Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (NV)
1. Weist der Berichterstatter das FA telefonisch darauf hin, daß die Klage seiner Meinung nach begründet sei, so hat der Kläger deswegen keinen Anlaß, an der Neutralität des Richters zu zweifeln.
2. Ein Befangenheitsgrund (Aufstellen einer ,,juristischen Falle") kann nicht darin gesehen werden, daß der Berichterstatter den unvertretenen Kläger zur Klarstellung auffordert, ob eine Eingabe als Beschwerde anzusehen sei.
3. Die in früheren Verfahren geäußerte Rechtsansicht eines Richters führt nicht zu dessen Befangenheit.
4. Wird zur Begründung eines Befangenheitsantrags geltend gemacht, die ehrenamtlichen Richter seien über den Sachverhalt nicht ausreichend informiert gewesen, so muß dargelegt werden, welche entscheidungserheblichen Tatsachen ihnen vorenthalten worden sein sollen.
5. Der Umstand, daß der Berichterstatter vor der mündlichen Verhandlung ein sog. Votum angefertigt hat, ist nicht geeignet, Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen zu lassen.
Normenkette
FGO § 51; ZPO § 42
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Antragsteller haben gegen verschiedene Entscheidungen des Antragsgegners (Finanzamt - FA -) sowie der Oberfinanzdirektion (OFD) Klagen zum Finanzgericht (FG) erhoben.
Mit Schriftsatz vom 2. August 1990 erklärte der Antragsteller für sich selbst und für die Antragstellerin, er lehne den Vorsitzenden Richter am FG X (Vorsitzenden) und den Richter am FG Y (Berichterstatter) wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
Zur Begründung bezog er sich auf ein vorangegangenes Ablehnungsgesuch vom 3. Februar 1989, das er auf die mündliche Verhandlung vom 2. Februar 1989 hin (betreffend acht andere finanzgerichtliche Verfahren) eingereicht hatte und das als unzulässig zurückgewiesen worden war.
Des weiteren führte der Antragsteller aus:
1. In längeren Telefongesprächen hätten die abgelehnten Richter dem Vertreter des FA, Regierungsrat Z, Rechtsrat erteilt.
2. Mit Schreiben vom 7. April 1989 habe der Berichterstatter ihn in eine formaljuristische Falle locken wollen. Ziel dieses Schreibens sei es gewesen, daß er, der Antragsteller, habe erklären sollen, er betrachte seine damaligen Ablehnungsanträge als Beschwerde, die dann mangels Vertretung durch einen Anwalt unzulässig gewesen wären.
3. Der Vorsitzende habe in der mündlichen Verhandlung gesetzwidrig die Auffassung vertreten, daß das FA nicht verpflichtet gewesen sei, den Konkursverwalter der A-KG zur Abgabe von verlustzuweisenden Steuererklärungen zu zwingen.
4. Der Vorsitzende habe entgegen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die Auffassung vertreten, daß die während des Verfahrensverlaufs eingetretene Zahlungsverjährung nicht vom Gericht beachtet werden müsse.
5. Der Vorsitzende habe entgegen der BFH-Rechtsprechung dem FA gestattet, seine, des Antragstellers, berechtigte Aufrechnung nicht anzuerkennen.
6. Der Vorsitzende und der Berichterstatter hätten Art. 20 Abs. 3 und 4 des Grundgesetzes (GG) verletzt, weil sie sein Selbsthilferecht gegen das FA nicht anerkannt hätten.
7. Der Vorsitzende und der Berichterstatter unterrichteten die beisitzenden Richter nur streng selektiv über die zur Entscheidung anstehenden Rechtsfälle.
Die abgelehnten Richter haben in dienstlichen Äußerungen erklärt, sie hielten sich nicht für befangen. Der Berichterstatter hat zu dem Vorwurf, er habe dem FA Rechtsrat erteilt, geäußert, er habe das FA fernmündlich auf einen Verfahrensfehler hingewiesen. Dieser Hinweis habe dazu geführt, daß zwei Verfahren von den Beteiligten übereinstimmend für erledigt erklärt worden seien.
Der Antragsteller hat zu den dienstlichen Äußerungen Stellung genommen. Er hat geäußert, es sei unwahr, daß der Vorsitzende mit ihm den Sach- und Rechtsstand erörtert habe. Vielmehr habe er ihn an der Fortsetzung seines Vortrags gehindert, als er begonnen habe, dem Vertreter des FA ,,die Leviten zu lesen" und ihm untersagt, diesen zu attackieren, eine Attacke, aus der für die Laienrichter erst der ganze Sach- und Streitstand hätte hervorgehen können.
Der Berichterstatter habe durch seinen - vom Vorsitzenden gebilligten - telefonischen Hinweis an das FA verhindern wollen, daß seiner, des Antragstellers, Klage habe stattgegeben werden müssen. Außerdem habe der Berichterstatter noch andere Gesichtspunkte mit dem Vertreter des FA erörtert. Im übrigen gehöre es zur ständigen Übung des Berichterstatters, mit dem Vertreter des FA die ihn und seine Ehefrau betreffenden Streitfälle zu erörtern und dem FA Hinweise dafür zu geben, wie es sich in den jeweiligen Terminen verhalten solle (Beweis: Zeugnis des Vertreters des FA, Regierungsrat Z).
