Entscheidungsstichwort (Thema)
Berichtigung eines nur teilverjährten Steuerbescheides
Leitsatz (NV)
Unterläuft dem FA bei Erlaß eines Änderungsbescheides eine offenbare Unrichtigkeit, so wird der Ablauf der Festsetzungsfrist jedenfalls in dem Umfang gehemmt, in dem bislang noch keine (Teil-)Verjährung eingetreten war. Der Bescheid kann dann innerhalb der sich aus § 171 Abs. 2 AO 1977 ergebenden Jahresfrist nach Bekanntgabe des Bescheides gemäß § 129 AO 1977 berichtigt werden.
Normenkette
AO 1977 §§ 129, 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 171 Abs. 2, 3 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) tätigte Umsätze aus einer Zahnarztpraxis und aus Vermietung und Verpachtung durch Beteiligung an zwei Bauherrengemeinschaften (BHG), der BHG in L sowie der BHG in K. Für das Streitjahr (1981) hatte er im Jahre 1982 steuerpflichtige Umsätze aus der Zahnarztpraxis von insgesamt 696 822 DM erklärt, die vor Anrechnung von Vorsteuerbeträgen aus Vorumsätzen -- zuletzt -- in dem geänderten Steuerbescheid vom 17. Mai 1985 mit einer Umsatzsteuer von 45 293 DM berücksichtigt worden waren. Die Steuerschuld belief sich hiernach auf 5 349 DM. Am 26. November 1985 beantragte der Kläger wegen der zwischenzeitlich vorliegenden endgültigen Abrechnung der BHG in K die Änderung dieses Bescheides. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) trug dem durch gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Bescheid vom 6. Januar 1987 Rechnung, indem er die bisher abgezogenen Vorsteuerbeträge verminderte, soweit sie in Höhe von 1 539 DM auf diese BHG entfielen. Zugleich kürzte er die Vorsteuerbeträge aus der Beteiligung an der anderen BHG in L um weitere 9 760 DM. Die Umsätze aus der Zahnarztpraxis in Höhe von 696 822 DM wurden versehentlich nicht in den Eingabewertbogen für diesen Bescheid übernommen. Dadurch errechnete sich eine entsprechend geringere Steuerschuld. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Am 8. Dezember 1987 erließ das FA einen auf § 129 AO 1977 gestützten Berichtigungsbescheid, in dem die Umsätze von 696 822 DM wieder berücksichtigt und die Steuerschuld auf nunmehr 16 650 DM festgesetzt wurde. Mit seinem dagegen gerichteten Einspruch berief sich der Kläger auf den Ablauf der Festsetzungsfrist. Das FA erhöhte daraufhin zwar -- durch erneuten auf § 164 Abs. 2 AO 1977 gestützten Änderungsbescheid vom 1. November 1988 -- die abgezogenen Vorsteuerbeträge, soweit sie auf die Beteiligung an der BHG in L entfielen, und verringerte dadurch die Steuerschuld auf 6 889 DM, behielt die Besteuerungsgrundlagen im übrigen aber bei. Der Einspruch wurde zurückgewiesen.
Die Klage des Klägers hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 642 wiedergegebenen Gründen die Auffassung, der Änderungsbescheid vom 8. Dezember 1987 hätte wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht ergehen dürfen. Denn (auch) eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 sei nur innerhalb der Festsetzungsfrist zulässig (§ 169 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Bereits der zu ändernde, an einer offenbaren Unrichtigkeit leidende Be scheid vom 6. Januar 1987 sei aber außerhalb der für das Streitjahr 1981 mit Ablauf des Jahres 1986 endenden Festsetzungsfrist ergangen. Er könne deshalb nicht mehr geändert oder berichtigt werden, obwohl er rechtswirksam und bestandskräftig geworden sei. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 2 AO 1977 ändere daran nichts, weil sie lediglich die Hemmung einer laufenden Frist bewirke, nicht aber eine bereits abgelaufene Frist wieder in Gang setze. Soweit der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 14. Juni 1991 III R 64/89 (BFHE 165, 438, BStBl II 1992, 52) anders entschieden habe, sei dem nicht zu folgen.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung von § 171 Abs. 2 AO 1977.
Es beantragt, unter Aufhebung des FG- Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Das FA war nicht wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist daran gehindert, den Be scheid vom 6. Januar 1987 nach § 129 AO 1977 zu berichtigen. Dabei kann unentschieden bleiben, ob dem BFH-Urteil in BFHE 165, 438, BStBl II 1992, 52 darin zu folgen wäre, daß auch ein Steuerbescheid, der bereits seinerseits nach Ablauf der Festsetzungsfrist ergangen ist, noch innerhalb der Jahresfrist gemäß § 171 Abs. 2 AO 1977 wegen einer offenbaren Unrichtigkeit berichtigt werden kann. Über einen derartigen Sachverhalt ist im Streitfall nicht zu befinden. Hinsichtlich des hier zu ändernden Bescheids vom 6. Januar 1987 war jedenfalls in jenem Umfang, in dem er nunmehr in Gestalt des letzten Änderungs bescheides vom 1. November 1988 vom FA geändert worden ist, keine Festsetzungsverjährung eingetreten. Infolgedessen konnte er innerhalb der in ihrem Ablauf nach § 171 Abs. 2 AO 1977 gehemmten Frist berichtigt werden (§ 169 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Satz 1 AO 1977).
