Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldbescheid als teilbarer Verwaltungsakt; beschränkte Zulassung der Revision; Verletzung der Sachaufklärungspflicht; Bestimmung des Kindergeldberechtigten nach § 64 Abs. 3 EStG nur nach dem laufenden Barunterhalt
Leitsatz (NV)
1. Der Bescheid, mit dem die Familienkasse einen Antrag auf Kindergeld für mehrere Monate ablehnt, ist ein negativer Verwaltungsakt, der als teilbarer Verwaltungsakt für jeden Monat aufgehoben und geändert und für andere Monate unverändert bestehen bleiben kann.
2. Hat das FG seine Aufklärungspflicht hinsichtlich der Voraussetzungen für den Kindergeldanspruch verletzt, betrifft die Verletzung aber nur einen Teil der streitigen Monate, ist die Zulassung der Revision auf den Kindergeldanspruch für diese Monate zu beschränken.
3. Erklärt der Kläger, er könne die vom FG angeforderten Unterlagen über die Berufsausbildung seiner Tochter nicht vorlegen, verletzt das FG seine Sachaufklärungspflicht, wenn es die Unterlagen nicht von der Tochter anfordert oder die Tochter anhört.
4. Lebt das Kind nicht im Haushalt eines Kindergeldberechtigten, steht das Kindergeld demjenigen zu, der den laufenden Barunterhalt leistet. Nachträglich erbrachte Unterhaltsleistungen, zu denen ein Elternteil auf Klage des Kindes rückwirkend verurteilt wird, wirken sich auf die Bestimmung des Kindergeldberechtigten nicht aus.
5. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs wegen Nichtverlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung ist nicht anzunehmen, wenn sich aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung ergibt, dass der Kläger trotz Verhinderung um eine Entscheidung gebeten hat, weil er alles Wesentliche bereits vorgetragen habe.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4, § 64 Abs. 3; FGO § 76 Abs. 1, § 79 Abs. 1 Nr. 3, §§ 83, 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 6
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 04.05.2005; Aktenzeichen 1 K 2265/04) |
Tatbestand
I. Die am … Mai 1978 geborene Tochter des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) absolvierte nach Beendigung der Schule bis zum 31. August 2000 ein unbezahltes Praktikum in einem …studio. Während dieser Zeit bewohnte sie eine eigene Wohnung. Kindergeld erhielt bis einschließlich August 2000 die Ehefrau des Klägers, von der er seit 1990 geschieden war und die im November 2000 starb.
Im Zeitraum vom 28. August 2000 bis zum 28. Februar 2001 war die Tochter aufgrund eines Arbeitsvertrags als telefonische Sachbearbeiterin in einem Callcenter tätig. Ab dem 1. August 2001 wurde sie zur Mediengestalterin ausgebildet. Ab diesem Zeitpunkt erhielt der Kläger Kindergeld.
Am 10. Mai 2004 beantragte der Kläger Kindergeld auch für die Monate Juli 2000 bis Juli 2001, da er für diesen Zeitraum rückwirkend zur Zahlung von Unterhalt verurteilt worden sei. Seine Tochter habe zur Erlangung ihres Ausbildungsplatzes einen 6-monatigen Kurs besucht. Da der Kläger keine Nachweise über den Kurs vorlegen konnte, lehnte die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) den Antrag ab. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte im Wesentlichen aus:
Für die Monate Juni und Juli (richtig Juli und August) 2000 bestehe schon deshalb kein Anspruch auf Kindergeld, weil in diesem Zeitraum noch die geschiedene Ehefrau des Klägers kindergeldberechtigt gewesen sei. Die Tochter habe zwar einen eigenen Hausstand gehabt, aber aus den Akten sei nicht ersichtlich, dass ihre Mutter ihren Unterhaltspflichten nicht nachgekommen sei. Für den übrigen Zeitraum seien die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld nach § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a bis c des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht erfüllt. Es lägen auch keine Unterlagen darüber vor, dass die Tochter nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses bei dem Callcenter einen sechsmonatigen Kurs belegt habe. Ebenso wenig gebe es Nachweise darüber, welche Einkünfte sie bis zum Beginn ihrer Ausbildung erzielt habe und ob sie bis zum Beginn der Berufsausbildung eine Vollzeiterwerbstätigkeit ausgeübt habe. Für den Nachweis sei der Kläger verantwortlich, auch wenn er im Streitfall möglicherweise Probleme habe, von der Tochter diese Unterlagen zu erhalten. Allein die Tatsache, dass der Kläger zur Zahlung von Unterhalt verurteilt worden sei, reiche nicht aus, um den Anspruch auf Kindergeld zu belegen.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger Verletzung der Sachaufklärungspflicht und des rechtlichen Gehörs sowie grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist teilweise begründet.
