Normenkette
EStG § 16 Abs. 3, § 6b
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb auf ihrem Grundstück X-Straße in S eine Drogerie. Das Grundstück war zu rd. 84 v. H. für eigenbetriebliche Zwecke genutzt.
Mit Vertrag vom 4. Juni 1974 - die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt 65 Jahre alt - veräußerte die Klägerin ihr Grundstück an einen Metzgermeister und dessen Ehefrau. Der in Raten zu entrichtende Barkaufpreis betrug 116 000 DM. Als "weitere Gegenleistung" waren vereinbart ein unentgeltliches Nießbrauchsrecht zugunsten der Veräußerin auf fünf Jahre am gesamten Grundstück (mit der Möglichkeit eines vorzeitigen Verzichts), ein unentgeltliches lebenslängliches Wohnrecht in der Form einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit an der Wohnung im ersten Stock ab Beendigung des Nießbrauchs und eine wertgesicherte monatliche Leibrente von 600 DM, die sich nach Beendigung des Nießbrauchs auf 1 100 DM erhöhen sollte und die durch eine Reallast abgesichert war. Den Jahreswert des Wohnrechts veranschlagten die Vertragschließenden mit 960 DM, den des Nießbrauchs mit 6 000 DM.
Für den Gewinn aus der Veräußerung des eigenbetrieblich genutzten, in der Bilanz ausgewiesenen Grundstücksteils bildete die Klägerin in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1974 in Höhe von 271 746 DM eine Rücklage nach § 6 b des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Aufgrund des bei der Veräußerung eingeräumten, auf fünf Jahre befristeten Nießbrauchs am gesamten Grundstück nutzte die Klägerin das Grundstück auch nach der Veräußerung wie bisher für eigenbetriebliche Zwecke.
Am 27. April 1977 meldete die Klägerin ihr Gewerbe ab; als Tag der Betriebsbeendigung bezeichnete sie den 9. April 1977.
Bereits am 10. Februar 1977 hatte die Klägerin bei der zuständigen Behörde angezeigt, daß sie vom 17. Februar bis 16. April 1977 einen Ausverkauf wegen Aufgabe der Geschäftsräume durchführen wolle. Diesen Ausverkauf hat die Klägerin erstmals in einer örtlichen Tageszeitung am 29. Januar 1977 inseriert.
In einem Schreiben der Klägerin vom 27. Januar 1977 an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) heißt es, "für meinen Gewerbebetrieb ... möchte ich die Aufgabe zum 31. Januar 1976 (gemeint ist offenbar 1977) nach Maßgabe des anschließenden Ausverkaufs melden". In einer Vorbesprechung zu einer Änderung des notariellen Vertrags vom 4. Juni 1974 erklärte die Klägerin gegenüber dem beurkundenden Notar im Dezember 1976, daß sie ihren Gewerbebetrieb aufgebe und einen Räumungsverkauf durchführe.
Nach Durchführung des Ausverkaufs war die Klägerin nicht mehr gewerblich tätig.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1976 wies die Klägerin neben einem laufenden Verlust aus Gewerbebetrieb von 4 198 DM einen tarifbegünstigten Betriebsveräußerungsgewinn von 271 746 DM aus der Auflösung der Rücklage nach § 6 b EStG aus.
Das FA behandelte bei der Einkommensteuerveranlagung für 1976 den Gewinn aus der Auflösung der Rücklage nach § 6 b EStG als Teil des laufenden Gewinns aus Gewerbebetrieb und setzte diesen mit insgesamt 267 548 DM an. Auf dieser Grundlage setzte das FA auch einen Gewerbesteuermeßbetrag für 1976 fest.
Mit ihrem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid machte die Klägerin in erster Linie geltend, der Gewinn aus der Auflösung der Rücklage nach § 6 b EStG sei Teil eines begünstigten Betriebsaufgabegewinns, weil sie bereits Ende 1976 die Absicht gehabt habe, ihr Geschäft aufzugeben. Der Einspruch hatte lediglich insoweit Erfolg, als das FA eine Gewerbesteuerrückstellung in Höhe von 36 015 DM gewinnmindernd berücksichtigte und demgemäß die Einkommensteuerschuld auf 112 820 DM ermäßigte.
Die Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Die Klägerin habe ihren Betrieb erst 1977 aufgegeben. Der Gewinn aus der zum 31. Dezember 1976 gebotenen Auflösung der Rücklage nach § 6 b EStG könne daher nicht Teil des begünstigten Betriebsaufgabegewinns sein.