Der Berichterstatter habe, wie sich aus den dienstlichen Äußerungen ergebe, das Votum - also das Abstimmungsergebnis - bereits vor der mündlichen Verhandlung fertiggestellt.
Als Beweis für die mangelnde Information der ehrenamtlichen Richter sei deren eidesstattliche Versicherung einzuholen.
Das FG wies die Befangenheitsanträge ohne Mitwirkung der abgelehnten Richter als unbegründet zurück.
Ebenso verfuhr es mit einem weiteren Befangenheitsantrag des Antragstellers vom 5. und 14. November 1990, dem die gleiche Begründung wie vorstehend dargestellt zugrundelag.
Hiergegen hat der Antragsteller (im Verfahren IV S 21/90 als Bevollmächtigter seiner Ehefrau) Beschwerden eingelegt.
Entscheidungsgründe
Die Anträge, die der Senat zur gemeinsamen Entscheidung miteinander verbunden hat (§ 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), sind zulässig. Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist vom Vertretungszwang nach Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) ausgenommen (BFH-Beschluß vom 18. Juli 1985 V S 3/85, BFHE 143, 528, BStBl II 1985, 499).
Die Anträge sind indessen unbegründet.
Die Antragsteller haben keinen Anspruch auf PKH, weil die beabsichtige Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg i. S. des § 142 FGO i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) bietet.
Die Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn bei summarischer Prüfung für seinen Eintritt eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (BFH-Beschluß vom 16. Dezember 1986 VIII B 115/86, BFHE 148, 215, BStBl II 1987, 217).
Diese Voraussetzung scheitert im Streitfall nicht bereits daran, daß die gegen die Ablehnung der Befangenheitsanträge gerichteten Beschwerden nicht vom Vertretungszwang befreit sind und die Antragsteller während des Laufs der Beschwerdefrist von zwei Wochen nicht von einer postulationsfähigen Person i. S. des Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG vertreten waren. Denn insoweit könnte den Antragstellern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn die Beschwerde erneut von einem Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer eingelegt würde (BFH-Beschlüsse in BFHE 143, 528, BStBl II 1985, 499; vom 5. November 1986 IV B 49/86, BFHE 148, 13, BStBl II 1987, 62). Die von den Antragstellern mit ihren Beschwerden verfolgten Richterablehnungen können bei summarischer Prüfung jedoch keinen Erfolg haben.
Ein Richter kann nach § 51 FGO i. V. m. § 42 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dabei kommt es darauf an, ob ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, aber bei objektiver und vernünftiger Betrachtung, davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Unerheblich ist, ob ein solcher Grund wirklich vorliegt (BFH-Beschluß vom 21. September 1977 I B 32/77, BFHE 123, 305, BStBl II 1978, 12).
1. Eine einseitige Kontaktaufnahme zu einer Partei kann geeignet sein, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (Vollkommer in Zöller, Zivilprozeßordnung, § 42 Anm. 25; vgl. auch BFH-Beschluß vom 8. Mai 1989 IX B 238/88, BFH/NV - 1990, 240). Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, daß Telefongespräche des Richters mit einem Prozeßbeteiligten von vornherein einen Befangenheitsgrund darstellen (vgl. Oberlandesgericht - OLG - Frankfurt a. M., Beschluß vom 19. September 1988 3 WF 188/88, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht - FamRZ - 1989, 410). Es kommt vielmehr auf den Inhalt des Gesprächs an. So werden etwa telefonische Terminabsprachen mit einem Beteiligten oder die telefonische Anforderung von Akten oder Unterlagen keinen Anlaß geben, an der Neutralität des Richters zu zweifeln. Ebenso verhält es sich, wenn der Richter den Kläger auf die Aussichtslosigkeit seiner Klage oder den Beklagten auf die seiner Verteidigung hinweist. Hierin kann jedenfalls aus der Sicht des jeweiligen Gegners nicht gefolgert werden, daß der Richter, der die Aufgabe der Prozeßfürsorge wahrnimmt, zu seinen Lasten voreingenommen sei.
Grundsätzlich muß der Richter den Gegner möglichst bald vom Gegenstand seines Gesprächs mit einem Beteiligten unterrichten (BFH-Beschluß in BFH/NV 1990, 240, 243; Oberverwaltungsgericht - OVG - Münster, Beschluß vom 18. November 1971 XII B 63/71, OVGE 27, 145). Wann und in welcher Form eine solche Unterrichtung erforderlich ist, hängt jedoch wiederum vom Inhalt der Unterredung ab. Hat der Richter lediglich darauf hingewiesen, daß sich Klagerücknahme bzw. Abhilfe des Klagebegehrens durch die Behörde empfiehlt, so genügt es in der Regel, wenn der Prozeßgegner von dem Hinweis anläßlich der Reaktion des vom Richter Angesprochenen erfährt. Denn die prozessuale Situation des Gegners kann im finanzgerichtlichen Verfahren durch einen solchen Hinweis nicht beeinträchtigt werden. Der Beteiligte kann dies bei vernünftiger Würdigung auch subjektiv nicht so empfinden.
