Leitsatz (amtlich)
1. Die Vermutung des § 4 Abs.1 VwZG, daß bei Zustellung mit eingeschriebenem Brief dieser mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt gilt, greift auch dann ein, wenn der dritte Tag auf einen Sonntag fällt.
2. Erstmals in der Revisionsinstanz zur Widerlegung der Zugangsvermutung des § 4 Abs.1 VwZG vorgetragene Tatsachen können nur berücksichtigt werden, wenn sie im Zusammenhang mit einer begründeten Verfahrensrüge stehen.
Orientierungssatz
1. § 108 Abs. 3 AO 1977 gilt zwar für alle Fristen, also auch für sog. uneigentliche Fristen, zu denen neben solchen, die das Gesetz der Behörde setzt, auch gesetzliche Fristen gehören, die lediglich einen Anspruch oder ein sonstiges Recht zum Tätigwerden zum Erlöschen bringen. § 108 Abs. 3 AO 1977 gilt jedoch nicht für Zeiträume, innerhalb derer wie bei § 4 VwZG bzw. § 122 Abs. 2 AO 1977 das Gesetz aus Praktikabilitätsgründen für einen Vorgang eine pauschalierte Zeitdauer vermutet; denn dabei handelt es sich weder um eine eigentliche noch um eine uneigentliche Frist, sondern um eine widerlegbare Vermutung i.S. eines Anscheinsbeweises, die durch schlüssig begründetes Vorbringen entkräftet werden kann (vgl. BFH-Rechtsprechung zu § 17 Abs. 2 VwZG; Literatur).
2. Neues tatsächliches Vorbringen kann in der Revisionsinstanz ausnahmsweise dann berücksichtigt werden, wenn es sich auf Sachurteilsvoraussetzungen bezieht und damit für den Rechtsstreit in seiner Gesamtheit erheblich ist (vgl. BFH-Rechtsprechung, BGH-Rechtsprechung; Literatur).
3. Zur wirksamen Bekanntgabe eines Verwaltungsakts (hier Einspruchsentscheidung) gegenüber einer GmbH reicht die Bezeichnung der GmbH und ihre Adresse aus; eines Zusatzes oder der Nennung der Namen der Geschäftsführer bedarf es nicht (vgl. BFH-Urteil vom 7.8.1970 VI R 24/67).
Normenkette
VwZG § 4 Abs. 1; AO 1977 § 108 Abs. 3; FGO § 118 Abs. 2; AO 1977 § 122 Abs. 1-2
Tatbestand
I. Mit Steuerbescheid vom 29.April 1982 wurde gegen die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) --eine GmbH-- Grunderwerbsteuer in Höhe von 41 447,70 DM einschließlich Aufgeld festgesetzt. Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. Die Einspruchsentscheidung vom 22.Juli 1982 wurde der Klägerin mit eingeschriebenem Brief zugestellt und ausweislich des Vermerks auf der Einspruchsentscheidung am Donnerstag, dem 22.Juli 1982 zur Post gegeben.
Die am 25.August 1982 zur Post gegebene Klage ging am Freitag, den 27.August 1982, beim Finanzgericht (FG) ein. Am 26.August 1982 ging beim Finanzamt (FA) eine Zweitschrift ein. Mit der Klage begehrte die Klägerin, den Grunderwerbsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung ersatzlos aufzuheben.
Das FG wies mit Vorbescheid die Klage als unzulässig ab, weil sie erst nach dem 25.August 1982 und damit verspätet erhoben worden sei und keine Anhaltspunkte dafür beständen, daß der Klägerin die Einspruchsentscheidung erst nach dem 25.Juli 1982 zugegangen sei. Der Vorbescheid wirkt, da kein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt wurde, als Urteil.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 47 sowie die Verletzung des § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO):
Das FG habe nicht berücksichtigt, daß das Ende der Dreitagesfrist gemäß § 4 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) auf einen Sonntag gefallen sei und deshalb die Klagefrist erst am 26.Juli 1982 zu laufen begonnen habe. Das FG habe seine Amtsermittlungspflicht nicht erfüllt; die Klägerin habe im finanzgerichtlichen Verfahren ausgeführt, daß durch den Eingang der Klageschrift beim FA am 26.August 1982 die Rechtsmittelfrist gewahrt worden sei. Auf diesen Hinweis hätte das FG den Sachverhalt weiter erforschen und bei der Klägerin rückfragen müssen. Sie habe deshalb keine Gelegenheit gehabt, darauf hinzuweisen, daß das Fristende auf einen Sonntag gefallen sei. Im übrigen habe sie nachweislich des Eingangsstempels die Einspruchsentscheidung erst am 26.Juli 1982 erhalten.
