Entscheidungsstichwort (Thema)
Grobes Verschulden i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977
Leitsatz (NV)
1. Als grobes Verschulden i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und nicht entschuldbarer Weise verletzt hat. Ob ein Beteiligter in diesem Sinne grob fahrlässig gehandelt hat, ist im Wesentlichen Tatfrage. Die hierzu getroffenen Feststellungen des FG dürfen ‐ abgesehen von zulässigen und begründeten Verfahrensrügen ‐ vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit und die aus ihm abzuleitenden Sorgfaltspflichten richtig erkannt worden sind und ob die Würdigung der Umstände hinsichtlich des individuellen Verschuldens den Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen entspricht.
2. Zur Frage des groben Verschuldens eines nicht fachkundig vertretenen Steuerpflichtigen, wenn er es unterlässt, ein im Streitjahr abgeflossenes Damnum als Vorkosten i.S. von § 10e Abs. 6 EStG 1995 geltend zu machen.
Normenkette
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Ingenieur und als Beamter nichtselbständig tätig. 1994 erwarb er zum Zwecke der Errichtung eines selbst genutzten Einfamilienhauses ein unbebautes Grundstück. Das Eigenheim wurde im Jahr 1997 bezugsfertig. In seiner Einkommensteuererklärung 1994 machte der Kläger Aufwendungen für Grundstücksbesichtigungen sowie Fahrten zur Bank zwecks Regelung der Finanzierung als Werbungskosten geltend. In den Erläuterungen zum Einkommensteuerbescheid 1994 wies der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) darauf hin, dass diese Aufwendungen keine Werbungskosten seien. Bei den Kosten für die Besichtigungsfahrten handele es sich um Anschaffungsnebenkosten, die im Rahmen des § 10e Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ab dem Zeitpunkt des Bezuges geltend gemacht werden könnten. Die Aufwendungen für die Fahrten zur Regelung der Finanzierung seien als Vorbezugskosten im Rahmen des § 10e Abs. 6 EStG berücksichtigt worden.
Mit der am 18. November 1996 beim FA eingegangenen und vom Kläger selbst erstellten Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1995 reichte dieser zwei Bescheinigungen der Bausparkasse X über begünstigungsfähige Aufwendungen und Guthabenzinsen betreffend die Bausparverträge Nr. … 1 und 2 ein. Aufwendungen zur Förderung des Wohnungseigentums (§ 10e EStG) machte er nicht geltend; eine Anlage "FW" war der Erklärung nicht beigefügt. Durch Bescheid vom 24. Januar 1997 setzte das FA die Einkommensteuer 1995 ohne die Gewährung einer Steuervergünstigung nach § 10e EStG fest. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Mit Schreiben vom 19. Januar 1998 beantragte der Kläger beim FA, den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid 1995 vom 24. Januar 1997 unter Berücksichtigung von Vorkosten i.S. von § 10e Abs. 6 EStG in Höhe von 29 322,50 DM zu ändern. Er fügte seinem Antrag die ausgefüllte Anlage FW für 1995 bei. Dort gab er in Zeile 54 ein Damnum in Höhe von 29 322 DM an. Zum Beleg dieses Betrages überreichte er einen Darlehenskontoauszug der Bausparkasse X, der oben rechts den Vermerk "Bescheinigung für Ihre Steuererklärung 1995" enthielt. Der Darlehenskontoauszug weist aus, dass am 29. Dezember 1995 ein Disagio in Höhe von 29 322,50 DM zum Soll gestellt wurde. Unter demselben Datum ergibt sich die Sollstellung einer Darlehensauszahlung in Höhe von 3 202,48 DM. Der Darlehensstand zum 31. Dezember 1995 war mit 32 524,98 DM angegeben. Das noch auszuzahlende Darlehen wurde mit 284 475,02 DM beziffert.
Durch Bescheid vom 2. Dezember 1998 lehnte das FA die Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids 1995 mit dem Hinweis ab, den Kläger treffe ein grobes Verschulden daran, dass die Aufwendungen erst nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids 1995 geltend gemacht worden seien.
Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren auf Änderung des Einkommensteuerbescheids 1995 vom 24. Januar 1997 weiter.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1257 veröffentlichten Urteil als unbegründet ab.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt (sinngemäß), die Vorentscheidung und den ablehnenden Bescheid des FA vom 2. Dezember 1998 aufzuheben sowie das FA zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid 1995 vom 24. Januar 1997 mit der Maßgabe zu ändern, dass 29 322 DM als Vorkosten i.S. von § 10e Abs. 6 EStG steuermindernd berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des Klägers ist unbegründet. In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hat das FG die Voraussetzungen für die vom Kläger begehrte Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids 1995 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) verneint.
1. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 sind Steuerbescheide zugunsten des Steuerpflichtigen aufzuheben oder zu ändern, soweit nachträglich Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen, und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.
a) Im Streitfall war dem FA beim Erlass des bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheids 1995 vom 24. Januar 1997 die Tatsache nicht bekannt, dass die Bausparkasse X das Darlehenskonto des Klägers am 29. Dezember 1995 mit einem Disagio in Höhe von 29 322,50 DM belastet hatte, was nach den von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) entwickelten Grundsätzen dazu führte, dass der Kläger den entsprechenden Betrag an diesem Tag i.S. von § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG geleistet hatte (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteil vom 3. Februar 1987 IX R 85/85, BFHE 149, 213, BStBl II 1987, 492, unter 2. der Gründe, m.w.N.).
b) Der Senat kann mangels Entscheidungserheblichkeit (vgl. unten II.1.c) zugunsten des Klägers unterstellen, dass diese Tatsache, wäre sie dem FA bereits beim Erlass des Einkommensteuerbescheids 1995 vom 24. Januar 1997 bekannt gewesen, zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung geführt hätte.
aa) Nach den seinerzeit für das FA maßgeblichen und mit der damaligen höchstrichterlichen Rechtsprechung in Einklang stehenden Verwaltungsanweisungen (zu deren Relevanz vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23. November 1987 GrS 1/86, BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180, unter C.II.2.b der Gründe) war ein vor Beginn der erstmaligen Nutzung der eigenen Wohnung zu eigenen Wohnzwecken geleistetes Damnum, das in einem engen wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Herstellung oder Anschaffung stand, im Veranlagungszeitraum der Zahlung in voller Höhe wie Sonderausgaben abzuziehen (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 31. Dezember 1994 IV B 3 -S 2225a- 294/94, BStBl I 1994, 887, 901, Tz. 92, unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 8. Juni 1994 X R 26/92, BFHE 174, 535, BStBl II 1994, 930). Wurde allerdings das Damnum der vertraglichen Vereinbarung entsprechend bereits vor Auszahlung des Darlehens entrichtet, war dieser Zahlungszeitpunkt nur dann steuerlich anzuerkennen, wenn die Vorauszahlung des Damnums wirtschaftlich sinnvoll war. War ein Damnum nicht mehr als drei Monate vor Auszahlung der Darlehensvaluta oder einer ins Gewicht fallenden Teilauszahlung des Darlehens geleistet worden, konnte davon ausgegangen werden, dass ein wirtschaftlich sinnvoller Grund bestand (BMF-Schreiben in BStBl I 1994, 887, 901, Tz. 92, unter Hinweis auf das BFH-Urteil in BFHE 149, 213, BStBl II 1987, 492).
bb) Ob nach diesen Maßstäben ein "wirtschaftlich sinnvoller Grund" vorlag, dass der Kläger von der Bausparkasse bereits am 29. Dezember 1995 mit dem vollen Disagio belastet wurde, obgleich der Kläger zu diesem Zeitpunkt von dem gesamten Darlehensauszahlungsbetrag in Höhe von netto 287 677,50 DM lediglich einen relativ geringen Teilbetrag in Höhe von 3 202,48 DM (= 1,1 v.H.) abgerufen hatte, vermag der Senat mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen des FG nicht abschließend zu beurteilen.
Gleichwohl ändert dies nichts an der Spruchreife der Sache. Auch wenn man zugunsten des Klägers vom Bestehen eines "wirtschaftlich sinnvollen Grundes" für die Leistung des Disagios bereits im Streitjahr 1995 und infolgedessen davon ausgeht, dass das FA die Steuer im Einkommensteuerbescheid 1995 vom 24. Januar 1997 im Falle der Kenntnis von der Leistung des Disagiobetrages am 29. Dezember 1995 niedriger festgesetzt hätte, könnte das Änderungsbegehren des Klägers aus den nachstehenden Gründen keinen Erfolg haben.
c) Rechtsfehlerfrei ist das FG davon ausgegangen, dass den Kläger ein grobes Verschulden daran traf, dass dem FA die in Rede stehende Tatsache erst nachträglich bekannt wurde.
