Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertrauensgeschützte Dispositionen
Leitsatz (NV)
Durch Treu und Glauben sind nur solche Dispositionen geschützt, die vor Verwirklichung des Steuertatbestandes vorgenommen werden.
Normenkette
AO 1977 § 4
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war seit 1957 im elterlichen Betrieb nichtselbständig tätig. Bei dem Betrieb handelte es sich um ein alteingesessenes . . .geschäft. Das Unternehmen war von dem Vater des Klägers bereits vor dem 2. Weltkrieg gegründet und nach dessen Tod von der Mutter weitergeführt worden.
Gemäß Übernahme- und Rentenvertrag vom 1. April 1974 übernahm der Kläger den elterlichen Betrieb zu diesem Zeitpunkt mit allen Aktiven und Passiven von seiner damals . . . Jahre alten Mutter gegen eine monatliche Rente von . . . DM. Zum Wert des Betriebes wurden in dem Übergabevertrag keine Feststellungen getroffen. § 1 Abs. 3 des Vertrages verweist allerdings auf einzelne zum Vertrag gehörende Aufstellungen (Inventarverzeichnis, Lagerverzeichnis, Zusammenstellung der Kundenforderungen und der Lieferantenverbindlichkeiten). Danach betrugen der Wert des Anlagevermögens zum Zeitpunkt der Übergabe . . . DM und der Wert des Lagers (Material, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe), das in gemieteten Räumen eingerichtet war, . . . DM. Die Kundenforderungen erreichten einen Gesamtbetrag von . . . DM, von denen rd. . . . DM als zweifelhaft eingestuft waren. Die Lieferantenverbindlichkeiten beliefen sich auf . . . DM.
Die Eröffnungs- und Übernahmebilanz wies bei einer Bilanzsumme von . . . DM ein Minuskapital von . . . DM aus. Entgegen der Vereinbarungen im Übernahmevertrag wurden die Bankverbindlichkeiten in Höhe von . . . DM vom Kläger nicht übernommen, sondern verblieben bei der Mutter.
Diese nahm zur Tilgung der Schulden im November 1974 ein hypothekarisch abgesichertes Darlehen auf. Die monatlichen Zins- und Tilgungsraten dieses Darlehens entsprachen in etwa den im Übernahmevertrag vereinbarten monatlichen Rentenzahlungen.
In der Einkommensteuererklärung 1974 sowie in den Steuererklärungen der Folgejahre machte der Kläger die Rentenzahlungen an seine Mutter - von dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) unbeanstandet - als Betriebsausgaben geltend.
Die Gewinn- und Verlustrechnung des Jahres 1974 enthält folgenden Aktenvermerk des damals zuständigen Sachgebietsleiters:
,,Wegen der Behandlung der Rentenzahlungen an die Mutter als betriebliche Versorgungsrente wurde der Abzug als Betriebsausgaben unter Bezug auf das Bundesfinanzhof (BFH)-Urteil vom 30. Juli 1959 BStBl III 1959, 406 zugelassen."
Dieser Aktenvermerk beruhte auf einer Besprechung des Klägers und seiner Steuerberaterin mit dem Sachgebietsleiter anläßlich der Abgabe der Steuererklärungen des Jahres 1974 Anfang Juni 1976. Die Besprechung war von seiten des Klägers gewünscht worden, um die steuerliche Behandlung der Rentenzahlungen abzuklären.
Die Mutter des Klägers behandelte die Rentenzahlungen in ihren Steuererklärungen bis zu ihrem Tod im Dezember 1982 als nachträgliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb und die mit dem Umschuldungsdarlehen zusammenhängenden Zinsen als nachträgliche Betriebsausgaben. Das FA folgte dieser Sachbehandlung.
Im August 1981 führte das FA beim Kläger für die Jahre 1977 bis 1979 eine Außenprüfung durch, bei der der Prüfer die Auffassung vertrat, die vom Kläger gezahlte Rente sei eine Unterhaltsrente und falle unter das Abzugsverbot des § 12 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der Rentenzahlung stehe keine Gegenleistung gegenüber. Zum Zeitpunkt der Geschäftsübernahme sei in der Bilanz des Betriebes ein Minuskapital ausgewiesen und es seien keine stillen Reserven vorhanden gewesen.
Das FA folgte den Feststellungen des Prüfers und erließ geänderte bzw. erstmalige Steuerbescheide für 1978 bis 1982.
Die Einsprüche blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage für die Streitjahre mit der Begründung statt, das FA sei an der Geltendmachung der Steueransprüche nach Treu und Glauben in den Veranlagungen 1978 bis 1981 gehindert; für das Jahr 1982 wies es die Klage ab.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen und formellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage für die Veranlagungszeiträume 1978 bis 1981.