1. Sie führt hinsichtlich des Kindergeldes für die Monate März bis Juli 2001 gemäß § 116 Abs. 6 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
a) Der --den Antrag auf Kindergeld für die Monate Juli 2000 bis Juli 2001 ablehnende-- Bescheid der Familienkasse ist ein negativer Dauerverwaltungsakt, der als teilbarer Verwaltungsakt für jeden Monat geändert oder aufgehoben werden und für andere Monate unverändert bestehen bleiben kann (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. Januar 2003 VIII R 60/00, BFH/NV 2003, 927). Da es sich somit bei dem Begehren des Klägers um einen teilbaren Streitgegenstand handelt und das FG seine Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts nur hinsichtlich der Voraussetzungen für den Anspruch auf Kindergeld im Zeitraum März bis Juli 2001 verletzt hat, beschränkt sich die Aufhebung des FG-Urteils und die Zurückverweisung auf den Kindergeldanspruch für diese Monate.
b) Im Klageverfahren hat das FG zur Erfüllung seiner Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) den entscheidungserheblichen Sachverhalt so vollständig wie möglich und bis zur Grenze des Zumutbaren, d.h. unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel, aufzuklären (BFH-Urteil vom 15. Dezember 1999 X R 151/97, BFH/NV 2000, 1097; BFH-Beschlüsse vom 22. Juli 1999 VII B 19/99, BFH/NV 1999, 1635, und vom 17. Oktober 2003 II B 109/02, BFH/NV 2004, 156).
Unabhängig von den Beweisanträgen der Beteiligten (§ 76 Abs. 1 Satz 5 FGO) muss das FG im Zweifel auch von sich aus Beweise erheben (BFH-Urteile vom 22. April 1988 III R 59/83, BFH/NV 1989, 38, und vom 12. April 1994 IX R 101/90, BFHE 174, 301, BStBl II 1994, 660). Das FG verletzt seine Sachaufklärungspflicht jedenfalls dann, wenn es Tatsachen oder Beweismittel außer Acht lässt, deren Ermittlungen sich ihm hätten aufdrängen müssen (BFH-Urteil vom 25. Mai 2004 VII R 8/03, BFH/NV 2004, 1498).
c) Im Streitfall hat das FG den Kläger zwar im Klageverfahren in zwei Verfügungen zur Aufklärung des Sachverhalts aufgefordert, Unterlagen über den Kurs, an dem seine Tochter in der Zeit bis zum 1. Juli 2001 angeblich teilgenommen hatte, und über die von ihr während dieses Zeitraums ggf. erzielten Einkünfte zu übermitteln. Der Kläger hatte dem FG aber schriftlich mitgeteilt, dass seine Tochter ihm die Unterlagen nicht zur Verfügung stelle.
Aus maßgeblicher Sicht des FG hätte es daher zur Aufklärung des Sachverhalts nahegelegen, im Wege einer Auskunft nach § 79 Abs. 1 Nr. 3 FGO die vom Kläger erbetenen Unterlagen unmittelbar von der Tochter anzufordern. Ferner hätte es --unter Beachtung von § 83 FGO in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung-- die Tochter des Klägers mündlich anhören oder sie als Zeugin vernehmen können.
d) Der Senat hält es im Streitfall aus Gründen der Prozessökonomie für sachgerecht, gemäß § 116 Abs. 6 FGO das angefochtene FG-Urteil, soweit es das Kindergeld für die Monate März bis Juli 2001 betrifft, wegen Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
2. Hinsichtlich der Kindergeldansprüche für die Monate Juli 2000 bis einschließlich Februar 2001 ist die Beschwerde unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 132 FGO).
a) Eine Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) kommt nicht in Betracht.
aa) Das FG hat seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 76 Abs. 1 FGO) insoweit nicht verletzt.
