Entscheidungsstichwort (Thema)
Körperschaftsteuerbefreiung eines Berufsverbandes
Leitsatz (amtlich)
Ein Verband nimmt auch dann allgemeine Interessen eines Wirtschaftszweiges wahr, wenn er lediglich die in einem eng begrenzten Bereich der unternehmerischen Tätigkeit bestehenden gemeinsamen Interessen eines Wirtschaftszweiges vertritt.
Normenkette
KStG § 5 Abs. 1 Nr. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein nicht rechtsfähiger Verein. Ihm kann jedes in der Bundesrepublik Deutschland tätiges Versicherungsunternehmen (VU) als Mitglied beitreten. Im Jahr 1992 (Streitjahr) waren ca. 200 VU Mitglieder des Klägers. Ihr Anteil am deutschen Versicherungsmarkt betrug 1993 ca. 90 v.H. Der Zweck des Klägers ergibt sich aus einem von den Verbänden der Branche mit den Verbänden der Versicherungskaufleute, der Geschäftsstellenleiter der Versicherungen und der Versicherungsvermittler und -makler geschlossenen Abkommen zur Durchführung von Provisionsregelungen. Satzungsmäßige Aufgabe des Klägers ist es, über den Inhalt, die Änderungen und die Ergänzungen dieses Abkommens zu beschließen und etwaige Verstöße gegen das Abkommen zu untersuchen und zu ahnden.
Anlass für das Abkommen und die Gründung des Klägers waren Erlasse und Verordnungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen (BAV), durch die es VU und Versicherungsvermittlern verboten worden war, den Versicherungsnehmern (VN) Sondervergünstigungen ―insbesondere Provisionsabgaben― zu gewähren. Durch die Verbote sollten die VN vor einer übermäßigen Belastung der VU mit Provisionskosten infolge Sondervergütungen an Einzelne geschützt und insoweit gleiche Wettbewerbsbedingungen unter den VU geschaffen werden. Ein weiterer und wesentlicher Anlass war, dass zunehmend Tochtergesellschaften gewerblicher VN als Versicherungsvermittler auftraten (sog. firmenverbundene Vermittler), um gegen Provision Versicherungsschutz für die mit ihnen verbundenen Unternehmen zu vermitteln. Die Versicherungswirtschaft sah es als eine berufsständische Aufgabe an, auf der Grundlage der Erlasse und Verordnungen des BAV selbst Missstände bei der Gewährung und Weitergabe von Provisionen zu verhindern und zu beenden.
Durch Bescheid vom 7. Januar 1994 veranlagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) den Kläger für das Streitjahr zur Körperschaftsteuer. Einspruch und Klage, mit denen der Kläger geltend machte, er sei als Berufsverband gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 des Körperschaftsteuergesetzes i.d.F. des Art. 8 Nr. 2 Buchst. c des Steueränderungsgesetzes 1992 vom 25. Februar 1992 ―KStG a. F.― (BGBl I 1992, 297, BStBl I 1992, 146) von der Körperschaftsteuer befreit, waren erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 116 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt der Kläger, das FG-Urteil verletze § 5 Abs. 1 Nr. 5 KStG a.F. Er beantragt, das FG-Urteil und den Körperschaftsteuerbescheid aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Der angefochtene Körperschaftsteuerbescheid und das FG-Urteil waren aufzuheben, da der Kläger als Berufsverband i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 5 KStG a.F. im Streitjahr von der Körperschaftsteuer befreit ist.
1. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 KStG a.F. sind u.a. Berufsverbände ohne öffentlich-rechtlichen Charakter von der Körperschaftsteuer befreit, wenn ihr Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist. Unterhalten sie einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, ist die Steuerbefreiung insoweit ausgeschlossen (§ 5 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 KStG a.F.). Dies gilt auch für Zusammenschlüsse von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die "wie die Berufsverbände allgemeine ideelle und wirtschaftliche Interessen ihrer Mitglieder wahrnehmen" (§ 5 Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 KStG a.F.).
