Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine offenbare Unrichtigkeit bei Zweifeln der Sachbearbeiterin des FA an der Richtigkeit ihrer EDV-Eingaben
Leitsatz (NV)
Für die Auslegung des Begriffs des mechanischen Versehens ist es unerheblich, ob die Bediensteten des FA beim Erlaß des unrichtigen Bescheids ein Verschulden trifft; auch eine oberflächliche Behandlung des Falles hindert die Anwendung des § 129 AO 1977 nicht (Anschluß an BFH-Urteile in BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293, und vom 10. September 1987 V R 69/84, BFHE 150, 509, BStBl II 1987, 834). Häuft sich aber die Unachtsamkeit bei der Bearbeitung des Falles und wird Zweifeln, die sich aufdrängen, nicht nachgegangen, so ist kein einem Schreib- oder Rechenfehler ähnliches mechanisches Versagen mehr gegeben.
Hatte die Sachbearbeiterin des Finanzamts noch Zweifel an der Richtigkeit ihrer Eingaben in den Eingabewertbogen und unterließ sie trotz dieser Zweifel eine weitere Prüfung, so beruht der Fehler nicht mehr auf bloßer Flüchtigkeit, sondern auf unzureichender Aufklärung des Falles.
Normenkette
AO 1977 § 129
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1981 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. U. a. erzielte die Klägerin im Streitjahr Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Sie betrieb ein Einzelunternehmen; daneben war sie an der X-KG und an einer GmbH & Co. KG beteiligt.
Im Einkommensteuerbescheid 1981 vom 5. September 1983 setzte das damals zuständige Finanzamt Z den Gewinn aus dem Einzelunternehmen mit 268112 DM und aus der Beteiligung an der X-KG mit 13897 DM an und die Steuer auf 199029 DM fest. Im Rahmen einer in der Zeit vom 9. Januar 1984 bis 27. Februar 1984 stattfindenden Außenprüfung für 1980 bis 1982 stellte der Prüfer fest, daß im Streitjahr der Gewinn aus dem Einzelunternehmen der Klägerin um 75494 DM und derjenige aus der Beteiligung an der X-KG um 42615 DM höher anzusetzen seien. Das Finanzamt Z erließ gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) am 2. Mai 1984 einen entsprechend geänderten Einkommensteuerbescheid für 1981, in dem es die Einkommensteuer auf 266194 DM festsetzte. Die Mitteilung über die geänderte gesonderte und einheitlicheFeststellung der Einkünfte aus der Beteiligung an der KG vom 14. März 1984 lag dem Finanzamt Z vor.
Am 7. Juni 1988 ging beim Finanzamt Z die Mitteilung über einen Verlust der Klägerin im Streitjahr 1981 aus ihrer Beteiligung an der GmbH & Co. KG in Höhe von 816 DM ein. Der nunmehr zuständige Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt - FA -) änderte auf Grund dieser Mitteilung den Einkommensteuerbescheid 1981 gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977. Das FA setzte durch Bescheid vom 14. September 1988 die Einkommensteuer 1981 auf 240881 DM fest. Dabei legte es Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer von 343606 DM und aus Beteiligungen von 13081 DM (= 13897 DM ./. 816 DM) zugrunde. Die Erhöhung der Einkünfte aus der Beteiligung an der X-KG von 42615 DM blieb unberücksichtigt. In den Erläuterungen zum Bescheid wies das FA darauf hin, daß der Bescheid den Bescheid vom 5. September 1983 ändere. Der im Eingabewertbogen angeforderte Prüfhinweis befindet sich nicht in der Einkommensteuerakte.
Am 7. April 1989 erließ das FA einen auf § 129 AO 1977 gestützten Berichtigungsbescheid für das Streitjahr, in dem es die Einkommensteuer auf 264711 DM festsetzte. Darin sind die Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer mit 386221 DM (erhöht um die Einkünfte aus der Beteiligung an der X-KG von 42615 DM) und aus den Beteiligungen mit 13081 DM angesetzt. Der Einspruch gegen diesen Bescheid hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Es führt im wesentlichen aus, zur Überzeugung des Senats, die sich auf die glaubwürdige Aussage der Sachbearbeiterin beim FA, der Zeugin Y, gründe, stehe fest, daß dieser beim Ausfüllen des Eingabewertbogens lediglich ein Übertragungsfehler unterlaufen sei. Die Zeugin habe bekundet, sie sei zunächst von den Zahlen des Eingabewertbogens für den Steuerbescheid vom 5. September 1983 ausgegangen. Auf Grund eines Prüfhinweises habe sich ergeben, daß der Gewinn von 268112 DM falsch gewesen sei und das Mehrergebnis der Außenprüfung nicht berücksichtigt habe. Sie habe dann zusammen mit ihrem Sachgebietsleiter den richtigen Gewinn ausgerechnet und nunmehr einen Gewinnbetrag von 343606 DM eingetragen.
