Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterbringung und Verpflegung von Asylbewerbern aufgrund eines Vertrags mit der öffentlichen Hand
Leitsatz (amtlich)
1. Gewährt ein Unternehmer aufgrund eines Vertrages mit der öffentlichen Hand (hier: Land) Flüchtlingen/Asylbewerbern Unterkunft und Verpflegung, so erbringt er gegenüber dem Land regelmäßig mehrere selbständige Leistungen.
2. Die Beurteilung, ob eine (ausnahmsweise steuerpflichtige) Vermietung von Wohn- und Schlafräumen i.S. von § 4 Nr.12 Satz 2 UStG 1980 vorliegt, "die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält", richtet sich nach den Umständen der Vermietung an das Land, nicht nach der Aufenthaltsdauer der einzelnen Flüchtlinge/Asylbewerber.
Normenkette
UStG 1980 § 4 Nr. 12 S. 1 Buchst. a, S. 2
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gewährte in den Streitjahren (1982 bis 1984) in einem Hotelgebäude zunächst vietnamesischen Flüchtlingen, ab September 1982 Asylbewerbern Unterkunft und Verpflegung auf der Grundlage langfristig abgeschlossener Verträge mit dem Land Niedersachsen (Land).
In dem "Vertrag über die Unterbringung und Verpflegung von Vietnamflüchtlingen in einer Zentralunterkunft" vom 4.November 1981 (Laufzeit 13.November 1981 bis 31.August 1982) hatte sich die Klägerin gegen Zahlung eines bestimmten Tagessatzes gegenüber dem Land verpflichtet, 150 Plätze in der Zentralunterkunft im Hotel A für ihr vom Land zugewiesene Vietnamflüchtlinge vorzuhalten (§ 1), den bei ihr untergebrachten Vietnamflüchtlingen Sachleistungen (Unterkunft, Verpflegung, Bettwäsche, Handtücher) zu gewähren (§ 2) sowie das für den Betrieb der Unterkunft zur Unterbringung und Verpflegung erforderliche Personal bereitzuhalten und vertragsgemäß einzusetzen (§ 3). Nach dem "Vertrag über die Unterbringung, Verpflegung und Betreuung von Asylbewerbern in einer Gemeinschaftsunterkunft" vom 13.August 1982 mit Nachtrag vom 11.Mai 1983 (Laufzeit 1.September 1982 bis 31.August 1985) war die Klägerin verpflichtet, über die vorgenannten Sachleistungen hinaus Bekleidung und Wäsche auszugeben, die Wäsche zu säubern bzw. die dazu erforderlichen Gegenstände bereitzustellen, Tageszeitungen in der Landessprache zur Verfügung zu stellen und Fahrkarten auszugeben.
In ihren Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre behandelte die Klägerin nur die Verpflegungsleistungen als steuerpflichtig; im übrigen nahm sie Steuerfreiheit nach § 4 Nr.12 Satz 1 Buchst.a des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) in Anspruch.
Nach einer Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Auffassung, von den Entgelten, die die Klägerin steuerfrei belassen hatte, entfalle ein (weiterer) Teil (25 v.H.) auf den steuerpflichtigen Bereich der Verpflegung und Betreuung. Diesen Anteil hatte das FA im Wege der Schätzung auf der Grundlage der der Klägerin im Jahre 1984 entstandenen Selbstkosten ermittelt.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosen Einsprüchen erhobene Klage gegen die Änderungsbescheide vom 10.November 1987 ab. Zur Begründung führte es aus: Im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Beteiligten habe die Klägerin mit der Erfüllung ihrer vertraglich übernommenen Pflichten eine einheitliche Leistung erbracht, für die das Gesetz keine Steuerbefreiung vorsehe. Nach Sinn und Zweck der abgeschlossenen Verträge habe sich die Klägerin zur ordnungsgemäßen Unterbringung der ihr zugewiesenen Flüchtlinge und Asylbewerber verpflichtet. Diese Verpflichtung habe sie durch Bereitstellung von Betten, Bettwäsche und anderer Wäsche, Ausgabe von Verpflegung bzw. Lebensmitteln, Gestellung von Betreuungspersonal und tatsächliche Betreuung der zugewiesenen Personen erfüllt. Darüber hinaus habe sie --nach ihrem Vortrag in der mündlichen Verhandlung-- für Ruhe und Ordnung gesorgt, das Haus nachts bewacht und im Bedarfsfall Polizei und/oder einen Arzt herbeigerufen. Dies alles seien Pflichten, die typischerweise nicht dem Vermieter eines Hauses zufielen. Nach den Gesamtumständen sei es den Vertragsbeteiligten nicht um eine Summe von Einzelleistungen einschließlich der entgeltlichen Gebrauchsüberlassung des Gebäudes gegangen. Vielmehr sei die durch die ordnungsgemäße Unterbringung bedingte Nutzung des Gebäudes nur ein untrennbarer Teil der Gesamtleistung gewesen.
