Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn der Festsetzungsfrist bei Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung
Leitsatz (NV)
1. Die Festsetzungs- bzw. Feststellungsfrist beginnt i.S. von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 mit Ablauf des Jahres, in dem die Steuer- bzw. Feststellungserklärung abgegeben wird, und zwar auch dann, wenn die abgegebene Erklärung teilweise unvollständig oder unrichtig ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Erklärung derart lückenhaft ist, dass dies praktisch auf das Nichteinreichen der Erklärung hinausläuft.
2. Geben die Steuerpflichtigen eine Erklärung ab, in dem sie nur gemeinsam erzielte Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung angeben, und zwar aus dem früher selbst bewirtschafteten landwirtschaftlichen Betriebsvermögen und ermittelt das Finanzamt aufgrund dieser Erklärung den Sachverhalt weiter, ist es für den Beginn der Festsetzungsfrist unerheblich, ob diese Einkünfte gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2b AO 1977 als Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft hätten festgestellt werden müssen.
Normenkette
AO 1977 § 169 Abs. 1 S. 1, § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 180 Abs. 1 Nrn. 2a, 2b, § 181 Abs. 1 S. 2; EStG §§ 13-14, 16
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Zwischen den Beteiligten war vor dem Finanzgericht (FG) streitig, ob der Gewinn aus der Veräußerung von Grundstücksflächen bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft zu erfassen ist.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind neben ihrer Mutter (M) die Miterben nach ihrem am … 1986 verstorbenen Vater (V). M übertrug durch notariellen Vertrag vom … 1989 ihren hälftigen Anteil an dem ererbten Grundbesitz zu gleichen Teilen auf die beiden Kläger. V hatte nach den Feststellungen des FG seinen landwirtschaftlichen Betrieb (ca. 5,2 ha groß) selbst bewirtschaftet. In der Erklärung über die Tierhaltung für das Wirtschaftsjahr 1979/80 vom 9. Dezember 1981 hatte er angegeben, die selbst bewirtschaftete Fläche betrage nur noch 2 ha. Für die Erbengemeinschaft teilte die Klägerin zu 1 der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft mit Schreiben vom 8. Juni 1991 mit, die land- und forstwirtschaftlichen Flächen würden seit Januar 1988 nicht mehr bewirtschaftet. Nach einem Vermerk des später mit der Sache befassten Betriebsprüfers war bereits V einkommensteuerlich nicht mehr geführt worden.
Die aus den Grundstücken X-straße 2, X-straße 3 und Z-Weg 3 erzielten Einkünfte erklärte die Erbengemeinschaft seit dem Jahr 1986 unter der Steuernummer XXX als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Nach den Anlagen zur Erklärung der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte 1986 hat jeder der damals drei Beteiligten jeweils ein Einfamilienhaus auf den drei genannten Grundstücken selbst genutzt. Im Rahmen der Erklärung für das Jahr 1988 teilte die Erbengemeinschaft mit, das Grundstück Z-Weg 3 sei teilweise fremdvermietet und werde im Übrigen von M unentgeltlich genutzt. Nach den Angaben in der Erklärung für 1990 sind für das Grundstück Z-Weg 3 keine Einnahmen mehr angefallen, vielmehr wurde es von der aus der Erbengemeinschaft ausgeschiedenen M aufgrund unentgeltlicher Überlassung allein bewohnt.
Die Einkünfte für das Jahr 1991 (Streitjahr) stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) entsprechend der am 10. März 1992 abgegebenen Erklärung in Höhe von 2 104 DM unter der Steuernummer XXX als solche aus Vermietung und Verpachtung fest und rechnete sie den beiden Klägern je zur Hälfte zu. Durch notariellen Vertrag vom 11. September 1991 war die Erbengemeinschaft aufgelöst worden.
Am 7. Januar 1991 hatten die beiden Kläger die Flurstücke 33, 71, 73 und --bis auf eine kleine Teilfläche-- das Flurstück 29 in der Flur 12 der Gemarkung A (insgesamt 4,4315 ha) für … DM an eine Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) verkauft. Das Flurstück 29 war bezeichnet als "Gebäude- und Freifläche, Ackerland, Weg, Unland, Z-Weg 3" und umfasste 43 399 qm; von ihm wurden ca. 1 000 qm zurückbehalten. Mit Schreiben vom 2. Mai 1991 hatte das FA unter der Steuernummer XXX um Übersendung des Kaufvertrages gebeten. Laut Vermerk vom 11. Mai 1991 (auf der Durchschrift des Schreibens vom 2. Mai 1991) hatte die Klägerin zu 1 daraufhin u.a. mitgeteilt, die Übertragung werde erst Mitte 1991 erfolgen. Am 11. November 1991 hatte das FA durch einen Anruf bei der LEG erfahren, dass Nachverhandlungen stattgefunden hatten und der Kaufpreis etwa Mitte April 1991 gezahlt worden sei.
