Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungswidrige Rückwirkung des InvZulÄndG vom 20.12.2000?
Leitsatz (NV)
1. Es bestehen ernstliche Zweifel, ob die Anwendung des Kumulierungsverbots zwischen der Inanspruchnahme der Investitionszulage durch den Investor und erhöhter Absetzungen durch den Erwerber nach § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1999 i.d.F. des InvZulÄndG vom 20.12.2000 auf vor dem 28.12.2000 vorgenommene Investitionen verfassungsgemäß ist.
2. Auch wenn in der Anwendung des § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1999 n.F. auf im Jahre 2000 vor der Verkündung des InvZulÄndG abgeschlossene Investitionen keine echte, sondern eine sog. unechte Rückwirkung gesehen wird, genügt die Gesetzesänderung bei summarischer Prüfung nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Schutz des Vertrauens des Investors in die zum Zeitpunkt seiner Disposition geltende Rechtslage.
3. Im Hinblick auf den Geltungsanspruch eines formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes ist bei ernstlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit einer Rechtsnorm ein berechtigtes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich. Der Rechtsschutzanspruch des Antragstellers geht den öffentlichen Interessen nur dann vor ,wenn ihm durch die vorläufige Vollziehung des angefochtenen Bescheids irreparable Nachteile drohen oder er sich zumindest auf ein besonderes individuelles Interesse berufen kann.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3; InvZulG 1999 § 3 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Sächsisches FG (Beschluss vom 24.07.2003; Aktenzeichen 3 V 2061/02) |
Tatbestand
I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin), eine im Bauträgergeschäft tätige GmbH, kaufte sanierungsbedürftige Gebäude im Fördergebiet, teilte sie in Wohnungs- bzw. Teileigentum auf und veräußerte sie vor oder während der Sanierung an verschiedene Erwerber.
Im September 2001 beantragte die Antragstellerin für im Streitjahr 2000 vorgenommene nachträgliche Herstellungsarbeiten an verschiedenen Gebäuden Investitionszulage nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1999. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) setzte mit Bescheid vom 2. Januar 2002 die Investitionszulage antragsgemäß in Höhe von 905 856 DM (463 157 €) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung --AO 1977--) fest und zahlte sie aus.
Im Januar 2002 stellte die Antragstellerin einen weiteren Investitionszulagenantrag für nachträgliche Herstellungsarbeiten an zwei Gebäuden in Höhe von 13 324,13 DM und 21 796,56 DM. Das FA setzte daraufhin die geänderte Investitionszulage mit Bescheid vom 10. Mai 2002 auf insgesamt 940 978 DM (481 114,41 €) fest. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.
Im Anschluss an eine Prüfung vertrat das FA die Auffassung, der Antragstellerin stehe keine Investitionszulage zu. Denn nach § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1999 i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes 1999 (InvZulÄndG) vom 20. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1850, BStBl I 2001, 28) sei eine Investitionszulage für nachträgliche Herstellungsarbeiten nur zu gewähren, wenn der Anspruchsberechtigte und im Veräußerungsfall der Erwerber keine erhöhten Absetzungen in Anspruch nähmen. Bei allen geförderten Objekten hätten die Erwerber aber erhöhte Absetzungen nach § 7h des Einkommensteuergesetzes --EStG-- (für Gebäude in Sanierungsgebieten und städtebaulichen Entwicklungsbereichen) bzw. nach § 7i EStG (für Baudenkmale) beansprucht. Das FA hob mit Bescheid vom 29. Juli 2002 die Bescheide vom 2. Januar 2002 bzw. vom 10. Mai 2002 auf und forderte die Investitionszulage in Höhe von 481 114,41 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 16 479 € zurück.
