Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur AdV eines USt-Bescheids wegen streitiger Vorsteuer
Leitsatz (NV)
1. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts bestehen, wenn bei Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund präsenter Beweismittel und des unstreitigen Sachverhalts erkennbar wird, daß aus gewichtigen Gründen Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen könnte.
2. In rechtlicher Hinsicht setzt der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) voraus, daß ein Unternehmen an den den Vorsteuerabzug begehrenden Unternehmer Lieferungen oder sonstige Leistungen ausgeführt hat und hierfür in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1980 die Steuer gesondert ausgewiesen hat.
3. In tatsächlicher Hinsicht trägt der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer die objektive Beweislast (Feststellungslast) dafür, daß die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 erfüllt sind. Dies ist auch im Aussetzungsverfahren zu beachten. Der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer hat die den Vorsteuerabzug begründenden Tatsachen, soweit seine Mitwirkungspflicht reicht, im Aussetzungsverfahren glaubhaft zu machen (§ 155 FGO i.V.m. § 294 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Verbleibende Zweifel können je nach der gegebenen Sachlage eine Aussetzung der Vollziehung ausschließen oder rechtfertigen. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls und das Gewicht der Gründe, die Anlaß zum Zweifel geben.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2-3, § 155; ZPO § 294; UStG 1980 §§ 14, 15 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) betrieb ein Landschafts- und Gartenbauunternehmen. Im wesentlichen führte sie landschaftsgärtnerische Arbeiten an Autobahnen und Landstraßen aus. Die Antragstellerin behauptet, hierzu in großem Umfang Leistungen anderer Unternehmer (sog. Subunternehmer) in Anspruch genommen zu haben.
Im vorliegenden Verfahren geht es um den Vorsteuerabzug aus Rechnungen einer Firma D und einer Firma V. Die Rechnungen des D weisen im Streitjahr (1990) Umsatzsteuer von ... DM und die V Umsatzsteuer von ... DM gesondert aus.
Bei der Veranlagung der Antragstellerin zur Umsatzsteuer für 1990 versagte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen, da es sich bei der Firma des D um eine Scheinfirma handele und V über tatsächlich nicht erbrachte Leistungen abgerechnet habe (Umsatzsteuerbescheid für 1990 vom 22. Januar 1992). Nach Anrechnung der Vorauszahlungen blieb eine Zahllast von ... DM.
Die Antragstellerin hat gegen den Umsatzsteuerbescheid Einspruch eingelegt.
Nachdem das FA aus dem Umsatzsteuerbescheid die Zwangsvollstreckung betrieb, beantragte die Antragstellerin beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids in Höhe des oben genannten Betrages von ... DM. Der Antrag hatte Erfolg.
Hiergegen wendet sich das FA mit der - vom FG zugelassenen - Beschwerde. Es schildert im einzelnen, wie in der Branche der Antragstellerin durch Einschaltung von Subunternehmern, die sich alsbald nach ihrem Erscheinen wieder aus dem Wirtschaftsleben zurückzögen oder aus sonstigen Gründen schwer faßbar seien, in großem Umfang Schwarzarbeiter beschäftigt würden. Das FG habe die ihm vorgelegten Unterlagen unvollständig und unrichtig gewürdigt.
D habe zwar in der ...straße ... in Z ein Appartement gemietet, habe sich dort jedoch nie aufgehalten. Er habe in 14 Monaten Rechnungen in einer Größenordnung von über ... DM ausgestellt. Das entspreche der Beschäftigung von ... Arbeitern mit einem Stundenlohn von 15 DM. Dies sei völlig unglaubhaft.
V habe nach seinen Angaben 10 Arbeiter durchschnittlich 5 Monate lang beschäftigt, die er auch angemeldet habe. Daneben wolle er noch gelegentlich türkische Aushilfskräfte kurzfristig beschäftigt haben. Mit diesen wenigen Arbeitnehmern könne er einen Umsatz von ... DM, unmöglich aber den behaupteten Gesamtumsatz von ... DM erzielt haben. Daß er seinerseits mit Subunternehmern gearbeitet habe, scheine abwegig, da er dann einen entsprechenden Vorsteuerabzug geltend gemacht hätte. V sei offensichtlich von D als Hintermann zur Subunternehmerschaft überredet worden. Ob hinter D, der dem V gegenüber unter falschem Namen aufgetreten sei, noch ein weiterer Hintermann gestanden sei, sei unklar. Jedenfalls habe D den Inhalt der Rechnungen des V verfaßt. Entweder seien die in den Rechnungen des V ausgeführten Leistungen gar nicht ausgeführt worden oder nicht von V. Umsätze, die hinter dem Rücken des V ausgeführt worden seien, könnten diesem nicht zugerechnet werden.
Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Nach Einlegung der Beschwerde hat das FG die Aussetzung der Vollziehung noch von einer Sicherheitsleistung in Höhe des ausgesetzten Betrags abhängig gemacht.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet.
1. Die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts soll auf Antrag ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen (§ 69 Abs. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Ernstliche Zweifel bestehen, wenn bei Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund präsenter Beweismittel und des unstreitigen Sachverhalts erkennbar wird, daß aus gewichtigen Gründen Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen könnte (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Oktober 1991 I B 227/90, I B 228/90, BFH/NV 1992, 341).
a) In rechtlicher Hinsicht setzt der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 voraus, daß ein Unternehmer an den den Vorsteuerabzug begehrenden Unternehmer Lieferungen oder sonstige Leistungen ausgeführt hat und hierfür Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1980 die Steuer gesondert ausgewiesen hat. Die Leistung kann auch in der Überlassung von Arbeitnehmern bestehen, selbst wenn diese gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) verstößt (vgl.Urteil des Senats vom 21. Januar 1993 V R 30/88, BFHE 170, 283, BStBl II 1993, 384). Dabei kann es je nach den Umständen des Einzelfalls genügen, daß im Abrechnungspapier diejenigen Gewerke angegeben sind, die der Leistungsempfänger durch die ihm zur Verfügung gestellten Arbeitnehmer hat ausführen lassen (BFH a.a.O.). Das Abrechnungspapier muß solche Angaben über den leistenden Unternehmer enthalten, die dessen Identifizierung ermöglichen (BFH-Urteil vom 17. September 1992 V R 41/89, BFHE 169, 540, BStBl II 1993, 205).
b) In tatsächlicher Hinsicht trägt der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer die objektive Beweislast (Feststellungslast) dafür, daß die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 erfüllt sind. Dies ist auch im Aussetzungsverfahren zu beachten. Der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer hat die den Vorsteuerabzug begründenden Tatsachen, soweit seine Mitwirkungspflicht reicht, im Aussetzungsverfahren glaubhaft zu machen (§ 155 FGO i.V.m. § 294 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Verbleibende Zweifel können je nach der gegebenen Sachlage eine Aussetzung der Vollziehung ausschließen oder rechtfertigen. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls und das Gewicht der Gründe, die Anlaß zum Zweifel geben (vgl. Senatsbeschlüsse vom 21. Februar 1985 V B 27/84, BFHE 143, 171 unter 3. a und vom 16. Dezember 1987 V B 40/85, BFH/ NV 1988, 675 unter 5.).
2. Nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens hält es der Senat für ganz unwahrscheinlich, daß der Antragstellerin der Nachweis gelingen wird, daß V und D die ihr in Rechnung gestellten Leistungen auch tatsächlich - wie berechnet - erbracht haben.
a) Nach den bisherigen Ermittlungen des FA unterhielt D keine Geschäftsorganisation mit so vielen Arbeitnehmern, daß er in der Lage gewesen wäre, die der Antragstellerin in Rechnung gestellten Leistungen auszuführen. Das Appartement in Z hatte er wohl zur Vortäuschung eines ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebs angemietet; jedenfalls konnten dort bislang keine größeren betrieblichen Aktivitäten festgestellt werden. Auch die Tatsache, daß er beim FA Ende Mai 1990 Umsatzsteuer-Voranmeldungen mit einem Gesamtumsatz von lediglich ... DM abgegeben hat, spricht dagegen, daß er die in Rechnung gestellten Leistungen im Wert von über ... DM erbracht hat.
b) Ähnliches gilt auch bezüglich der von V in Rechnung gestellten Umsatzsteuer. Der Senat sieht im vorliegenden summarischen Verfahren nicht, wie der Antragstellerin im Hauptverfahren der Nachweis gelingen könnte, daß V die ihr in Rechnung gestellten Leistungen tatsächlich erbracht hat. V hat bestritten, Schwarzarbeiter beschäftigt zu haben. Auch die Aushilfskräfte, die er in geringem Umfang beschäftigt haben will, können den streitbefangenen Umsatz nicht erarbeitet haben, zumal er noch für andere Auftraggeber gearbeitet haben will. Nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens hat der Senat deshalb keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids.
Fundstellen
Haufe-Index 419478 |
BFH/NV 1994, 281 |