kv Die übrigen Eintragungen des Eingabewertbogens habe sie unverändert gelassen. Die Sachbearbeiterin habe also in einem ersten Bearbeitungsschritt lediglich die Zahlen aus dem Eingabewertbogen für den Steuerbescheid vom 5. September 1983 in den Eingabewertbogen für den Steuerbescheid vom 14. September 1988 übertragen. Dies stelle eine offenbare Unrichtigkeit i. S. des § 129 AO 1977 dar. In einem zweiten Bearbeitungsschritt habe die Sachbearbeiterin dann die Zahlen des Eingabewertbogens für den Steuerbescheid vom 14. September 1988 teilweise korrigiert; die fehlerhaft übernommene Zahl für den Gewinn aus der Beteiligung an der X-KG habe sie jedoch unverändert gelassen. Diese Fehlerkorrektur lasse den Charakter des Fehlers im ersten Bearbeitungsschritt als rein mechanischen Fehler unberührt. Anhaltspunkte dafür, daß der Nichtveränderung des Gewinnbetrages aus der Beteiligung an der X-KG eine bewußte Willensbildung der Sachbearbeiterin zugrunde gelegen habe, welche ein mechanisches Versehen ausschließen könnte, seien nicht gegeben. Die Unrichtigkeit des Bescheids vom 14. September 1988 sei auch offenbar gewesen. Denn die Kläger hätten von der Erhöhung des Gewinns aus der Beteiligung an der X-KG um 42615 DM auf Grund der Außenprüfung, mit deren Ergebnis sie sich einverstanden erklärt hätten, und des Bescheids vom 2. Mai 1984 gewußt.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügen die Kläger Verletzung des § 129 AO 1977.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und des angefochtenen Bescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Zu Unrecht hat das FG die Befugnis des FA bejaht, den sachlich unrichtigen bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid 1981 vom 14. September 1988 nach § 129 AO 1977 zu berichtigen.
Nach Satz 1 dieser Vorschrift kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) entspricht die Vorschrift des § 129 AO 1977 hinsichtlich des Begriffs der offenbaren Unrichtigkeit der des bis dahin geltenden § 92 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung - AO - (vgl. Urteil vom 9. Oktober 1979 VIII R 226/77, BFHE 129, 5, BStBl II 1980, 62). Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten sind mechanische Fehler, die ebenso mechanisch, d. h. ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können. Bei der bloßen Möglichkeit eines Rechtsirrtums liegt kein mechanisches Versehen und daher keine offenbare Unrichtigkeit vor, ebenso nicht bei einer unrichtigen Tatsachenwürdigung, der unzutreffenden Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts oder bei Fehlern, die auf mangelnder Sachaufklärung bzw. Nichtbeachtung feststehender Tatsachen beruhen (ständige Rechtsprechung, vgl. u. a. BFH-Urteile vom 28. November 1985 IV R 178/83, BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293; vom 18. April 1986 VI R 4/83, BFHE 146, 350, BStBl II 1986, 541; vom 4. Juni 1986 IX R 52/82,BFHE 147, 393, BStBl II 1987, 3; vom 28. Oktober 1988 III R 49/85, BFH/NV1989, 341, und vom 14. Juni 1991 III R 64/89, BFHE 165, 438, BStBl II 1992, 52, jeweils m. w. N.). Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO 1977 ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, ist nach den Verhältnissen des Einzelfalles zu beurteilen (BFH-Urteil vom 29. März 1985 VI R 140/81, BFHE 144, 118, BStBl II 1985, 569).