Mit dem Einspruch brachte die Antragstellerin vor, das Kumulierungsverbot in § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1999 i.d.F. des am 27. Dezember 2000 verkündeten InvZulÄndG gelte frühestens für Investitionen ab dem 28. Dezember 2000. Nach der früheren Fassung des § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1999 (i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes --StBereinG-- 1999 vom 22. Dezember 1999, BGBl I 1999, 2601, BStBl I 2000, 13) sei die Investitionszulage nur ausgeschlossen gewesen, wenn der Anspruchsberechtigte selbst keine erhöhten Absetzungen beansprucht habe. Für die vor Verkündung des InvZulÄndG vorgenommenen Investitionen stehe ihr --der Antragstellerin-- daher eine Investitionszulage unabhängig davon zu, ob die Erwerber erhöhte Absetzungen in Anspruch genommen hätten. Der Einspruch der Antragstellerin sowie ihr Antrag auf Aussetzung der Vollziehung blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) setzte auf den Antrag der Antragstellerin die Vollziehung des angefochtenen Bescheids bis zur Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache aus.
Mit der Beschwerde trägt das FA vor: Der Anspruch auf Investitionszulage entstehe erst mit Ablauf des Kalenderjahrs und nicht bereits mit der Durchführung der einzelnen Investition. Der Antragstellerin stehe daher nach der Änderung des § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1999 durch das InvZulÄndG keine Investitionszulage zu. Im Übrigen habe die Gesetzesänderung nur deklaratorischen Charakter. Nach dem Bericht des Finanzausschusses vom 15. November 2000 (BTDrucks 14/4626, 5) stelle die geänderte Fassung des § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1999 klar, dass das Kumulierungsverbot auch bei fehlender Personenidentität greife. Ansonsten bestehe die Gefahr erheblicher Steuerausfälle durch die unberechtigte Inanspruchnahme von erhöhten Absetzungen und Investitionszulagen für dieselben Herstellungsarbeiten. Eine doppelte Förderung widerspräche der gängigen Förderung in vergleichbaren Fällen.
Selbst bei Annahme einer belastenden Gesetzesänderung sei die Regelung verfassungskonform. Eine unechte Rückwirkung sei grundsätzlich zulässig, wobei sich aus der Abwägung zwischen dem Vertrauensschaden des Bürgers und dem gesetzgeberischen Anliegen für das Gemeinwohl Grenzen ergäben. Bereits aus der ersten Änderung des § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1999 seit dem In-Kraft-Treten am 1. Januar 1999 durch das StBereinG 1999 sei die Absicht des Gesetzgebers ersichtlich, eine Doppelförderung auszuschließen. Eine besonders schützenswerte Vertrauensgrundlage sei nicht geschaffen worden. Die spätere ausdrückliche Aufnahme des Kumulierungsverbots bei fehlender Personenidentität durch das InvZulÄndG habe lediglich der Klarstellung gedient und verletze daher kein schützenswertes Vertrauen der Antragstellerin.
Gehe man von einer echten Rückwirkung aus, liege ebenfalls kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot vor. Die Subventionsempfänger hätten mit einer Korrektur rechnen müssen. Denn es habe sich um eine offensichtliche Gesetzeslücke gehandelt, die der Gesamtsystematik des Förderrechts widersprochen habe, sodass ein schutzwürdiges Vertrauen nicht habe entstehen können. Schließlich hätten mit der Gefahr erheblicher Steuerausfälle auch zwingende dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnete Gründe des Gemeinwohls vorgelegen.
Das FA beantragt, den Beschluss des FG aufzuheben.
Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 155 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- i.V.m. § 577 Abs. 4 der Zivilprozessordnung).
1. Nach § 69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 FGO kann das FG die Vollziehung aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, ist über die zu klärenden Fragen im summarischen Beschlussverfahren nicht abschließend zu entscheiden. Dabei setzt die Aussetzung der Vollziehung nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Mai 2001 I S 3/01, BFH/NV 2001, 957).
Bestehen die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids darin, dass dieser auf eine Rechtsnorm gestützt ist, deren Gültigkeit verfassungsrechtlich zweifelhaft ist, kommt darüber hinaus eine Aussetzung des Bescheids nur in Betracht, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat (BFH-Beschlüsse vom 11. Juni 2003 IV B 47/03, BFHE 202, 346, BStBl II 2003, 661, und vom 15. Januar 2004 VIII B 253/03, BFH/NV 2004, 780, jeweils m.w.N.).
2. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass sich die Voraussetzungen für die Gewährung der Investitionszulage im Streitfall nach § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG i.d.F. des InvZulÄndG richten, jedoch Zweifel bestehen, ob die Anwendung dieser Vorschrift auf vor dem 28. Dezember 2000 vorgenommene Investitionen verfassungsgemäß ist.
a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 1999 sind unter anderem nachträgliche Herstellungsarbeiten an Gebäuden begünstigt, die vor dem 1. Januar 1991 fertiggestellt worden sind (Nr. 1). Bei Anschaffung eines solchen Gebäudes sind die Anschaffungskosten begünstigt, soweit sie auf nachträgliche Herstellungsarbeiten entfallen, die nach dem Abschluss des Kaufvertrags durchgeführt worden sind (Nr. 2).
Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1999 i.d.F. des StBereinG 1999 war Satz 1 Nr. 1 und 2 nur anwendbar, "wenn der Anspruchsberechtigte keine erhöhten Absetzungen in Anspruch nimmt". Nahm der Erwerber erhöhte Absetzungen in Anspruch, stand dem Investor nach dem Wortlaut der Vorschrift eine Investitionszulage zu. Die Kumulierung von Investitionszulage und erhöhten Absetzungen war somit nur in der Person des Investors verboten, nicht aber auch dann, wenn die Investitionszulage und die erhöhten Absetzungen von verschiedenen Personen in Anspruch genommen wurden (gl.A. Stuhrmann, Deutsches Steuerrecht 2000, 133, 136; Rosarius, Die Information über Steuer und Wirtschaft 2001, 101, 104; Kaligin in Lademann, Einkommensteuergesetz, § 3 InvZulG 1999 Rz. 27; Zitzmann, Der Betrieb, Beilage 3/2003 zu Heft 12, Rz. 12).
Die Gesetzesentwicklung bestätigt diese Auslegung. Nach der ursprünglichen Fassung des § 3 Abs. 1 Sätze 2 und 3 InvZulG 1999 i.d.F. vom 18. August 1997 (BGBl I 1997, 2070, BStBl I 1997, 790) war Satz 1 Nr. 1 und 2 nur anwendbar, "wenn keine erhöhten Absetzungen in Anspruch genommen worden sind". Im Fall der Anschaffung stand dem Erwerber die Investitionszulage nur zu, "wenn für das Gebäude keine Investitionszulage in Anspruch genommen worden ist".
Durch das StBereinG 1999 wurden die Kumulierungsverbote in § 3 Abs. 1 Sätze 2 und 3 InvZulG 1999 anders gefasst:
Nach Satz 2 war die Investitionszulage für nachträgliche Herstellungsarbeiten nunmehr nur zu gewähren, "wenn derAnspruchsberechtigte keine erhöhten Absetzungen in Anspruch nimmt".
Satz 3 bestimmte, dass im Fall der Anschaffung eine Investitionszulage nur gewährt werden kann, "wenn kein anderer Anspruchsberechtigter für das Gebäude Investitionszulage in Anspruch nimmt".
Nach dem neu eingefügten Satz 4 bestand ein Anspruch auf Investitionszulage für nachträgliche Herstellungsarbeiten zudem nur, "soweit im Veräußerungsfall der Erwerber für das Gebäude keine Sonderabschreibungen in Anspruch nimmt".
Durch das InvZulÄndG wurde § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1999 dahin gehend erweitert, dass eine Investitionszulage für nachträgliche Herstellungsarbeiten nur zu gewähren ist, "wenn der Anspruchsberechtigte und im Veräußerungsfall der Erwerber für die Herstellungsarbeiten keine erhöhten Absetzungen in Anspruch nimmt".
