Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Umfang der Bindungswirkung eines Grundlagenbescheids (Zurechnungsfortschreibungsbescheids)
Leitsatz (NV)
Hat das Lage-FA in einem bestandskräftigen Einheitswertbescheid ein Grundstück auf einen bestimmten Feststellungszeitpunkt bestimmten Steuerpflichtigen zugerechnet, so ist damit nicht für Folgebescheide (z.B. für einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Vermögens nach § 180 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 oder für einen Vermögensteuerbescheid) bindend festgestellt, daß diesen Steuerpflichtigen auch die mit dem Grundstück im Zusammenhang stehenden Schulden und Forderungen zuzurechnen sind.
Normenkette
AO 1977 § 182 Abs. 1; BewG 1965 § 22 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der im Jahre 1978 verstorbene X und dessen Ehefrau, die Klägerin und Revisionsbeklagte zu 3 (Klägerin zu 3), waren an den streitigen Stichtagen (1. Januar 1977 und 1. Januar 1978) alleinige Gesellschafter des Immobilienfonds W, einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GdbR; Fondsgesellschaft). Erben des X sind die Klägerin zu 3 sowie die Kläger und Revisionsbeklagten zu 1 und 2 (Kläger zu 1 und 2).
Zweck der Fondsgesellschaft waren der Erwerb des Grundstücks Y-Straße..., dessen Bebauung mit einem Mietwohngebäude und dessen Vermietung. Das Gesellschaftskapital (Eigenkapital) betrug ... DM. Es entsprach den zur Durchführung des Gesellschaftszwecks erforderlichen Geldmitteln abzüglich der vorgesehenen Hypothekendarlehen.
Als Treuhänderin der Fondsgesellschaft sollte die Z-GmbH (GmbH) fungieren. Diese schloß vereinbarungsgemäß alle erforderlichen Rechtsgeschäfte im eigenen Namen, jedoch für Rechnung der Fondsgesellschaft ab. Die GmbH erwarb im Jahre 1975 das Grundstück Y-Straße im eigenen Namen. Auch errichtete sie das im Jahr 1976 fertiggestellte Gebäude im eigenen Namen. Ebenso nahm sie die dafür erforderlichen Geldmittel (u.a. Baudarlehen) im eigenen Namen auf.
Das Lage-Finanzamt rechnete das Grundstück mit Einheitswertbescheid auf den 1. Januar 1976 den Fondsgesellschaftern (X zu 9/10, Klägerin zu 3 zu 1/10) zu.
In ihren Erklärungen zur gesonderten Feststellung des Vermögens der Fondsgesellschaft auf den 1. Januar 1977 und 1. Januar 1978 setzten die Kläger die folgenden Besitz- und Schuldposten an:
1. Januar 1977
Grundstück, Einheitswert ... DM
Inländische Zahlungsmittel
und Guthaben ... DM
Schulden: Darlehen und
kurzfristige Verbindlichkeiten ... DM
1. Januar 1978
Grundstück, Einheitswert ... DM
Inländische Zahlungsmittel
und Guthaben ... DM
Schulden: Darlehen und
kurzfristige Verbindlichkeiten ... DM
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) vertrat die Auffassung, daß sämtliche der genannten Vermögensgegenstände und Schulden nicht den Gesellschaftern der Fondsgesellschaft, sondern der GmbH zuzurechnen seien. Den Fondsgesellschaftern seien lediglich die Forderungen zuzurechnen, die ihnen in Höhe des eingezahlten Fondskapitals gegen die GmbH zustünden. Dementsprechend stellte das FA mit den angefochtenen Bescheiden das Vermögen gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) zum 1. Januar 1977 auf ... DM und zum 1. Januar 1978 auf ... DM fest.