1. Die vierjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977) begann für das Streitjahr 1981 gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 mit Ablauf des Jahres 1982 (in dem die Steuererklärung eingereicht wurde) und endete mit dem 31. Dezember 1986.
2. Der Ablauf der Festsetzungsfrist wurde aber zunächst nach § 171 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 und anschließend nach § 171 Abs. 2 AO 1977 gehemmt.
a) Nach § 171 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 läuft, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist ein Antrag auf Änderung einer Steuerfestsetzung gestellt wird, die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden worden ist.
Der Kläger hat am 26. November 1985, also vor Ablauf der Festsetzungsfrist, beantragt, den für das Streitjahr ergangenen Steuerbescheid vom 17. Mai 1985 im Hinblick auf die verringerten Vorsteuerbeträge aus der Beteiligung an der BHG in K um 1 539 DM zu seinen Lasten zu ändern. In diesem Umfang war der Ablauf der Festsetzungsfrist sonach gehemmt und konnte der Bescheid vom 17. Mai 1985 vom FA auch nach Ablauf des Jahres 1986 noch geändert werden. Nur in dem weitergehenden Umfang war Teilverjährung eingetreten (vgl. BFH-Urteil vom 5. Februar 1992 I R 76/91, BFHE 168, 1, BStBl II 1992, 995).
Durch den Bescheid vom 6. Januar 1987 hat das FA diesem Antrag des Klägers entsprochen. Daß es die abgezogenen Vorsteuerbeträge zugleich auch im Hinblick auf die Beteiligung des Klägers an der BHG in L um weitere 9 760 DM verringert hat, ändert daran nichts. In diesem Umfang hätte der Bescheid vom 17. Mai 1985 wegen des Ablaufs der Festsetzungsfrist zwar nicht geändert werden dürfen und war rechtswidrig. Das FA hat dies aber erkannt und den Fehler im anschließenden Einspruchsverfahren durch Erlaß des nunmehr (vgl. § 365 Abs. 3 AO 1977) streitgegenständlichen Änderungsbescheides vom 1. November 1988 gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 korrigiert.
b) Durch Erlaß des Änderungsbescheides vom 6. Januar 1987 wurde der Ablauf der Festsetzungsfrist jedenfalls in dem Umfang, in dem hiernach wegen § 171 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 noch keine Teilverjährung eingetreten war, nach § 171 Abs. 2 AO 1977 erneut gehemmt.
Nach dieser Vorschrift endet, wenn bei Erlaß eines Steuerbescheides eine offen bare Unrichtigkeit unterlaufen ist, die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe dieses Steuerbescheides.
Das FA hat bei der Übernahme der Besteuerungsgrundlagen aus dem Bescheid vom 17. Mai 1985 in den Eingabewertbogen für den Bescheid vom 6. Januar 1987 ver sehentlich die vom Kläger im Streitjahr getätigten steuerpflichtigen Umsätze von 696 822 DM und die hierauf entfallende Umsatzsteuer von 45 293 DM nicht berücksichtigt. In diesem Eingabefehler liegt eine offenbare Unrichtigkeit i. S. des § 129 AO 1977, weil es sich um ein mechanisches Versehen handelt; nach den Feststellungen des FG und nach Aktenlage kann jede Möglichkeit eines Rechtsirrtums, eines Denkfehlers oder einer unvollständigen Sachaufklärung bzw. fehlerhaften Tatsachenwürdigung ausgeschlossen werden (vgl. u. a. BFH-Urteile vom 24. Juli 1984 VIII R 304/81, BFHE 141, 485, BStBl II 1984, 785; vom 8. März 1989 X R 116/87, BFHE 156, 59, BStBl II 1989, 531; in BFHE 165, 438, BStBl II 1992, 52, jeweils m. w. N.).
Die offenbare Unrichtigkeit wirkte sich zugunsten des Klägers aus; durch sie wird die Reichweite der Ablaufhemmung, wie sie nach § 171 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 durch den Änderungsantrag des Klägers vom 26. November 1985 bestimmt worden ist, nicht überschritten. Die durch § 171 Abs. 2 AO 1977 bewirkte Ablaufhemmung erstreckt sich betragsmäßig auf jenen Umsatzsteuerbetrag von 45 293 DM, der wegen der offenbaren Unrichtigkeit, die dem FA unterlaufen ist, in dem Bescheid vom 6. Januar 1987 nicht berücksichtigt wurde. Der Ablauf der Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 stand der Berichtigung nach § 129 AO 1977 deshalb nicht entgegen.
3. Die Vorinstanz ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Ihr Urteil war deshalb aufzuheben. Die Klage war abzuweisen.
Fundstellen