Unter der Steuernummer ZZZ ordnete das FA für Betriebsprüfung der Land- und Forstwirtschaft mit Verfügung vom 2. Dezember 1998 eine Betriebsprüfung für die Einkünfte des Jahres 1991 an. Durch gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Bescheid vom 15. Februar 1999 stellte das (beklagte) FA anschließend unter dieser Steuernummer Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von insgesamt … DM fest, nachdem es diese zunächst im Bescheid vom 11. Dezember 1998 auf … DM geschätzt hatte. Diese Einkünfte rechnete es den beiden Klägern je zur Hälfte zu. Das FA ging davon aus, die Verkäufe an die LEG hätten eine Aufgabe des weiterbestandenen landwirtschaftlichen Betriebes bewirkt. Verbleibende Flächen seien steuerpflichtig in das Privatvermögen zu überführen, während das Wohnhaus steuerfrei zu entnehmen sei. Im Einspruchsverfahren erkannte das FA Maklerkosten in Höhe von … DM als Veräußerungskosten an und ermittelte einen Veräußerungsgewinn in Höhe von … DM, wobei es andererseits den Veräußerungspreis um … DM höher als bisher ansetzte.
Mit der Klage machten die Kläger geltend, V habe seinen Betrieb bereits im Jahr 1970 endgültig aufgegeben. Er habe eine Anlage L zur Einkommensteuererklärung nicht mehr abgeben müssen. Bereits damals seien landwirtschaftliche Nutzflächen veräußert worden, ohne dass das FA die Erlöse erfasst habe. Für die streitigen Flächen habe seit dem Jahr 1961 ein bestandskräftiger Bebauungsplan vorgelegen. In der Zeit von 1970 bis 1980 seien einzelne Flächen als Straßengelände enteignet worden. Die stillgelegten Flächen seien --mit Ausnahme eines kleinen im Wege der Erbpacht vergebenen Baugrundstücks-- nicht verpachtet gewesen. Die Erbpachtzinsen seien bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung erklärt worden. Die Erklärung zur Tierhaltung vom 9. Dezember 1981 sei inhaltlich falsch gewesen.
Ob V eine ausdrückliche Aufgabeerklärung abgegeben habe, sei nicht feststellbar. Wegen der Veräußerung von erheblichen Flächen sei eine Zwangsaufgabe anzunehmen. Ein Nachfolger hätte die restlichen Flächen wegen der Ausweisung als Wohngebiet nicht mehr bewirtschaften können. Im Übrigen sei die Feststellungsfrist bereits am 31. Dezember 1996 abgelaufen, weil die Feststellungserklärung 1991 am 10. März 1992 abgegeben worden sei.
Die Klage hatte nur zu einem geringen Teil Erfolg. Das FG führte in seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 166 nur mit Leitsatz veröffentlichten Entscheidung u.a. aus:
V habe den Betrieb nicht aufgegeben. Dass er möglicherweise die Eigenbewirtschaftung eingestellt habe, führe nicht dazu, dass das "Brachland" stillschweigend aus dem Betriebsvermögen ausscheide. Die Verkleinerung des Betriebs durch Veräußerung von Teilflächen in den Jahren 1970 bis 1980 habe nicht zu einer Zwangsaufgabe geführt. Das gelte auch für die Ausweisung als Bauland, weil eine landwirtschaftliche Nutzung weiter möglich gewesen sei. Die nach der eigenen Erklärung des V über die Tierhaltung noch bewirtschaftete Restfläche von 2 ha reiche für einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb aus.
Entnahme und Betriebsaufgabe setzten eine unmissverständliche Erklärung gegenüber dem FA voraus. Solche Vorgänge hätten die Kläger nicht nachgewiesen.
Die Kläger seien in die Stellung ihres Vaters als Gesamt- bzw. als Einzelrechtsnachfolger nach ihrer Mutter eingetreten. Die Erklärung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung stelle keine Aufgabeerklärung hinsichtlich des gesamten Betriebes dar. Da der Veräußerungsgewinn aus den verkauften 44 315 qm nicht erklärt worden sei, habe das FA diesen im angefochtenen Bescheid berücksichtigen dürfen. Mangels entsprechender Erklärung von Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft habe die Feststellungsfrist erst mit Ablauf des Jahres 1994 begonnen und erst mit Ablauf des Jahres 1998 geendet. Die Feststellungsfrist sei damit gewahrt gewesen.
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung von Bundesrecht.
Die Kläger beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil und die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung 1991 vom 11. Dezember 1998 und vom 15. Februar 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. März 2000 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es ist der Auffassung, weil die Kläger für die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft keine Feststellungserklärung abgegeben hätten, sei zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des ersten Bescheides, am 15. Dezember 1998, noch keine Feststellungsverjährung eingetreten. Auf eine mögliche positive Kenntnis der die Steuerschuld auslösenden Umstände seitens des FA komme es daher nicht an.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung sowie die Feststellungsbescheide des FA vom 15. Februar 1999 und vom 11. Dezember 1998 sind aufzuheben. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, die Feststellungsfrist sei bei Erlass der angefochtenen Bescheide noch nicht abgelaufen gewesen.
