Entscheidungsstichwort (Thema)
Bekanntgabe bei streitiger Mitunternehmerstellung
Leitsatz (NV)
1. Über die Frage, wer Mitunternehmer einer Personengesellschaft ist, ist ausschließlich im einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsverfahren zu entscheiden.
2. Wird von einem Steuerpflichtigen bestritten, der Personengesellschaft anzugehören, so ist ihm persönlich jedenfalls dann der Feststellungsbescheid bekanntzugeben, wenn erstmals über das Bestehen der Gesellschaft und die Zugehörigkeit einzelner Gesellschafter zu dieser Gesellschaft entschieden wird und kein gemeinsamer Empfangsbevollmächtigter i. S. des § 183 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 benannt wurde.
3. Über die Frage, ob der Feststellungsbescheid dem Steuerpflichtigen wirksam bekanntgegeben wurde, kann im Folgebescheidsverfahren entschieden werden.
4. Wurde der Feststellungsbescheid dem Kläger gegenüber nicht wirksam bekanntgegeben, so ist das Klageverfahren i. S. d. Folgebescheids auszusetzen.
Normenkette
AO 1977 § 183 Abs. 1, § 351 Abs. 2; FGO §§ 42, 74
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine juristische Person, die in ... (Ausland) ihren Sitz hat. Sie war in den Streitjahren 1980 bis 1982 unstreitig Agentin für den ... -Schiffverkehr einer inländischen KG im Mittelmeerraum. Als Kommanditistin, der mittlerweile aufgelösten KG, war u. a. die "X-Inc." (X), Liberia, im Handelsregister eingetragen.
Im Anschluß an eine Betriebsprüfung erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) einen die KG betreffenden Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für 1980 bis 1982, der dem Geschäftsführer der Komplementär-GmbH als Empfangsbevollmächtigten mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten bekanntgegeben wurde. In diesem Bescheid ging das FA davon aus, daß die Klägerin gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) an Stelle der X als Kommanditistin der KG zu behandeln sei. Gegen diesen Feststellungsbescheid wurden keine Einsprüche eingelegt.
Im Anschluß hieran erließ das FG gegenüber der Klägerin Körperschaftsteuerbescheide für 1980 bis 1982, in denen es die Feststellungen im Gewinnfeststellungsbescheid verwertete. Die Klägerin, die ihre Beteiligung an der KG bestritt, hatte weder im Einspruchsverfahren noch -- nach Beweiserhebung -- im Klageverfahren Erfolg.
Die Klägerin rügt mit der Revision Verletzung von § 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), § 2 Abs. 1, § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) und des § 49 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und beantragt, das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) sowie die Körperschaftsteuerbescheide für 1980, 1981 und 1982, sämtlich i. d. F. der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision der Klägerin ist das Urteil des FG wegen Verfahrensfehlers aufzuheben. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG mußte das Verfahren bis zum Ergehen einer abschließenden Entscheidung in Sachen Gewinnfeststellung der KG nach § 74 FGO aussetzen. Insoweit handelt es sich um einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens, der vom Revisionsgericht von Amts wegen, d. h. auch ohne entsprechende Rüge der Revisionsklägerin, festzustellen ist (vgl. z. B. Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 12. November 1985 IX R 85/82, BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239, m. w. N.; vom 8. März 1994 IX R 37/90, BFH/NV 1994, 868, m. w. N.; BFH-Beschluß vom 8. Mai 1991 I B 132, 134/90, BFHE 164, 194, BStBl II 1991, 641).
1. Der Senat teilt zwar die Auffassung der Klägerin, daß diese allein durch eine indirekte Beteiligung über eine in Liberia residierende Körperschaft noch nicht Mitunternehmerin der KG wurde. Entscheidend ist, ob die Klägerin wirtschaftlich Inhaberin des Kommanditanteils der X i. S. des § 39 Abs. 2 AO 1977 war. Diese Frage ist aber ausschließlich im Gewinnfeststellungsverfahren für die KG zu beantworten. Gegenstand der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung ist u. a., die Personen festzustellen, die an den gemeinschaftlich erzielten Einkünften i. S. des § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 beteiligt sind und denen folglich Teile der gemeinsam erzielten Einkünfte zuzurechnen sind (vgl. z. B. BFH in BFH/NV 1994, 868; in BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239; Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, § 182 AO 1977 Tz. 1 -- S. 70 --; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 180 AO 1977 Rdnr. 141). Diese (positiven oder negativen) Feststellungen sind für einen Folgebescheid, wie den Körperschaftsteuerbescheid, bindend (§ 182 Abs. 1 AO 1977). Aus diesem Grund hat das FG nach ständiger Rechtsprechung des BFH das Verfahren betreffend den Folgebescheid gemäß § 74 AO 1977 auszusetzen, wenn in ihm Einwendungen erhoben werden, über die in einem besonderen Grundlagenbescheid zu entscheiden ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Grundlagenbescheid bereits ergangen und angefochten ist oder ob ein solcher erst noch ergehen muß (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 16. April 1993 I B 173/92, BFH/NV 1993, 745, m. w. N.; BFH-Urteile vom 19. April 1989 X R 3/86, BFHE 156, 383, BStBl II 1989, 596, m. w. N.; in BFH/NV 1994, 868; vgl. auch Nachweise bei Tipke/Kruse, a.a.O., § 74 FGO Tz. 2 f.). Daraus folgt, daß das Verfahren in Sachen Folgebescheid auch dann auszusetzen ist, wenn zwar ein Grundlagenbescheid ergangen, gegenüber dem Kläger aber mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe nicht wirksam geworden ist.