Das KStG enthält keine Definition des Begriffs "Berufsverband". § 5 Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 KStG a.F. lässt jedoch erkennen, dass eine Körperschaft des privaten Rechts nur dann ein Berufsverband i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 KStG a.F. ist, wenn sie allgemeine ideelle und wirtschaftliche Interessen eines Wirtschaftszweiges oder der Angehörigen eines Berufs wahrnimmt. Dementsprechend ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ein Berufsverband im Sinne des Steuerrechts ein Zusammenschluss natürlicher Personen oder Unternehmen, der allgemeine, aus der beruflichen oder unternehmerischen Tätigkeit erwachsende ideelle und wirtschaftliche Interessen eines Wirtschaftszweiges oder der Angehörigen eines Berufs wahrnimmt (s. BFH-Urteile vom 22. Juli 1952 I 44/52 U, BFHE 56, 572, BStBl III 1952, 221; vom 17. Mai 1966 III 190/64, BFHE 86, 324, BStBl III 1966, 525; vom 15. Juli 1966 III 179/64, BFHE 86, 656, BStBl III 1966, 638; vom 29. August 1973 I R 234/71, BFHE 110, 405, BStBl II 1974, 60; vom 28. Juni 1989 I R 86/85, BFHE 157, 416, BStBl II 1990, 550; vom 28. Januar 1988 V R 48/85, Der Betrieb ―DB― 1989, 156; s.a. BFH-Gutachten vom 17. Mai 1952 I D 1/52 S, BFHE 56, 591, BStBl III 1952, 228; Abschn. 8 Abs. 1 Satz 1 der Körperschaftsteuer-Richtlinien 1995 ―KStR 1995―). Es müssen wirtschaftliche Interessen aller Angehörigen des Berufs oder Wirtschaftszweiges wahrgenommen werden und nicht nur Interessen einzelner Angehöriger des Berufs oder Wirtschaftszweiges (sog. Individualinteressen) vertreten werden (s. BFH-Urteile vom 29. November 1967 I 67/65, BFHE 91, 45, BStBl II 1968, 236; vom 19. März 1975 I R 137/73, BFHE 116, 12, BStBl II 1975, 722; Abschn. 8 Abs. 1 Satz 2 KStR 1995; Augsten in Lademann, Kommentar zum Körperschaftsteuergesetz, § 5 Anm. 61; Frotscher in Frotscher/Maas, Körperschaftsteuergesetz, Umwandlungssteuergesetz, § 5 KStG Rz. 73a; Herrmann/Heuer/ Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 5 KStG Anm. 128; v.Twickel in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 5 KStG Rz. 68; Bott in Arthur Andersen, Körperschaftsteuergesetz, § 5 Rz. 270; Schwarz in Mössner/Seeger, Körperschaftsteuergesetz, § 5 Rz. 49).
2. Dazu hat das FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt: Der Kläger habe Verstöße gegen die Verbote des BAV der Behörde gemeldet und dadurch in einem eng begrenzten Teilbereich Interessen der VU gegenüber dem BAV wahrgenommen. Diese Interessenwahrung sei nicht nur den Mitgliedern des Klägers, sondern indirekt auch VU zugute gekommen, die keine Mitglieder des Klägers gewesen seien.