Für die Monate Juli und August 2000 hat zu Recht die geschiedene Ehefrau des Klägers das Kindergeld für die Tochter bezogen. Da die Tochter damals weder in deren Haushalt noch im Haushalt des Klägers gelebt hatte, stand das Kindergeld gemäß § 64 Abs. 3 Satz 1 EStG demjenigen zu, der dem Kind eine Unterhaltsrente zahlte. Der Kläger hat in beiden Monaten keinen Unterhalt an die Tochter geleistet. Er ist vielmehr erst im Jahr 2003 zur Zahlung eines monatlichen Betrags von 410 DM für den Zeitraum 1. Juli 2000 bis 1. Juli 2001 verurteilt und der Gesamtbetrag von der Tochter im Wege der Zwangsvollstreckung beigetrieben worden. Da § 64 Abs. 3 Satz 1 EStG auf den laufenden Barunterhalt abstellt (vgl. BFH-Urteil vom 16. Dezember 2003 VIII R 67/00, BFH/NV 2004, 934; BFH-Beschluss vom 28. Oktober 2004 VIII B 253/04, BFH/NV 2005, 346), wirkt sich die nachträglich erbrachte Unterhaltsleistung auf die Bestimmung des Unterhaltsberechtigten nicht aus. Das FG unterstellt, die geschiedene Ehefrau habe damals eine Unterhaltsrente an die Tochter gezahlt. Selbst wenn sie dies nicht getan haben sollte, hätte ihr das Kindergeld nach § 64 Abs. 3 Satz 3 EStG zugestanden, weil der Kläger im Jahr 1990 der Familienkasse gegenüber erklärt hatte, er sei mit der Zahlung des Kindergeldes an seine geschiedene Frau einverstanden. Er hat diese Erklärung auch nicht widerrufen (vgl. BFH-Beschluss vom 11. Dezember 2001 VI B 214/00, BFH/NV 2002, 484), sondern erstmals nach dem Tod der geschiedenen Ehefrau Kindergeld beantragt.
In den Monaten September 2000 bis einschließlich Februar 2001 war die Tochter nicht nach § 32 Abs. 4 EStG als Kind zu berücksichtigen, da sie in dieser Zeit erwerbstätig war (vgl. BFH-Urteile vom 19. Oktober 2001 VI R 39/00, BFHE 197, 92, BStBl II 2002, 481, und vom 14. Mai 2002 VIII R 83/98, BFH/NV 2002, 1551).
bb) Hinreichende Anhaltspunkte für eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 FGO) sind gleichfalls nicht gegeben.
Der Kläger trägt insoweit vor, er habe vor der mündlichen Verhandlung auf Terminschwierigkeiten hingewiesen. Gleichwohl habe das FG an dem Verhandlungstermin festgehalten. Wäre der Termin verlegt worden, hätte er noch Wesentliches vortragen können.
Wie sich aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung ergibt, hat der Kläger indes telefonisch gegenüber dem FG mitgeteilt, er könne wegen Terminschwierigkeiten zwar nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen. Er bitte aber gleichwohl um eine Entscheidung, da er alles Wesentliche bereits vorgetragen habe.
Da der Kläger im Vorfeld keinen Antrag auf Protokollberichtigung gestellt hat, was nach § 94 FGO i.V.m. § 164 der Zivilprozessordnung möglich gewesen wäre, ist davon auszugehen, dass der Inhalt des Verhandlungsprotokolls sachlich zutrifft. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs ist mithin nicht ersichtlich.
b) Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Revision auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
Die Rechtsfrage, ob der nachträglich gezahlte Unterhalt einen Anspruch auf Kindergeld begründet, ist nicht klärungsbedürftig. Unter welchen Voraussetzungen Anspruch auf Kindergeld besteht, wenn das Kind seine Ausbildung noch nicht beendet hat, ist in § 32 Abs. 4 EStG geregelt. Diese Voraussetzungen lagen in den Monaten September 2000 bis Februar 2001 wegen des Arbeitsverhältnisses der Tochter nicht vor (s. oben unter II. 2. a aa). Soweit der Kindergeldberechtigte eines in Ausbildung befindlichen Kindes nach § 64 Abs. 3 EStG zu bestimmen ist, kommt es auf den laufenden Barunterhalt an (s. oben unter II. 2. a aa).
Fundstellen