Mit der Revision beantragt die Klägerin, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuerveranlagung 1976 dahin zu ändern, daß auf einen Betrag von 244 063 DM der ermäßigte Steuersatz nach § 34 EStG zur Anwendung kommt, hilfsweise, die Sache zurückzuverweisen. Die Klägerin rügt Verletzung materiellen Rechts und mangelnde Sachaufklärung.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision der Klägerin ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Zwar hat das FG zu Recht entschieden, daß der Gewinn aus der Auflösung der Rücklage nach § 6 b EStG nicht Teil eines tarifbegünstigten Betriebsaufgabegewinns ist. Nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen kann der Senat aber nicht ausschließen, daß der Gewinn aus der Auflösung der Rücklage nach § 6 b EStG und damit der laufende Gewinn der Klägerin aus Gewerbebetrieb für 1976 im angefochtenen Einkommensteuerbescheid zu hoch angesetzt ist.
1. Eine Betriebsaufgabe i. S. von § 16 Abs. 3 EStG (als Voraussetzung eines gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG tarifbegünstigten Betriebsaufgabegewinns) liegt vor, wenn ein Gewerbetreibender den Entschluß gefaßt hat, seine gewerbliche Tätigkeit einzustellen und seinen Betrieb als selbständigen Organismus des Wirtschaftslebens aufzulösen, und wenn er in Ausführung dieses Entschlusses alle wesentlichen Grundlagen des Betriebs in einem einheitlichen Vorgang innerhalb kurzer Zeit an verschiedene Abnehmer veräußert oder in das Privatvermögen überführt (z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. Oktober 1981 IV R 138/78, BFHE 134, 339, 343, BStBl II 1982, 381). Dabei beginnt die Betriebsaufgabe nicht bereits mit dem inneren Entschluß des Steuerpflichtigen, seinen Gewerbebetrieb demnächst aufzugeben, und auch nicht mit der bloßen Kundgabe eines solchen Entschlusses nach außen, sondern erst mit vom Aufgabeentschluß getragenen Handlungen, die objektiv auf die Auflösung des Betriebs als selbständiger Organismus des Wirtschaftslebens gerichtet sind, wie z. B. die Einstellung der werbenden Tätigkeit oder die Veräußerung bestimmter für die Fortführung des Betriebs unerläßlicher Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens (z. B. BFH-Urteile vom 25. Juni 1970 IV 350/64, BFHE 99, 479, 481, BStBl II 1970, 719; vom 9. Februar 1972 I R 205/66, BFHE 105, 15, 18, BStBl II 1972, 455; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 16 Rz. 424, m. w. N.).
a) Im Streitfall kann zugunsten der Revision unterstellt werden, daß die Klägerin bereits im Streitjahr 1976 den Entschluß gefaßt hat, ihren Betrieb im darauffolgenden Jahr einzustellen. Der Vorentscheidung ist jedoch darin beizupflichten, daß die Klägerin im Jahre 1976 noch keine Handlungen vorgenommen hat, durch die objektiv die Auflösung ihres Gewerbebetriebs als selbständiger Organismus des Wirtschaftslebens eingeleitet worden ist. Die Erklärungen der Klägerin gegenüber "allen hierfür in Betracht kommenden Stellen" und gegenüber ihrer Stammkundschaft, sie werde 1977 ihren Betrieb aufgeben, waren lediglich Ankündigungen einer künftigen Betriebsaufgabe, aber noch keine Handlungen, durch die der Entschluß zur künftigen Betriebsaufgabe bereits in die Tat umgesetzt worden ist; die "Zerstörung" des Gewerbebetriebs war damit vorbereitet, aber noch nicht begonnen. Dabei kann der Sachvortrag der Revision als wahr unterstellt werden, daß die Klägerin noch in 1976 ihrer Stammkundschaft wegen der für 1977 geplanten Betriebseinstellung Preisnachlässe gewährt hat. Derartige Einzelverkäufe zu herabgesetzten Preisen können nicht als Beginn eines objektiven Auflösungsprozesses gewertet werden, um so mehr, als die Klägerin ihr Warenlager durch Zukäufe in 1977 wieder aufgefüllt hat.
Auch die Vorbesprechung beim Notar zu der im Februar 1977 dann vollzogenen Vertragsänderung, die dem Grundstückserwerber einen Umbau des 1974 erworbenen Gebäudes ermöglichte, läßt sich im Hinblick auf ihren rechtlich unverbindlichen Charakter nur als Vorbereitung der künftigen Betriebsaufgabe beurteilen.
Wenn aber die Betriebsaufgabe der Klägerin erst 1977 begonnen hat, kann schon aus diesem Grunde der im Streitjahr 1976 durch Fristablauf gemäß § 6 b Abs. 3 Satz 5 EStG bedingte Gewinn aus der Auflösung der in 1974 gebildeten Rücklage nicht Teil eines tarifbegünstigten Betriebsaufgabegewinns sein.