aa) Als grobes Verschulden i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BFH-Urteile vom 22. Mai 1992 VI R 17/91, BFHE 168, 221, BStBl II 1993, 80, m.w.N.; vom 1. Oktober 1993 III R 58/92, BFHE 172, 397, BStBl II 1994, 346, m.w.N; vom 23. Januar 2001 XI R 42/00, BFHE 194, 9, BStBl II 2001, 379, m.w.N; vom 23. Oktober 2002 III R 32/00, BFH/NV 2003, 441). Ob ein Beteiligter in diesem Sinne grob fahrlässig gehandelt hat, ist im Wesentlichen eine Tatfrage. Die hierzu getroffenen Feststellungen des FG dürfen --abgesehen von zulässigen und begründeten Verfahrensrügen-- vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit und die aus ihm abzuleitenden Sorgfaltspflichten richtig erkannt worden sind und ob die Würdigung der Umstände hinsichtlich des individuellen Verschuldens den Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen entspricht (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BFH-Urteile vom 3. Februar 1983 IV R 153/80, BFHE 137, 547, BStBl II 1983, 324; vom 29. Juni 1984 VI R 181/80, BFHE 141, 232, BStBl II 1984, 693; vom 23. Februar 2000 VIII R 80/98, BFH/NV 2000, 978, 980, linke Spalte; in BFH/NV 2003, 441). Dies hindert das Revisionsgericht allerdings nicht, selbst zur Annahme eines groben Verschuldens zu kommen, wenn hierfür ausreichende tatsächliche Feststellungen vorliegen (vgl. BFH-Urteil vom 9. August 1991 III R 24/87, BFHE 165, 454, BStBl II 1992, 65, unter 2.a).
bb) Nach diesen Maßstäben ist die vom FG auf der Grundlage des von der ständigen Rechtsprechung des BFH und der FG zu § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 vertretenen subjektiven Verschuldensbegriffs vorgenommene Würdigung, dass dem Kläger hinsichtlich der verspäteten Geltendmachung des Disagios ein grobes Verschulden zur Last fällt, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie stellt eine mögliche, weder den Denkgesetzen noch den allgemeinen Erfahrungssätzen widersprechende Würdigung dar, an die der erkennende Senat nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden ist.
aaa) Ohne Rechtsirrtum hat das FG zur Begründung seines Ergebnisses zunächst darauf hingewiesen, dem Kläger habe bereits durch die Erläuterungen zum Einkommensteuerbescheid 1994 bekannt sein müssen, dass vor Bezug des zu errichtenden Einfamilienhauses angefallene Aufwendungen als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG abziehbar sein könnten. Daher habe der Kläger auch als steuerlicher Laie erkennen müssen, dass die bei der Beschaffung der zum Grundstückserwerb und Hausbau notwendigen Geldmittel angefallenen Aufwendungen als abziehbare Vorkosten in Betracht kämen.
Zutreffend hat das FG erkannt, dass es bei der im Rahmen der Verschuldensprüfung i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 zu treffenden Gesamtwürdigung von nicht unwesentlicher Bedeutung war, dass der Kläger bereits im Veranlagungsverfahren 1994 mit der Problematik des Vorkostenabzugs konfrontiert wurde (vgl. auch BFH-Urteil vom 10. August 1988 IX R 219/84, BFHE 154, 481, BStBl II 1989, 131, 133, vorletzter Absatz; ferner Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, § 173 Rz. 75, m.w.N.). So hatte er bereits für dieses Jahr die durch Bankbesuche zwecks Regelung der Finanzierung des Eigenheims verursachten Fahrtkosten --wenn auch irrig als Werbungskosten-- einkommensteuermindernd geltend gemacht. Das FA hatte diese Kosten ausdrücklich als Vorkosten i.S. von § 10e Abs. 6 EStG anerkannt, was der Kläger den Erläuterungen zum Einkommensteuerbescheid 1994 entnehmen konnte und musste.
Rechtsfehlerfrei hat das FG daraus gefolgert, dass der Kläger allen Anlass hatte, sich auch bei der Erstellung der Einkommensteuererklärung 1995 mit der ihm vorliegenden Anlage FW und insbesondere mit den dort in den Zeilen 52 bis 56 abgefragten Aufwendungen vor Bezug der Wohnung sorgfältig auseinander zu setzen.