In der ursprünglichen Fassung des § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1999 war also bei dem Verbot der Kumulierung von Investitionszulage und erhöhten Absetzungen der Veräußerungsfall nicht erwähnt. In Satz 3 war dagegen von Anfang an die Anschaffung, also der Veräußerungsfall, in dem Sinn geregelt, dass dem Erwerber für nachträgliche Herstellungsarbeiten des Veräußerers eine Investitionszulage zustand, wenn für das Gebäude keine Investitionszulage in Anspruch genommen worden war. Durch das StBereinG 1999 wurde das Kumulierungsverbot in Veräußerungsfällen um Sonderabschreibungen des Erwerbers auf das Gebäude erweitert. Dadurch sollte die doppelte Förderung von Modernisierungsmaßnahmen an Mietwohngebäuden durch Investitionszulage und durch Sonderabschreibungen nach dem Fördergebietsgesetz ausgeschlossen werden (BTDrucks 14/2070, 27). Ferner wurde aufgrund der Änderungen der Sätze 2 und 3 durch das StBereinG 1999 nunmehr jeweils auf den Anspruchsberechtigten abgestellt, ohne jedoch in Satz 2 zugleich den Ausschluss der Investitionszulage bei Inanspruchnahme erhöhter Absetzungen auch auf den Veräußerungsfall zu erstrecken.
Daraus wird ersichtlich, dass der Gesetzgeber das Kumulierungsverbot in Satz 2 nicht auf den Fall der Inanspruchnahme der Investitionszulage durch den Investor und erhöhter Absetzungen durch den Erwerber ausdehnen wollte. Denn, wie sich aus der Einfügung des Satzes 4 zeigt, war dem Gesetzgeber die Fallgestaltung des Erwerbs eines durch Investitionszulage geförderten Objekts bewusst. Eine solche Einschränkung war damals offensichtlich nicht gewollt, zumal das Abstellen auf den Anspruchsberechtigten vom Wortlaut her klarer als die Vorgängerregelung zum Ausdruck bringt, dass es entscheidend auf die Personenidentität ankommt.
In dem Bericht des Finanzausschusses zum InvZulÄndG wird ebenfalls ausgeführt, der Ausschluss in der Altfassung des § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1999 stelle darauf ab, dass der Anspruchsberechtigte keine erhöhten Absetzungen in Anspruch nehme (BTDrucks 14/4626, 5). Es heißt dann allerdings weiter: "Da im Fall der Veräußerung eines vom Veräußerer zu sanierenden Mietwohngebäudes der Veräußerer die Investitionszulage und der Erwerber die erhöhten Absetzungen in Anspruch nehmen kann, stellt die geänderte Formulierung klar, dass das Kumulierungsverbot auch bei fehlender Personenidentität greift". Selbst wenn diese Ausführungen so zu verstehen sein sollten, dass der geänderte Gesetzeswortlaut die bisherige Rechtslage nicht ändere, sondern nur klar stelle, kann diese Auffassung des Finanzausschusses nicht zur Auslegung herangezogen werden; denn ein Kumulierungsverbot bei fehlender Personenidentität ist im ursprünglichen Gesetzeswortlaut nicht zum Ausdruck gekommen.
b) Bei der Neufassung des § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1999 durch das InvZulÄndG handelt es sich somit um eine die Fördervoraussetzungen einschränkende Rechtsänderung. Da eine Übergangsregelung nicht getroffen wurde, ist die Neuregelung --vom Wortlaut her-- auch auf im Streitjahr bereits abgeschlossene Investitionen und damit rückwirkend anzuwenden. Aus rechtsstaatlichen Gründen sind indes Gesetze, welche die Rechtsfolge eines in der Vergangenheit liegenden Verhaltens des Steuerpflichtigen nachträglich in einer für ihn belastenden Weise ändern, nur unter besonderen Voraussetzungen zulässig.
aa) Eine Rechtsnorm wirkt zurück, wenn ihre Rechtsfolgen bereits für einen bestimmten, vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung liegenden Zeitraum eintreten sollen und damit in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreifen (sog. echte --retroaktive-- Rückwirkung oder Rückbewirkung von Rechtsfolgen).
Eine lediglich unechte Rückwirkung (auch tatbestandliche Rückanknüpfung genannt) liegt dagegen vor, wenn eine Norm den Eintritt ihrer Rechtsfolgen von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig macht und somit auf in der Vergangenheit begründete, auf Dauer angelegte und noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen einwirkt (zusammenfassend BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2003 IX R 46/02, BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- und des BFH).