Weiter rügt die Klägerin die fehlerhafte Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, weil die Entscheidung nur an die Adresse der Klägerin gerichtet sei, die Zustellung jedoch nur an die Geschäftsführer erfolgen dürfe.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils den Grunderwerbsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet.
Zu Recht hat das FG die Klage als unzulässig abgewiesen.
Die Klagefrist beträgt einen Monat. Sie beginnt mit Ablauf des Tages, an dem die Einspruchsentscheidung bekanntgegeben wird (§ 47 Abs.1 Satz 1 FGO). Bei Zustellung durch eingeschriebenen Brief gilt gemäß § 4 VwZG die Bekanntgabe mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bewirkt, es sei denn, daß die Entscheidung später zugegangen ist. Da die Einspruchsentscheidung ausweislich des bei den Akten befindlichen Posteinlieferungsscheins am 22.Juli 1982 zur Post gegeben wurde, begann die Klagefrist im Streitfall am 25.Juli 1982 und endete am 25.August 1982. Die nach dem 25.August 1982 eingegangene Klage war danach unzulässig.
1. Entgegen der Auffassung der Klägerin begann die Klagefrist nicht erst deshalb am 26.Juli 1982, weil der 25.Juli 1982 ein Sonntag war, denn weder aus § 54 Abs.2 FGO i.V.m. § 222 Abs.2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) noch aus § 108 Abs.3 der Abgabenordnung (AO 1977) ergibt sich eine Verlängerung der Dreitageregelung.
a) Gemäß § 54 Abs.2 FGO gilt für Fristen die Vorschrift des § 222 ZPO. Nach § 222 Abs.1 ZPO gelten für die Berechnung der Fristen grundsätzlich die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB); gemäß § 222 Abs.2 ZPO endet eine Frist mit Ablauf des nächsten Werktages, wenn das Ende der Frist auf einen Sonntag fällt. § 222 Abs.2 ZPO gilt anders als § 193 BGB nicht nur für eigentliche Fristen (Handlungs- und Erklärungsfristen), sondern auch für sog. uneigentliche Fristen, d.h. Zeiträume zur Vornahme richterlicher Handlungen, und Fristen, die, ohne wie die Handlungsfristen ein bestimmtes Tätigwerden zu fordern, einen Anspruch oder ein sonstiges Recht (zum Tätigwerden) zum Erlöschen bringen (vgl. Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 13.Aufl., § 72; Thomas/Putzo, ZPO, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 13.Aufl., vor § 214 Anm.III und § 222 Anm.1; Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20.Aufl., vor § 214 Anm.53; Zöller, Zivilprozeßordnung, 14.Aufl., vor § 214 Anm.3); die Verweisung des § 54 Abs.2 FGO gilt jedoch nur für prozessuale Fristen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18.Januar 1974 VI R 252/70, BFHE 111, 230, BStBl II 1974, 226; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11.Aufl., § 54 FGO Anm.1; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8.Aufl., § 54 FGO Anm.1). Zwar ist die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung von Bedeutung für die Klagefrist; das reicht jedoch nicht aus, die Dreitageregelung als prozessuale Frist zu bestimmen.
