Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB; beschränkte Zulassung der Revision; Lohnsteuerhaftung
Leitsatz (NV)
1. Ist der Streitgegenstand teilbar, kommt eine beschränkte Zulassung der Revision in Betracht.
2. Darlegung einer Divergenz in bezug auf die zur Lohnsteuerhaftung führende grobfahrlässige Verletzung der Pflicht des Arbeitgebers zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer trotz bestehender Liquiditätsprobleme.
Normenkette
AO 1977 § 69; FGO §§ 96, 98, 115 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 S. 3, § 118 Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) wurde im Februar 1988 zum 1. Vorsitzenden des " ... (eingetragener Verein)", gewählt. Anfang Juni 1990 legte er sein Amt nieder, wurde aber vom Vorstand Anfang Juli kommissarisch zum 1. Vorsitzenden bestellt. Im September 1990 wählte die Mitgliederversammlung einen neuen Vorsitzenden. Wegen finanzieller Schwierigkeiten zahlte der Verein die angemeldete Lohn- und Kirchenlohnsteuer, einschließlich Säumniszuschlägen, für Juli und Oktober 1989, Januar und Februar 1990, April bis Dezember 1990 nicht. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) nahm den Kläger deswegen gemäß § 69 der Abgabenordnung (AO 1977) mit Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung in Haftung.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte:
a) Für die Haftungsbeträge ab September 1990 hafte der Kläger nicht, weil er ab diesem Zeitpunkt nicht mehr Vorsitzender des Vereins gewesen sei. Soweit der Haftungsbescheid über diesen Zeitpunkt hinausgehe, müsse er aufgehoben werden, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 69 AO 1977 nicht erfüllt seien. Ebenfalls sei der Haftungsbescheid für die Monate Mai und Juni 1990 aufzuheben, weil der Kläger in diesem Zeitraum weder gesetzlicher Vertreter des Vereins noch Verfügungsberechtigter gewesen sei.
b) Für die restlichen Zeiträume sei der Haftungsbescheid aufzuheben, weil dem Kläger insoweit ein grobfahrlässiges oder gar vorsätzliches Handeln -- Voraussetzung für eine Haftung nach § 69 AO 1977 -- nicht anzulasten sei.
Der Kläger habe nicht vorsätzlich gehandelt. Nach der freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Gerichts stehe aufgrund der Zeugenaussagen sowie der beigezogenen Akten der Stadt ... weiter fest, daß der Kläger auch nicht grobfahrlässig gehandelt habe. So sei zweifelhaft, ob überhaupt die angemeldeten Steuern jeweils in der angemeldeten Höhe entstanden seien, wenn Angestellte des Vereins vor dem Zufluß mit dem Verein aus Gründen der Liquidität eine Stundung der Auszahlung vereinbart hätten. Das Bemühen des Klägers, die den Verein betreffenden Pflichten zu erfüllen, werde daran deutlich, daß er selbst dem Verein -- zumindest zeitweise -- Gelder zur Begleichung der Schulden zur Verfügung gestellt und gegenüber der Hausbank des Vereins Bürgschaften für den Verein übernommen habe. Auch sein Bemühen, jeweils rechtzeitig weitere Zuschüsse, z. B. von der Stadt ... , zu erlangen, sei in den beigezogenen Akten der Stadt ... dokumentiert. Daß dies nicht immer rechtzeitig gelungen sei, könne nicht dem Kläger angelastet werden. Bei dieser Sachlage sei die Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt " ... in ungewöhnlich hohem Maße ... " (als Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Klägers nach § 69 AO 1977) nicht erfüllt. Zweifelsfrei habe der Kläger fahrlässig gehandelt, aber nicht grobfahrlässig.
Das FA hat gegen das Urteil die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt und diese darauf gestützt, daß die Vorentscheidung von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) in im einzelnen bezeichneten Entscheidungen abweiche.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist, soweit die Haftungszeiträume Mai, Juni, Oktober bis Dezember 1990 betroffen sind (s. oben unter Buchst. a), unzulässig, im übrigen ist sie begründet.
1. Der Streitgegenstand, die angefochtene Inanspruchnahme des Klägers als Haftenden, ist teilbar, weil der Kläger für die nicht abgeführte Lohn- und Lohnkirchensteuer bestimmter Monate in Haftung genommen wird, hinsichtlich derer jeweils in einem Teilurteil (§ 98 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) entschieden werden könnte. In diesem Fall kommt eine beschränkte Zulassung der Revision in Betracht, wenn -- wie im Streitfall -- Zulassungsgründe nur hinsichtlich der Entscheidung über einen bestimmten Teil des Streitgegenstandes geltend gemacht werden (vgl. BFH, Urteil vom 28. September 1990 VI R 157/89, BFHE 162, 290, BStBl II 1991, 86; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. § 115 Rz. 44; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Oktober 1972 III C 82.71, BVerwGE 41, 52).
2. Das FA hat in seiner unbeschränkt, gegen das Urteil insgesamt eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde keine Zulassungsgründe geltend gemacht, die die Aufhebung des Haftungsbescheides durch die Vorentscheidung für die Monate Mai, Juni, Oktober bis Dezember 1990 betreffen (s. oben unter a). Insoweit ist die Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO an eine hinreichende Darlegung von Zulassungsgründen entspricht.
3. Soweit das FG den Haftungsbescheid hinsichtlich des restlichen Zeitraums (Juli, Oktober 1989, Januar, Februar, April, Juli, August, September 1990) aufgehoben hat, ist die dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde begründet. Diesbezüglich hat das FA schlüssig dargelegt, daß die Vorentscheidung von den Senats-Urteilen vom 26. Juli 1988 VII R 83/87 (BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859) und vom 20. April 1993 VII R 67/92 (BFH/NV 1994, 142) abweiche (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO), weil das FG darin das Vorliegen einer grobfahrlässigen Pflichtverletzung des Klägers mit der Begründung verneine, daß sich der Kläger um die Erlangung der fehlenden Mittel zur Bezahlung der Steuerschulden bemüht habe und eigene Mittel zur Begleichung der Steuerschulden zur Verfügung gestellt habe. Demgegenüber habe der BFH ausgeführt, auch bei Liquiditätsproblemen werde der Arbeitgeber nicht von der Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer befreit, er dürfe die Löhne nur gekürzt als Vorschuß oder als Teilbetrag auszahlen und müsse aus den dann übrigbleibenden Mitteln die entsprechende Lohnsteuer an das FA abführen.
Zwar ist die Frage des Verschuldens des Haftungsschuldners vom FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Ver fahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden (§ 96 FGO) und würde das Revisionsgericht mangels erhobener und durchgreifender Verfahrensrügen an die tatsächliche Würdigung des FG binden (§ 118 Abs. 2 FGO). Dies gilt aber nur hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen, nicht in bezug auf die rechtliche Subsumtion der getroffenen Feststellungen unter den Begriff der groben Fahrlässigkeit. Bei dieser Subsumtion ist das FG, das eine grobfahrlässige Pflichtverletzung des Klägers aus den genannten Gründen verneint, von der vom FA bezeichneten ständigen Rechtsprechung des Senats abgewichen. Das Bemühen des Klägers um die Beschaffung von Geldmitteln zur Zahlung der in Rede stehenden Steuerschulden vermag deren Nichteinbehaltung und Abführung an das FA nicht zu entschuldigen. Die vorliegende Abweichung von der Rechtsprechung des BFH führt insoweit zur Zulassung der Revision.
Fundstellen