1. FA und FG haben die in dem Übergabevertrag vereinbarte Rente zutreffend als Unterhaltsrente beurteilt, so daß die Rentenzahlungen weder als Betriebsausgaben noch als Sonderausgaben abgezogen werden können. Eine Unterhaltsrente liegt dann vor, wenn unter Berücksichtigung der Gegenleistung der Unterhaltscharakter offensichtlich überwiegt. Ein wesentlicher Anhaltspunkt für das Überwiegen kann im allgemeinen darin gesehen werden, daß der Wert der Gegenleistung (hier des übernommenen Betriebsvermögens) bei überschlägiger und großzügiger Berechnung weniger als die Hälfte des Wertes der Rentenverpflichtung beträgt (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Januar 1964 IV 8/62 U, BFHE 79, 516, BStBl III 1964, 422; vom 30. November 1967 IV 1/65, BFHE 91, 81, BStBl II 1968, 263).
Während der Barwert der Rente ca. 213 000 DM betrug, lag der Wert des übernommenen Betriebsvermögens eindeutig unter der Hälfte dieses Werts, so daß es einer genaueren Wertermittlung, wie sie in dem BFH-Urteil vom 21. Januar 1986 VIII R 238/81 (BFH/NV 1986, 597) dargelegt ist, nicht bedarf.
2. Entgegen der Auffassung des FG war das FA bei der Veranlagung der Streitjahre nicht nach Treu und Glauben an die Beurteilung der Rentenzahlungen, wie sie in den Vorjahren vorgenommen worden war, gebunden.
Die Frage, ob durch den Vermerk und die Sachbehandlung der nachfolgenden Veranlagungszeiträume ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, kann dahingestellt bleiben, da der Kläger keine vertrauensgeschützten Dispositionen vorgenommen hat.
Eine Bindung des FA nach Treu und Glauben setzt voraus, daß der Steuerpflichtige im Vertrauen auf das Verhalten der Finanzbehörde disponiert hat; nach verwirklichtem Tatbestand ist die Möglichkeit der Disposition nicht mehr gegeben (vgl. BFH-Urteile vom 29. Januar 1960 VI 26/59 U, BFHE 70, 262, BStBl III 1960, 96; vom 4. August 1961 VI 269/60 S, BFHE 73, 812, BStBl III 1961, 562; vom 26. März 1987 IV R 58/85, BFH/NV 1987, 770; vom 29. Oktober 1987 X R 1/80, BFHE 151, 118, BStBl II 1988, 121; vom 11. Dezember 1987 III R 168/86, BFHE 152, 29, BStBl II 1988, 232; vom 5. Oktober 1990 III R 19/88, BFHE 162, 211, BStBl II 1991, 45).
Diese Voraussetzung liegt nicht vor. Die Besprechung mit dem Sachgebietsleiter im Juni 1976 fand nach Abschluß des Übergabevertrages vom 1. April 1974 statt, so daß die Äußerung des Sachgebietsleiters für das Verhalten des Klägers und seine Dispositionen im Hinblick auf die Vereinbarung einer Rente nicht ursächlich sein konnte.
Die Dispositionen, die der Kläger nach dem Gespräch mit dem Sachgebietsleiter möglicherweise im Hinblick auf eingesparte Einkommensteuer vorgenommen hat, fallen nicht in den Schutzbereich eines Vertrauenstatbestandes. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ist ausnahmsweise von einer dem Gesetz entsprechenden Steuerfestsetzung abzusehen, sofern der Steuerpflichtige im Vertrauen auf eine Äußerung des FA seine steuerlichen Verhältnisse in bestimmter Weise gestaltet hat und anderenfalls diese Gestaltung nicht vorgenommen hätte. In einem solchen Fall ist das Verhalten des FA ursächlich für die Entstehung des Steueranspruchs.
Im Streitfall dagegen war der Steueranspruch bereits ohne ,,Mitwirkung" des FA entstanden. Infolge des Verhaltens des FA glaubte der Kläger lediglich, insoweit keine Steuern zahlen zu müssen, und gab die entsprechenden Beträge (möglicherweise) anderweitig aus. Diese durch die Äußerungen des Sachgebietsleiters verursachten Dispositionen rechtfertigen nicht den Verzicht auf den Steueranspruch. Denn sie führten nicht zur Entstehung des Steueranspruchs, sondern waren lediglich die Folge der falschen Beurteilung des bereits entstandenen Steueranspruchs. Der Kläger mag in der Folge im Vertrauen auf die günstige steuerliche Beurteilung über seine Mittel verfügt haben. Daß ihm hieraus ein Nachteil entstanden ist und er keinen entsprechenden Gegenwert erlangt hat, läßt sich den Feststellungen des FG nicht entnehmen. Selbst wenn dies anders wäre, würde sich am Ergebnis nichts ändern. Nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung kann der Steuerpflichtige das FA nicht an einer früheren unzutreffenden Auffassung festhalten.
Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage war abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 417745 |
BFH/NV 1991, 720 |