b) Für den Beginn der Frist verweist § 47 Abs.1 FGO --insoweit Sonderregelung zu § 54 Abs.1 FGO-- auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf, also auf die Vorschriften der AO 1977 zur Bekanntgabe (§§ 366, 122 Abs.5 AO 1977 i.V.m. § 4 VwZG). Für die Berechnung der Frist gilt daher insoweit § 108 Abs.2 AO 1977, der § 82 der Reichsabgabenordnung (AO) abgelöst hat. Gemäß § 82 AO galten zur Berechnung von Fristen ausschließlich die Vorschriften des BGB. Da § 193 BGB eine Verlängerung nur für Erklärungs- und Leistungsfristen, sog. eigentliche Fristen vorsieht, wurde für den damals geltenden § 17 Abs.2 VwZG i.V.m. § 82 AO die Anwendung der Verlängerungsregelung des § 193 BGB auf die Zugangsvermutung abgelehnt (BFH-Urteile vom 7.Oktober 1976 VIII R 76/72, BFHE 120, 142, BStBl II 1977, 133; vom 18.Januar 1974 VI R 252/70, BFHE 111, 230, BStBl II 1974, 226, und vom 22.Oktober 1975 I R 214/73, BFHE 117, 139, BStBl II 1976, 76). Auch § 108 Abs.3 AO 1977 hat nichts geändert. Zwar gilt § 108 Abs.3 AO 1977 für alle Fristen, also auch sog. uneigentliche Fristen, zu denen neben solchen, die das Gesetz der Behörde setzt, auch gesetzliche Fristen gehören, die lediglich einen Anspruch oder ein sonstiges Recht zum Tätigwerden zum Erlöschen bringen (Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14.Aufl., § 108 Anm.1; Tipke/Kruse, a.a.O., § 108 AO 1977 Anm.1); § 108 Abs.3 AO 1977 gilt jedoch nicht für Zeiträume, innerhalb derer wie bei § 4 VwZG bzw. § 122 Abs.2 AO 1977 das Gesetz aus Praktikabilitätsgründen für einen Vorgang eine pauschalierte Zeitdauer vermutet (Kühn/Kutter/Hofmann, a.a.O., § 108 AO 1977 Anm.1; Tipke/Kruse, a.a.O., § 108 AO 1977 Anm.2; anderer Auffassung ohne Begründung allerdings Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 108 AO 1977 Anm.21), denn dabei handelt es sich weder um eine eigentliche noch um eine uneigentliche Frist, sondern um eine widerlegliche Vermutung i.S. eines Anscheinsbeweises, die durch schlüssig begründetes Vorbringen entkräftet werden kann (Tipke/Kruse, a.a.O., § 4 VwZG Anm.3 und § 122 AO 1977 Anm.3; Kühn/Kutter/Hofmann, a.a.O., § 122 AO 1977 Anm.4; Urteile in BFHE 120, 142, BStBl II 1977, 133; in BFHE 111, 230, BStBl II 1974, 226 m.w.N., beide zu § 17 Abs.2 VwZG).
c) Auch eine analoge Anwendung des in § 108 Abs.3 AO 1977 und § 222 ZPO enthaltenen Rechtsgedankens kommt nicht in Betracht.
Zwar wird für die inhaltlich der Dreitageregelung des § 4 VwZG entsprechende Vorschrift des § 122 Abs.4 AO 1977 ebenso wie für den inhaltsgleichen § 41 Abs.2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) zum Teil die Auffassung vertreten, wenn das Ende des dritten Tages auf einen Sonntag oder Feiertag falle, sei § 108 Abs.3 AO 1977 bzw. § 31 Abs.3 VwVfG entsprechend anwendbar und die Zustellung gelte deshalb erst am darauffolgenden Werktag als bewirkt (zu § 4 VwZG Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., Anm.7, derselbe zu § 122 AO 1977 Anm.25 a; zu § 41 VwVfG: Obermayer, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz 1983, § 41 Anm.33; Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 2.Aufl., 1982, § 41 Anm.5.2.2., der allerdings für Zustellungen nach dem VwZG § 31 Abs.3 VwVfG nicht entsprechend anwenden will; Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3.Aufl., 1983, § 41 Anm.41; Meyer/Borgs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2.Aufl., 1982, § 41 Anm.14; Stelkens/Bonk/Leonhardt, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2.Aufl., 1983, § 41). Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des in § 222 ZPO bzw. § 108 Abs.3 AO 1977 und § 31 Abs.3 VwVfG enthaltenen Rechtsgedankens, daß der geregelte und der zu entscheidende Sachverhalt im wesentlichen gleiche Strukturmerkmale aufweisen, liegen jedoch nicht vor, denn die Zugangsvermutung des § 4 VwZG kann durch schlüssigen Vortrag widerlegt und für den Beginn des Zeitraums, in dem die erforderliche Handlung vorzunehmen ist, der Tag des tatsächlichen --späteren-- Zugangs zugrunde gelegt werden. Anders als bei den übrigen uneigentlichen Fristen entsteht dem Betroffenen kein Rechtsnachteil, den er nicht durch entsprechenden Vortrag beseitigen könnte. Hinzu kommt, daß der Gesetzgeber selbst, obwohl immer Fälle denkbar sind, daß der Dreitageszeitraum zwei Feiertage und einen Samstag enthalten kann (z.B. Pfingsten, Ostern, Weihnachten), keinen Anlaß gesehen hat, die Zugangsvermutung insoweit einzuschränken.