Der Beurteilung des FG kann nicht gefolgt werden, weil es den Begriff des mechanischen Versehens zu weit ausgelegt hat. Zwar ist es unerheblich, ob die Bediensteten des FA beim Erlaß des unrichtigen Bescheids ein Verschulden trifft; auch eine oberflächliche Behandlung des Falles hindert die Anwendung des § 129 AO 1977 nicht (vgl. BFH-Urteile in BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293, und vom 10. September 1987 V R 69/84, BFHE 150, 509, BStBl II 1987, 834). Häuft sich aber die Unachtsamkeit bei der Bearbeitung des Falles und wird Zweifeln, die sich aufdrängen, nicht nachgegangen, so ist kein einem Schreib- oder Rechenfehler ähnliches mechanisches Versehen mehr gegeben. Der Bescheid vom 14. September 1988 war unrichtig, weil die Einkünfte der Klägerin aus der Beteiligung an der X-KG um 42615 DM zu niedrig angesetzt waren. Nach den Feststellungen des FG beruhte die Unrichtigkeit darauf, daß die Sachbearbeiterin beim erstmaligen Ausfüllen des Eingabewertbogens, um die Steuerfestsetzung für 1981 auf Grund der Mitteilung für die GmbH & Co. KG zu ändern, den Nebenbericht über die Außenprüfung bei den Klägern im Jahre 1984, einen darauf ergangenen manuell gefertigten Sammeländerungsbescheid vom 2. Mai 1984 und die Mitteilung über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte der Klägerin aus der Beteiligung an der X-KG übersah. Bei der Bearbeitung des Prüfhinweises blieben der Bescheid und die Mitteilung ebenfalls unberücksichtigt. Dies ergibt sich aus der Erläuterung im Bescheid vom 14. September 1988: ,,Dieser Bescheid ändert den Bescheid vom 5. 9. 1983." Bei der Bearbeitung des Prüfhinweises entnahm die Sachbearbeiterin die Erhöhung der Einkünfte der Klägerin aus dem Einzelunternehmen dem Außenprüfungsnebenbericht, nicht aber die Erhöhung der Einkünfte aus der Beteiligung an der X-KG. Zwar schließen Fehler, die auf dem Übersehen von Mitteilungen oder Feststellungen in einem Prüfungsbericht beruhen, selbst im Fall ihrer Wiederholung bei Bearbeitung einer Hinweismitteilung die Annahme eines mechanischen Versehens nicht aus. Dies gilt aber nur dann, wenn die Überprüfung in dem Punkt nicht zu einer neuen Willensbildung des zuständigen Beamten im Rahmen dieses Tatsachen- oder Rechtsbereichs geführt hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE 146, 350, BStBl II 1986, 541 m. w. H.). Im Streitfall hat eine neue Willensbildung der Sachbearbeiterin stattgefunden. Sie hatte infolge des Prüfhinweises bemerkt, daß die Eingabewerte bezüglichder Einkünfte aus Gewerbebetrieb nicht richtig sein konnten. Sie ermittelte mit dem Sachgebietsleiter den Gewinn der Klägerin als Einzelunternehmerin aus dem Außenprüfungsnebenbericht und erhöhte den entsprechenden Eingabewert. Schon bei diesem Vorgehen läßt sich im Hinblick darauf, daß sich die Erhöhung des Gewinns aus der Beteiligung an der X-KG ebenfalls aus dem Nebenbericht ergab, ein Tatsachen- oder Rechtsirrtum nicht ohne weiteres ausschließen. Wesentlich ist jedoch, daß die Sachbearbeiterin - wie die Anforderung eines weiteren Prüfhinweises belegt - noch Zweifel an der Richtigkeit ihrer Eingaben hatte. Da sie trotz dieser Zweifel eine weitere Prüfung unterließ, beruht der Fehler nicht mehr auf bloßer Flüchtigkeit, sondern auf unzureichender Aufklärung des Falles.
Gegen ein bloßes mechanisches Versehen spricht vorliegend darüber hinaus, daß die Unachtsamkeit nicht offen zutage liegt. Aus dem Bescheid vom 14. September 1988 ist nicht erkennbar, worauf der Fehler beruht; denn einerseits wird darin auf den Bescheid vom 5. September 1983 Bezug genommen, andererseits sind die Einkünfte der Klägerin aus ihrem Einzelunternehmen wie im Bescheid vom 2. Mai 1984 angesetzt. Der Fehler konnte schließlich auch nicht ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden. Dies zeigt sich daran, daß im angefochtenen Berichtigungsbescheid die Erhöhung des Gewinns aus der Beteiligung an der X-KG dem Gewinn aus dem Einzelunternehmen der Klägerin zugerechnet wurde.
Die Sache ist spruchreif. Der Bescheid vom 14. September 1988 enthielt keine offenbare Unrichtigkeit. Der angefochtene Bescheid durfte nicht ergehen. Er erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als rechtmäßig. Zwar war der Bescheid vom 14. September 1988 rechtswidrig, weil eine über die Änderung hinsichtlich der Einkünfte aus der Beteiligung an der GmbH & Co. KG gehende Änderung wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist zum 31. Dezember 1987 (§ 170 Abs. 2 Nr. 1, § 169 Abs. 2 Nr. 2, § 171 Abs. 4 und 10 AO 1977) nach § 169 Abs. 1 AO 1977 unzulässig war. Der Bescheid wurde aber bestandskräftig. Seine Änderung nach den §§ 172 f. AO 1977 kommt nicht in Betracht, da die Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift nicht erfüllt sind.
Fundstellen