Nach diesen Feststellungen, an die der erkennende Senat gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden ist, war der Kläger im Streitjahr als ein Berufsverband i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 5 KStG a.F. tätig.
a) Entgegen der Auffassung des FG nimmt ein Verband auch dann allgemeine Interessen eines Wirtschaftszweiges wahr, wenn er lediglich die in einem eng begrenzten Bereich der unternehmerischen Tätigkeit bestehenden gemeinsamen Interessen eines Wirtschaftszweiges vertritt. Dass allgemeine Interessen wahrgenommen werden müssen, besagt lediglich, dass die Tätigkeit des Verbandes den Interessen des Wirtschaftszweiges dienen muss und keine bloße Vertretung von Individualinteressen sein darf. Welchen Umfang die wahrzunehmenden Interessen haben müssen, lässt sich dem Adjektiv "allgemeine" nicht entnehmen.
b) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 KStG a.F. ist zwar die Wahrnehmung ideeller und wirtschaftlicher Interessen kennzeichnend für Berufsverbände. Die Norm ist aber nicht dahin gehend auszulegen, dass ein Verband nur dann ein Berufsverband i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 5 KStG a.F. ist, wenn er sowohl ideelle als auch wirtschaftliche Interessen eines Wirtschaftszweiges oder der Angehörigen eines Berufs vertritt. Es reicht aus, wenn ―wie im Streitfall durch den Kläger― allgemeine Interessen wirtschaftlicher Art wahrgenommen werden. Denn die Wahrnehmung allgemeiner wirtschaftlicher Interessen ist zugleich eine Vertretung ideeller Interessen i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 5 KStG a.F. (s. BFH-Urteil in BFHE 56, 572, BStBl III 1952, 221; BFH-Gutachten in BFHE 56, 591, BStBl III 1952, 228).
c) Die Finanzverwaltung und das Schrifttum gehen daher zutreffend davon aus, dass auch ein Verein, der nur ein einziges gemeinsames wirtschaftliches Interesse eines Wirtschaftszweiges wahrnimmt, ein steuerbefreiter Berufsverband sein kann. So werden z.B. die Arbeitgeberverbände, die nur in einem ―wenn auch sehr wichtigen― Teilbereich die Interessen ihres Wirtschaftszweiges wahrnehmen, als Berufsverbände angesehen (s. Abschn. 8 Abs. 2 KStR 1995; Augsten, a.a.O., § 5 Anm. 65; Frotscher, a.a.O., § 5 KStG Rz. 74; v.Twickel, a.a.O., § 5 KStG Rz. 70).
Die Formulierung im Urteil in BFHE 116, 12, BStBl II 1975, 722, ein Verband sei kein steuerbefreiter Berufsverband, wenn er nicht "die" allgemeinen wirtschaftlichen Belange aller Angehörigen des Berufs, sondern die besonderen wirtschaftlichen Belange einzelner Angehöriger eines bestimmten Geschäftszweiges wahrnehme, steht dem nicht entgegen. Sie bezieht sich erkennbar auf die Abgrenzung der allgemeinen Interessen von den Individualinteressen und nicht auf den Umfang der Interessenvertretung.
d) Unerheblich ist auch, ob sich der Kläger ―was er behauptet und was das FA in Frage gestellt hat― nicht nur im Bereich der Haftpflicht- und Sachversicherungen, sondern auch im Bereich der Lebensversicherungen dafür einsetzte, Missstände bei der Gewährung und Weitergabe von Provisionen zu verhindern und zu beenden. Selbst wenn der Kläger sich auf die Wahrung der Interessen der Haftpflicht- und Sachversicherer beschränkt haben sollte, hätte er durch seine Tätigkeit allgemeine wirtschaftliche Interessen eines ―dann enger abgegrenzten― Wirtschaftszweiges und keine bloßen Individualinteressen seiner Mitgliedsunternehmen wahrgenommen.
3. Der Kläger ist im Streitjahr in vollem Umfang von der Körperschaftsteuer befreit. Das FG hat nicht festgestellt und das FA auch nicht vorgetragen, dass der Kläger im Streitjahr einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhielt und deshalb gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 KStG a.F. nur partiell steuerbefreit ist.
Fundstellen
Haufe-Index 1016856 |
BFH/NV 2003, 1663 |
BStBl II 2003, 891 |
BFHE 2004, 43 |
BFHE 203, 43 |
DB 2003, 2632 |
DStRE 2003, 1391 |
HFR 2003, 1191 |