Das FG ist in seinem als Urteil wirkenden Vorbescheid daher zu Recht davon ausgegangen, daß die Klagefrist am 25.Juli 1982 zu laufen begann, da die Klägerin im finanzgerichtlichen Verfahren nicht vorgetragen hat, sie habe die Einspruchsentscheidung tatsächlich später erhalten.
2. Die Klägerin hat vielmehr erstmals im Revisionsverfahren vorgetragen, ausweislich ihres Eingangsstempels sei ihr die Einspruchsentscheidung erst am 26.Juli 1982 zugegangen.
a) Die von der Klägerin gleichzeitig erhobene Verfahrensrüge, das FG habe seine Ermittlungspflicht verletzt, ist unbegründet. Die Verletzung sieht die Klägerin darin, daß das FG angesichts ihres Vorbringens, die am 26.August 1982 beim FA eingegangene Klage sei rechtzeitig erhoben, nicht von sich aus Ermittlungen über den tatsächlichen Zugang der Einspruchsentscheidung angestellt habe.
Das FG hat unter Berücksichtigung des bisherigen tatsächlichen und rechtlichen Vorbringens der Klägerin zur Zulässigkeit der Klage durch Vorbescheid gemäß § 90 Abs.3 FGO entschieden und darin ausdrücklich festgestellt, Anhaltspunkte dafür, daß der Klägerin die Einspruchsentscheidung später zugegangen sein könnte, lägen nicht vor. Damit war der Klägerin gemäß § 90 Abs.3 Satz 2 FGO Gelegenheit gegeben, sich durch Antrag auf mündliche Verhandlung zu den tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung sowie in rechtlicher Hinsicht zu der Auffassung des FG zu äußern (BFH-Urteil vom 16.Juli 1981 V R 156/78, BFHE 133, 352, BStBl II 1981, 720). Da die Klägerin keinen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt hat mit der Möglichkeit, den späteren Zugang der Einspruchsentscheidung schlüssig vorzutragen, war die Rüge mangelnder Ermittlung bezüglich des späteren Zugangs der Einspruchsentscheidung unbegründet.
b) Soweit die Klägerin erstmals in der Revisionsinstanz behauptet, sie habe die Einspruchsentscheidung ausweislich ihres Eingangsstempels erst am 26.Juli 1982 erhalten, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, das in der Revisionsinstanz grundsätzlich nicht berücksichtigt werden kann (§ 118 Abs.2 FGO).
Ausnahmsweise können allerdings neue Tatsachen dann berücksichtigt werden, wenn sie sich auf Sachurteilsvoraussetzungen beziehen und damit für den Rechtsstreit in seiner Gesamtheit erheblich sind (BFH-Urteile vom 27.Juli 1977 I R 207/75, BFHE 123, 286, BStBl II 1978, 11; vom 7.Dezember 1977 II R 96/75, BFHE 123, 437, BStBl II 1978, 70; in BFHE 117, 139, BStBl II 1976, 76; Urteile des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 25.Oktober 1977 VI ZR 198/76, Versicherungsrecht --VersR-- 1978, 155, und vom 8.Juni 1972 III ZB 7/72, VersR 1972, 975; Tipke/Kruse, a.a.O., § 118 FGO Anm.49; Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 118 FGO Anm.28; Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 118 Anm.9). Eine Einschränkung gilt jedoch für Tatsachen, die erstmals zur Widerlegung der Zugangsvermutung des § 4 VwZG bzw. § 122 Abs.2 AO 1977 in der Revisionsinstanz vorgetragen werden. Zwar handelt es sich auch dabei grundsätzlich um Tatsachen, die die Frage der Zulässigkeit des jeweiligen Rechtsbehelfs betreffen können. Anders als bei den übrigen Sachurteilsvoraussetzungen läßt die Zugangsvermutung des § 4 VwZG bzw. des § 122 Abs.2 AO 1977 aus Praktikabilitätsgründen den Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs der Entscheidung offen; die gesetzliche Vermutung ist sogar unwiderleglich, wenn die Entscheidung erkennbar vorher zugegangen ist. Geht die Entscheidung später zu, obliegt es dem Betroffenen, durch schlüssigen Vortrag die Zugangsvermutung zu entkräften. Der Aufbau des Tatbestandes in Form eines gesetzlich angeordneten Anscheinsbeweises steht einer Ermittlung des tatsächlichen Zugangs der Entscheidung von Amts wegen daher entgegen, solange der Betreffende selbst nicht die Zugangsvermutung durch entsprechenden Tatsachenvortrag erschüttert.
