vom 7. Mai 1979 wegen des Vorliegens von Bekanntgabemängeln auf; die Beteiligten erklärten hierauf den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.
Der Einkommensteuerbescheid 1968 wurde der Antragstellerin am 27. November 1981 erneut bekanntgegeben. Auf ihren Einspruch hob das FA auch diesen Bescheid am 17. April 1989 wieder auf. Die für das Jahr 1968 entrichtete Einkommensteuer wurde am 3. Juni 1988 erstattet.
Mit Schreiben vom 27. Juli 1989 begehrte die Antragstellerin für die Zeit von der Klageerhebung (4. März 1981) bis zum Zeitpunkt der Erstattung der Einkommensteuer (3. Juni 1988) Prozeßzinsen in Höhe von . . . DM. Das FA lehnte den Antrag ab. Über den hiergegen gerichteten Einspruch hat das FA noch nicht entschieden.
Mit Schriftsatz vom 2. Oktober 1989 beantragte die Antragstellerin beim Finanzgericht (FG), im Wege einer einstweiligen Anordnung dem FA aufzugeben, . . . DM zu ihren Gunsten auf einem Ander-Konto ihres Prozeßbevollmächtigten zu hinterlegen. Sie habe Bankschulden, für die sie wöchentlich Zinsen zahlen müsse. Würden die von ihr begehrten Prozeßzinsen hinterlegt werden, könne sie wöchentlich rund . . . DM an Zinsen erzielen und zum Ausgleich ihrer Bankschulden verwenden.
Das FG lehnte den Antrag ab. Zur Begründung führte es aus, der Erlaß einer einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis setze gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) voraus, daß ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Ein Anordnungsgrund sei nur gegeben, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen schwerwiegenden Gründen nötig erscheine (Hinweis auf den Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. April 1984 VIII B 115/82, BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492). Im Streitfall gingen die Nachteile, die der Antragstellerin durch die angebliche Überzahlung von Einkommensteuer und eine hierdurch veranlaßte Kreditaufnahme entstanden seien, nicht über die Nachteile hinaus, die üblicherweise mit der Bezahlung von Steuern verbunden seien. Die besonderen Voraussetzungen für einen Anordnungsgrund seien damit weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. - Außerdem dürfe eine Regelungsanordnung i. S. des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO nur eine einstweilige Regelung enthalten und das Ergebnis des Hauptprozesses nicht vorwegnehmen (BFH-Beschluß vom 21. Februar 1984 VII B 78/83, BFHE 140, 163, BStBl II 1984, 449). Mit dem Erlaß einer einstweiligen Anordnung in der von der Antragstellerin begehrten Form würde aber unzulässigerweise die Hauptsache, nämlich die Zahlung der Prozeßzinsen, vorweggenommen.
Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Antrag weiter. Zur Begründung führt sie im wesentlichen aus, bei der Überlastung des FG könne mit einer Entscheidung über ihren Zinsanspruch erst in vielen Jahren gerechnet werden. Da eine Verzinsung des Prozeßzinsanspruchs vom Gesetz nicht vorgesehen sei, entstünde ihr bis zur Entscheidung des FG ein hoher Zinsverlust.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet, da die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht vorliegen.
1. Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 114 Abs. 1 Satz 2 FGO). Hierzu muß der Antragsteller einen Anordnungsanspruch sowie einen Anordnungsgrund schlüssig darlegen und glaubhaft machen (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Daran hat es im Streitfall gefehlt.
2. Zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs ist erforderlich, daß die Tatsachen, aus denen sich der Anordnungsanspruch ergibt, schlüssig dargelegt und durch präsente Beweismittel in dem für die Glaubhaftmachung erforderlichen Maße nachgewiesen werden (BFH-Beschluß vom 20. März 1990 VII B 150/89, BFH/NV 1991, 104 m. w. N.).
Ob der Vortrag der Antragstellerin für die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs in diesem Sinne ausreicht, kann dahinstehen. Denn jedenfalls fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes.
Die in § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO ausdrücklich genannten Anordnungsgründe (wesentliche Nachteile, drohende Gewalt) lassen erkennen, daß dem Gericht keine schrankenlose Befugnis zum Erlaß einer Regelungsanordnung eingeräumt wird. Die ausdrücklich genannten Anordnungsgründe setzen Maßstäbe auch für die ,,anderen Gründe". ,,Andere Gründe" rechtfertigen eine einstweilige Anordnung nur dann, wenn sie für die begehrte Regelungsanordnung ähnlich gewichtig und bedeutsam sind wie die ,,wesentlichen Nachteile" oder die ,,drohende Gewalt" (BFH-Beschluß vom 26. Januar 1983 I B 48/80, BFHE 137, 235, BStBl II 1983, 233). Die Gründe müssen so schwerwiegend sein, daß sie eine einstweilige Anordnung unabweisbar machen (BFH-Beschluß in BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492).
Begehrt der Antragsteller im Wege einer einstweiligen Anordnung eine Geldleistung, so ist ein Anordnungsgrund nur gegeben, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Antragstellers bedroht ist (BFH-Beschluß vom 30. Juli 1986 V B 31/86, BFH/NV 1987, 42). Das ist nicht der Fall, wenn dem Antragsteller durch das Hinauszögern einer Entscheidung über den von ihm geltend gemachten Geldanspruch lediglich ein Zinsverlust droht (vgl. BFH-Beschluß vom 13. Juni 1975 VI B 22/75, BFHE 116, 106, BStBl II 1975, 717); ebensowenig ist als Anordnungsgrund anerkannt der Zwang zu einer Kreditaufnahme oder zur Veräußerung von Vermögenswerten oder zur Einschränkung des gewohnten Lebensstandards (BFH in BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492).
Im Streitfall hat die Antragstellerin nicht dargetan, daß die Nachteile, die mit einer Verzögerung der Entscheidung über den von ihr geltend gemachten Zinsanspruch verbunden sind, existenzbedrohenden Charakter haben. Das FG hat ihren Antrag daher zu Recht abgelehnt.
Fundstellen