Mit ihrer nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage begehrten die Kläger, das Vermögen gemäß den Angaben in ihren Feststellungserklärungen festzustellen.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen, als auch in wirtschaftlichem Zusammenhang mit dem Grundstück stehende Zahlungsmittel und Guthaben sowie Verbindlichkeiten in die gesonderte Feststellung des Vermögens einbezogen werden sollen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Der Zurechnungsfortschreibungsbescheid des Lage-FA auf den 1. Januar 1976 ist ein Feststellungsbescheid i.S. der §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 i.V.m. §§ 19 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 2, 22 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes i.d.F. ab 1977 - BewG - (§§ 213 Abs. 2, 214 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung - AO - i.V.m. §§ 19, 22 Abs. 2 BewG in der vor 1977 gültigen Fassung - a.F. -). Gemäß § 182 Abs. 1 AO 1977, der nach Art. 97 § 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist, sind Feststellungsbescheide für Folgebescheide (z.B. Steuerbescheide oder andere Feststellungsbescheide) bindend, soweit die in den Feststellungsbescheiden getroffenen Feststellungen für diese Folgebescheide von Bedeutung sind. Die Bindungswirkung des Feststellungsbescheides (Grundlagenbescheids) reicht so weit wie sein notwendiger oder möglicher (zulässiger) Inhalt (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 182 AO 1977 Rdnr. 1). Bindend sind dabei sowohl die positiven als auch die negativen Feststellungen (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. September 1975 III R 96/74, BFHE 116, 560, BStBl II 1975, 874). Ein Zurechnungsfortschreibungsbescheid i.S. des § 22 Abs. 2 BewG trifft bindende Feststellungen darüber, daß auf einen bestimmten Zeitpunkt (positiv) die wirtschaftliche Einheit dem neuen Eigentümer und (negativ) nicht mehr dem früheren Eigentümer zuzurechnen ist (Senatsurteile vom 16. Oktober 1985 II R 230/82, BFHE 144, 463, BStBl II 1986, 41, und vom 8. Juni 1988 II R 219/84, BFHE 153, 426, BStBl II 1988, 760).
a) Unter Beachtung dieser Grundsätze ist das FG zutreffend davon ausgegangen, daß mit dem Zurechnungsfortschreibungsbescheid des Lage-FA auf den 1. Januar 1976 gemäß § 182 Abs. 1 AO 1977 sowohl für die Kläger als auch für das beklagte FA bindend festgestellt wurde, daß das Grundstück Y-Straße auf die streitigen Stichtage der Klägerin zu 3 und ihrem später verstorbenen Ehemann zuzurechnen ist.
b) Nicht zu folgen vermag der erkennende Senat hingegen der Auffassung des FG, die Zurechnungsfortschreibung habe zugleich bewirkt, daß die im Zusammenhang mit dem Grundstück stehenden Forderungen und Schulden ebenfalls der Klägerin zu 3 und ihrem verstorbenen Ehemann zuzurechnen seien.
aa) Der Ansicht des FG ist schon deswegen nicht beizupflichten, weil den Gegenstand des Zurechnungsfortschreibungsbescheids allein das Grundstück, nicht hingegen andere Wirtschaftsgüter, namentlich die hier in Frage stehenden Forderungen und Schulden, bildeten. Daran vermag auch nichts zu ändern, daß die zuletzt genannten Gegenstände im wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Grundstück standen. Zurechnung des Gegenstandes i.S. von § 22 Abs. 2, 2. Alternative BewG bedeutet Zurechnung der wirtschaftlichen Einheit (§ 19 Abs. 3 Nr. 2 BewG). Wirtschaftliche Einheiten (§ 2 BewG) i.S. des § 19 Abs. 3 Nr. 2 BewG stellen ausschließlich die in § 19 Abs. 1 BewG genannten Bewertungsobjekte dar, für die Einheitswerte festgestellt werden. Die wirtschaftliche Einheit bildet im vorliegenden Streitfall (allein) das Grundstück Y-Straße. Keine Bestandteile dieser wirtschaftlichen Einheit bilden hingegen die mit dem Grundstück in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Forderungen und Schulden, über deren Zuordnung der Zurechnungsfortschreibungsbescheid des Lage-FA mithin keine (bindende) Feststellung treffen durfte und auch keine Feststellung getroffen hat.