§ 118 Abs.2 FGO sieht von der Bindung an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nur dann ab, soweit zulässig Verfahrensmängel gerügt werden. Mit der Erweiterung der Tatsachenprüfung bei zulässig gerügten Verfahrensmängeln wird für die Revision verfahrensrechtlich sichergestellt, daß Abhilfe gegen Ordnungswidrigkeiten des Verfahrens geschaffen werden kann. Die tatsächliche Überprüfung des Vorliegens der Prozeßvoraussetzungen trifft in gleicher Weise die Kontrolle des Verfahrens. Steht § 4 VwZG bzw. § 122 Abs.2 AO 1977 einer Ermittlung des tatsächlichen Zugangs der Entscheidung von Amts wegen aufgrund der widerleglichen Zugangsvermutung entgegen, können in der Revisionsinstanz erstmals vorgetragene Tatsachen zur Widerlegung der Zugangsvermutung deshalb nur dann berücksichtigt werden, wenn sie im Zusammenhang mit einer begründeten Verfahrensrüge stehen. Eine andere Auffassung widerspräche dem mit der Zugangsvermutung verfolgten Zweck (vgl. die Rechtsprechung zu § 62 FGO, Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 17.April 1984 GmS-OGB 2/83, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK-- Finanzgerichtsordnung, § 62, Rechtsspruch 56). Da die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge bezüglich der Ermittlung des tatsächlichen Zugangs der Einspruchsentscheidung unbegründet ist, war die erstmals in der Revision erhobene Behauptung, ihr sei die Einspruchsentscheidung erst am 26.Juli 1982 zugegangen, als neues tatsächliches Vorbringen in der Revisionsinstanz unbeachtlich.
3. Diese Einschränkung gilt nicht für den neuen Tatsachenvortrag, die Einspruchsentscheidung sei fehlerhaft bekanntgegeben, weil sie nur an die Adresse der Klägerin ohne ausdrücklichen Hinweis auf die Geschäftsführer adressiert war. Dieses Vorbringen war --weil eine Sachurteilsvoraussetzung betreffend-- ungeachtet des Umstandes, daß es nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist geltend gemacht wurde, zu berücksichtigen.
Die Bekanntgabe war jedoch fehlerfrei. Verwaltungsakte sind an denjenigen bekanntzugeben, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind (§ 122 Abs.1 AO 1977), im Streitfall die Klägerin. Juristische Personen werden durch ihre gesetzlichen Vertreter vertreten. Die Bezeichnung der Klägerin und ihre Adresse reichte aus, ohne daß es eines Zusatzes oder der Nennung der Namen der Geschäftsführer bedurft hätte (Tipke/Kruse, a.a.O., § 122 AO Anm.3 und § 7 VwZG Anm.3; vgl. BFH-Urteil vom 7.August 1970 VI R 24/67, BFHE 100, 71, BStBl II 1970, 814). Aus § 7 Abs.2 VwZG ergibt sich nichts anderes, da die Vorschrift nur die Frage betrifft, an welche natürliche Person das zuzustellende Schriftstück auszuhändigen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 61310 |
BStBl II 1986, 462 |
BFHE 146, 27 |
BFHE 1986, 27 |
BB 1986, 1215-1216 (ST) |
DStR 1986, 369-370 (ST) |
HFR 1986, 343-344 (ST) |