Eine Vermietungsleistung i.S. des § 4 Nr.12 Satz 1 Buchst.a UStG 1980 scheide auch deshalb aus, weil die Klägerin dem Land nicht den Gebrauch einer bestimmten Sache auf Zeit gewährt habe. Nach den abgeschlossenen Verträgen habe die Klägerin eine bestimmte Anzahl von Plätzen in der Gemeinschaftsunterkunft für zugewiesene Personen vorhalten müssen; sie sei aber nicht verpflichtet gewesen, das gesamte Gebäude oder aber bestimmte Teile des Gebäudes dem Land entgeltlich zur Verfügung zu stellen.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen und formellen Rechts. Sie ist der Auffassung, sie habe lediglich steuerfreie Vermietungsleistungen einschließlich unselbständiger Nebenleistungen erbracht. Jedenfalls sei die Überlassung der Räume steuerfrei. Den Anteil der steuerpflichtigen Leistungen habe das FA in den angefochtenen Bescheiden zu Unrecht erhöht.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die Umsatzsteuerbescheide des FA in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FA tritt der Auffassung der Klägerin und der des FG entgegen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Die Vorentscheidung war wegen unzutreffender Auslegung des § 4 Nr.12 Satz 1 Buchst.a UStG 1980 aufzuheben.
a) Die Klägerin hat an das Land als ihren Vertragspartner Vermietungsleistungen im Sinne dieser Vorschrift erbracht, indem sie vertragsgemäß 150 Plätze in ihrem Haus zur Unterbringung von Flüchtlingen bzw. Asylbewerbern vorgehalten und diesen ihr vom Land zugewiesenen Personen Unterkunft gewährt hat.
Die Auffassung des FG, eine Vermietung scheide aus, weil die Klägerin nicht vertraglich verpflichtet gewesen sei, das gesamte Gebäude oder aber bestimmte Teile des Gebäudes dem Land zur Verfügung zu stellen, deckt sich nicht mit der neueren Rechtsprechung des Senats. Die Steuerfreiheit nach § 4 Nr.12 Satz 1 Buchst.a UStG 1980 erstreckt sich auch auf die Vermietung einzelner Teile eines Grundstücks, wie z.B. einzelner Wohn- und Schlafräume (vgl. Senatsurteil vom 21.September 1989 V R 170/84, BFH/NV 1990, 532 m.w.N.). Eine Vermietung erfordert ferner nicht, daß die vermietete Sache bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestimmt ist. Schuldrechtliche Verträge können auch über unbestimmte, aber bestimmbare Leistungen geschlossen werden, wobei die spätere Konkretisierung der Leistung durch beide Parteien, durch eine Partei oder durch einen Dritten erfolgen kann (§§ 315, 317 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--; vgl. z.B. Senatsurteil vom 8.Oktober 1991 V R 95/89, BFHE 166, 191, BStBl II 1992, 209).
b) Entgegen der Ansicht des FG erbrachte die Klägerin im Streitfall keine einheitliche Leistung, hinter der ihre Vermietungsleistung zurücktrat; diese hatte vielmehr eigenständiges Gewicht mit der Folge, daß insoweit Steuerfreiheit gegeben ist.
aa) Das FG ist zu seiner Auffassung durch Vertragsauslegung gelangt. Die rechtliche Würdigung der Verträge durch das FG bindet den erkennenden Senat nicht, da es sich insoweit nicht um tatsächliche Feststellungen i.S. von § 118 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), sondern um Rechtsanwendung handelt.
bb) Erbringt der Vermieter neben steuerfreien Vermietungsleistungen i.S. des § 4 Nr.12 Satz 1 Buchst.a UStG 1980 noch weitere steuerpflichtige Leistungen --wie im Streitfall--, so ist wie folgt zu unterscheiden:
Leistungen, die im Vergleich zur Grundstücksvermietung nebensächlich sind, mit ihr eng zusammenhängen und in ihrem Gefolge üblicherweise vorkommen, sind als sog. Nebenleistungen wie die Vermietung steuerfrei. Tritt umgekehrt die Gebrauchsüberlassung des Grundstücks gegenüber anderen Leistungen so weit zurück, daß sie von den anderen, wesentlicheren Leistungen überdeckt wird, kommt die Steuerbefreiung auch nicht teilweise in Betracht. Dazwischen liegen Fälle, in denen die Grundstücksvermietung und die weiteren Leistungen in der Weise nebeneinander stehen, daß keine der Leistungen so weit zurücktritt, daß sie umsatzsteuerrechtlich nicht mehr zu beachten wäre. In diesen Fällen ist das Entgelt auf die steuerfreie Grundstücksvermietung und die übrigen steuerpflichtigen Leistungen --erforderlichenfalls durch Schätzung-- aufzuteilen (vgl. zum Vorstehenden z.B. Senatsurteile vom 7.April 1960 V 143/58 U, BFHE 71, 41, BStBl III 1960, 261; vom 10.August 1961 V 95/60 U, BFHE 73, 714, BStBl III 1961, 525, und vom 14.Juli 1977 V R 20/74, BFHE 123, 203, BStBl II 1977, 881; Umsatzsteuer-Richtlinien --UStR-- Abschn.76 Abs.5, Abschn.80, 81).