bb) Entgegen der Ansicht des FG läßt sich die von ihm befürwortete erweiterte Bindung des beklagten FA an die Zurechnungsfortschreibung auch nicht mit der Erwägung rechtfertigen, der Zurechnungsfortschreibungsbescheid habe konkludent die Rechtswirksamkeit des Treuhandverhältnisses festgestellt mit der Konsequenz, daß in einem Folgebescheid (hier: Bescheid über gesonderte Feststellung des Vermögens nach § 180 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977) die Wirksamkeit dieses Treuhandverhältnisses nicht mehr in Frage gestellt werden dürfe. Mit dieser Auffassung hat das FG den Umfang der Bindungswirkung eines Verwaltungsakts (z.B. eines Steuerbescheids oder - wie hier - eines Feststellungsbescheids) zu weit ausgedehnt. Der Inhalt der Regelung eines Verwaltungsakts ergibt sich aus seinem sog. Ausspruch, auch als Verfügungs- oder Entscheidungssatz bzw. als verfügender Teil (im Prozeßrecht als Tenor) bezeichnet (vgl. BFH-Urteil vom 9. Dezember 1987 I R 1/85, BFHE 151, 554, BStBl II 1988, 463; Tipke/Kruse, a.a.O., § 118 AO 1977 Rdnr. 28, § 121 AO 1977 Rdnr. 3, § 157 AO 1977 Rdnr. 7, § 350 AO 1977 Rdnr. 3, und § 40 FGO Rdnr. 11).
Von dem Ausspruch eines Bescheides sind dessen Gründe zu unterscheiden, die den Ausspruch - als Rechtens - rechtfertigen sollen (Tipke/Kruse, a.a.O., § 121 AO 1977 Rdnr. 3). Diese nehmen an der Verbindlichkeit (Bestandskraft) und Bindungswirkung des Bescheids nicht teil (Tipke/ Kruse, a.a.O., § 118 AO 1977 Rdnr. 28).
Der Ausspruch eines Zurechnungsfortschreibungsbescheids erschöpft sich grundsätzlich in der positiven Feststellung, daß eine bestimmte wirtschaftliche Einheit ab einem bestimmten Zeitpunkt einem oder mehreren Zurechnungsträger(n) zuzurechnen ist, und - als logische Kehrseite - in der negativen Aussage, daß die in Rede stehende Einheit ab dem genannten Stichtag nicht mehr dem bisherigen Zurechnungsträger zuzuordnen ist. Der Grund für die Änderung der Zuordnung (z.B. die Erlangung des bürgerlich-rechtlichen Eigentums - § 39 Abs. 1 AO 1977 - oder des wirtschaftlichen Eigentums i.S. des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO 1977 durch den neuen Zurechnungsträger oder die Begründung von dessen Treugeberstellung i.S. von § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO 1977 etc.) gehört zur Begründung, nicht hingegen zum Entscheidungssatz des Zurechnungsfortschreibungsbescheids und nimmt demzufolge an dessen Bindungswirkung nicht teil.
Mit dieser Rechtsauffassung setzt sich der erkennende Senat nicht in Widerspruch zu seinem - vom FG irrig zur Stützung seiner Ansicht herangezogenen - Urteil in BFHE 144, 463, BStBl II 1986, 41. Dort hat der Senat ausgeführt, daß die nach Abschluß eines Grundstückskaufvertrages erfolgte Zurechnungsfortschreibung auf den Käufer die bindende Feststellung beinhalte, daß dem Verkäufer die (noch nicht getilgte) Kaufpreisforderung zustehe. Anders als die Frage nach der steuerlichen Anerkennung des Treuhandverhältnisses im vorliegenden Streitfall betrifft diese Aussage nicht die Begründung der Zurechnungsfortschreibung (die Ursache - den (Rechts-)Grund - für die Zurechnungsfortschreibung), sondern deren - logische (Rechts-)Folge: Die Zurechnungsfortschreibung auf den Käufer enthält zwangsläufig die Feststellung, daß der Verkäufer seine Sachleistungspflicht aus dem Kaufvertrag aus steuerlicher Sicht erfüllt habe. Dies wiederum führt - ähnlich den Grundsätzen über die Bilanzierung schwebender Geschäfte - zu der automatischen Folge, daß der Verkäufer die Kaufpreisforderung - sofern sie (noch) besteht - anzusetzen hat.
2. Die Vorentscheidung ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sie ist daher aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif, weil das FG - von seinem Standpunkt aus zu Recht - keine Feststellungen darüber getroffen hat, ob die in Rede stehenden Zahlungsmittel und Guthaben sowie Schulden den Fondsgesellschaftern zuzurechnen waren. Diese Feststellungen wird das FG nachzuholen haben.
Fundstellen