Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Grundsatz des rechtlichen Gehörs; bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG erhöhen auch Vorleistungen den Gewinn
Leitsatz (NV)
1. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist verletzt, wenn sich deutlich ergibt, daß das Gericht ein tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat.
2. Bei der Gewinnermittlung durch Überschußrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) erhöhen auch solche Geldzugänge den Gewinn, die der Stpfl. im Hinblick auf eine noch zu erbringende Leistung erhält.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 3; FGO § 119 Nr. 3
Tatbestand
Der Kläger, Revisionskläger und Antragsteller (Kläger) ist als Rechtsanwalt in eigener Praxis tätig. Er ermittelt seinen Gewinn durch Überschußrechnung gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Im Rahmen einer 1975 durchgeführten Steuerfahndungsprüfung wurden bei ihm folgende nicht verbuchte und nicht versteuerte Geldzuflüsse festgestellt:
1970 46 217 DM
1971 76 229 DM
1972 70 256 DM
1973 70 436 DM
1974 126 997 DM.
Der Prüfer sah darin gewinnerhöhende Vorauszahlungen für noch nicht abgerechnete anwaltliche Leistungen. Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Antragsgegner (das Finanzamt -FA-) berichtigte dementsprechend die Einkommensteuerveranlagungen 1970 bis 1973 und führte die Veranlagung 1974 erstmalig durch.
Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machte der Kläger geltend, die Geldzuflüsse hätten keinen Einnahmencharakter, weil sie lediglich sein Vermögen berührten. Bei den Zahlungen handle es sich nicht um Honorarvorschüsse. Sie seien ohne Rücksicht darauf erfolgt, ob und wann er eine Gegenleistung erbringe. Es handle sich um Geldgeschäfte im Rahmen oder nach Art eines Darlehens, die nicht zu Betriebseinnahmen führten. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Hiergegen hat der Kläger Revision eingelegt, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Zusätzlich hat der Kläger im Revisionsverfahren beantragt, die Vollziehung der angefochtenen Einkommensteuerbescheide auszusetzen.
Entscheidungsgründe
1. Der Antrag ist zulässig.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann der Aussetzungsantrag auch beim Gericht der Hauptsache gestellt werden; dies ist nach Revisionseinlegung das Revisionsgericht.
Die besonderen Voraussetzungen aus Art. 3 § 7 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) vom 31. März 1978 (BGBl I, 446) sind erfüllt; der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, daß die Finanzbehörde im Rechtsbehelfsverfahren seinen Aussetzungsantrag zurückgewiesen habe.
Nach dem Vortrag des FA ist für den Kläger infolge seiner Praxisverlegung seit 1980 das FA . . . örtlich zuständig (§ 19 Abs. 3 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Der Zuständigkeitswechsel ist jedoch erst nach Klageerhebung eingetreten. Die Prozeßführungsbefugnis des FA im Hauptsacheverfahren wird davon nicht berührt (§ 63 Abs. 1 Nr. 1, § 122 Abs. 1 FGO). Die Rechtsprechung hat Ausnahmen in Fällen von organisatorischen Veränderungen der Finanzverwaltung zugelassen; sie liegen im Streitfall nicht vor. Für das Aussetzungsverfahren gilt § 63 FGO nicht unmittelbar. Dieses Verfahren steht jedoch in engem Zusammenhang zum Klageverfahren, wenn der Aussetzungsantrag während eines anhängigen Klageverfahrens gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO an das Gericht der Hauptsache gerichtet wird. In einem solchen Fall ist das im Klageverfahren prozeßführungsbefugte FA auch Antragsgegner im Aussetzungsverfahren. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat abweichend entschieden für einen Fall, in dem neben dem Hauptsacheverfahren der Erlaß einer einstweiligen Anordnung begehrt war (Beschluß vom 15. Oktober 1976 VI B 67/76, BFHE 120, 452, BStBl II 1977, 161). Dies beruhte jedoch darauf, daß dem unzuständig gewordenen FA die Verwaltungskompetenz zur Verwirklichung der ihm durch einstweilige Anordnung aufzugebenden Maßnahmen fehlte. Dies ist im Aussetzungsverfahren nicht ausschlaggebend, weil die begehrte Aussetzung der Vollziehung durch den Beschluß des Gerichts herbeigeführt wird.
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet; es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteuerbescheide.
Da der Antrag erst im Revisionsverfahren gestellt worden ist, müssen die beschränkten Prüfungsmöglichkeiten des Revisionsgerichts beachtet werden. Maßgebend sind daher die Erfolgsaussichten des Revisionsverfahrens, bei vermutlicher Zurückverweisung die Erfolgsaussichten des dann fortgesetzten Klageverfahrens (BFH-Beschluß vom 21. November 1973 I S 8/73, BFHE 110, 498, BStBl II 1974, 114).
a) Mit einer Zurückverweisung der Sache aus verfahrensrechtlichen Gründen ist nicht zu rechnen, weil die vom Kläger gerügten Verfahrensmängel offensichtlich nicht vorliegen.
Es gibt keine Anhaltspunkte, daß das FG den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO) verletzt habe. Dieser Grundsatz verlangt allerdings, daß das Gericht die Äußerungen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt; er wäre verletzt, wenn sich deutlich ergibt, daß das Gericht ein tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 2. Dezember 1969 2 BvR 320/69, BVerfGE 27, 248). Der Kläger beanstandet, daß das FG sein Vorbringen gegenüber der Steuerfahndung und im Rechtsbehelfsverfahren nicht berücksichtigt habe. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das FG hat auf diese Ausführungen im Urteilstatbestand hingewiesen und sie zusammenfassend auch in den Entscheidungsgründen gewürdigt. Das FG brauchte nicht in jeder Einzelheit auf das Vorbringen einzugehen.
b) Auch in der Sache bestehen an der Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerbescheide im Revisionsverfahren keine ernsthaften Zweifel.
Zu den vom Kläger im Rahmen der Überschußrechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG zu erfassenden Betriebseinnahmen gehören alle Geldzugänge, die durch den Betrieb veranlaßt sind. Sie werden in dem Kalenderjahr bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zufließen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EStG). Wann der Steuerpflichtige seine Leistung erbringt, ist demgegenüber unerheblich; darin unterscheidet sich die Gewinnermittlung durch Überschußrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG von der Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG. Darum bewirken auch Vorleistungen Dritter, die der Steuerpflichtige im Hinblick auf eine noch zu erbringende Leistung erhält, bereits bei ihrem Zufluß eine Gewinnerhöhung (BFH-Urteile vom 27. Juni 1963 IV 111/59 U, BFHE 77, 586, BStBl III 1963, 534, und vom 29. April 1982 IV R 95/79, BFHE 136, 94, BStBl II 1982, 593).
Das FG ist von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Es hat entschieden, daß die strittigen Geldzugänge durch den Betrieb veranlaßt seien und weder durchlaufende Posten noch Darlehenszahlungen darstellten. Diese auf tatsächlichem Gebiet liegende Würdigung ist revisionsrichterlich nicht zu beanstanden; sie enthält auch keine Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze. Der Kläger hat auch in der Revisionsinstanz nicht darlegen können, daß Darlehensvereinbarungen mit Abreden über Verzinsung und Rückzahlung der Beträge bestanden. Da andererseits nicht behauptet wird, die Beträge seien als Schenkung zugeflossen, konnte das FG annehmen, die Zuflüsse ständen in Zusammenhang mit der freiberuflichen Tätigkeit des Klägers.
Fundstellen
Haufe-Index 413941 |
BFH/NV 1986, 665 |