bbb) Ohne Rechtsirrtum hat das FG den Einwand des Klägers für nicht durchgreifend erachtet, dass er keine Verbindung zwischen dem in der Anlage FW verwendeten Begriff des "Damnums" und dem in dem Darlehenskontoauszug der Bausparkasse gebrauchten Terminus des "Disagios" habe herstellen können. Zutreffend hat das FG in diesem Zusammenhang betont, dass die Herstellung einer solchen Verbindung für das Erkennenmüssen der Relevanz des Disagios als Vorkosten gar nicht notwendig gewesen sei und hierzu folgendes ausgeführt:
"Denn neben dem Damnum ist in Zeile 54 der Anlage FW nach Geldbeschaffungskosten und Schuldzinsen gefragt. Selbst wenn dem Kläger tatsächlich nicht bekannt gewesen sein sollte, dass Disagio und Damnum dasselbe meinen, so hätte er aber wissen müssen, dass das Disagio angefallen war, um die auszuzahlende Darlehenssumme zu beschaffen. Dies wird durch den eigenen Vortrag des Klägers bestätigt. Dieser hat angegeben, dass zunächst über eine hundertprozentige Auszahlung des Darlehensbetrages nachgedacht worden sei, man hiervon aber Abstand genommen habe, weil die monatlich aufzubringende Zinsbelastung zu hoch gewesen sei. Aus diesem Grund habe man einen Darlehensvertrag unter Einbeziehung eines Disagios vereinbart. Angesichts dieser vertraglichen Vorgespräche hätte es dem Kläger ohne weiteres einleuchten müssen, dass das in dem Darlehenskontoauszug ausgewiesene Disagio letztlich eine Form der vorweggenommenen Zinsen und damit Geldbeschaffungskosten darstellte. Als solche hätte er den in dem Kontoauszug ausgewiesenen Betrag in die Anlage FW eintragen können und müssen. Besondere steuerrechtliche Kenntnisse benötigte der Kläger hierfür nicht."
ccc) Mit Recht hat das FG das grobe Verschulden des Klägers des Weiteren daraus hergeleitet, dass sich der Kläger, sofern ihm der Begriff "Disagio" unbekannt gewesen sei, bei der Bausparkasse habe erkundigen müssen, welche Bewandtnis es mit diesem Betrag habe, zumal der entsprechende Darlehenskontoauszug der Bausparkasse ausdrücklich als "Bescheinigung für Ihre Steuererklärung 1995" gekennzeichnet gewesen sei.
ddd) Ergänzend bemerkt der Senat hierzu Folgendes:
Drängen sich dem Steuerpflichtigen aufgrund der zu erklärenden Sachverhalte und/oder angesichts seiner eigenen Kenntnisse Zweifel auf, dass er seinen steuerlichen Pflichten und Obliegenheiten ohne fachkundigen Rat nachzukommen im Stande ist, oder hätten sich ihm nach Lage des Falles solche Zweifel aufdrängen müssen, so handelt er grob fahrlässig, wenn er die Inanspruchnahme solcher fachlicher Hilfestellung --die im Übrigen nicht notwendigerweise die (entgeltliche) Beauftragung eines steuerlichen Beraters erfordert, sondern auch darin liegen kann, dass der Steuerpflichtige den aus seiner Sicht Zweifel begründenden Sachverhalt vollständig dem FA zur Prüfung unterbreitet bzw. von dort eine Auskunft einholt-- unterlässt und infolgedessen für ihn günstige Tatsachen nicht rechtzeitig geltend macht (von Wedelstädt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 173 AO 1977 Rz. 93, m.w.N.; ferner Frotscher in Schwarz, a.a.O., § 173 Rz. 80, m.w.N.; allgemein zur Verpflichtung des Steuerpflichtigen, sich aufdrängenden Zweifelsfragen zwecks Meidung eines groben Verschuldens nachzugehen, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 13. Juni 1989 VIII R 174/85, BFHE 157, 196, BStBl II 1989, 789, unter II.2.c bb aaa; in BFHE 172, 397, BStBl II 1994, 346, unter 2.; in BFH/NV 2000, 978, unter II.4.; in BFHE 194, 9, BStBl II 2001, 379, unter II.B.3.c).
So lag es im Streitfall. Der Kläger hat im finanzgerichtlichen Verfahren selbst eingeräumt, ihm sei bewusst gewesen, "dass die konkrete Beantragung der Steuerbegünstigung nach § 10e EStG seine Fähigkeiten übersteige". Aufgrund der Erläuterungen im Einkommensteuerbescheid 1994 wusste er bzw. musste er wissen, dass die im betreffenden Veranlagungszeitraum entstandenen und getätigten Aufwendungen im Zusammenhang mit der Finanzierung seines Eigenheims auch und gerade dann als Vorkosten i.S. von § 10e Abs. 6 EStG abgezogen werden konnten, bevor er das Eigenheim errichtet und bezogen hatte. Wenn dies, wie der Kläger den Erläuterungen zum Einkommensteuerbescheid 1994 entnehmen konnte, selbst für im Vorfeld der Eigenheimfinanzierung angefallene Fahrtkosten für Bankbesuche galt, so musste sich ihm aufdrängen, dass dies für die eigentlichen Geldbeschaffungskosten gleichermaßen und erst Recht gelten könnte.