cc) Der Streitfall ist der letztgenannten Fallgruppe zuzuordnen.
Bei der Gewährung von "Kost und Logis" gegen Entgelt liegen regelmäßig zwei selbständige Umsätze vor, wie der Senat wiederholt für die Arbeitnehmerunterbringung entschieden hat (vgl. Urteile vom 13.September 1988 V R 46/83, BFHE 154, 280, BStBl II 1988, 1021; vom 24.November 1988 V R 30/83, BFHE 155, 210, BStBl II 1989, 210). Dies gilt auch für die Gewährung von Unterkunft und Verpflegung an Asylbewerber (vgl. Vogel in Vogel/Reinisch/Hoffmann/Schwarz, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr.12 Rz.43; Busl, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1989, 42; Pflüger, UR 1991, 217).
Das FG hat nicht festgestellt, die Klägerin habe im Streitfall darüber hinaus sonstige Leistungen von so erheblichem Gewicht erbracht, daß daneben die Gewährung von Unterkunft und Verpflegung keine eigenständige Bedeutung mehr gehabt hätte. Dafür besteht auch kein Anhaltspunkt. Betreuungsleistungen --zu denen sich die Klägerin ohnehin nicht in bezug auf die Vietnamflüchtlinge verpflichtet hatte-- kam nach dem Schreiben der Oberfinanzdirektion (OFD) vom 12.Februar 1987, das Grundlage der Entscheidung des FA war, kein besonderes Gewicht zu. Danach hatte die (soziale) Betreuung der Asylbewerber durch die Heimbetreiber im Verhältnis zu der Unterbringung und Verpflegung nur eine untergeordnete Bedeutung. Überdies hat die Klägerin nach ihrem vom FG wiedergegebenen Vortrag mit ihrem Personal die Asylbewerber (überhaupt) nicht persönlich betreut.
Daß die Klägerin die nächtliche Bewachung des Hauses übernahm und im Bedarfsfall Polizei und/oder einen Arzt verständigte, gab den von ihr insgesamt erbrachten Leistungen ebenfalls nicht das Gepräge. Die Hinzuziehung von Polizei oder Arzt war --je nach Umfang-- unselbständige Nebenleistung zu der Gewährung von Unterkunft und Verpflegung oder allenfalls selbständig daneben stehende Leistung.
c) Dementsprechend waren die Leistungen der Klägerin teilweise als Grundstücksvermietung nach § 4 Nr.12 Satz 1 Buchst.a UStG 1980 steuerfrei. Ein Ausschluß der Steuerbefreiung nach § 4 Nr.12 Satz 2 UStG 1980 kommt im Streitfall nicht in Betracht. Die Klägerin hielt die Wohn- und Schlafräume nicht zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereit, sondern hatte sie langfristig (zunächst für über neun Monate und sodann für drei Jahre) an das Land vermietet. Entscheidend sind insoweit die Vereinbarungen der Klägerin mit ihrem Mieter (vgl. dazu Senatsbeschluß vom 11.Januar 1990 V B 109/89, BFH/NV 1990, 607).
2. Der Senat kann im Streitfall nicht selbst abschließend entscheiden. Die Sache muß vielmehr zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO). Das FG hat keine Feststellung zu der im Einspruchs- und Klageverfahren streitigen Frage getroffen, welcher Teil des Entgelts, das das Land der Klägerin für sämtliche Leistungen gezahlt hat, der steuerfreien Grundstücksvermietung zuzuordnen ist. Für eine Aufteilung des Gesamtentgelts durch das Revisionsgericht (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 101, 142, BStBl II 1971, 189) fehlt die tatsächliche Grundlage.
Fundstellen
Haufe-Index 64772 |
BFH/NV 1994, 46 |
BStBl II 1994, 585 |
BFHE 173, 454 |
BFHE 1994, 454 |
BB 1994, 1552-1553 (LT) |
BB 1994, 853 |
DStR 1994, 703 (K) |
DStZ 1994, 311-312 (KT) |
StE 1994, 230 (K) |