Leitsatz (amtlich)
§ 69 FGO läßt grundsätzlich nur vorläufige Maßnahmen zu, nicht solche, die vollendete Tatsachen schaffen und damit das Ergebnis des in der Hauptsache schwebenden Rechtsstreits vorwegnehmen.
Normenkette
FGO §§ 69, 114; AO 1977 § 76
Tatbestand
Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt - HZA -) richtete am 14. Dezember 1979 an die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) folgende Verfügung:
"Die in Ihrem Steuerlager ... lagernden Mineralöle werden gemäß § 76 AO mit Beschlag belegt. Ab sofort darf ohne meine Zustimmung nicht über das Mineralöl verfügt werden."
Die Antragstellerin erhob dagegen Beschwerde und stellte beim Finanzgericht (FG) den Antrag, die Vollziehung der Verfügung bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen. Das FG gab dem Antrag durch Beschluß vom 21. Dezember 1979 unter Hinweis auf die Vorschrift des § 69 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit der Begründung statt, an der Rechtmäßigkeit der Verfügung bestünden ernstliche Zweifel. Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassenen Beschwerde beantragt das HZA, den Beschluß vom 21. Dezember 1979 aufzuheben und den Aussetzungsantrag abzulehnen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Das FG hat zu Unrecht dem Antrag, die Vollziehung der Beschlagnahmeverfügung vom 14. Dezember 1979 auszusetzen, stattgegeben.
In einem Steuerlager befindliche Mineralöle sind verbrauchsteuerbare Waren, die nach § 76 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) ohne Rücksicht auf die Rechte Dritter als Sicherheit für die darauf ruhenden Steuern dienen. Solange die Steuer nicht entrichtet ist, kann die Finanzbehörde solche Waren gemäß § 76 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 mit Beschlag belegen. Als Beschlagnahme genügt nach § 76 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 das Verbot an den, der die Ware in Gewahrsam hat, über sie zu verfügen. Das HZA hat durch seine Verfügung vom 14. Dezember 1979 ein solches Verbot gegenüber der Antragstellerin ausgesprochen und damit bereits die Beschlagnahme bewirkt. Es erscheint fraglich, ob die Vorschriften des § 69 FGO über die Aussetzung der Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts auf eine solche Beschlagnahmeverfügung anwendbar sind. Sie gehen - jedenfalls für den Regelfall - davon aus, daß dem Erlaß des Verwaltungsakts ein weiteres Ereignis folgt, nämlich die Verwirklichung dessen, was der Verwaltungsakt von dem Betroffenen verlangt. Bei der auf § 76 Abs. 3 AO 1977 gestützten Beschlagnahme trägt der Verwaltungsakt mit dem in ihm enthaltenen Verbot an den Gewahrsamsinhaber, über die Waren zu verfügen, die Verwirklichung des vom Betroffenen Geforderten bereits in sich selbst. Das kann dahin verstanden werden, daß der Verwaltungsakt einer Vollziehung nicht zugänglich ist; es ist aber auch möglich anzunehmen, daß der Erlaß des Verwaltungsakts und dessen Vollziehung in einer einzigen Handlung liegen und deshalb die Vorschriften des § 69 FGO über die Aufhebung einer bereits eingetretenen Vollziehung des Verwaltungsakts anwendbar sind. Die Frage kann offenbleiben, weil jedenfalls eine Anwendung des § 69 FGO hier daran scheitert, daß die Aufhebung der Vollziehung unvereinbar wäre mit der ihr durch das Gesetz zugewiesenen Aufgabe, nur vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren.
§ 69 FGO behandelt die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts als Maßnahmen, die die Verwirklichung des im Verwaltungsakt vom Betroffenen Geforderten nur für die Zeit zwischen der Anfechtung des Verwaltungsakts und dem Ende des damit eingeleiteten Rechtsstreits über die Hauptsache hemmen. Hinsichtlich der Vorläufigkeit des durch die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung gewährten Rechtsschutzes entsprechen die Vorschriften des § 69 FGO denen des § 114 FGO über den Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Die Vorschriften des § 114 FGO lassen nur vorläufige Maßnahmen zu, nicht aber solche, die vollendete Tatsachen schaffen und damit das Ergebnis des in der Hauptsache schwebenden Rechtsstreits vorwegnehmen (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. Dezember 1969 VIII B 127/69, BFHE 97, 575, BStBl II 1970, 222, und vom 10. April 1975 I B 7/75, BFHE 116, 83, BStBl II 1975, 778). Dasselbe muß daher für Maßnahmen nach § 69 FGO gelten.
Im vorliegenden Fall würde eine Aufhebung der Vollziehung der Beschlagnehmeverfügung bedeuten, daß die Verfügung ihren rechtlichen Inhalt, nämlich das Verfügungsverbot, verliert. Damit wäre das von der Antragstellerin im Verfahren über die Hauptsache erstrebte Ergebnis, die Verfügung aufzuheben, vorweggenommen.
Ein Ausnahmefall, in dem möglicherweise - wie im Verfahren der einstweiligen Anordnung - die endgültige Regelung deshalb vorweggenommen werden könnte, weil die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes zu unerträglichen Folgen für den Antragsteller führen würde (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17. November 1972 2 BvR 820/72, Die Öffentliche Verwaltung 1973 S. 131) liegt hier nicht vor, da die Beschlagnahme der Antragstellerin die Möglichkeit offenläßt, mit Zustimmung des HZA die Ware wirtschaftlich zu nutzen.
Fundstellen
BStBl II 1980, 592 |
BFHE 1981, 15 |