Entsprechendes gilt auch hinsichtlich der Frage, zu welchem Zeitpunkt das Disagio mit steuerlicher Wirkung als geleistet und daher als abgeflossen anzusehen war. Selbst wenn sich der Kläger insoweit mit Hilfe der Anlage FW und den zugegebenermaßen komplizierten und für einen Laien nicht ohne weiteres nachvollziehbaren Erläuterungen im einschlägigen Merkblatt kein abschließendes Bild machen konnte, so drängte sich ihm unter den gegebenen Umständen auch insoweit auf, der Frage des Abflusses weiter nachzugehen. Zunächst musste ihm klar sein, dass er das vereinbarte Disagio nicht etwa durch Barzahlung oder Überweisung zu entrichten hatte, sondern dass sich die Bausparkasse insoweit durch eine entsprechende Belastung des Darlehenskontos bzw. durch Verrechnung mit dem Darlehensauszahlungsanspruch des Klägers bedienen werde. Vor allem aber musste ihn das gebotene sorgfältige Durchlesen und Auswerten des ihm von der Bausparkasse übersandten Darlehenskontoauszugs, aus welchem sich die am 29. Dezember 1995 vollzogene Sollstellung des Disagios ergab, veranlassen, der Frage des Abflusses des entsprechenden Betrages nachzugehen. Die mögliche einkommensteuerrechtliche Relevanz dieser Sollstellung für das Streitjahr musste sich dem Kläger umso mehr aufdrängen, als der nämliche Darlehenskontoauszug zusätzlich als "Bescheinigung für Ihre Steuererklärung 1995" bezeichnet und das Disagio überdies nicht nur im eigentlichen Darlehenskontoauszug, sondern auch --neben den Darlehenszinsen und Gebühren-- in einem besonderen, sich unmittelbar an die Bezeichnung "Bescheinigung für Ihre Steuererklärung 1995" anschließenden Kasten ausgewiesen waren.
Musste sich dem Kläger daher die einkommensteuerrechtliche Bedeutsamkeit der ihm ausgestellten Bescheinigung aufdrängen, so war er gehalten, dafür Sorge zu tragen, dass der Inhalt derselben Eingang in die Einkommensteuererklärung 1995 fand. Mehr --z.B. durch Einschaltung eines Steuerberaters oder durch sonstige verbindliche Klärung der sich ihm aufdrängenden Zweifelsfragen-- hätte der Kläger nicht einmal tun müssen, damit das FA den Vorkostenabzug des Disagios prüfen und in der berechtigten Höhe anerkennen konnte. Die Ablage der ausdrücklich auf das Streitjahr 1995 bezogenen Bescheinigung bei den Steuerunterlagen für das Folgejahr beruhte demgegenüber auf grober Fahrlässigkeit (vgl. auch BFH-Urteil vom 24. Juli 1996 I R 62/95, BFHE 181, 252, BStBl II 1997, 115, unter II.2.; Frotscher in Schwarz, a.a.O., § 173 Rz. 73, m.w.N.). Daran vermag entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht der Umstand etwas zu ändern, dass er für denselben Bausparvertrag Nr. 2 betreffend das Streitjahr 1995 einen weiteren Kontoauszug samt Bescheinigung für die Steuererklärung erhielt, die lediglich begünstigungsfähige Aufwendungen, nicht hingegen Geldbeschaffungskosten auswies.
2. Nur informationshalber weist der Senat darauf hin, dass das Begehren des Klägers auch dann zum ganz überwiegenden Teil unbegründet wäre, wenn ihn an der verspäteten Geltendmachung des Disagios kein grobes Verschulden getroffen hätte. Denn nach der neuen, ab Veranlagungszeitraum 1990 und damit auch im vorliegenden Streitfall anzuwendenden Rechtsprechung des BFH zur Abziehbarkeit des Damnums (Disagios) als Vorkosten können die entsprechenden Aufwendungen nur noch insoweit nach § 10e Abs. 6 EStG abgezogen werden, als sie wirtschaftlich auf die Zeit vor dem (Eigen-)Bezug der begünstigten Wohnung entfallen (vgl. insbesondere Senatsurteil vom 20. Oktober 1999 X R 69/96, BFHE 190, 185, BStBl II 2000, 259).
Fundstellen
BFH/NV 2005, 156 |
HFR 2005, 4 |