b) Soweit die Revision sinngemäß geltend macht, im Hinblick darauf, daß sich die Klägerin bei der Veräußerung des Betriebsgrundstücks nur ein von vornherein befristetes Nutzungsrecht vorbehalten habe, könne man bereits in der Grundstücksveräußerung eine auf die Auflösung des Gewerbebetriebs gerichtete Handlung der Klägerin und damit den Beginn der Betriebsaufgabe sehen, ist diese Argumentation rechtlich nicht schlüssig im Sinne der von der Revision erstrebten Tarifbegünstigung des Gewinns aus der Auflösung der Rücklage nach § 6 b EStG. Denn träfe die Betrachtungsweise der Revision zu, so hätte die Klägerin für einen Teil des im Rahmen einer Betriebsaufgabe entstandenen Gewinns eine Rücklage nach § 6 b EStG gebildet mit der Folge, daß der gesamte Betriebsaufgabegewinn und damit auch der Gewinn aus der Auflösung der im Zuge der Betriebsaufgabe gebildeten Rücklage gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG nicht mehr der gerade aus dieser Betriebsaufgabe abgeleiteten Tarifbegünstigung teilhaftig werden können (Urteil des Senats vom 4. Februar 1982 IV R 150/78, BFHE 135, 202, BStBl II 1982, 348).
2. Der Senat versteht den Klage- und Revisionsantrag, auf einen Betrag von 244 063 DM den ermäßigten Steuersatz nach § 34 EStG anzuwenden, dahin, daß damit hilfsweise auch beantragt ist, die Einkommensteuerschuld ggf. aus anderen Gründen niedriger als bisher festzusetzen. Nach Aktenlage ist nicht auszuschließen, daß dieser Antrag begründet ist; der Senat vermag darüber aber auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen nicht abschließend zu befinden.
Eine gemäß § 6 b Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 EStG gebildete Rücklage ist am Schluß des zweiten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahres gewinnerhöhend aufzulösen (§ 6 b Abs. 3 Satz 5 EStG). Da die Bildung der Rücklage nur die unmittelbare Übertragung des bei der Veräußerung bestimmter Wirtschaftsgüter entstandenen Gewinns auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten anderer im Jahr der Veräußerung angeschaffter oder hergestellter Wirtschaftsgüter substituiert, kann die Auflösung der Rücklagen nach § 6 b Abs. 3 Satz 5 EStG den Gewinn des Jahres der Auflösung nur insoweit erhöhen, als im Jahr der Veräußerung des Wirtschaftsguts - ohne Bildung der Rücklage - ein übertragungsfähiger Gewinn entstanden wäre, d. h. in Höhe des Betrags, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten den Buchwert des veräußerten Wirtschaftsguts übersteigt (§ 6 b Abs. 2 EStG).
Der Streitfall weist die Besonderheit auf, daß sich die Klägerin bei der entgeltlichen Veräußerung ihres Betriebsgrundstücks im Jahre 1974 u. a. auf fünf Jahre den unentgeltlichen Nießbrauch am gesamten Grundstück vorbehalten hat. Wie der VIII. Senat des BFH mit Urteil vom 28. Juli 1981 VIII R 124/76 (BFHE 134, 130, BStBl II 1982, 378) entschieden hat, ist der bei der Veräußerung eines Grundstücks dem Eigentümer vorbehaltene Nießbrauch "keine Gegenleistung des Erwerbers" und damit nicht Teil des vom Veräußerer erzielten Veräußerungspreises.
Geht man hiervon aus, so ist im Streitfall der laufende Gewinn aus Gewerbebetrieb für 1976 im angefochtenen Einkommensteuerbescheid möglicherweise zu hoch angesetzt, sofern bei der Bildung der Rücklage nach § 6 b EStG im Jahre 1974 als Teil des Veräußerungspreises auch der Kapitalwert des vorbehaltenen Nießbrauchs behandelt worden ist. Hierauf deutet die dem Schriftsatz der Klägerin vom 2. Februar 1981 beigefügte Berechnung hin. Die abschließende Prüfung muß dem FG als Tatsacheninstanz vorbehalten bleiben.
3. Aus verfahrensökonomischen Gründen weist der Senat darauf hin, daß sich nach bestandskräftigem Abschluß des Besteuerungsverfahrens für das Streitjahr 1976 möglicherweise als geboten erweisen kann, der Klägerin aus persönlichen Billigkeitsgründen einen Teil der Einkommensteuerschuld 1976 zu erlassen. Dabei wird zu berücksichtigen sein, daß der Klägerin von dem Erlös aus der Veräußerung ihres Betriebsgrundstücks in jedem Falle ein Kapitalbetrag oder/und laufende Bezüge verbleiben müssen, die ihr eine bescheidene Lebensführung ermöglichen, sofern die Klägerin auf den Erlös der Grundstücksveräußerung für ihren Unterhalt angewiesen ist. Der Senat verweist insoweit auf die im Streitfall sinngemäß anzuwendenden Rechtsgrundsätze seines Urteils vom 29. April 1981 IV R 23/78 (BFHE 133, 489, BStBl II 1981, 726).
Fundstellen
Haufe-Index 75076 |
BStBl II 1984, 711 |
BFHE 1985, 325 |