1. Im Streitfall kann dahinstehen, ob bereits der im Jahr 1986 verstorbene Vater der Kläger seinen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb aufgegeben hatte. Jedenfalls ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats in der Erklärung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung aus einem bisher landwirtschaftlich genutzten Grundstück keine schlüssige, von einem Entnahmewillen getragene Entnahmehandlung zu sehen, wenn der Steuerpflichtige die in der Anlage L zur Einkommensteuererklärung geforderten Angaben zur Lage und genauen Größe des angeblich entnommenen Grundstücks nicht macht (Senatsurteil vom 7. Februar 2002 IV R 32/01, BFH/NV 2002, 1135).
Doch ist das FG zu Unrecht davon ausgegangen, die vierjährige Feststellungsfrist nach § 181 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 sei bei Erlass des angefochtenen Bescheids vom 11. Dezember 1998 betreffend die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft des Jahres 1991 nicht abgelaufen gewesen und es sei aus diesem Grund eine Feststellung der Einkünfte gemäß §§ 181 Abs. 1 Satz 1, 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 noch zulässig. Obwohl die Kläger in ihrer am 10. März 1992 beim FA eingegangenen Erklärung nur Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für 1991 angegeben hatten, bewirkte ihre Erklärung (§ 181 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977), dass die Feststellungsfrist auch für die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft mit dem Ablauf des Jahres 1992 zu laufen begann (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977).
2. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (vgl. BFH-Beschluss vom 22. Januar 1997 II B 40/96, BFHE 181, 571, BStBl II 1997, 266) beginnt die Festsetzungs- bzw. Feststellungsfrist i.S. von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer- bzw. Feststellungserklärung abgegeben wird, und zwar sogar dann, wenn die abgegebene Erklärung teilweise unvollständig oder unrichtig ist. Etwas anderes gilt nur, wenn die Erklärung derart lückenhaft ist, dass dies praktisch auf das Nichteinreichen der Erklärung hinausläuft.
Vom letzteren Fall ist offenbar das FG ausgegangen. Es stellt nämlich allein darauf ab, dass die erklärten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 festzustellen sind, während eine solche Feststellung für Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 b AO 1977 zu erfolgen habe. Tatsächlich aber haben die Kläger eine Erklärung für die Einkünfte aus den jetzt streitigen Grundstücken abgegeben, die das FA für landwirtschaftliches Betriebsvermögen hält. Auch wenn die Erklärung der Kläger unrichtig gewesen wäre, war das beklagte FA dennoch imstande, ein ordnungsgemäßes Veranlagungsverfahren in Gang zu setzen (Senatsurteil vom 6. November 1969 IV 249/64, BFHE 97, 405, BStBl II 1970, 168; BFH-Beschluss vom 7. Mai 1992 V B 161/89, BFH/NV 1993, 141). Es hatte sogar positive Kenntnis von dem Veräußerungspreis. Außerdem hatte es unter der für die erklärten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erteilten Steuernummer zuvor die Kläger um Übersendung der Veräußerungsverträge für die strittigen Grundstücke gebeten. Deshalb spielt es auch keine Rolle, ob die gemeinschaftlich erzielten Einkünfte tatsächlich mehreren Einkunftsarten zuzurechnen waren und dass etwaige Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft ebenfalls nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 einheitlich und gesondert festzustellen gewesen wären (s. insoweit etwa Senatsbeschluss vom 29. Juli 1992 IV B 44/91, BFH/NV 1993, 2).
Im Übrigen ist hinsichtlich der Erfassung der Einkünfte bei der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung darauf aufmerksam zu machen, dass die Finanzverwaltung von einer vor dem 1. Juli 1970 erfolgten Betriebsaufgabe ausgeht, wenn die Einnahmen aus einem im Ganzen verpachteten land- und forstwirtschaftlichen Betrieb bei der rechtskräftigen Veranlagung für das Jahr 1969 als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung behandelt worden sind (Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 29. Februar 1972, BStBl I 1972, 102, Nr. 6 Abs. 1). Auch war das FA nach Abschn. 139 Abs. 5 Satz 8 der Einkommensteuer-Richtlinien 1990 bei einer nicht eindeutigen Aufgabeerklärung, z.B. bei Erfassung der Pachteinnahmen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, verpflichtet, durch eine Nachfrage beim Steuerpflichtigen zu klären, ob dieser den Betrieb als aufgegeben oder während der Zeit der Verpachtung als fortbestehend behandelt sehen wollte.
Fundstellen
BFH/NV 2005, 1229 |
HFR 2005, 731 |