Im Bereich von Lenkungsnormen kommt dem Dispositionsschutz besondere Bedeutung zu. Bietet der Gesetzgeber dem Steuerpflichtigen eine sog. Verschonungssubvention (z.B. Sonderabschreibung) oder Steuervergünstigung an, die dieser nur während des Veranlagungszeitraums annehmen kann, schafft dieses Angebot eine Vertrauensgrundlage, auf die der Steuerpflichtige seine Entscheidung stützt. Er entscheidet sich um des steuerlichen Vorteils willen für ein bestimmtes wirtschaftliches Verhalten, das er ohne den steuerlichen Anreiz so nicht gewählt hätte. Diese Dispositionsbedingungen werden damit vom Tag der Entscheidung an zu einer schutzwürdigen Vertrauensgrundlage. Insoweit wird nicht mehr auf den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer abgestellt (BFH-Beschluss in BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284, insbesondere mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BVerfG).
Bei unechter Rückwirkung ist im Einzelfall zu prüfen, mit welchem Gewicht das Vertrauen in die bestehende günstige Rechtslage schützenswert ist und ob die öffentlichen Belange, die eine nachteilige Änderung rechtfertigen, dieses Vertrauen überwiegen (BFH-Beschluss in BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284).
Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 12. Oktober 2000 III R 35/95 (BFHE 193, 204, BStBl II 2001, 499) ausgeführt hat, gelten ähnliche Grundsätze im Investitionszulagenrecht. Auch hier muss das Vertrauen des Investors in die Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Investitionsentscheidung und -durchführung geschützt werden.
bb) Im Streitfall liegt der Tatbestand, an den § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1999 i.d.F. des InvZulÄndG den Ausschluss der Investitionszulage anknüpft, in der Vergangenheit. Denn nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 InvZulG 1999 sind Modernisierungsmaßnahmen (nachträgliche Herstellungsarbeiten) begünstigt, die im Kalenderjahr (hier Streitjahr 2000) beendet worden sind. Dementsprechend hat die Antragstellerin den Begünstigungstatbestand vor In-Kraft-Treten der Neuregelung am 28. Dezember 2000 verwirklicht. Andererseits entsteht der Anspruch auf Investitionszulage nicht, auch nicht anteilig, schon mit der Investition, d.h. mit der Verwirklichung des einzelnen Investitionstatbestands, sondern erst mit Ablauf des Wirtschaftsjahrs, in dem die begünstigten Investitionen vorgenommen wurden (Senatsurteil vom 20. September 1999 III R 33/97, BFHE 190, 266, BStBl II 2000, 208). Dies könnte für eine unechte Rückwirkung sprechen, weil die Rechtsänderung bereits vor Entstehen des Investitionszulagenanspruchs eingetreten ist.
Es kann offen bleiben, ob es sich im vorliegenden Fall um eine nur unter besonders engen Voraussetzungen zulässige echte Rückwirkung handelt oder ob eine --weniger strengen Kriterien unterliegende-- unechte Rückwirkung gegeben ist. Denn --bei summarischer Prüfung-- genügt die Änderung des § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1999 auch unter der Annahme einer unechten Rückwirkung nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Schutz des Vertrauens des Anspruchsberechtigten in die zum Zeitpunkt seiner Disposition geltenden Rechtslage.
Die Antragstellerin hat --davon ist auszugehen-- auf die ihr bekannte Regelung der Investitionszulagenförderung auch bei Inanspruchnahme erhöhter Absetzungen durch die Erwerber vertraut und im Vertrauen darauf ihre Kalkulation ausgerichtet. Es kann ihr nicht entgegengehalten werden, sie hätte mit der Rechtsänderung rechnen können und dies bei ihren Dispositionen berücksichtigen müssen. Denn --wie dargelegt-- war der Wortlaut der Regelung nicht mehrdeutig. Vielmehr wurden etwaige Ungenauigkeiten der Vorgängerregelung durch das StBereinG 1999 in dem Sinne klargestellt, dass auf den Anspruchsberechtigten abgestellt wurde. So wurde die Regelung auch im Schrifttum verstanden. Die Neufassung durch das InvZulÄndG geht auf den Bericht des Finanzausschusses vom 15. November 2000 (BTDrucks 14/4626 vom 16. November 2000) zurück. Aus den vorherigen Gesetzentwürfen bzw. -begründungen war nicht erkennbar, dass eine Änderung entsprechend der später Gesetz gewordenen Fassung bevorstand.