Sein weiteres Vorbringen, der Berichterstatter habe auch andere Gesichtspunkte mit dem Vertreter des FA erörtert, es gehöre sogar zu seiner ständigen Übung, dem FA Hinweise für ein günstiges ,,Abschneiden" im Prozeß zu erteilen, hat der Antragsteller weder substantiiert noch - wie es § 51 FGO i. V. m. § 44 Abs. 2 ZPO erfordert - glaubhaft gemacht. Zur Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) genügt es nicht, einen Antrag auf Zeugenvernehmung zu stellen. Es sind vielmehr nur präsente Beweismittel zugelassen (§ 294 Abs. 2 ZPO). Demzufolge können nur die Aussagen solcher Zeugen berücksichtigt werden, deren Erscheinen bei Gericht der Antragsteller selbst veranlaßt oder deren eidesstattliche Versicherung dem Gericht vorgelegt wird.
2. Das Schreiben des Berichterstatters, von dem der Antragsteller behauptet, es habe ihn in eine ,,juristische Falle" locken sollen, lautet: ,,Sie werden gebeten, unverzüglich mitzuteilen, ob ihre Eingabe vom 3. 4. 1989 als Beschwerde gegen die Beschlüsse über ihre Ablehnungsanträge angesehen werden soll."
Der Berichterstatter ist damit seiner aus § 76 Abs. 2 i. V. m. § 79 FGO resultierenden Verpflichtung nachgekommen, die Beteiligten nötigenfalls zur Erläuterung ihrer Anträge aufzufordern. Der Antragsteller ist der Ansicht, diese Aufforderung habe in neutraler Weise ohne Erwähnung des Wortes ,,Beschwerde" ergehen müssen, um ihn nicht in ein - mangels der vorgeschriebenen Vertretung - unzulässiges Rechtsmittel zu treiben. Der Berichterstatter mußte sich jedoch Klarheit gerade darüber verschaffen, ob es sich bei der Eingabe des Antragstellers um eine Beschwerde handelte, weil (nur) in diesem Fall die Sache dem BFH vorzulegen gewesen wäre. Eine ,,Falle" kann hierin bei verständiger Würdigung nicht gesehen werden.
3. In den Abschnitten 3 bis 6 des Befangenheitsantrags vom 2. August 1990 wendet sich der Antragsteller dagegen, daß die abgelehnten Richter in bereits abgeschlossenen Verfahren zu verschiedenen Punkten ihm ungünstige Rechtsansichten vertreten haben. Hierin ist nach einhelliger ständiger Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte kein Ablehnungsgrund zu sehen (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, § 51 FGO, Tz. 8, m. w. N.).
4. Auch daraus, daß die abgelehnten Richter angeblich die Laienrichter nicht ausreichend informiert haben, kann eine Befangenheit nicht hergeleitet werden. Die Laienrichter werden durch den Vortrag des Berichterstatters oder des Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung vom wesentlichen Inhalt der Akten unterrichtet (§ 92 Abs. 2 FGO). In welchem Punkt der Vortrag des Berichterstatters unvollständig gewesen sein soll, hat der Antragsteller nicht vorgetragen.
Der Antragsteller hat auch nicht konkret dargelegt, zu welchen Streitpunkten er sich in der mündlichen Verhandlung nicht habe ausreichend äußern können. Die Behauptung, der Vorsitzende habe ihn unterbrochen, als er, der Antragsteller, begonnen habe, dem Vertreter des FA ,,die Leviten zu lesen", ihn ,,zu attackieren" und ,,zum verbalen Angriff" auf ihn überzugehen, läßt zudem vermuten, daß der Vorsitzende lediglich Angriffe auf die Person des FA-Vertreters unterbinden wollte. Zutreffend hat das FG darauf hingewiesen, daß persönliche Angriffe nicht dem Zweck dienen, Anträge zu stellen und zu begründen, und mithin vom Recht der Beteiligten, in der mündlichen Verhandlung das Wort zu ergreifen, nicht gedeckt werden.
5. Schließlich ist auch der Umstand, daß der Berichterstatter vor der mündlichen Verhandlung ein sog. Votum angefertigt hat, nicht geeignet, Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen zu lassen. Es ist üblich und sinnvoll, die Entscheidungsfindung bei einem Kollegialgericht schriftlich durch einen Sachbericht mit Rechtsgutachten vorzubereiten. Derartige Voten werden von der FGO gebilligt (§ 78 Abs. 2 FGO). Sie bereiten die Entscheidungsfindung vor, nehmen sie aber nicht vorweg. Sie dürfen auch vor der mündlichen Verhandlung abgefaßt werden. Das ergibt sich aus der vom Gesetz vorgesehenen Möglichkeit, durch Vorbescheid sogar eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu treffen (§ 90 Abs. 3 FGO).
Fundstellen