2. Über die Frage, ob ein Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften wirksam geworden ist, kann im Folgebescheidsverfahren entschieden werden. § 42 FGO i. V. m. § 351 Abs. 2 AO 1977 steht dem nicht entgegen, da die Wirksamkeit der Bekanntgabe nicht Gegenstand der Entscheidung des Grundlagenbescheids ist (vgl. BFH-Beschluß vom 25. März 1986 III B 6/85, BFHE 146, 225, BStBl II 1986, 477).
Der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte für 1980 bis 1982 vom 22. Juli 1986 ist der Klägerin gegenüber nicht wirksam geworden. Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekanntgegeben wird (§ 124 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Ein Verwaltungsakt ist den Beteiligten bekanntzugeben, für die er bestimmt ist oder die von ihm betroffen sind (§ 122 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Für Feststellungsbescheide besteht zwar insoweit eine Vereinfachungsregelung, als nach § 183 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 u. a. ein zur Vertretung der Gesellschaft Berechtigter als Empfangsbevollmächtigter aller Feststellungsbeteiligten gilt, wenn ein gemeinsamer Empfangsbevollmächtigter nicht benannt wird. § 183 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 muß allerdings aus seinem Sinn und Zweck heraus für Fälle der vorliegenden Art eingeschränkt ausgelegt werden. Er beabsichtigt eine vereinfachte Bekanntgabe, nicht aber die Verfahrensrechte der Beteiligten zu beschneiden. Er geht daher, wie die Gesetzesbegründung bestätigt (vgl. BTDrucks VI/1982, 158) davon aus, daß zwischen dem Vertreter der Gesellschaft oder Gemeinschaft und den Feststellungsbeteiligten die Möglichkeit der internen Information besteht (vgl. BFH in BFHE 146, 225, BStBl II 1986, 477; Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 183 AO 1977 Rdnr. 11). Wird von einem Steuerpflichtigen substantiiert behauptet, er gehöre der Gesellschaft oder Gemeinschaft gar nicht an und es bestehe daher kein sich aus der gesellschafts- oder gemeinschaftsrechtlichen Verbundenheit ergebender Informationsfluß, so hat das FA diesem Steuerpflichtigen gegenüber jedenfalls dann den Feststellungsbescheid unmittelbar bekanntzumachen, wenn erstmals über das Bestehen einer Gesellschaft und die Zugehörigkeit einzelner Gesellschafter zu dieser Gesellschaft entschieden wird und kein gemeinsamer Empfangsbevollmächtigter i. S. des § 183 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 benannt wurde (so auch Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen -- BMF -- vom 14. August 1986 IV A 5 -- S 0284 -- 20/86, BStBl I 1986, 458; vgl. heute BMF-Schreiben vom 8. April 1991 IV A 5 -- S 0284 -- 1/91, BStBl I 1991, 398 Tz. 2.5.5 f.). Anderenfalls wären die Verfahrensrechte der Nichtgesellschafter in einer mit rechtsstaatlichen Prinzipien (vgl. Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes -- GG --) nicht mehr vereinbarenden Weise eingeschränkt.
3. Mit der Zurückverweisung erhält das FG Gelegenheit, das Verfahren nach § 74 FGO auszusetzen, und das FA die Möglichkeit, den Feststellungsbescheid der Klägerin gegenüber bekanntzugeben. Schon vor Bekanntgabe kann die Klägerin gegen die Feststellungsbescheide für 1980 bis 1982, die den anderen Feststellungsbeteiligten gegenüber wirksam geworden sind, Einspruch einlegen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 16. Oktober 1986 IV R 23/86, BFH/NV 1987, 686, m. w. N.).
Fundstellen