Öffentliche Interessen überwiegen das schutzwürdige Vertrauen der Antragstellerin nicht. Die im Bericht des Finanzausschusses hervorgehobenen Gesichtspunkte der Klarstellung der Rechtslage und der Vermeidung von Steuerausfällen sind nicht geeignet, das schutzwürdige Vertrauen der Antragstellerin als Investorin hintanzustellen. Zum einen war --wie ausgeführt-- die Rechtslage nicht unklar. Zum anderen betreffen die erwarteten Steuerausfälle vor allem künftige Wirtschaftsjahre. Von der tatbestandlichen Rückanknüpfung ist lediglich das Jahr 2000 betroffen, sodass nicht von überwiegenden Gemeinwohlinteressen ausgegangen werden kann. Im Übrigen vermag die bloße Absicht, staatliche Mehreinkünfte zu erzielen, für sich genommen kein den Vertrauensschutz des Bürgers überwiegendes Gemeinwohlinteresse zu begründen (BVerfG-Beschluss vom 5. Februar 2002 2 BvR 305, 348/93, BVerfGE 105, 17, Finanz-Rundschau 2002, 1011).
3. Das FG hat die Vollziehung des angefochtenen Bescheids ausgesetzt, ohne zu prüfen, ob im Streitfall das --bei verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit einer Norm erforderliche-- berechtigte Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegeben ist.
Im Hinblick auf die mögliche Verfassungswidrigkeit einer Rechtsnorm kommt die Aussetzung der Vollziehung regelmäßig nicht in Betracht, wenn schwerwiegende öffentliche Interessen, insbesondere das Interesse an einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung und eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegen (BFH-Beschluss vom 17. Juli 2003 II B 20/03, BFHE 202, 380, BStBl II 2003, 807). Im Hinblick auf den Geltungsanspruch eines formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes ist bei ernstlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit einer Rechtsnorm ein berechtigtes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich. Die öffentlichen Interessen und die Interessen des Steuerpflichtigen sind gegeneinander abzuwägen. Der Rechtsschutzanspruch des Antragstellers geht nur dann vor, wenn ihm durch die vorläufige Vollziehung des angefochtenen Bescheids irreparable Nachteile drohen oder er sich zumindest auf ein besonderes individuelles Interesse berufen kann (BFH-Beschlüsse in BFHE 202, 346, BStBl II 2003, 661, und in BFH/NV 2004, 780, jeweils m.w.N.).
Ob die Voraussetzungen für die Annahme eines berechtigten Interesses der Antragstellerin an einer Aussetzung des angefochtenen Aufhebungsbescheids vorliegen, kann der Senat aufgrund der vorliegenden Akten nicht beurteilen. Der Aussetzungsbeschluss des FG war daher aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Eine Zurückverweisung ist auch im Beschwerdeverfahren betreffend die Aussetzung der Vollziehung zulässig (BFH-Beschluss vom 9. November 1999 V B 16/99, BFH/NV 2000, 611).
Das FG wird zu prüfen haben, ob ein berechtigtes Interesse an der Aussetzung anzunehmen ist, weil die Antragstellerin im Hinblick auf den Zweck der Investitionszulagenförderung, durch an die Investoren ausgezahlte Förderbeträge unmittelbar zur Belebung der wirtschaftlichen Tätigkeit im Fördergebiet beizutragen, auf die Zulagenbeträge in besonderem Maße angewiesen ist. Zum anderen wird es festzustellen haben, ob unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation der Antragstellerin die Vollziehung des angefochtenen Bescheids (Zahlung von rd. 500 000 €) nicht wieder gutzumachende Nachteile zur Folge hätte. Ferner wird zu erwägen sein, ob die Aussetzung gemäß § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen ist. Schließlich weist der Senat darauf hin, dass im bisherigen Verfahren keine Feststellungen zur Höhe der Bemessungsgrundlage für die Investitionszulage getroffen worden sind.
Fundstellen
Haufe-Index 1212488 |
BFH/NV 2005, 382 |